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Europas Merkellinie bricht

Angela Merkel
Bildquelle:
Armin Linnartz
Dieses Foto ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland) lizenziert.
Und während alles noch nach Merkels Blüten lechzt, kommt der gewalttätige Schlag von Frankreich. Der energische Ministerpräsidet Valls hat den energischen Deutschlandkritiker aus dem Kabinett gejagt. Und der majestätische Präsident hat offenbar zugestimmt. Scheint zunächst ja zur Zustimmung zum Merkel-Kurs in Europa zu passen. Sparen, Sparen, und keine neuen Ziele setzen. Wie es aussieht, soll ab jetzt nur noch Merkelkurs gefahren werden.

Wenn nur die restlichen sozialistischen Gruppen dem leichter zustimmen würden. Faktisch nämlich werden immer weitere Gruppen abspringen.

Fazit: Die Linie der offiziellen Gruppe strebt weiterhin einer Merkelinie zu - aber sie wird scheitern. Es werden in Wirklichkeit zwei konkurrierende Gruppen einem angeblich einheitlichen Ziel zuwandern. Bis sie sich schließlich zum ohnmächtigen Konkurs einigen. Damit natürlich ökonomisch verlieren. Militärisch natürlich auch.

Demnach hat die Merkelpolitik auf die Dauer ihre Führungsposition verloren. Mit und ohne Hollandes Politik-Erneuerung.


Veranstaltung zur politischen Situation in der Ukraine

Erlebnisbericht einer Delegation linker ukrainischer und russischer AktivistInnen

Die Ukraine nach dem Regime-Change im Februar: Eine Clique von Oligarchen wurde durch eine andere mit besten Verbindungen zur BRD abgelöst. Die neue Regierung lässt Großstädte in der Ostukraine bombardieren. Erklärte Faschisten machen Jagd auf Linke und zündeten am 2. Mai das Gewerkschaftshaus in Odessa an. 42 Menschen verbrannten dabei oder wurden auf offener Straße erschlagen. Und die imperialistischen Länder - maßgeblich die BRD? Sie gießen Öl ins Feuer und tragen ihre Rivalitäten auf dem Rücken der Bevölkerung aus.

Auf der Veranstaltung werden GewerkschafterInnen, FriedensaktivistInnen und Mitglieder verschiedener linker Organisationen aus dem Osten und Westen der Ukraine, sowie Russlands von ihren Erfahrungen berichten. Sie sind sich dabei einig, dass aktuell die größte Gefahr von den, sich weiter im Aufwind befindlichen, faschistischen Organisationen ausgeht. Die Veranstaltung soll der Kriegshetze und dem Verschweigen der rechten Gefahr in den bürgerlichen Medien authentische Aufklärung von unten entgegensetzen.

Dienstag, 26. August 2014 | 19 Uhr | Linkes Zentrum Lilo Herrmann

Die Veranstaltung ist Teil einer Delegationsreise, die von der Roten Hilfe e.V. organisiert wird. In Stuttgart wird die Veranstaltung von der OG Stuttgart der Roten Hilfe und der Revolutionären Aktion Stuttgart getragen.


Linkes Zentrum Lilo Herrmann
Böblinger Str. 105 | 70199 Stuttgart
www.linkeszentrumstuttgart.org

Haltestelle Erwin-Schöttle-Platz: U1 | U14 | Bus42 an der Bahnlinie zwischen Erwin-Schöttle-Platz und Bihlplatz

70 Jahre Befreiung von Paris. Teil 3: Die vergessenen Kämpfer

Im August 2014 jährt sich zum siebzigsten Mal die Befreiung von Paris von der Nazityrannei.
Vom 19. bis 25. August 1944 erhob sich die Bevölkerung von Paris gegen die deutsche Besatzungsmacht.

Die folgende Artikelserie erhebt nicht den Anspruch, eine exakte Chronologie, noch eine umfassende politische Analyse der Ereignisse zu liefern. Vielmehr werden kurze Porträts der Menschen, ihrer Stadt und deren Geschichte gezeichnet, die schlaglichtartig die Geschehnisse erhellen sollen.


24. August 1944, gegen 20.40 Uhr: Die vergessenen Kämpfer

Drei Shermanpanzer und zwölf gepanzerte Kettenfahrzeuge, die zwei Abteilungen Infanterie transportieren, fahren über die Place d'Italie zügig in Richtung der äußeren Boulevards.

Auf den Shermanpanzern sind die Namen siegreicher, aber relativ unbedeutender Schlachten Napoleons mit weißer Farbe aufgemalt: „Montmirail“, „Romilly“, „Champaubert“.
Die Kettenfahrzeuge (half-truck) tragen andere Namen: „Guadalajara“, „Belchite“, „Ebro“, „Madrid“, „Brunete“, „Teruel“, „Santander“, „Guernica“ nach den großen Schlachten des Spanischen Bürgerkriegs. Amado Granell, Bamba, Martin Bernal, Mantoyo, Morena heißen die Männer, die in diesen Fahrzeugen sitzen –“ es sind Spanienkämpfer, jetzt Angehörige der neunten Kompanie der zweiten französischen Panzerdivision, der „Nueve“, der spanischen Kompanie.

Als General Leclerc 1943 die berühmte zweite Panzerdivision aufstellte, waren 20 Prozent der 16.000 Soldaten spanische Republikaner, die in den Internierungslagern Südfrankreichs für die Fremdenlegion angeworben worden waren und dann zu Leclerc desertierten.

Sie kämpften in Nord- und Zentralafrika und landeten Anfang August 1944 im Rahmen der Invasion der Alliierten in der Normandie. In der „Nueve“ waren von 160 Soldaten 146 Spanier oder hatten spanische Wurzeln, die offizielle Sprache war spanisch und die Befehlsgewalt hatten Spanier inne.

