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38km² grundrechtsfreie Zone in Hamburg für G20-Gipfel?

Nachdem das zur Unterbringung der G20 GipfelgegnerInnen geplante antikapitalistische Protestcamp im Hamburger Stadtpark Entenwerder von den Behörden juristisch verhindert wurde, sollte das Camp nun im Elbpark Entenwerder im Stadtteil Rothenburgsort aufgebaut werden. Der Aufbau des Camps einschließlich Schlafzelten an diesem Ort war am späten Abend des 1. Juli vom Verwaltungsgericht Hamburg ausdrücklich zugestanden worden. Dennoch setzt sich die Polizei über über den Beschluß des Verwaltungsgerichts hinweg - (1,2,3,4, und so weiter).

Angesichts der Hamburger Zustände dokumentieren wir zwei Pressemitteilungen des anwaltlichen Notdienstes des Republikanischen Anwaltsvereins (RAV) vom 2. Juli und verweisen an der Stelle an Heribert Prantls Kommentar in der Sueddeutschen: "Demonstrationsfreiheit ist ein Grundrecht, kein Gnadenrecht"

Demoverbotszone der Hamburger Polizei zum G20: Mehrere JuristInnen legen Eilantrag ein

Wir haben gestern am späten Abend mehrere Eilanträge von JuristInnen gegen die Allgemeinverfügung vom 01.06.2017 bei dem Hamburger Verwaltungsgericht eingereicht. Unsere MandantInnen sind drei ReferendarInnen und ein Anwalt, die sich seit ihrem Studium mit Fragestellungen des Öffentlichen Rechts –“ insbesondere des Polizei- und Versammlungsrechts –“ auseinandersetzen. Als StudentInnen war sie Mitglied einer studentischen Hochschulgruppe rechtspolitisch interessierter und politischer engagierter Jurastudierender. Seit Beginn ihres Referendariats sind die AntragstellerInnen zudem Mitglieder eines Berufsgruppenübergreifenden Zusammenschlusses von linken Juristinnen und Juristen. Die AntragstellerInnen nahmen jeweils in der Vergangenheit gemeinsam mit anderen vernetzten JuristInnen an einer Vielzahl von Versammlungen teil: Beispielsweise gegen die Ausrufung des Gefahrengebietes im Januar 2014.

Vor dem Hintergrund, dass es sich in dem in Rede stehenden Zeitraum um den größten Polizeieinsatz der Geschichte Hamburgs handeln wird, erwarten die AntragstellerInnen massive Rechts- und Grundrechtsverletzung durch Polizeieinsätze. Insbesondere auch im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung. Sie haben vor, in dem Fall ihre Meinung in Form von spontanen Versammlungen hierzu auch kundzutun. Dies entspricht jedoch nur den Ansprüchen des Art. 8 GG, wenn sie dies auch in Hör- und Sichtweite der prognostizierten Polizeieinsätze tun können.

Durch die 38km² große Demoverbotszone mitten in der Hamburger Innenstadt wird ihnen dies verboten. Unabhängig vom Anlass wird allen sich in Hamburg aufhaltenden Menschen für 35 Stunden untersagt, ihre Meinung innerhalb dieses großflächigen Stadtgebiets gemeinsam mit mehr als einer anderen Person öffentlich kundzutun. Denn bei der gemeinsamen öffentlichen Meinungskundgabe von mindestens drei Personen liegt bereits eine Versammlung vor. Dies kommt einem Flächenverbot gleich, für welches keine taugliche Rechtsgrundlage existiert. In dem betreffenden Stadtgebiet können (mit Bezug zu dem Gipfels oder auch nicht)eine Vielzahl von verschiedenen Anlässen für Versammlungen entstehen, die sich teils auch widersprechen können (Pro-Erdogan Versammlungen und Anti-G20-Proteste).

