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Schwesterorganisation der Bürgerrechtsorganisation Demobeobachtung-Südwest in der Türkei gerät unter Druck

In Hamburg herrschte faktisch ein Ausnahmezustand. Friedliche Proteste wurden unter grober Missachtung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit und der Trennung von Exekutive und Judikative behindert oder sogar gewaltsam verhindert. Trotzdem –“ oder gerade deswegen –“ ist es der Polizei kaum gelungen, die Gewalt der Randalierenden einzudämmen.

Was passiert wenn dieser Ausnahmezustand zur Regel wird kann man seit geraumer Zeit in der Türkei beobachten.

Beim vor der OSZE/ODIHR organisierten Treffen von Organisationen, die sich für das Recht auf Versammlungsfreiheit einsetzen, hatten wir das Privileg die Bekanntschaft mit einer Vertreterin der türkischen Organisation „EÅŸit Haklar İçin Ä°zleme DerneÄŸi“ zu machen.

Es ist einfach, den Niedergang der Demokratie und den Aufstieg einer Autokratie in der Türkei zu verurteilen. Doch unsere Kolleginnen und Kollegen versuchen mit kühlem Kopf und Vernunft das staatliche Handeln in der Türkei zu erfassen, zu verstehen und darauf hinzuwirken, dass alle BürgerInnen vor dem Gesetz gleich sind und staatliches Handeln auf geltenden Gesetzen und internationalen Normen fußen muss.

Leider scheinen die vernünftigen Stimmen weltweit immer mehr in die Defensive zu geraten und so mussten wir leider erfahren, dass ein Mitglied unserer Schwesterorganisation zusammen mit sieben weiteren MenschenrechtlerInnen in Polizeigewahrsam genommen wurde.

Wir haben ihre Pressemitteilung zu den Vorfällen ins Deutsche übersetzt und möchten sie hier als Zeichen unserer Solidarität wiedergeben:

Menschenrechtler in der Türkei sollen sofort freigelassen werden!

Am Morgen des 5 Juli wurden acht Menschenrechtler und zwei Wissenschaftler bei einem Seminar, welches zum Ausbau der technischen Handlungsfähigkeit von Menschenrechtlern während des Notstands organisiert wurde, in Gewahrsam genommen.

Das Seminar fand gerade in Buyukada Island in Istanbul statt, als Polizisten in ziviler Kleidung eine Durchsuchungsaktion durchführten und alle Teilnehmer in Gewahrsam nahmen, wobei auch alle ihre persönlichen Gegenstände beschlagnahmt wurden. Die Menschenrechtler Nalan Erkem (Bürgerversammlung), Ä°lknur Üstün (Frauenvereinigung), Ä°dil Eser (Amnesty International), Özlem Dalkıran (Bürgerversammlung), Günal KurÅŸun (Menschenrechtsagenda-Vereinigung), Veli Acu (Helsinki Bürgerversammlung), Åžeyhmuz Özbekli (Rechtsinitiative), Nejat TaÅŸtan (Vereinigung zur Überwachung des Gleichheitssatzes / Association for Monitoring Equal Rights) und die Experten Ali Gharavi und Peter Steudtner wurden mehr als 24 Stunden festgehalten, ohne dass sie ihren Familien, Kollegen oder Anwälten mitteilen konnten, wo sie sich befanden. Ihre Ingewahrsamnahme wurde zufälligerweise am selben Tag um 21:14 Uhr entdeckt, 12 Stunden nach ihrer Festsetzung.

Die Tatsache, dass die Familien der Menschenrechtler nicht informiert worden sind, dass keine Information über die Gefangenen verfügbar gemacht wurde aufgrund einer Informationssperre des Strafverfolgers, und dass die Umstände ihrer Ingewahrsamnahme selbst über die gewöhnlichen Regeln und Vorschriften der Notstandsgesetze weit hinaus gehen, könnte als Isolationshaft angesehen werden. Außerdem wurde die 24-Stunden-Zeitspanne, die eine Ingewahrsamnahme maximal andauern darf, gesetzwidrig ausgedehnt, indem die Zeit der Ingewahrsamnahme auf 14:30 Uhr datiert wurde, obwohl die Ingewahrsamnahme um 09:30Uhr statt fand.

Die Familien und Anwälte der Menschenrechtler wurden erst am darauf folgenden Tag, dem 6. Juli, über deren Verbleib informiert, nachdem die Gefangenen in Gruppen von zwei Personen aufgeteilt und auf unterschiedliche Polizeiwachen in ganz Istanbul verteilt worden waren. Inzwischen wurde ihre Gewahrsamszeit auf sieben Tag, dem durch die Notstandsgesetze ausgeweiteten Maximum, ausgeweitet. Die Vorwürfe ändern sich und sind sehr wage. Sie reichen von “Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Vereinigung– bis schlicht und ergreifend “Terror–, was keinem Strafgesetzparagraphen zuordenbar ist.