"Diese Nacht ist eine ganze Welt wert –“ es ist die Nacht der Wahrheit. Der bewaffneten, kämpfenden Wahrheit, der starken Wahrheit, die so lange mit leeren Händen und entblößter Brust dagestanden hat. Überall ist sie in dieser Nacht gegenwärtig, da das Volk und die Kanonen gleichzeitig grollen. Ist sie doch die Stimme dieses Volkes und dieser Kanonen; sie trägt die triumphierenden und erschöpften Züge der Straßenkämpfer mit ihren Narben und ihrem Schweiß. Ja, es ist in der Tat die Nacht der Wahrheit, der einzigen Wahrheit, die Gültigkeit besitzt: jener, die bereit ist, zu kämpfen und zu siegen."

Albert Camus

Der half-truck „Guadalajara“ ist das Führungsfahrzeug. Vor der Place d'Italie fährt der Konvoi einen Umweg über Nebenstraßen, um deutsche Stellungen zu umfahren. Auf der Höhe des Universitätskrankenhauses biegen sie in den Boulevard de l'Hopital ein.
Am Gare d'Austerlitz Beschuss durch die Deutschen, sie erwidern das Feuer nicht, sondern geben Gas und erreichen über die Pont d'Austerlitz das andere Seine –“ Ufer. Ihr Auftrag: die Widerstandskämpfer, darunter der Nationalrat der Resistance, die das Hotel de Ville besetzt haben, gegen die Angriffe der deutschen Besatzer zu unterstützen und die Ankunft der zweiten französischen Panzerdivision anzukündigen und vorzubereiten.

21.15 Uhr, Hotel de Ville.
Im Speisesaal des Rathauses Abendessen der Anführer des Aufstands: Nudeln mit Linsen.

Ein anschwellendes Geräusch lässt sie aufhorchen: das Rasseln von Panzerketten auf Pflastersteinen –“ ein infernalischer Lärm, die Fensterscheiben vibrieren.

 Das Kettenfahrzeug "Guadalajara" vor dem Hotel de Ville
Das Kettenfahrzeug "Guadalajara" vor dem Hotel de Ville
Es ist 21.22 Uhr am 24. August 1944

Auf dem Platz vor dem Hotel de Ville angekommen, fährt der Half-Truck „Guadalajara“ auf den Gehsteig der Rue de Rivoli, vor den Juwelier „Les Ciseaux d'Argent“ und das Luxus –“ Schuhgeschäft „Chaussures Mansfield“.

Zubieta, Abenza, Luis Ortez, Daniel Hernandez, Argueso, Luis Cortes, Ramon Patricio springen von ihrem Fahrzeug und nehmen Verteidigungsposituionen ein, mit der Waffe in der Hand.
Leutnant Amado Granell, der Führer der Abteilung, wird auf den Treppen des Hotel de Ville von Georges Bidault, dem Präsidenten des Nationalrats der Resistance empfangen.

Amado Granell im spanischen  Bürgerkrieg
Amado Granell im spanischen Bürgerkrieg
Amado Granell ist in Valencia geboren und war während des Spanischen Bürgerkriegs Kommandeur der 49ten Brigade.

25. August 1944

Die Kämpfe um das Hotel Meurice, den Sitz des Oberbefehlhabers für den Raum Groß-Paris, General von Choltitz , halten jetzt schon seit anderthalb Stunden an. Da der Angriff nur von der Vorderseite möglich ist, wird ein Stoßtrupp, angeführt von Leutnant de la Horie gebildet. Von den Spaniern nehmen Antonio Gutierrez, Antonio Navarro und Francisco Sanchez teil. Ihnen gelingt es, den deutschen Verteidigungsring zu durchbrechen und in die erste Etage des Hotels zu gelangen, wo sich die Kommandozentrale des Generals von Choltitz und seines Generalstabs befindet.

Von Choltitz und seine Offiziere werden mit vorgehaltener Maschinenpistole entwaffnet. Die Regeln des Kriegsrechts verlangen, dass sich ein Offizier nur einem Offizier des Gegners ergeben darf. Von Choltitz verlangt deshalb, einen französischen Offizier herbeizurufen.

Die Waffe weiter auf von Choltitz gerichtet, ruft Antonio Gutierrez von der Tür aus in den Gang nach einem Offizier. Nacheinander kommen die Leutnants Franjoux und Karcher, sowie als letzter der Oberleutnant de la Horie. Diesem ergibt sich von Choltitz schließlich.

Nazi-Generalstäbler haben sich der Resistance ergeben
Nazi-Generalstäbler haben sich der Resistance ergeben
Bevor er sein Büro verlässt, nimmt er seine Armbanduhr ab und bietet sie Gutierrez an, um ihm dafür zu danken, dass er sich an die Regeln des Kriegsrechts gehalten hat.

Gutierrez lehnt ab.

Die zugegebenermaßen etwas ausführliche Darstellung dieser beiden Schlüsselereignisse bei der Befreiung von Paris ist der Tatsache geschuldet, dass die spanischen Akteure dieser Ereignisse aus der offiziellen französischen Geschichtsschreibung über 65 Jahre lang komplett „verschwunden“ waren. Amado Granell und seine 140 spanischen Kameraden verschwanden aus der Geschichte, übrig blieb sein Chef Raymond Dronne –“ natürlich Franzose.

Genauso verschwand der spanische Stoßtrupp vom Hotel Meurice, übrig blieben die französischen Offiziere de la Horie, Karcher und Franjoux.

Die Bemühungen, die Spanier verschwinden zu lassen, entbehren indes nicht einer gewissen Komik: So erzählt die offizielle Darstellung der Ereignisse vor dem Hotel de Ville von dem Rundfunkreporter Pierre Ceresse, der einem verdutzten Soldaten der „Nueve“ mit Namen Firmin Pillan das Mikrofon vor die Nase hielt und ihn fragte: „Woher stammen sie?“ - „Aus Istanbul“ war angeblich die Antwort.

