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Großdemo gegen Rechts in Berlin

Das Foto zeigt das Transparent von Nationalismus ist keine Alternative
Foto: © heba / Umbruch Bildarchiv
„Alle zusammen gegen den Faschismus“ und „Ganz Berlin stoppt die AfD“. Unter dem Motto: „Wir sind die Brandmauer“ demonstrierten am Wochenende in Berlin erneut mehr als 150.000 Menschen gegen Rechtsextremismus und die AFD.
Zu der Kundgebung vor dem Berliner Reichstag hatten über 1300 Initiativen, Verbände und Organisationen des Netzwerks „Gemeinsam Hand in Hand“ aufgerufen.

Zu den Fotos beim Umbruch Bildarchiv.

Weitere Ereignisse zu diesem Thema

Blogkino: Quai des Orfèvres (1947)

Heute zeigen wir im Blogkino den Thriller "Quai des Orfèvres". Henri-Georges Clouzot, der für sein gewagtes "antifranzösisches" Meisterwerk Le corbeau auf die schwarze Liste gesetzt wurde, kehrte vier Jahre später mit der Krimiverfilmung "Quai des Orfèvres" von 1947 ins Kino zurück. Quai des Orfèvres spielt in den pulsierenden Tanzsälen und Verbrecherkorridoren des Paris der 1940er Jahre und folgt der ehrgeizigen Künstlerin Jenny Lamour (Suzy Delair), ihrem begehrlichen Ehemann Maurice Martineau (Bernard Blier) und ihrer treuen Vertrauten Dora Monier (Simone Renant), die versuchen, die Spuren des jeweils anderen zu verwischen, als ein sexuell obszöner Bekannter aus der High Society ermordet wird. Inspektor Antoine (Louis Jouvet), der in diesem klassischen Krimi auf Umwegen zum Ziel kommt, hat einen guten Riecher.

Kriegstreiber unerwünscht!

Aufruf des Aktionsbündnisses gegen die NATO-Sicherheitskonferenz 2024
Demonstration und Protestkette am 17. Februar 2024 in München

Mobilisierungsplakat zu den Protesten gegen die Sicherheitskonferenz 2024Warum wir gegen die Münchner „Sicherheitskonferenz“ (Siko) protestieren
Wie schon seit 60 Jahren treffen sich im Februar 2024 Staatsvertreter, Militärs und Rüstungskonzerne zur Münchner „Sicherheitskonferenz“ (Siko) im Bayerischen Hof. Bei dieser Privatveranstaltung, die u.a. mit Steuergeldern finanziert wird, ging es nie um Sicherheit, sondern immer um die Machtinteressen der NATO und ihrer Mitgliedstaaten – besonders die der deutschen Bundesregierung, die eine militaristische „Zeitenwende“ losgetreten hat und nun das ganze Land „kriegstüchtig“ machen will.

Heute organisiert die Bundesregierung die größte Aufrüstung seit dem Zweiten Weltkrieg und schickt Waffen in Kriegsgebiete. Das bedeutet: Wettrüsten, Konfrontation, Krieg – bis hin zum Atomkrieg. Auf der Siko wird diese Gewaltspirale als „Sicherheit“ verkauft.

Die Siko soll nicht ungestört stattfinden. Mit einer Protestkette durch die Fußgängerzone und einer Demo, die das Luxushotel symbolisch umzingelt (Stachus – Odeonsplatz – Marienplatz), organisieren wir unsere Proteste.

Für Bildung und Soziales statt Panzer und Kriege!
Wenn es nach NATO und Bundesregierung geht, sollen mindestens zwei Prozent des BIP ab 2024 für Rüstung und Krieg ausgegeben werden. Das wären derzeit rund 85 Milliarden EUR. Zusammen mit den im Haushaltsentwurf 2024 vorgesehenen Ausgaben für Verteidigung (52 Mrd. EUR) und den "Militärhilfen" für die Ukraine (11 Mrd. EUR) und den geplanten Ausgaben aus dem "Sondervermögen Bundeswehr" (20 Mrd. EUR), wird – gemessen am Gesamthaushalt – fast jeder fünfte Euro ins Militär gesteckt.

Zum Vergleich: In Deutschland wächst jedes fünfte Kind in Armut auf. Für die Kindergrundsicherung sind im Bundeshaushalt 2024 nur zwei Milliarden Euro vorgesehen, während die Sozialverbände das Zehnfache an Bedarf veranschlagen.

Der einzige Posten, der erhöht wird, ist der Militärhaushalt. Das Geld, das die Bundesregierung in die Vorbereitung und Durchführung von Kriegen steckt, fehlt bei der Absicherung selbst der grundlegendsten Bedürfnisse von Kindern.

Den Organisatoren der Siko gehen die „immer noch unzureichende[n] neue[n] Verteidigungsausgaben“ nicht weit genug. Wir protestieren gegen diese beispiellose Geldverschwendung angesichts der sozialen Missstände in Deutschland und auf der ganzen Welt!

Für Völkerrecht statt Faustrecht!
Statt den globalen Herausforderungen mit friedlichen Mitteln zu begegnen, setzen die Macher der Siko auf Gewalt. Doch um globale Herausforderungen zu bewältigen, benötigt die Menschheit den Willen zur Kooperation sowie eine Stärkung der Vereinten Nationen (UN) und anderer Foren, die einen Dialog ermöglichen. Diese Foren werden jedoch von Propagandaveranstaltungen wie der Siko untergraben. Nicht erst seit der Ausladung Russlands und des Irans ist das Motto der Siko „Frieden durch Dialog” eine Farce. Ohne Kontrolle und ohne völkerrechtliche Legitimation werden Absprachen getroffen, die internationale Abkommen und Institutionen aushebeln. Stattdessen werden auf der Siko unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit internationale Beschlüsse, wie z.B. das Pariser Klimaabkommen oder die Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN, zunichtegemacht. Denn die Waffen, die hier verkauft werden, und die Militärübungen, -kooperationen und -einsätze, die hier geplant werden, zerstören Klima, Umwelt und Menschenleben.
Fluchtursachen bekämpfen, nicht Geflüchtete!In Europa stehen heute mehr Mauern als je zuvor. Mit militärischer Gewalt wird an EU-Außengrenzen gegen Geflüchtete vorgegangen, die vor dem Entzug ihrer Lebensgrundlagen fliehen. Das Mittelmeer wurde von der EU zu einem Massengrab gemacht.

Diejenigen, die es allen tödlichen Widrigkeiten zum Trotz schaffen, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen, kommen mit großer Mehrheit aus den Regionen, wo NATO-Staaten Krieg führen: Syrien und Afghanistan. Der Wertewesten entzieht sich seiner Verantwortung für die von ihm verursachten Krisen, die Folgen postkolonialer Ausbeutung, den Klimawandel und eine imperialistische Weltwirtschaftsordnung.