Nach deren Ingewahrsamnahme wurden die Menschenrechtler und einigen Medien als “Spione– verunglimpft, die ein “Geheimtreffen– abgehalten hätten. Ihnen wurden Verbindungen zu dem versuchten Militärputsch vom 15 Juli, den Gezi-Protesten von 2013 oder der CIA angedichtet.

Es ist eine universelle Norm, dass selbst im Ausnahmezustand staatliches Handeln auf den Gesetzen fußen muss (rule of law) und diese nicht willkürlich angewendet werden dürfen. Aus diesem Grund muss das Recht auf Leben, persönliche Freiheit und Sicherheit vor staatlicher Willkür respektiert werden, genau wie das Verbot von Folter und Misshandlung.

Zum Recht auf ein gerechtes Verfahren gehört die an allererster Stelle die Unschuldsvermutung und dass die Angeklagten nicht länger als nötig in Haft bleiben dürfen, ohne dass ein unparteiischer Haftrichter darüber entscheidet.

Die acht Menschenrechtler habe ihre Leben dem Schutz der Grund- und Menschenrechte in der Türkei gewidmet. Ihre Anstrengungen haben vielen geholfen und viele inspiriert, die Grund- und Menschenrechte zu verteidigen.

Unsere Kolleginnen und Kollegen Nalan Erkem, Ä°lknur Üstün, Ä°dil Eser, Özlem Dalkıran, Günal KurÅŸun, Veli Acu, Åžeyhmuz Özbekli, Nejat TaÅŸtan, Ali Gharavi und Peter Steudtner sollen sofort freigelassen werden! Willkürlicher Druck auf Menschenrechtler in der Türkei muss sofort beendet werden!



Erstveröffentlichung am 8. Juli bei Demobeobachtung Südwest. This Text in English

Festival der Grundrechtsverletzungen: Hamburg im Zustand polizeilicher Belagerung

Das Gegenteil des Mitte Mai vollmundig von Innensenator Grote angekündigten Festivals der Demokratie haben wir in der letzten Woche erlebt. Niemand sollte daran gehindert werden, seine Grundrechte wahrzunehmen. Nun ist es geschehen. Hamburg befand sich im polizeilichen Belagerungszustand, massenhaft wurde das Recht auf kollektive Meinungsäußerungsfreiheit, auf Versammlungsfreiheit, auf körperliche Unversehrtheit und auf Achtung der Menschenwürde beschränkt.

Die Allgemeinverfügung über eine 38 Quadratkilometer große Versammlungsverbotszone setzte bereits ein Zeichen gegen jedes wirksame plebiszitäre Mitwirkungsrecht der Bevölkerung, gegen die Versammlungsfreiheit als eines –“ so das Bundesverfassungsgericht - „grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes“ einer Demokratie.

Bis zum Bundesverfassungsgericht musste der Anmelder des Antikapitalistischen Camps gehen um bestätigt zu bekommen, dass ein politisches Camp eine Versammlung sein kann und nach den Regeln des Artikel 8 GG zu behandeln ist. Es folgte die rechtswidrige und polizeilich gewalttätige Verweigerung des Aufbaus der Antikapitalistischen Camps in Entenwerder trotz eines positiven Gerichtsbeschlusses, begleitet von den markigen Worten des Gesamteinsatzleiters Dudde, er werde persönlich dafür Sorge tragen, dass auf der Halbinsel kein Protestcamp stattfinden werde. Zwar bestätigte das Oberverwaltungsgericht, dass Dudde den Versammlungsteilnehmern Unrecht getan hatte, doch die völlig entnervten Organisatoren des Camps gaben die Umsetzung auf.

Die Auseinandersetzungen anlässlich der Demonstration „Welcome to Hell“ am 6. Juli begannen durch ein rechtswidriges Eingreifen der Polizei. VertreterInnen des Anwaltlichen Notdienstes G20 haben das Geschehen und den Beginn der Auseinandersetzungen selbst verfolgen und sich davon überzeugen können, dass die Polizei trotz des Ablegens der Vermummung bei zahlreichen Demonstrationsteilnehmern die zu diesem Zeitpunkt völlig friedliche Demonstration gewalttätig und mit Wasserwerfern angriff.

Auch wenn es im Versammlungsgesetz ein grundsätzliches Vermummungsverbot gibt, ist dieses Gesetz versammlungsfreundlich auszulegen. Es ist eine Verletzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit, eine friedliche Demonstration anzugreifen.

Am 7. Juli haben sich Menschen immer wieder an verschiedenen Orten der Stadt friedlich versammelt, so auch an den Landungsbrücken und am Baumwall. Ohne Abwägung, ohne Respektierung der Freiheitsrechte wurden diese Versammlungen als verboten betrachtet und von der Polizei aufgelöst.