Dreißig Jahre später erzählt der Historiker Pascal Ory, Professor an der Sorbonne, spezialisiert auf die Periode 1940-44, dieselbe Geschichte, nur etwas anders: Aus dem Rundfunkreporter Pierre Ceresse wird der Rundfunkreporter Jean Guignebert, aus dem Soldaten Firmin Pillan wird die armenische Ordonanz Krikor, nur der angebliche Geburtsort bleibt fast gleich: „Konstantinopel“.

Seit 2011 wissen wir nun dank der verdienstvollen Recherchen von Evelyn Merquida in ihrem Buch: „La Nueve 24. Aout 1944“, dass an diesen offiziellen Darstellungen so ziemlich alles falsch ist.

Firmin Pillon hieß in Wirklichkeit Fermin Pujol und wurde nicht in Istanbul geboren, sondern in Barcelona. Im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte er in der Kolonne Durutti. Es gab tatsächlich eine armenische Ordonanz in der Nueve. Er hieß aber nicht Krikor sondern Pirlian.

Auch ob die beiden Rundfunkreporter überhaupt am Ort des Geschehens waren, darf bezweifelt werden. Fermin Pujol erzählt die Begebenheit jedenfalls so:

Er wurde an jenem Augustabend 1944 von vielen Parisern, die inzwischen in Massen auf den Platz vor dem Hotel de Ville geströmt waren, gefragt, woher er komme. Sie glaubten ihm aber nicht, dass er Spanier sei.

Daraufhin schaltete sich ein Polizist ein und es entwickelte sich folgender Dialog: „Monsieur. Sind Sie Spanier?“ - „Ja, und Sie?“ - „Ich bin Polizist.“ - „Aha, Polizist“. Für den Anarchisten Pujol ein höchst befremdlicher Dialog.

Tatsächlich war der Beitrag der spanischen Republikaner an der Befreiung von Paris beträchtlich: Man schätzt, dass am Aufstand mehr als 4000 Spanier teilgenommen haben. An allen ausschlaggebenden militärischen Auseinandersetzungen in Paris waren sie in großer Zahl beteiligt und spielten oft eine entscheidende Rolle.

Nicht zuletzt war Henry Rol-Tanguy, dem alle bewaffneten Einheiten der Resistance in Paris zur Zeit des Aufstands unterstanden, Teilnehmer des Spanischen Bürgerkriegs und Politkommissar der 11.Internationalen Brigade.

Dies, ihre militärische Erfahrung und die „doppelte“ Motivation, die Scharte der Niederlage in Spanien auszuwetzen und die - trügerische - Hoffnung, die Alliierten würden nach der Niederschlagung des Hitlerfaschismus auch Spanien von der Franco-Diktatur befreien, war die Grundlage für die herausragenden Leistungen der spanischen Republikaner und der französischen Spanienkämpfer bei der Befreiung von Paris.

Bleibt die Frage, warum das von der offiziellen französischen Geschichtsschreibung so beharrlich –“ im übrigen bis heute (siehe Nachtrag) - ignoriert wird. Sicherlich hat es mit dem französischen Nationalismus und dessen Mythos von der „Grande Nation“ zu tun, nachdem Paris „natürlich“ nur von reinrassigen Franzosen befreit werden durfte und "natürlich" auch damit, dass diese Spanier in ihrer großen Mehrheit der Linken angehörten.

Weniger wahrscheinlich ist, dass es die Scham darüber ist, dass sehr unterschiedliche französische Regierungen dieses wundervolle Volk der Spanier in einem knappen Jahrzehnt zweimal verraten hatten:

Das erste Mal während des Spanischen Bürgerkriegs, als Frankreich im Rahmen der unseligen Nichteinmischungspolitik Waffenlieferungen nach Spanien verhindert hatte.

Das zweite Mal, als De Gaulle, kaum dass er mit Hilfe eben jener Spanier an die Regierung gekommen war, nichts besseres zu tun hatte, als die Franco-Diktatur anzuerkennen.

Nachtrag:
Nachdem Evelyn Merquida 2011 die spanischen Republikaner aus dem Dunkel der Geschichte wieder ans Licht geholt hatte, konnte die offizielle Geschichtsschreibung sie zumindest nicht mehr totschweigen.
Seither finden sie also „Erwähnung“ - mehr aber auch nicht.

Im Musee Carnavalet, dem Pariser Stadtmuseum, findet derzeit eine Fotoausstellung über die Befreiung von Paris statt. Fotos der Spanier oder überhaupt von Ausländern sucht man vergeblich.
Wissenschaftliche Beraterin der Ausstellung ist Christine Levisse-Touze, die Direktorin des Museums Leclerc/Jean Moulin, eine –“ und das macht die Sache besonders traurig –“ ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der Resistance.

In den Archiven ihres Museums finden sich nämlich sehr viele Fotos, z.B. von der neunten spanischen Kompagnie, der Nueve, bei der Befreiung von Paris.

Teil 1 der Serie "70 Jahre Befreiung von Paris" erschien in diesem Blog am 20. August 2014, Teil 2 am 23. August.

Nach Motiven aus den Arbeiten von Jacques Duclos, Albert Camus, Paul Eluard, Larry Collins, Dominique Lapierre, Alain Rustenholz, Evelyn Mesquida, Yves Barde, Dominique Manotti und Mireille Mathieu.

Fotos: Musee Carnavalet Paris, Musee Resistance/Deportation Lyon, privat

70 Jahre Befreiung von Paris. Teil 2: Die Barrikade an der Rue de la Huchette.

Im August 2014 jährt sich zum siebzigsten Mal die Befreiung von Paris von der Nazityrannei.
Vom 19. bis 25. August 1944 erhob sich die Bevölkerung von Paris gegen die deutsche Besatzungsmacht.