Auch deshalb gehen wir gegen die Siko auf die Straße – denn für die Siko sind Flüchtlinge nur ein „Faustpfand in der Politik der (Groß-)Mächte“. Entgegen den aktuellen rassistischen Debatten um schnellere Abschiebungen und Haftlagern an EU-Außengrenzen fordern wir die Beseitigung von Fluchtursachen. Denn Krieg ist die Fluchtursache Nummer eins!

Für Kooperation statt Konfrontation!
Die Machtverhältnisse auf der Welt verändern sich, weg von der Dominanz des „Westens“, hin zu einem Erstarken unterdrückter Länder, die sich um den „systemischen Rivalen“ China gruppieren (vgl. China-Strategie der Bundesregierung).

Doch die Ewiggestrigen wollen ihren überholten Weltherrschaftsanspruch nicht aufgeben. Wirtschaftssanktionen sollen die Konkurrenten brechen und schwören das alte Lager auf den Konflikt mit den aufstrebenden Mächten ein. Denn im Sinne des militärischen und politischen Zusammenhalts und Machterhalts der NATO darf es keinen Frieden geben.

Deshalb werden Konflikte und Kriege, wie in der Ukraine oder Taiwan, in Kauf genommen und sogar angeheizt – bis es knallt!

Statt die Länder des globalen Südens weiter ausbeuten, statt Stellvertreter- und Bürgerkriege, statt neuer Lagerbildung und Konfrontation fordern wir eine weltweite friedliche und solidarische Kooperation auf Augenhöhe.

Für eine zukunftsorientierte und menschenfreundliche Politik!
Wir stehen für all das, was auf der Siko verschwiegen oder ignoriert wird! Die Aufgaben, denen die Menschheit gegenübersteht, sind Klimawandel, Artensterben, Umweltzerstörung und Hungersnöte. Kriege sind keine Lösung. Und die Münchner Sicherheitskonferenz ist kein Ort, an dem ernsthaft um Lösungen für diese Probleme gerungen wird, ganz im Gegenteil.

Wir fordern eine lebenswerte Zukunft, nicht ihre Zerstörung. Wir fordern die Beendigung der Kriege, Bürgerkriege und gewaltsamen Konflikte – auch derer, die nicht im medialen Fokus stehen, wie beispielsweise im Sudan, Äthiopien, Jemen, Kurdistan.

Wir stehen auf der Seite der Menschen, die weltweit gegen Unterdrückung, Ausbeutung, Ungleichheit und die Errichtung neuer Grenzen kämpfen.

Unsere Forderungen:
  • Abrüsten statt Aufrüsten!
  • Steuergelder für Sozialsysteme, Gesundheits- und Bildungswesen, Klima-, Arten- und Umweltschutz, ÖPNV, Flüchtlings- und Welthungerhilfe statt für Panzer und Bomben
  • Verhandeln statt schießen!
  • Keine Beteiligung an Kriegen und Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr!
  • Schließung von US- und NATO-Stützpunkten in Deutschland zur (Drohnen-)kriegsführung!
  • Bleiberecht für alle Menschen!
  • EU-Asylreform aufhalten! Abschaffung der EU-„Grenzschutz“-Behörde Frontex!
  • Aufnahme von Geflüchteten und Gewährung des Menschenrechts auf Asyl bei Gleichbehandlung unabhängig vom Herkunftsland, auch für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure!
  • Stopp aller Waffenlieferungen und Rüstungsexporte!
  • Schluss aller Exporte der deutschen Rüstungsindustrie!
  • Keine militärische Verlängerung des Ukraine-Kriegs!
  • Ausstieg aus der „nuklearen Teilhabe“!
  • Beitritt zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag!
  • US-Atomwaffen raus aus Deutschland!
  • Stärkung der Vereinten Nationen (UN) und des Völkerrechts!


Umzingelung der Kriegstreiber

Wir brauchen Ihre Unterstützung: Bringen Sie sich bei unseren Protesten ein und/oder unterstützen Sie uns mit einer Spende.

Bitte beachten Sie unseren BündniskonsensDie Organisationen des Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz arbeiten auf antifaschistischer Grundlage und wenden sich entschieden gegen nationalistische, militaristische, völkische, rassistische, homophobe, antisemitische oder rechtspopulistisch-islamophobe Inhalte. Gruppen, die mit Organisationen, die oben genannte Inhalte vertreten, regelmäßig und organisiert zusammenarbeiten, können nicht Mitglied im Bündnis sein. Der Kampf um Frieden und gegen Krieg und Aufrüstung ist seinem Wesen nach international. Darum weisen wir Tendenzen und Äußerungen im Sinne der hier genannten ideologischen Richtungen schärfstens zurück und schließen Menschen und Organisationen, die oben genannte Inhalte in Wort, Schrift und/oder Bild verbreiten, von unserer Versammlung aus. Außerdem bitten wir, bei unseren Versammlungen das Mitführen von Nationalstaatsflaggen zu unterlassen. Unsere Proteste werden von Menschen verschiedenster ethnischer Herkunft, Hautfarbe, weltanschaulicher, politischer, kultureller und sexueller Orientierung getragen. Niemand von ihnen darf diskriminiert werden.

Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz

Kriegsmüde...

Karl Kraus
"Kriegsmüde – das ist das dümmste von allen Worten, die die Zeit hat. Kriegsmüde sein das heißt müde sein des Mordes, müde des Raubes, müde der Lüge, müde der Dummheit, müde des Hungers, müde der Krankheit, müde des Schmutzes, müde des Chaos. War man je zu all dem frisch und munter? So wäre Kriegsmüdigkeit wahrlich ein Zustand, der keine Rettung verdient.
Kriegsmüde hat man immer zu sein, das heißt, nicht nachdem, sondern ehe man den Krieg begonnen hat.
Aus Kriegsmüdigkeit werde der Krieg nicht beendet, sondern unterlassen. Staaten, die im vierten Jahr der Kriegführung kriegsmüde sind, haben nichts besseres verdient als - durchhalten!"

Karl Kraus, in: Die Fackel vom Mai 1918

Sternbrücke: „Nach stadtbekannt schlechter Planung unterhöhlen Bahn, Bezirk und Senat jetzt den Rechtsstaat“

Foto einer Postkarte der Deutschen Bahn, die an die Haushalte rund um die Sternbrücke ging
Erschreckende Postkarten von der Deutschen Bahn flattern aus den Briefkästen der Haushalte rund um die Sternbrücke. Es gibt noch keinen Planfeststellungsbeschluss (Baugenehmigung) für den Neubau der Sternbrücke. Und dennoch plant die Bahn bereits Abrisse von teils denkmalgeschützten Gebäuden (z. B. Waagenbau) und sie will etwa 40 Bäume im Bereich Eifflerstraße fällen.
Hamburg-Altona/Sternschanze: Ab morgen, 5.2.2024, sollen 40 teilweise geschützte Bäume und fünf teilweise denkmalgeschützte Gebäude ohne Planfeststellung abgerissen werden.