Und auch wenn am gestrigen 8. Juli viele tausend Menschen auf die Straße gegangen sind, ist festzustellen, dass die Route weitab des Geschehens des G20, weder in Hör- noch in Sichtweite des Treffens der VertreterInnen der reichsten Länder dieser Erde war.

Hunderte von VersammlungsteilnehmerInnen wurden durch die harten Maßnahmen der Polizei verletzt, hunderte wurden festgenommen und in die extra für den G20 aus dem Boden gestampfte Gefangenensammelstelle in Hamburg-Neuland verbracht, wo eine oft äußerst zögerliche Vorführung zu dem Gericht erfolgte und die Festgenommenen an dem Zugang zu anwaltlichen Beistand dadurch gehindert wurden, dass nicht die Telefonnummer des Anwaltlichen Notdienstes, sondern ein Hamburger Telefonbuch mit über 10.000 Anwältinnen und Anwälten vorgelegt wurde und aufgefordert wurde, sich daraus einen Anwalt herauszusuchen.

Rechtsanwältin Gabriele Heinecke vom Anwaltlichen Notdienst G20 erklärt zu den Vorgängen der letzten Woche:

„Wem an dem Erhalt der Demokratie liegt, sollte durch die Erfahrungen der letzten Tage gewarnt sein. Es herrschte ein Ausnahmezustand mit einer flächendeckenden Aushebelung des Versammlungsrechts und mit einer erschreckenden Rücksichtslosigkeit von Seiten der Polizei gegenüber Leib und Leben der Demonstranten. Es kann nicht richtig sein, unter Hinweis auf Straftaten am Rande von Demonstrationen oder auf Krawalle im Schanzenviertel, die Unverbrüchlichkeit von Grundrechten in Frage zu stellen. Und es kann nicht richtig sein, jetzt unter dem Ruf nach hohen Strafen für Gewalttäter von den massiven Fehlern und Rechtsbrüchen der Polizei abzulenken.Wenn die Jugend massenhaft wütend ist, muss man sich über die Ursachen Gedanken machen. Der Ruf nach dem harten Staat hat bisher nur zu weniger Demokratie, nicht aber zu einer Lösung geführt.“

Pressemitteilung via Pressegruppe des Anwaltlichen Notdienstes beim RAV e.V.
Hamburg, den 09.07.2017

83. Jahrestag der Ermordung von Erich Mühsam

Erich Mühsam (Fotografie aus dem Jahr 1928, kurz vor seinem 50. Geburtstag)

In der Nacht vom 9. zum 10. Juli 1934 wurde der Dichter, Bohemian, Aktivist der Münchner Räterepublik und Anarchist Erich Mühsam im Konzentrationslager Oranienburg von der SS ermordet.

Aus diesem Anlass die "Internationale" in seiner Fassung:

Die Internationale
(Nach dem französischen Original)

Erwacht, im Erdenrund ihr Knechte!
Erwacht aus Hunger, Qual und Fron!
Im Erdkern grollen eure Rechte,
zum Endkampf auf, zur Rebellion!
Räumet auf mit eisernem Besen!
Sklaven all, erwacht! erwacht!
Sind wir bis heute nichts gewesen,
jetzt wollen wir die ganze Macht!
Leuchtend glühn die Fanale!
Zum Kampf! Der Würfel fällt!
Die Internationale
erstürmt, befreit die Welt!

Wir brauchen keines Gotts Verzeihen,
wir brauchen keines Kaisers Rat.
Das Volk muß selber sich befreien.
Sei einig, Proletariat!
Mag der Reiche selber Diebe greifen,
mag er selber Kerker bann!
Laßt uns die eignen Äxte schleifen.
Das Eisen glüht, jetzt laßt–™s uns haun!
Leuchtend glühn die Fanale!
Zum Kampf! Der Würfel fällt!
Die Internationale
erstürmt, befreit die Welt!

Vom Staat und vom Gesetz betrogen,
in Steuerfesseln eingeschnürt,
so wird uns Gleichheit vorgelogen
vom Reichen, der kein Elend spürt.
Lang genug ertrugen wir die Knechtung.
Länger fügen wir uns nicht.
Erkämpft statt Pflichten bei Entrechtung
das gleiche Recht bei gleicher Pflicht!
Leuchtend glühn die Fanale!
Zum Kampf! Der Würfel fällt!
Die Internationale
erstürmt, befreit die Welt!

Laßt los die Hebel der Maschinen!
Zum Streik heraus aus der Fabrik!
Dem Werk der Zukunft laßt uns dienen,
der freien Räterepublik!
Nieder mit der Vaterländer Grenzen!
Nieder mit dem Völkerkrieg!
Der Freiheit Morgenfarben glänzen.
Die rote Fahne führt zum Sieg!
Leuchtend glühn die Fanale!
Zum Kampf! Der Würfel fällt!
Die Internationale
erstürmt, befreit die Welt!

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