Die folgende Artikelserie erhebt nicht den Anspruch, eine exakte Chronologie, noch eine umfassende politische Analyse der Ereignisse zu liefern. Vielmehr werden kurze Porträts der Menschen, ihrer Stadt und deren Geschichte gezeichnet, die schlaglichtartig die Geschehnisse erhellen sollen.


Die Barrikade an der Rue de la Huchette.
Die Barrikade an der Rue de la Huchette.
21./22. August 1944. Die Barrikade an der Rue de la Huchette.
Beatrice Briand steht heute nicht hinter ihrer Theke, wo sie sonst das rationierte, harte Brot der Besatzung verkauft. Die Bäckerin aus der Rue de la Huchette steht heute hinter einer Barrikade : im gepunkteten Sommerkleid, mit der Armbinde der Resistance, einen erbeuteten Stahlhelm auf dem Kopf. An einem Ledergürtel, der so wenig zu ihrem Sommerkleid passt wie der Stahlhelm, hängt eine Stielhandgranate und eine Pistolentasche mit Inhalt.

Ihre Barrikade ist eine von 600, die schon vor dem Aufruf des Befreiungskomitees von Paris am 22.8.1944 wie Pilze aus dem Boden schiessen. Dieser Aufruf endet mit dem historischen Appell der Pariser Commune von 1871: „Tous aux barricades!“ - Alle auf die Barrikaden!.

Mitten im August an einem Montagabend von zarter Farbe
ein Montagabend, verhängt von Wolken
in einem Paris, so rein wie Eischnee
Mitten im August, unser Land auf den Barrikaden
Paris wagt, den Blick zu heben
Paris wagt, Sieg zu rufen
Mitten im August, an einem Montagabend

Wenn man das Licht erblickt hat
wie kann es da Nacht werden an diesem Abend
wenn die Hoffnung von den Pflastersteinen, den Fronten, den erhobenen Fäusten emporsteigt
dann geben wir die Hoffnung
dann geben wir das Leben
den Versklavten, die verzweifelt sind
Paul Eluard

Beim Barrikadenbau
Beim Barrikadenbau
Am selben Tag veröffentlichen die Zeitungen der Resistance, die inzwischen frei erscheinen können, Instruktionen, wie die Barrikaden gebaut werden sollen. Die Gewerkschaft der Maurer stellt die entsprechenden Instrukteure.

Beim Barrikadenbau
Beim Barrikadenbau
Männer, Frauen, Junge und Alte, reißen das Straßenpflaster auf, schleppen Pflastersteine, führen Sandsäcke, die ursprünglich zum Schutz vor Luftangriffen gedacht waren, einer neuen Bestimmung zu.

Wo schon asphaltiert ist, wird die Asphaltdecke mit Spitzhacken vom Untergrund getrennt und in die Barrikade eingebaut. Alleebäume werden gefällt, alles was nicht niet- und nagelfest ist, findet Verwendung beim Barrikadenbau.

Madame Briands Barrikade ist Teil eines Systems von Befestigungen aller Art, die das Viertel um die Kirche Saint Severin für die Besatzer unbetretbar gemacht haben. Genauso wie die Barrikaden am Place St. Michel und an der Kreuzung Boulevard St. Michel/ Boulevard St. Germain trägt sie zudem dazu bei, den Besatzern, die im Jardin de Luxembourg stationiert sind, den direkten Weg zur Polizeipräfektur zu versperren. Wie erfolgreich die Barrikaden kämpfer dabei sind, zeigen die Spitznamen „Todeskreuzung“ und „Deutschenfriedhof“.

So werden Holzklötze auf die Straße geworfen, mit Benzin übergossen und angezündet, die entstehende Hitze verformt den Asphalt, er wellt sich. Die Lastwagen der Besatzungsmacht, die versuchen, diese Buckel zu überfahren, stürzen entweder um oder können ihren Weg nur beschädigt und sehr langsam fortsetzen. Sie werden an der Ecke Rue Petit Pont/Quai St. Michel von Widerstandskämpfern erwartet, die ihnen mit Cocktails Marke Joloit-Curie den Rest geben.

Die Barrikade ist eine französische Erfindung, 1588 wurden die ersten gebaut –“ vor allem aus Fässern: Französisch „barrique“, daher der Name Barrikade.

Auch bestimmte Orte, an denen Barrikaden errichtet wurden, haben sich tief in das historische Gedächtnis der Pariser Bevölkerung eingegraben.

Barrikade Rue Saint-Florentin/Rue Rivoli 1871
Die Barrikade Rue Saint-Florentin/Rue Rivoli 1871
Einer dieser Orte ist die Kreuzung Rue de Rivoli / Rue Saint Florentin am Place de la Concorde. Sie erstreckte sich vom Marineministerium auf der einen Seite bis zur Begrenzungsmauer der Tuillerien auf der anderen Seite.

Und dort wurde sie bei jeder Erhebung des Volkes wieder errichtet: 1830, 1831, 1848, 1871 und natürlich 1944.
1871, während der Pariser Commune, verband sich allerdings zum ersten Mal in der Geschichte der Pariser Aufstände die Intuition des Volkes mit den Fähigkeiten eines professionellen Baumeisters, Napleon Gaillard, genannt der Oberst des Barrikadenbaus.

Die Rue Saint-Florentin/Rue Rivoli heute
Die Rue Saint-Florentin/Rue Rivoli heute
Ergebnis war eine Befestigungsanlage mit einem acht Meter starken Erdwall, drei Schießscharten für Kanonen und einem riesigen Graben davor, der so tief war, dass alle Gas- und Wasserleitungen freigelegt worden waren.

Tragischerweise war alle Mühe und Arbeit vergebens. Die Versailler Truppen umgingen die Barrikade: Nachdem ihr erster Angriff über die Place de la Concorde im Geschosshagel der Communarden scheiterte, rückten sie über die Rue de la Paix vor und kamen so in den Rücken der Verteidiger.