Nach stadtbekannt schlechter Planung wird jetzt aus Angst vor erfolgreichen Klagen der Rechtsstaat unterhöhlt,“ sagt Marlies Thätner, Sprecherin der Initiative Sternbrücke. „Wir fordern Bahn, Bezirk und Senat auf, das Planfeststellungsverfahren zu respektieren und sämtliche Bauarbeiten bis zu einer gültigen Baugenehmigung zu stoppen. Ohne offizielle Baugenehmigung für die Brücke 40 teilweise geschützte Bäume zu fällen und fünf teilweise denkmalgeschützte Gebäude abzureißen, schafft vollendete Tatsachen und macht jeden später erreichten Baustopp zur Farce.

Auf einmal soll an der Sternbrücke alles schnell gehen: am Mittwoch letzter Woche teilte die Bahn per Postkarte und online mit, ab 5.2. mit dem Fällen von 40 Bäumen und dem Abriss von fünf Gebäuden zu beginnen. Da der Planfeststellungsbeschluss noch aussteht, geschieht dies laut Bahn anscheinend mit Sondergenehmigungen des Grün regierten Bezirks Altona und der Umweltbehörde. Entsprechende Anfragen an Bau- und Naturschutzamt des Bezirks sind bislang unbeantwortet. Für den Abriss der denkmalgeschützten Gebäude ist eine eigenständige Genehmigung erforderlich. Hier läuft eine formale Anfrage ans Denkmalschutzamt über die Anwälte der Initiative.

Der gigantische Neubau der Sternbrücke ist in der Hamburger Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeit hoch umstritten, weil er massiv in den Stadtteil eingreift. Insgesamt 90 Bäume sollen gefällt, 7 Gebäude abgerissen, und die denkmalgeschützte Sternbrücke soll durch eine 4x so hohe Monsterbrücke ersetzt werden. Die zerstörerischen Ausmaße der neuen Brücke gehen vor allem auf die Anforderungen der Verkehrsbehörde zurück, die seit 2016 von der Bahn eine stützenfreie Aufweitung der Stresemannstraße für den Autoverkehr verlangt. Auch 7 Jahre später liegt keine Verkehrsplanung vor, die die Aufweitung begründen könnte. Dabei sind angemessene Alternativen ohne weiteres möglich und der Öffentlichkeit bekannt.

Die Bahn selbst geht davon aus, die bestehende Sternbrücke bis maximal 2035 nutzen zu können. Es bleibt also genügend Zeit, den Vorschlägen des Brückenexperten Dr. Werner Lorenz im Verkehrsausschuss der Bürgerschaft zu folgen, und die Planung über einen Wettbewerb neu aufzusetzen - mit zwei Varianten für eine Sanierung und zwei Varianten für einen Neubau.

Hamburgs Bürger:innen haben ein Recht darauf, die umstrittene Planung vor Gericht prüfen zu lassen und auf eine Neuplanung hinzuwirken. Eine entsprechende Klage ist allerdings erst möglich, wenn der Planfeststellungsbeschluss vorliegt. Die Initiative Sternbrücke geht davon aus, dass eine Verbandsklage gegen den Planfeststellungsbeschluss gute Aussichten auf Erfolg hat. Das sehen auch über 600 Unterstützer:innen so: in den letzten 6 Monaten haben sie über 40.000 EUR für die Klage gespendet. „Jetzt Bäume zu fällen und Häuser abzureißen tritt den Rechtsstaat mit Füßen,“ so Thätner.

Mehr Informationen. Die Sternbrücke bei WikiPedia
Quelle: Pressemitteilung 4. Februar 2024

Immer rechts. Warum wir keinen VS brauchen: Ronen Steinkes Buch zum BRD-Geheimdienst

Das Bild zeigt das Buchcover mit dem Text:<br />
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Ronen Steinke<br />
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Spiegel Bestseller<br />
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enthält den Fall Hans-Georg Maaßen<br />
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Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik machtDer Jurist und Autor Ronen Steinke arbeitet als Journalist für die Süddeutsche Zeitung und recherchiert schon lange im Bereich der deutschen »Sicherheitspolitik«. Das vorliegende Buch ist eine Mischung aus aktuellen Reportagen und der Untersuchung der Geschichte, der Funktionsweise und der Bedeutung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) von 1949 bis heute. »Das Personal (…) hat sich innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre knapp verdoppelt. (…) Zugleich hat sich das Budget (…) innerhalb desselben Zeitraumes sogar verdreifacht.« Die Macht des Geheimdienstes sind die knapp 4.000 Hauptamtlichen, zu denen noch circa 3.700 Agent:innen in den 16 Landesämtern für Verfassungsschutz kommen.

Der VVN bestens bekannt
Die VVN kennt den VS schon aus vielen Auseinandersetzungen: »Heute beobachtet der Verfassungsschutz im Bund, in Nordrhein-Westfalen, in Baden-Württemberg, Hessen und Bayern die Vereinigung noch immer. Seit 2005 informiert das Bundesamt allerdings schon nicht mehr in seinen jährlichen Verfassungsschutzberichten darüber. Das sei bei weniger wichtigen Gruppen nicht nötig.«

1959 hatte die Bundesregierung ein VVN-Verbotsverfahren wegen »Verfassungswidrigkeit« angestoßen, das 1962 ohne Erklärung nicht mehr weitergeführt wurde. Der Grund: Das Gericht und die Anklage wurden von den furchtbaren Juristen Dr. Fritz Werner und Dr. Hermann Reuß geführt, und die internationale Öffentlichkeit reagierte entsetzt auf deren Nazivergangenheit. Seit der Öffnung der VVN für junge Mitglieder zum Bund der Antifaschisten im Jahr 1971 fand ab 1973 eine Erwähnung im VS-Bericht statt. Die Mitgliedschaft in der VVN-BdA wurde damit für viele Jahre zum Grund für ein Berufsverbot. Steinke schildert auch die Enttarnung eines Spitzels in Bayern 2011, der über Jahre genauestens die Aktiven für den VS beobachtet hat. Ab 2019 folgte dann der Versuch des Entzugs der Gemeinnützigkeit, wieder mit der konstruierten Behauptung der Verfassungswidrigkeit der VVN-BdA.