Das Ergebnis der Allgemeinverfügung ist aus verfassungsrechtlicher Sicht untragbar: Unseren MandantInnen wäre es untersagt, bspw. bei rechtswidrigen Polizeieinsätzen, mit jeweils zwei anderen JuristInnen zusammen ihre Meinung nahe des Einsatzes öffentlich zu äußern. Wenn sie das doch täten, liefen sie Gefahr, Zwangsmaßnahmen durch die Polizei ausgesetzt zu sein. Rechtsanwältin Alexandra Wichmann äußert sich dazu: „Aus rechtsstaatlicher Sicht höchst bedenklich ist dabei, dass die Polizei als Exekutivorgan eigenmächtig einen Raum von 38 km² schafft, in dem gemeinsame öffentliche Kritik präventiv untersagt wird.“

Polizei unterbindet den Zutritt zum Camp Entenwerder trotz positiver Verwaltungsgerichtsentscheidung

Hamburger Polizei ignoriert Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hamburg - Anwaltlicher Notdienst fordert die sofortige Ablösung von PD Hartmut Dudde

Trotz positiver Eilentscheidung des Hamburger Verwaltungsgerichts (VG) in der Nacht zum 2. Juli 2017 (Az. 75 G 3/17) hat die Hamburger Polizei den Versammlungsteilnehmern des Antikapitalistischen Camps den Zugang zu dem angemeldeten Gelände Entenwerder verweigert und angekündigt, dass der Gesamteinsatzleiter Dudde persönlich ein absolutes Versammlungsverbot auf dem Gelände durchsetzen werde. Herr Dudde behauptet derzeit ggü. der Presse schlicht, es gebe keine gerichtliche Entscheidung.

Letzteres ist bemerkenswert, so hatte das VG in dem Beschluss auf die Sorge des anwaltlichen Beistandes RA Martin Klingner noch erklärt: „Soweit der Antragsteller ausgeführt hat, dass die [Polizei...] den Aufbau des Camps mittels unmittelbaren Zwangs verhindern werde, ist nicht ersichtlich, dass die [Polizei...] in Ansehung des hiesigen Beschlusses dennoch faktische Verhinderungsmaßnahmen ergreifen wird, solange dieser nicht durch einen entsprechenden Beschluss in einem etwaigen Beschwerdeverfahren aufgehoben worden ist.

Das Gericht war fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Polizei Hamburg sich an den gerichtlichen Beschluss halten wurde.

Der Anwaltliche Notdienst stellt dazu fest: Während der Innensenator Grote trotz aller Verbote nicht müde wird, die angeblich demokratischen und versammlungsfreundlichen Verhältnisse in Hamburg zu beschwören, sieht die Wirklichkeit völlig anders aus. Er bedient sich eines Einsatzleiters, der nicht bereit ist, sich an gerichtliche Entscheidungen zu halten und der aktiv das Recht bricht. Dass der Anmelder des Camps Entenwerder und die TeilnehmerInnen der Versammlung, die das Camp aufbauen wollen, nicht auf das Versammlungsgelände gelassen werden, ist eine rechtswidrige Nötigung. Es ist gleichzeitig eine Ankündigung, wie die Polizei unter PD Hartmut Dudde dem weiteren G 20- Protest zu begegnen gedenkt: nicht durch Schutz, sondern durch Behinderung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Dazu Rechtsanwalt Martin Klingner, der die Anmelder des Camps Entenwerder erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht vertreten hat: „Die Hamburger Polizei bricht die Verfassung, aber wir werden uns durchsetzen“.

Der Anwaltliche Notdienst sieht in der Maßnahme der Polizei ein vorsätzliches Unterlaufen rechtsstaatlicher Garantien. Ein Polizeidirektor, den eine Gerichtsentscheidung nicht interessiert, ist für den Posten des Gesamteinsatzleiters nicht tragbar und muss unverzüglich abgelöst werden.

Der Beschluss des Hamburger Verwaltungsgericht kann beim Anwaltlichen Notdienst angefragt werden.

Pressegruppe des Anwaltlichen Notdienst beim RAV e.V.
Hamburg, den 02.07.2017

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