Die Barrikaden von 1944 hatten die Funktion, weitere Truppenbewegungen zu erschweren, wenn nicht zu unterbinden und die Beweglichkeit der Besatzer immer mehr einzuschränken, sie in ihren Kasernen zu isolieren. So war in der Rue de Rivoli u.a. der Sitz des Oberbefehlhabers für den Großraum Paris, General von Cholditz, im Hotel Meurice untergebracht.

Dieser Plan wurde mit aller Konsequenz durchgeführt. „Chacun son boche –“ jedem seinen Deutschen“: Wo immer sich Besatzer sehen ließen, wurden sie unter Feuer genommen.
Neben der direkten Wirkung (man schätzt, dass schon vom 11.-15. August über 500 Besatzer außerhalb direkter Kampfhandlungen getötet wurden) haben diese Attacken eine enorme psychologische Wirkung: Sie demoralisieren die Besatzer, der Feind beginnt diese Stadt, die ihn einschließt, deren großteils unbewaffnete Volksmassen ihn zu erdrücken drohen, zu fürchten.

Teil 1 der Serie "70 Jahre Befreiung von Paris" erschien in diesem Blog am 20. August 2014. Der dritte Teil erscheint am 24. August.

Nach Motiven aus den Arbeiten von Jacques Duclos, Albert Camus, Paul Eluard, Larry Collins, Dominique Lapierre, Alain Rustenholz, Evelyn Mesquida, Yves Barde, Dominique Manotti und Mireille Mathieu.

Fotos: Musee Carnavalet Paris, Musee Resistance/Deportation Lyon, privat

Sacco und Vanzetti Presente!

Sacco (rechts) und Vanzetti (links) als Angeklagte, mit Handschellen aneinander gefesselt
In der Nacht vom 22. auf den 23. August 1927 wurden im Staatsgefängnis von Charlestown, Massachusetts die beiden aus Italien in die USA eingewanderten Arbeiter Ferdinando „Nicola“ Sacco und Bartolomeo Vanzetti, die sich der anarchistischen Arbeiterbewegung angeschlossen hatten, hingerichtet.

Morde an Revolutionären und Arbeiterführern mit Hilfe der Justiz sind eng mit der Geschichte der USA verbunden: Die Chicagoer Arbeiterführer Parsons, Spies, Engels und Fischer wurden am 11. November 1887 als Reaktion auf die große Streikwelle Opfer der Klassenjustiz. Die Tradition setzte sich mit den in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts trotz weltweiter Solidaritätskampagnen hingerichteten anarchistischen Arbeitern Sacco und Vanzetti fort. Auch heute gehört die Todesstrafe zu den Mitteln der rassistischen Klassenjustitz in den USA.

„Ich habe nicht nur mein ganzes Leben lang kein wirkliches Verbrechen begangen, wohl einige Sünden, aber keine Verbrechen, sondern auch das Verbrechen bekämpft, das die offizielle Moral und das offizielle Gesetz billigen und heiligen: Die Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen. Wenn es einen Grund gibt, warum Sie mich in wenigen Minuten vernichten können, dann ist dies der Grund und kein anderer.“

Bartolomeo Vanzetti

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick

ARGENTINIEN
Arbeiter einer US-amerikanischen Druckerei in Buenos Aires besetzen den Betrieb und produzieren weiter.

Argentinien will den Gläubigern der Staatsschuld die Verlegung der Zahlungen nach Buenos Aires anbieten. Auf diese Weise solle die Blockierung der Auszahlungen in New York umgangen werden, die der US-Richter Thomas Griesa gegen Argentinien im Streit mit den Hedge-Funds verhängt hat.

BOLVIEN
Seit acht Jahren regiert Evo Morales als erster indigener Präsident Bolivien. Er hat sich die «Dekolonisierung» seines Landes zum Ziel gesetzt. Auf der Suche nach einer neuen kulturellen Identität entdecken die Künstler und Intellektuellen die Kultur der Anden für sich.

BRASILIEN
Nach dem Unfalltod des brasilianischen Präsidentschaftskandidaten Eduardo Campos tritt offenbar die Umweltschützerin Marina Silva an seiner Stelle bei der Wahl an. Als Herausforderin des Staatsoberhaupts Dilma Rousseff gehe Silva den Weg der Sozialistischen Partei PSB weiter.

CHILE
Lange galt es als in Stein gemeißelt: das binominale Wahlsystem in Chile. Es stammt aus der Diktatur Pinochets und es bedurfte einer Drei-Fünftel-Mehrheit, um es aus den Angeln zu heben. Nach einer langen Sitzung stimmte das Abgeordnetenhaus dieser Tage für die Abschaffung des alten Wahlgesetzes. 86 Abgeordnete votierten dafür und gaben dem Vorhaben die notwendige Drei-Fünftel-Mehrheit. Lediglich 28 stimmten dagegen.

KOLUMBIEN
Im Rahmen der Friedensgespräche zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung sind erstmals auch Opfer des Konfliktes angehört worden. Eine erste Delegation von 12 Betroffenen war dafür am vergangenen Samstag nach Havanna gereist, um Zeugnis abzulegen. Begleitet wurden sie von Vertretern der Nationalen Universität Kolumbiens, der Vereinten Nationen sowie der katholischen Bischofskonferenz.

KUBA
Kubas Zentralbank hat die Ausgabe neuer Geldscheine der Landeswährung Kubanischer Peso (CUP) mit zusätzlichen Sicherheitsmarken angekündigt. Die Maßnahme betrifft Neu-Emissionen von Banknoten im Wert von 100, 50 sowie 20 Pesos. Bereits zirkulierende Scheine behalten ihre Gültigkeit.