Die Geschichte des VS zeigt, dieser war als Teil des Staatsapparates der BRD immer rechts, sei es unter liberalen oder unter konservativen Regierungen. Bezeichnend ist da die »Karriere« des SA-Mannes Hubert Schrübbers, der schon ab 1939 als NS-Staatsanwalt Widerstandskämpfer:innen verfolgte und von 1955 bis 1972 Präsident des BfV war. Bezeichnend auch die Rolle des VS beim sogenannten Radikalenerlass und der Durchsetzung der Berufsverbote ab Beginn der 1970er-Jahre. Nicht zu vergessen die Rolle der »Schlapphüte« hinsichtlich des NSU-Terrors: Die Morde unter den Augen des VS bleiben ungeklärt. Der damals zuständige Leiter des Verfassungsschutzamtes Thüringen, Helmut Roewer, publiziert jetzt in rechten Medien, genau wie Hans-Georg Maaßen, Chef des Bundesamtes von 2012 bis 2018.

Die Befugnisse des VS sind im Vergleich zu ähnlichen Institutionen in den USA, in Frankreich und Österreich einzigartig, denn die offene Ausspähung legaler Aktivitäten gibt es dort nicht. Zugleich unterliegt der VS kaum parlamentarischer Kontrolle; dafür ist die Behörde weisungsgebunden an Bundes- und Länderinnenministerien. »Vielleicht ist Björn Höcke nächstes Jahr schon Innenminister in Thüringen und damit Dienstherr des Verfassungsschutzes. Dann schauen wir mal …«, so ein AfD-Abgeordneter im Innenausschuss des Bundestages im Juni 2023.

Die Beobachtung und die Beeinflussung in den sozialen Medien durch systematisch aufgebaute Fake-Accounts, die Onlinedurchsuchungen sind moderne Methoden der Bespitzelung. Noch wichtiger und jahrzehntelang bewährt hat sich die Infiltration durch sogenannte V-Leute: »Es ist ein mächtiges, wirkungsvolles Instrument, das der Geheimdienst da in den Händen hält.«

Steinke fordert offen die Abschaffung des VS: »Wenn der Inlandsgeheimdienst gegen legale politische Aktivitäten spioniert, dann schädigt das die Demokratie. Wenn der Inlandsgeheimdienst gegen – mutmaßlich – illegale politische Aktivitäten spioniert, dann (…) unterläuft [dies] das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.«

Abschaffung eher unwahrscheinlich
Allerdings ist die Bedeutung des täglich erfassten Herrschaftswissens in Verbindung mit dem kontinuierlichen Wachstum enorm und macht es unwahrscheinlich, dass der Verfassungsschutz wirklich abgeschafft wird. Unter Thomas Haldenwang ist der VS mächtiger als je zuvor.

Der liberale Jurist und Journalist Ronen Steinke hat ein wichtiges Sachbuch geschrieben. Alles, was wir über den Verfassungsschutz wissen müssen, finden wir darin. Er zeichnet ein realistisches Gesamtbild dieses Geheimdienstes und ermöglicht zugleich die Rehabilitierung der früheren Opfer der Überwachung als auch der heutigen. Dazu zählen neben der VVN viele andere Organisationen, Personen und Medien. Und die faschistische AfD? Für die VVN ist klar, dass die Partei mit politischen Mitteln bekämpft werden muss. Dieser »Politik-Beobachtungs-Geheimdienst« kann das nicht!

Ronen Steinke
Verfassungsschutz
Wie der Geheimdienst Politik macht
Berlin Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783827014719
Gebunden, 224 Seiten, 24,00 EUR


Erstveröffentlichung am 20. September 2023

Freiheit für Leonard Peltier - Aktivist des American Indian Movement!

Das SharePic mit verschiedenen Fotos von Leonard Peltier von der Festnahme bis heute stellt die Frage: Clemency - 2024 - year of decision? (Begnadigung - 2024 - Jahr der Entscheidung?) und die Forderung: No matter how  - but now!2024 jährte sich zum 51. mal die Besetzung des Ortes Wounded Knee in Süd Dakota / USA. Hier fand 1890 ein Massenmord an 300 Kindern, Frauen und Männern vom indigenen Stamm der Lakota durch die US Armeee statt.

Im Januar 1973 besetzten Aktivisten*innen des American Indian Movement (AIM) diesen Ort, um gegen die mörderische Politik der US Regierung zu demonstrieren. Sie machten damit auf Landraub und die kulturelle sowie physische Zerstörung der amerikanischen Ureinwohnerinnen aufmerksam. Damals war in der Pine Ridge Reservation, in der Nähe von Wounded Knee eine mörderische Paramiliz aktiv, welche die Bevölkerung und insbesondere AIM Sympathisant*innen angriffen und z.T. ermordeten.

Die gegen derartige Praktiken gerichtete Protestaktion in Wounded Knee erhielt weiltweite Aufmerksamkeit, auch in der dt. Presse. Die Zustände auf der Pine Ridge Reservation änderten sich dadurch jedoch leider nicht.

Der AIM Aktivist Leonard Peltier befand sich 1975 dort, um die Bevölkerung gegen den Terror zu unterstützen und wurde unter konstruierten Vorwürfen für einen angeblichen Mord am 6. Februar 1976 verhaftet und kurz darauf ohne stichhaltige Beweise verurteilt. Er wird seit inzwischen 48 Jahren als politischer Gefangener in verschiedenen US-amerikanischen Hochsicherheitsgefängnissen festgehalten.

Seine Verhaftung und die Repression gegen A.I.M. waren Teil des sogenannten COINTELPRO Programmes von der US-Bundespolizei FBI, die die Zersetzung und Zerschlagung der damals starken Protestbewegungen, u.a. auch der Black Panther Party mit geheimdienstlichen und damals noch illegalen Mitteln betrieb.

Leonard Peltiers Verurteilung zu zwei Mal lebenslänglicher Haft war nur in Folge der Bedrohung mehrerer Zeug*innen, welche ihre Aussagen später widerriefen, massiver Beeinflussung der Geschworenen und erfundener, heute als falsch nachgewiesener Beweise möglich.

Verschiedenste Bücher, Filme und Songs griffen seinen Fall in den folgenden Jahrzehnten weltweit auf und trotz einer starken und breiten Protestbewegung hat der Präsident der USA ihn noch immer nicht freigelassen.

Im Herbst 2022 fand ein 1100 Meilen langer Protestmarsch durch die USA bis nach Washington D.C. für seine Freilassung statt, an welchem sich ca. 2000 Menschen beteiligten. Und auch im Rahmen der weltweiten Proteste im Jahr 2016 gegen die Black Snake Pipline in Standing Rock – North Dakota, welche für die Profitinteressen eines Ölkonzerns indigenes Territorium unwiederbringlich zerstört, wurde sein Fall immer wieder thematisiert.

Mittlerweile ist Peltier im Regierungsgefängnis von Coleman in Florida inhaftiert. Sein Gesundheitszustand ist in Folge mehrerer chronischer Erkrankungen, einer Coronainfektion sowie seines fortgeschrittenen Alters sehr schlecht. Eine lebensbedrohliche Aortaaussackung könnte durch eine Operation behoben werden, was ihm jedoch seit Jahren verweigert wird.

Kundgebung – Di. 6. Februar 2024 – 18:00 Uhr
US Botschaft
Pariser Platz 2 – U+S-Brandenburger Tor – Berlin

Wir fordern Leonard Peltiers Freilassung sowie das Selbstbestimmungsrecht und die umfassende Entschädigung der amerikanischen Ureinwohner*innen!

Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Free Them All!


Quelle: Free them all Berlin

Erst kamen die Pfeffersäcke

Das Foto zeigt einen deutschen Kolonialherren ca. im Jahr 1885, der sich von mehreren Trägern in einer Hängematte in Togo durch die Gegend tragen lässt.
Deutscher Kolonialherr in Togo (ca. 1885)
Die aus dem Kolonialismus stammende Diskriminierung im öffentlichen Raum durch Denkmäler und Strassennamen besteht fast überall weiter. So ist es etwa in Wuppertal immer noch nicht gelungen, den abwertenden Namen „Mohren“-Strasse zu ändern!

„Deutsch-Südwestafrika sollte zur Blaupause eines Rassestaates werden mit einer deutschen Führungsschicht an der Spitze und einem Heer rechtloser schwarzer Arbeiterinnen und Arbeiter.“ [Hoffmann, in: Schnurr/Patalong 115]So Ruth Hoffmann im 2022 erschienenen Buch „Deutschland, deine Kolonien“ – Geschichte und Gegenwart einer verdrängten Zeit, herausgegeben von Eva-Maria Schnurr und Frank Patalong.

Bereits 2021 als Zeitschrift in der Reihe „SPIEGEL GESCHICHTE“ herausgegeben, schreiben hier 18 Journalist:innen und Wissenschaftler:innen über den deutschen Kolonialismus. Das populärwissenschaftliche Buch gibt einen Überblick über alle kolonialen Anläufe seit dem 16. Jahrhundert. Es enthält eine zeitgenössische Landkarte aller Kolonien des Kaiserreiches im Buchrücken, in einem Kompendium werden die 9 Gebiete deutscher Besetzung in Kurzfassung beschrieben mittels zentraler gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und historischer Kategorien. Die Durchdringung der Opferländer und die Intensität der Unterwerfung werden sichtbar. Eine Zeittafel reiht die Ereignisse von 1528 bis 1945 auf. Die Chronik und das Kompendium machen das Buch zu einem wichtigen Beitrag für das Verständnis der historischen Tatsachen, die in der Öffentlichkeit der BRD kaum präsent sind. Das Buch schafft auch Grundlagen für die Diskussion um die Singularität des Holocaust, für die Beurteilung des „Neuen Historikerstreites“ zwischen Postkolonialismus-Studien einerseits und Holocaustforschung auf der anderen Seite.

Deutschland, deine Kolonien“

Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die vom Kaiserreich besetzten Gebiete ihre grösste Ausdehnung in Afrika, im Pazifik und in China und waren fest in der Hand der deutschen Wirtschaft, der Verwaltung und des Militärs. Aber schon seit Beginn der Neuzeit waren Deutsche an kolonialer Ausbeutung und Bereicherung beteiligt.

Die Handelsfamilie der Welser aus Augsburg scheiterte zwar 1528 bei der Etablierung eigener Stützpunkte in Venezuela und bei der Suche nach Gold und Bodenschätzen, konnte aber in den Sklavenhandel einsteigen. Im 17. und 18. Jahrhundert waren es Kaufleute aus Bremen und Hamburg, die unter dänischer Flagge im Dreieckshandel reich wurden. Die Dimension des Handels mit Menschen aus Afrika wird sichtbar an der Zahl der „Kammermohren“ [vgl. Klawitter , in: Schnurr/Patalong 44 f.]: die Existenz von mehr als 200 dieser schwarzen Sklaven an deutschen Höfen und Herrenhäusern ist mittlerweile belegt.

Grösster Händler wurde das Kurfürstentum Brandenburg, Keimzelle des Staates Preußen: „Mittels der 1682 gegründeten „Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie“ wurden in den folgenden Jahrzehnten etwa 30 000 Afrikaner in die Karibik verschleppt. (…) An der Menschenhandelskompgnie beteiligte sich auch das Kurfürstentum Köln.“ [Klawitter, in: Schnurr/Patalong 41]

Handelsstützpunkte und christliche Missionsgesellschaften markierten im deutschen Namen während des 18. und 19 Jahrhunderts Gebiete, auf die mit der Gründung des deutschen Nationalstaates ab 1871 zugegriffen wird: Kamerun, Togo, Samoa, Neuguinea.

Umfassend und gründlich wird 1884 auf der Kongo-Konferenz in Berlin zwischen den Kolonialmächten die Aufteilung „freier Gegenden“ verhandelt und Deutschlands Imperium entsteht. Direkte Herrschaft wird nun ausgeübt am Golf von Guinea (Togo), in Namibia (Deutsch-Südwest), Zentralafrika (Kamerun), Tansania-Ruanda-Burundi-Mosambik (Deutsch-Ostafrika), Pazifik (Deutsch-Neuguinea). Wenig später kommen noch Polynesien (Deutsch-Samoa) und in China Hankou, Tientsin und Kiautschou dazu.

Das Buch zeigt in vielen Artikeln offen die Praxis kolonialer Unterdrückung. Berüchtigt war die sexuelle Ausbeutung junger Frauen, etwa durch Carl Peters in Ostafrika: „Neben etlichen anderen ließ Peters die junge afrikanische Frau Jagodia, mit der er ein sexuelles Verhältnis unterhielt, und seinen einheimischen Diener Mabruk aufhängen.“ [Klußmann, in: Schnurr/Patalong 52 f.]

Die exzessive Anwendung der Prügelstrafe wurde in den deutschen Kolonien etabliert und von noch extremeren Verbrechen wird vielfach berichtet: „Besonders Gouverneur Jesko von Puttkamer presste seine Kolonie [Kamerun] ab 1895 brachial aus. Angeblich „herrenloses Land“ wurde per kaiserlicher Verordnung in deutsches „Kronland“ umgewandelt.

Die Deutschen beschränkten den Besitz afrikanischer Familien auf höchstens zwei Hektar. Sie rissen Häuser entschädigungslos nieder, legten Dörfer zusammen, um größere Landflächen zu schaffen, und zogen die Douala zur Zwangsarbeit ein. Wer aufbegehrte, wurde in Ketten gelegt oder ausgepeitscht.

Puttkamers Mann fürs Grobe war der Offizier Hans Dominik. Er organisierte „Strafexpeditionen“, bei denen Kinder ertränkt wurden, und ließ sich abgeschlagene Köpfe Aufständischer vor die Füße legen.“ [Gunkel, in: Schnurr/Patalong 142 f.]