VENEZUELA
In Venezuela hat der Prozess der Gründung von sogenannten Präsidialen Räten für Kommunale Regierung (Consejo Presidencial del Gobierno Popular con las Comunas) begonnen. Diese neue Struktur soll in allen Bundesstaaten des südamerikanischen Landes die Rolle der Basisbewegungen in der Planung der öffentlichen Angelegenheiten stärken. Die Räte sind als Schnittstelle zwischen sozialen Bewegungen, regionalen und bundesstaatlichen Autoritäten konzipiert

Ein Gemeinschaftsprojekt von Einfach Übel und redblog, Ausgabe vom 22. August 2014

70 Jahre Befreiung von Paris. Teil 1: Die Polizeipräfektur von Paris zwischen Resistance und Kollaboration.

Im August 2014 jährt sich zum siebzigsten Mal die Befreiung von Paris von der Nazityrannei.

Vom 19. bis 25. August 1944 erhob sich die Bevölkerung von Paris gegen die deutsche Besatzungsmacht.

Die folgende Artikelserie erhebt nicht den Anspruch, eine exakte Chronologie, noch eine umfassende politische Analyse der Ereignisse zu liefern. Vielmehr werden kurze Porträts der Menschen, ihrer Stadt und deren Geschichte gezeichnet, die schlaglichtartig die Geschehnisse erhellen sollen.


Statt einer Chronologie

„Nun ist der Aufstand eine Kunst ebenso wie der Krieg oder andere Künste und gewissen Regeln unterworfen (...) Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbekannten Größen, deren Wert sich jeden Tag ändern kann.“ (Karl Marx: Revolution und Konterrevolution).

Der Aufstand beginnt, lange bevor der erste Schuss fällt:

Protestkundgebungen der Frauen gegen die Schließung der Bäckereien, die Unterbrechungen in der Gasversorgung etc. Streiks in einzelnen Betrieben, die Protestkundgebungen bekommen immer größeren Zulauf, bewaffnete Gruppen der Resistance schützen sie. Die Eisenbahner treten in den Streik, der schon bald Züge des Aufstands annimmt: Gleise werden zerstört, deutsche Eisenbahner angegriffen, ausgedehnte Sabotageakte.

Der Streik greift auf andere Berufsgruppen im öffentlichen Dienst über: Postbeamte, Metro-Beschäftigte. Die illegale CGT ruft zum Generalstreik auf. Einheiten der Resistance überfallen Waffenlager- und Transporte der Besatzungsmacht, um sich zu bewaffnen.

Die großen Ausfallstraßen werden mit 10 Tonnen Krähenfüßen, „Reifentod“ genannt, zeitweilig unpassierbar gemacht.

„Ist der Aufstand einmal begonnen, dann handle man mit der größten Entschiedenheit und ergreife die Offensive (...) kurz, nach den Worten Dantons, des größten bisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik: de l'audace, de l'audace, encore de l'audace (Kühnheit, Kühnheit und nochmals Kühnheit)“. (Karl Marx: Revolution und Konterrevolution).

Kampfgruppen der Recistance greifen deutsche Abteilungen an, die Bezirksrathäuser werden besetzt, dann die Bahnhöfe, Fabriken, Radiostationen, Zeitungsdruckereien.

Ab jetzt wird geschossen.

14.- 19.August 1944: Die Polizeipräfektur von Paris zwischen Resistance und Kollaboration.

Am 14. Juli, dem Tag, an dem 1789 der Sturm auf die Bastille den Beginn der Französischen Revolution einleitete, strömen im Jahr 1944 gegen 18 Uhr Menschen auf die Rue de Belleville, der Tricolore und dem Klang der Marseillaise folgend. Die Teilnehmer eines Festes zum Nationalfeiertag auf dem Boulevard Belleville lassen die Zahl der Demonstranten rasch auf 20.000 anschwellen.

Die Polizei bildet mit Fahrzeugen eine Barriere, die Fahrer stellen ihre Mannschaftswagen aber so auf, dass sie der Menge den Durchgang ermöglichen. Tausende rufen: „Die Flics zu uns!“

Als Inspektoren der brigade speciale (einer Sondereinheit zur „Bekämpfung des Kommunismus“) versuchen, sich der Tricolore zu bemächtigen, haben die Flics genug: sie verlassen ihre Fahrzeuge, verweigern ihren Vorgesetzten den Gehorsam und nehmen selber an der Kundgebung teil.

Etwas Ungeheuerliches hatte sich ereignet.

Panik ergreift die vorgesetzten Polizeioffiziere. Der Kommissar des 20. Arrondisements fleht die Demonstranten an „ihn nicht zu erschiessen, aber auch die Marseillaise nicht mehr zu singen.“

Was war geschehen?

Innerhalb der Pariser Polizei hatten sich Widerstandsgruppen der Resistance gebildet, die schon seit längerem eine verdeckte Arbeit innerhalb des Polizeikorps leisteten –“ wie man am 14.Juli sehen konnte –“ mit Erfolg.

So war es möglich, einen Monat nach den Juli-Ereignissen, am 14. August die drei wesentlichen Widerstandsbewegungen innerhalb der Polizei –“ die front national de liberation, Police et Patrie (Polizei und Vaterland) und Honneur de la Police (Ehre der Polizei) zu vereinen im Comite de liberation de la police (Befreiungskomitee der Polizei).

Der Anlass für diesen Zusammenschluss war unmittelbar praktischer Natur:
Der Besatzungsmacht war die Zersetzungsarbeit der Resistance im Polizeikorps nicht verborgen geblieben. Sie plante deshalb, die Polizei zu entwaffnen und die Polizisten zu internieren.

MG-Stellung am Eingang der Präfektur
Dem kommt das Befreiungskomitee zuvor:
Für den 15. August ruft es alle Polizisten zum Generalstreik auf. Unter Mitnahme ihrer Dienstwaffen gehen die Polizisten nach Hause. Präfektur und die Kommissariate in den Bezirken bleiben verwaist. Von nun an sieht man in den Straßen keine Polizisten mehr.