Gegen den legitimen Widerstand der Bevölkerung in „Deutsch-Südwest“, angeführt vom charismatischen Nama Hendrik Witbooi, wurde ab 1904 die ganze Kraft militärischer Mittel angewendet, systematisch und mit dem offen ausgesprochenen Zieles der Vernichtung der Herero und Nama. Völkermord als deutsche Strategie des Generalleutnant Lothar von Trotha bedeutete den Tod aller Indigenen durch Verdursten in der Wüste.

Ein weiterer Artikel beschreibt die skrupellosen Menschenversuche von Robert Koch bei der Bekämpfung der Schlafkrankheit. Er scheiterte bei der Suche eines wirksamen Medikamentes, und viele Menschen sind an den von ihm verursachten Vergiftungen gestorben. [Grolle, in: Schnurr/Patalong 158 ff.]

Dem Rassismus in Deutschland sollte mit den „Menschenzoos“ eine volkstümliche Basis gegeben werden. Zunächst wurden Indigene als Attraktion von Geschäftemachern, in Deutschland von Carl Hagenbeck, vorgeführt. 1896 errichtete der wilhelminische Staat in Berlin die „1. Deutsche Colonial-Ausstellung“: „Auf größerem Areal als die Weltausstellungen in Paris und London präsentierten 3750 Aussteller auf 917 000 Quadratmetern, was sie zu bieten hatten: Das Gewerbe zeigte die Früchte kolonialer Aktivitäten, während Nachbauten kolonialer Szenerien für die damals so gefragte „Exotik“sorgten. Allein „Kairo“ brachte es inklusive Pyramidenattrappen auf 36 000 Quadratmeter; 400 Menschen, nicht alle von ihnen tatsächlich aus dem arabischen Raum, belebten diese Kulisse.“ [Patalong, in: Schnurr/Patalong 81]

Als pseudowissenschaftliche Rechtfertigung des Rassismus entstand die „Völkerkunde“, direkter Vorläufer der mörderischen „Rassenkunde“, die im Faschismus zu so viel Unheil geführt hat. [vgl. Patalong, in: Schnurr/Patalong 121]

Die deutschen Kolonien wurden nach der Niederlage im 1. Weltkrieg 1919 an Frankreich und England abgetreten, in der Weimarer Republik standen sich starke Pro-Kolonialkräfte und schwache antikoloniale Kräfte gegenüber.

Die Nazis versuchten zwar ab 1933, die Verfechter:innen eines neuen deutschen Kolonialismus zu gewinnen, haben aber eine andere strategische Ausrichtung: die Eroberung des „Ostens“, den Vernichtungs- und Raubkrieg gegen die Sowjetunion. So bleiben koloniale Initiativen unbedeutend und das Thema spielt lediglich in der Goebbels-Propaganda eine Rolle. 1943 wird das „Kolonialpolitische Amt“ aufgelöst.

Abgeschlossen wird das Buch mit einem Blick in das Namibia der Gegenwart. [vgl. March, in: Schnurr/Patalong 200 ff.] „Wir wollen nur Gerechtigkeit“, diese Forderung ist nicht erfüllt. Die viefältigen Schwierigkeiten des Gedenkens verhindern die Wiedergutmachung des Unrechtes ebenso wie die geringen Entschädigungen für die Herero. Die BRD entzieht sich bis heute ihrer Verantwortung für die deutsche Geschichte.

Anmerkungen zu „Deutschland, deine Kolonien“

Während die aggressive Expansion des Handelskapitals beschrieben wird und so gezeigt werden kann, wie die Handelsprofite im Dreieckshandel durch den Transport und Verkauf von Menschen aus Afrika als Slaven realisiert wurden, fehlen im Buch Hinweise auf die zentralen ökonomischen Veränderungen in den grossen Nationen ab den 1870er Jahren. Ausgelöst durch die rasante Entwicklung der Produktivkräfte kam es nach Rudolf Hilferding zur Verschmelzung des Industrie- und des Bankkapitals zum Finanzkapital. Diese Monopolisierung zeigte sich als Konzentration und Zentralisation. Es geht um die „Geschichtsperiode von 1875 – 1914, die durch eine neuartige Expansion der europäischen Großmächte, der USA und später auch Japans gekennzeichnet war und schließlich in den Ersten Weltkrieg einmündete. Das besondere Ziel dieser Expansion war die Beherrschung überseeischer Warenmärkte und Kapitalanlagesphären und der gewaltsame Erwerb von Territorien in Übersee, von Kolonien.“ (Heininger, in: Bellamy/Heininger 1)

Dies war der Kern des klassischen Imperialismus und der bestimmende Grund für die Konkurrenz zwischen den Kolonialmächten. Die Aggression nach aussen benötigte Aufrüstung und Militarismus, und führte zu einem radikalisierten und verstetigtem Nationalismus. Gesteigerter Nationalismus forderte wiederum Aufrüstung und Konfrontation.

Jan Friedmann sieht dagegen den Kolonialismus „von unten“ wachsen: „Kolonialträumereien und Rassismus (…) entstanden lokal vor Ort – und fanden Rückhalt in der gesamten Gesellschaft. So ergriff die Sehnsucht nach imperialer Größe im Kaiserreich breite Schichten der Bevölkerung. Kaufleute und Angestellte, Großstädter und Landbewohner, Honoratioren und Handwerker begeisterten sich für die koloniale Idee.“ [Friedmann, in: Schnurr/Patalong 59]

Diese Erklärung ist ungenau, denn hier vermischt der Autor die spätere Phase der Verbreiterung der Kolonialbewegung mit dem Beginn der Werbung für den Kolonialismus. Eckard Conze beschreibt in „Schatten des Kaiserreichs“ die Wechselwirkungen zwischen dem Druck einer fordernden Minderheit und dem nachgebenden Staat: „Fortdauernde Wirkung gewann die Bismarck`sche Kolonialpolitik auch dadurch, dass sie entscheidend zum Wachstum und zur Radikalisierung der deutschen Kolonialverbände beitrug. Die ersten dieser in den späten 1870er und frühen 1880er Jahren gegründeten Organisationen waren nicht besonders mitgliederstark. Das änderte sich mit der Gründung des „Deutschen Kolonialvereins“ (1882) und der Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ (1884) (…) Der Nationalismus dieser Mitglieder (…) fand in der Idee überseeischer Expansion neue Nahrung. Aus dem deutschen Anspruch auf den Status einer „Weltmacht“ speisten sich Forderungen nach einem Kolonialreich und damit nach einer global ausgreifenden imperialen Politik. Die kolonialen Erwerbungen der Jahre 1884 und 1885 hatten das Tor zu einer solchen Politik aufgestossen.“ [Conze: 181 f.]

Der Kolonialismus in der deutschen Gesellschaft des Kaiserreiches war ausserdem nur ein Betätigungsfeld aus dem Kreis vieler wirkmächtiger pressure groups, die alle reaktionäre Ziele verfolgten: „Der Bund der Landwirte war nicht der einzige nationalistische Agitationsverband, der sich vordergründig ein bestimmtes Interessse auf die Fahne geschrieben hatte – den Schutz der Landwirtschaft, den Flottenbau, die Heeresrüstung oder den deutschen Kolonialismus -, darüber hinaus und ganz allgemein aber einen radikalen Nationalismus vertrat.“ [Conze: 148]

Ab 1903 stand der „Alldeutsche Verband“, mit dem sich die rechteste Fraktion der Herrschenden die einflussreichste Lobby-Organisation in Deutschland geschaffen hatte, im Zentrum der Aktivitäten.

Die Kriegervereine, in denen sich überall in Deutschland die Veteranen und ehemaligen Soldaten organisierten, stellten unten die „Massenbasis für den gesellschaftlichen Militarismus“. [Conze: 152]

Dem Argument, dass der ursächliche Rückhalt für den Kolonialismus aus der gesamten Bevölkerung stamme, hält Conze entgegen: „Nicht die Unterschicht war Träger dieses radikalen Nationalismus, sondern die bürgerliche und kleinbürgerliche Mittelschicht, darunter zahllose Akademiker.“ [Conze: 148]

Es stimmt, mit dem Wilhelmismus wurde der Kolonialismus ein breit akzeptiertes Projekt.

Aber diese Begeisterung wurde – mit viel Ausdauer und Professionalität – gemacht und hat sich dann als Teil des sich immer weiter radikalisierenden Nationalismus entfaltet. Angelegt war die nationale Aggressivität aber schon mit der Reichsgründung 1871, denn es „entstand ein Reichsnationalismus, der machtstaatlich aufgeladen , nach außen konfrontativ und nach innen immer weniger liberal war.“ [Conze: 139] Erst haben die Multiplikator:innen getrommelt, die Vielen folgten später.

„Auch in der Mission waren Deutsche tätig, schon bevor es das formale deutsche Kolonialreich gab. (…) Die Mission bereitete der kolonialen Landnahme den Boden – vor Ort, aber auch weil sie Akzeptanz des Kolonialismus in der deutschen Gesellschaft erhöhte.“ Darauf weist der Historiker Sebastian Conrad im Interview hin (Conrad, in: Schnurr/Patalong: 28).

Erstaunlich ist deshalb, dass die christlichen Missionen lediglich anhand eines Artikel von Kokou Azamede über die Diskriminierung afrikanischer Missionare bei ihrer „Ausbildung“ in Deutschland bei der Norddeutschen Mission erwähnt werden [vgl. Azamede, in: Schnurr/Patalong 68 ff.].

Nur in der Zeittafel finden wir die vier grossen protestantischen Missionen aufgeführt: Dänisch-Englisch-Hallesche Mission, Rheinische Missionsgesellschaft, Norddeutsche Mission, Evangelisch-Lutherische Mission; daneben gab es noch viele kleinere Missionen.

Unter dem Deckmantel religiöser Sendung betrieben die Missionare eifriges und systematisches Sammeln von Herrschaftswissen (geographisch, sozial, ethnographisch, ökonomisch). Als unverzichtbare intellektuelle Vorhut schufen sie so die technische und ideologische Basis der späteren kolonialen Besetzung.

Die Rheinische Mission etwa war ein Zusammenschluss der Missionsvereine Elberfeld, Barmen und Köln im Jahr 1828. Unmittelbar nach der Gründung wurde im südlichen Afrika die erste Station „Wupperthal“ eröffnet. 1913 betrieb die Rheinische Mission 117 Stationen und 683 Filialen, aktiv waren „in Übersee“ 207 Missionare mit 154 Ehefrauen. [vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Rheinische_Missionsgesellschaft]

Seit 1971 ist die Rheinische Mission in der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM) aufgegangen, immer noch mit Sitz in Wuppertal, mit einem Museum auf der Hardt mit einem grossen ethnologischen Bestand. Vor knapp 200 Jahren fingen die Missionäre an, zu sammeln und nach Wuppertal zu bringen…

Götz Aly nennt die Unterdrückung durch die Deutschen im Pazifik den „blinden Fleck in der kolonialgeschichtlichen Debatte“. Und dies ist auch eine augenfällige Lücke des Buches.

Leider findet sich in „Deutschland, deine Kolonien“ zur pazifischen Region nur ein Interview mit dem Linguisten Peter Maitz über die Reste einer aus der Kolonialzeit stammenden veränderten deutschen Sprache [Saltzwedel, in: Schnurr/Patalong: 155 ff.]

Dabei gibt es mit dem Luf-Boot aus „Deutsch-Neuguinea“ im Humboldt-Forum ein imposantes Ausstellungsstück, anhand dessen die koloniale Unterdrückung ganz konkret gezeigt werden könnte. Könnte, aber nicht wird. Aly: „(…) plädiere ich dafür, zunächst einmal zu den Schauobjekten die jeweilige koloniale Geschichte zu erzählen. (…) Sie sollen sich ehrlich machen.“

[https://www.spiegel.de/kultur/deutscher-kolonialismus-in-der-suedsee-historiker-goetz-aly-ueber-die-zerstoerung-eines-paradieses-a-a4e4c3b8-b142-4b88-a5dd-749a1a9465fa]

Immer noch wird ein fairer Tausch beim Kauf des Bootes durch einen Deutschen behauptet, die Frage nach einer Forderung der Restitution ist in der Schwebe, und das Boot bleibt in Berlin eingemauert. Wirklich eingemauert, nicht sinnbildlich, denn 2018 wurde dieser Teil des Gebäudes um das schon platzierte Ausstellungsstück fertiggstellt.

Es ist Anspruch der Herausgeber:innen, den Opfern damals und den heute Forschenden aus den ehemaligen Kolonien eine Stimme zu geben:

Mit David Simo kommt ein Wissenschaftler der Universität Yaounde, Kamerun, zu Wort. Er vertritt allerdings reaktionäre Postionen, wie sie im globalen Norden nur in chauvinistischen Kreisen gepflegt werden. Er spricht sich gegen weitere Entschädigungen aus und gegen die Rückgabe geraubter Kunstschätze [Simo, in: Schnurr/Patalong: 37 f.]

Kokou Azamede schreibt über die systematische Diskriminierung afrikanischer Missionare bei ihrer „Ausbildung“ in Deutschland bei der Norddeutschen Mission. Der Autor nimmt die Perspektive des Blickes der Indigenen ein und zeigt so das eindeutige rassistische Innenverhältnis der Missionen.