Am 19. August, morgens um 7 Uhr bietet sich dem unbefangenen Betrachter ein erstaunliches Bild:
Über den zu dieser Tageszeit gewöhnlich menschenleeren Platz vor Notre Dame eilen hunderte vom Männern mit Baskenmützen oder Schirmkappen, in Jacken, Pullovern oder in Hemdsärmeln auf die hohen Türen der Polizeipräfektur am anderen Ende des Platzes zu.

Die Flics kehren zurück, aber nicht um ihren Dienst wieder anzutreten, sondern um die Präfektur zu besetzen.

Paris erhebt sich
und es öffnet seine Gefängnisse
Paris im Fieber
das es auf seine Weise heilt:
Paris wird zornig
Man muss sie sehen, die rostigen Gewehre
die aus den Fenstern zucken.
Auf die Barrikaden
die aus dem Boden schießen
Jedem seine Granate
sein Messer oder die bloßen Hände

(Mireille Mathieu)

Als zum ersten Mal seit vier Jahren, zwei Monaten und vier Tagen die Tricolore wieder über der Polizeipräfektur weht, kann sich auch Abbe Robert Lepoutre, der eigentlich die Frühmesse in Notre Dame zu lesen hätte, dem nicht entziehen und lässt sich von der Flut mitreißen, die sich zur Präfektur hin ergießt.

2000 –“ 3000 Polizisten verfügen nun immerhin über geistlichen Beistand.

Der Hof der Präfektur ist jetzt voller bewaffneter Männer, es herrscht eine fieberhafte Stimmung.
Eine Gruppe von Männern löst sich aus der Menge und stürmt in den zweiten Stock des Südflügels. Dort ist der Sitz des zentralen Nachrichtendienstes, reseignements generaux.
Ein langer Gang, verdreckter grünlich-grauer Anstrich, Glastüren links und rechts und am Ende des Flurs Raum 36.

Dort sind Eisenringe in die Wände eingelassen, um die Gefangenen fest zu ketten. Zwei schwere Holztische, auf denen sie mit Ochsenziemern verprügelt wurden:

Hier trieben die brigades speciales No.1 und No.2 ihr Unwesen. 3500 Widerstandskämpfer/innen wurden hier während der vier Jahre der Besatzung verhört, gefoltert und dann der Gestapo oder dem SD ausgeliefert zur Deportation in deutsche Konzentrationslager.

Jetzt erinnert nur noch verkrustetes Blut an die Qualen der Opfer.

Die Büros sind leer, die Schreibtische ausgeräumt, die Folterknechte haben sich bei ihren deutschen „Freunden“ verkrochen.

Einige Stunden später beginnt der deutsche Panzerbeschuss der Polizeipräfektur.

Champagner und Kaliumchlorat

Plakat mit Anleitung für den Cocktail Joliot-Curie
Im Hof der Präfektur werden die Brandflaschen abgefüllt
Am 19.August betritt ein schüchterner Mann mit zwei schweren Koffern als einer der letzten die besetzte Polizeipräfektur.

Er begibt sich sofort in das Laboratorium der Polizei und entnimmt seinen Koffern acht Flaschen Schwefelsäure und mehrere Kilo Kaliumchlorat.

Im Labor für Kernchemie, wo seine Schwiegermutter das Radium entdeckt hatte, hat er eine Explosivmischung für Wurfflaschen entwickelt, die in den Händen der Aufständischen zu einer gefürchteten Waffe werden sollten.

Er hieß Frederic Joliot-Curie und hatte 1935 den Nobelpreis für Chemie erhalten.

Das Rezept für seinen „Cocktail Joliot-Curie“ konnte man bald auf einem Plakat an allen Straßenecken von Paris lesen.

Der Cocktail Joliot-Curie im Einsatz
Die Mischung stimmte, allein in der Präfektur mangelt es an leeren Flaschen, um sie ab zu füllen.

Unter Führung von Monsieur Joliot-Curie steigen deshalb einige Männer in den Keller der Präfektur zu den Champagnervorräten des verhafteten ehemaligen Polizeipräsidenten Amedee Bussiere.

Ohne zu zögern, aber mit einem kleinen Bedauern, entkorken sie eine Flasche nach der anderen, gießen den kostbaren Inhalt auf den Boden und füllen die Flaschen der Kellerei Pierre Taittinger mit der explosiven Mischung.

Die Ironie der Geschichte wollte es, dass Pierre Taittinger, Besitzer der gleichnamigen Kellerei, nicht nur der Gründer der größten rechtsradikalen Bewegung im damaligen Frankreich, der „Jeunesse patriotes“, war, sondern auch einer der schlimmsten Kollaborateure der Vichy-Regierung.

Jetzt flogen seine Champagnerflaschen den Nazis um die Ohren und leisteten so einen,wenn auch unfreiwilligen, Beitrag dazu, dass die Präfektur nicht von den Besatzern gestürmt werden konnte.


Nach Motiven aus den Arbeiten von Jacques Duclos, Albert Camus, Paul Eluard, Larry Collins, Dominique Lapierre, Alain Rustenholz, Evelyn Mesquida, Yves Barde, Dominique Manotti und Mireille Mathieu.

Fotos: Musee Carnavalet Paris, Musee Resistance/Deportation Lyon, privat

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick

LATEINAMERIKA
Die Regierungen von Mexiko, Guatemala und den USA wollen Migranten den Weg per Bahn in die Vereinigten Staaten erschweren. Dazu stellten sie nun das “Programm Südgrenze– vor, mit dem das sicherheitspolitische Vorgehen der drei Staaten besser koordiniert werden soll.

BOLVIEN
Der bolivianische Staat hat das Unternehmen Transierra, das Erdgas nach Brasilien transportiert, für 133 Millionen US-Dollar übernommen.