Die Zeitzeugeninterviews des Projektes „Recollections of the German Period in Cameroon“ von Kum’a Ndumbe III lassen die Lesenden die authentischen historischen Stimmen hören. In den 1980er Jahren wurde mit den „letzten noch lebenden Zeugen der Kolonialzeit“ [Bohr, in: Schnurr/Patalong: 168] gesprochen und es wird sichtbar, wie überwältigend die Herrschaft der Deutschen war: „Deutsch galt plötzlich als Amtssprache. Wer nicht in der Lage war, sich auf Deutsch zu artikulieren, wurde nicht gehört. (…) Die Afrikaner, die ein Geschäft betrieben, durften unter den deutschen Kolonialherren nicht mehr eigenverantwortlich Handel treiben. Sie mussten als Angestellte in deutschen Läden fungieren und waren abhängig von den deutschen Kaufleuten.“ [Kum’a Ndumbe III, in: Schnurr/Patalong: 175]

Felix Bohr befragt Kum’a Ndumbe III zu den Voraussetzungen, der Entstehung, der Durchführung und dem Stand des Projektes heute.

Bisher konnten 30 Bände der Interviews gar nicht bearbeitet werden, von den bereits verlegten Bänden sind nur drei auf Deutsch erschienen, obwohl die Herausgabe in der Täter:innensprache das Wichtigste wäre!

Ein Hinweis auf die reale Ungleichheit in der Wissenschaft: über die Forschenden David Simo und Kokozu Azamede gibt es keinen Wikipedia-Eintrag!

Die aus dem Kolonialismus stammende Diskriminierung im öffentlichen Raum durch Denkmäler und Strassennamen besteht fast überall weiter. So ist es etwa in Wuppertal immer noch nicht gelungen, den abwertenden Namen „Mohren“-Strasse zu ändern!

Literatur:

Azamede, Kokou: „Wir waren bloß wie Tiere“ in: Schnurr/Patalong 2022

Bohr, Felix: „Die Weißen waren Monster“, in: Schnurr/Patalong 2022

Conze, Eckard (2020): Schatten des Kaiserreichs – Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe, München

Friedmann, Jan: Der Wahn vom Herrenvolk, in: Schnurr/Patalong 2022

Grolle, Johann: Menschenversuche im Paradies, in: Schnurr/Patalong 2022

Gunkel, Christoph: Der Prozess, in: Schnurr/Patalong 2022

Heininger, Horst: Geschichte der Imperialismustheorie (bis 1945), in: Foster, John Bellamy / Heininger, Horst (2002): Geschichte der Imperialismus- und Monopoltheorien, Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Hamburg

Hoffmann, Ruth, in: Schnurr/Patalong 2022

Klawitter, Nils: Sklavenhändler zur Untermiete, in: Schnurr/Patalong 2022

Klawitter, Nils: Wie Deutsche die Sklaverei finanzierten, in: Schnurr/Patalong 2022

March, Leonie: „Wir wollen nur Gerechtigkeit“, in: Schnurr/Patalong 2022

Patalong, Frank: Menschenzoo, in: Schnurr/Patalong 2022

Patalong, Frank: Vermessen, in: Schnurr/Patalong 2022

Schnurr, Eva-Maria / Patalong, Frank (Hg.) (2022): „Deutschland, deine Kolonien“ – Geschiche und Gegenwart einer verdrängten Zeit, München

„Die ganze deutsche Gesellschaft profitierte von der Ausbeutung“. Ein Interview von Uwe Klußmann und Eva-Maria Schnurr, in: Schnurr/Patalong 2022

„Du wid get wo?“ Ein Interview von Johannes Saltzwedel, in: Schnurr/Patalong 2022

Die Suche nach Zeugen – Ein Interview von Felix Bohr, in: Schnurr/Patalong 2022

„Die Deutschen zerstörten ein Paradies – und behaupten bis heute das Gegenteil“ Ein Interview von Felix Bohr und Ulrike Knöfel

[https://www.spiegel.de/kultur/deutscher-kolonialismus-in-der-suedsee-historiker-goetz-aly-ueber-die-zerstoerung-eines-paradieses-a-a4e4c3b8-b142-4b88-a5dd-749a1a9465fa]

Erstveröffentlichung 08.12.2022


k9 - combatiente zeigt geschichtsbewußt: Iwan der Schreckliche

Einladungsflyer mit einem Bild von Iwan dem Schrecklichen und den Eckdaten aus dem BeitragstextIwan IV. war der erste Großfürst von Moskau, der sich 1547 zum Zaren von Russland krönen ließ.

Monumentales Epos über Aufstieg und Niedergang des autokratischen Herrschers Iwan IV., der im 16. Jahrhundert die Machtansprüche des russischen Zarentums gegen innere und äußere Gegner durchsetzte.

Die beiden Filme beschreiben die von Intrigen bedrohte Inthronisierung des jungen Großfürsten, seinen Kampf gegen die alteingesessene Feudalaristokratie der Bojaren und seine Niederlage im Livländischen Krieg.

Moskau 1547. Eben hat der 17-jährige Großfürst Iwan Wassiljewitsch in seiner Thronrede den Zarentitel beansprucht - Moskau soll nach dem Fall von Byzanz das "Dritte Rom" werden! Bojaren u. Gesandte sind gleichermaßen aufgestört, hat der junge Herrscher doch damit allen inneren und äußeren Feinden des Reiches den Kampf angesagt: den Tataren und Litauern, den Bojaren, den korrupten Großen des alten Russland, die von seiner bisherigen Schwäche profitierten.

Iwan der Schreckliche - Teil II behandelt Iwans Kampf gegen innere und äußere Feinde und zeichnet das Bild des “schrecklichen“ Zaren.

Iwan kehrt nach Moskau zurück, wo ihn die intrigierenden Bojaren, die sich mit seiner Tante Jefrosinia verbündet haben, bereits erwarten. Sie unternehmen alles, um den Zaren vom Thron zu stoßen und den geistig behinderten Sohn Jefrosinias zu seinem Nachfolger zu erklären.

Indem Sergej Eisensteins Film den stalinistischen Mythos Iwan des Schrecklichen hinterfragte, regte er eine kritische Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Staatssystem seiner Gegenwart an. 1946 wurde Teil II des Films für den sowjetischen Verleih verboten; erst 1958 dürfte er öffentlich gezeigt werden.

Das Lexikon des internationalen Films: der Film entwerfe „düstere Visionen von Macht und Unterwerfung“; die „genial gestalteten Bildkompositionen“ würden die „Dialektik politischer Alleinherrschaft“ enthüllen.

Der Film von Sergei M. Eisenstein zeigt das Leben des Zaren Iwan IV. von Russland (1530-1584) ab dem Alter von 16 Jahren.
erster teil: 99 Minuten; zweiter teil: 88 Minuten - musik: Sergei Prokofjew

combatiente zeigt geschichtsbewußt: revolucion muß sein! filme aus aktivem widerstand & revolutionären kämpfen

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