BRASILIEN
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat den laufenden Wahlkampf nach dem Unfalltod ihres Herausforderers Eduardo Campos unterbrochen und eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Der Präsidentschaftskandidat der sozialdemokratisch ausgerichteten Sozialistischen Partei Brasiliens (PSB) war am Mittwoch in einem Kleinflugzeug abgestürzt.

CHILE
Ein Gericht hat den chilenischen Staat zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 185 Millionen chilenischen Pesos (cirka 240.000 Euro) verurteilt. Diese geht an die Familie des 1974 während der Diktatur Pinochets (1973-1990) entführten und seitdem verschwundenen Anselmo Radrigán.

KOLUMBIEN
Die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla-Organisation Farc gehen in die entscheidende und wohl auch sensibelste Phase. In der kubanischen Hauptstadt Havanna beginnt in dieser Woche die nächste Verhandlungsrunde zwischen den beiden offiziellen Delegationen und endlich finden auch die Opfer des jahrzehntelangen Konfliktes Gehör.

Der vergangene Woche für seine zweite Amtszeit vereidigte Präsident Kolumbiens, Juan Manuel Santos, hat am Montag, 11. August 2014, seine neue “Regierung für den Frieden– präsentiert.

Bei einem Ende letzter Woche beendeten Streik von Bananenpflückern und Bauern in der kolumbianischen Plantagenregion Urabá im Departamento Antioquia ist Medienangaben zufolge ein Mann im Alter von 33 Jahren durch Polizeikugeln ums Leben gekommen. Bei der gewaltsamen Räumung durch Sicherheitskräfte einer Straßenblockade in Richtung der Großstadt Medellín waren mindestens 24 Demonstranten verletzt worden sein.

KUBA
Am Mittwoch beging Fidel Castro seinen 88. Geburtstag. Am Vorabend des Jubiläums eröffnete in Berlin die Ausstellung “Fidel ist Fidel– mit Fotografien von Roberto Chile in Berlin seine Türen.
Eine identischen Ausstellung wurde am José-Martí-Denkmal in Havanna eröffnet.
»Fidel es Fidel«, bis 12. September, Galerie Art Stalker, Kaiser-Friedrich-Str. 67, 10627 Berlin, Eintritt frei

Eine Woche nach ihrer Enthüllung hat die jüngste Subversionsaktion der US-Entwicklungsbehörde USAID gegen Kuba in den USA selbst und international eine Welle der Kritik ausgelöst. Wie die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) am Montag letzter Woche aufdeckte, hat die US-Behörde seit 2009 in Venezuela, Costa Rica und Peru Jugendliche angeworben und sie in geheimen Missionen für einen Sold von 5,41 Dollar pro Stunde auf die sozialistische Karibikinsel geschickt, um dort eine Jugendopposition aufzubauen und Aufstände anzuzetteln.

MEXIKO
Nach vorläufigen Angaben der mexikanischen Statistikbehörde INEGI sind im vergangenen Jahr fast 23.000 Menschen eines gewaltsamen Todes im Land gestorben. Das sind durchschnittlich 62 Morde pro Tag. Gegenüber dem Jahr 2012 bedeutet dies einen Rückgang von 12,45 Prozent, aber immer noch eine äußerst hohe Mordrate von 19 Personen pro 100.000 EinwohnerInnen.

PANAMA
Vor 100 Jahren wurde der Panamakanal eröffnet. Die Vorgänge bei dessen Bau und die Rolle der USA sind ein Lehrstück imperialistischer Politik.

VENEZUELA
Venezuela setzt im Kampf gegen den grassierenden Benzin- und Warenschmuggel nach Kolumbien testweise auf die Hilfe seiner Armee. Für ein einmonatiges Pilotprojekt seien 17000 Soldaten mobilisiert worden, um die 2200 Kilometer lange Grenze zum Nachbarland zu überwachen.

Ein Gemeinschaftsprojekt von Einfach Übel und redblog, Ausgabe vom 15. August 2014

Kurdistan: Keine Kriegsunterstützung! Hart bleiben....

Man erinnert sich noch an den Lybien-Krieg. Die Greuelmeldungen flogen so schnell wie jetzt die aus Kurdistan. Nur einer blieb hart: der sonst durch nichts Rühmenswertes bekannte Graf Lambsdorf. Heute, nur wenige Jahre später, wollte wohl mancher ihm damals nachgefolgt sein. Angesichts eines nicht nur zerfallenden Staates,sondern einer Ansammlung von erbittert sich bekämpfender Clans. Alle samt und sonders bewaffnet mit den damals von diversen Nato-Ländern gelieferten Utensilien.

So entsetzlich die Bilder der flüchtenden Jeziden sind - so ungeheuerlich die per "Völkermord" hinzugefügten Interpretationen sein mögen - wer ist auch nur in der Nähe von Versicherungen, wo die gelieferten Waffen in Wochen oder Monaten sich vorfinden. Mag ein Obama kurz vor den Wahlen auf einmal sein reines Herz entdecken. Ein weniger gutherziger Ratgeber mag ihn vielleicht darauf hinweisen, woher die gegenwärtigen Waffen der Krieger des "Islamischen Staates" stammen. Nämlich aus den reichen Lagern,die eben die Amerikaner angefüllt haben,um sie jetzt den Truppen des Kalifats zu überlassen. Spricht irgendetwas dafür, dass die neu gelieferten Waffen nicht über kurz oder lang genau an derselben Adresse landen werden?

Um aufs Nähere einzugehen, wären vor allem die Meldungen von Ulla Jelpke (MdB) zu berücksichtigen, wie sie aus den Kurdengebieten berichtet. Sie äußert sich zu den kurdischen Militärs - Peshmergas - kaum weniger freundlich als zu den übrigen Mörderbanden, die derzeit das Land durchziehen. Während in der BRD undifferenziert gefordert wird, ganz Kurdistan zu unterstützen, ohne jede konkrete Ahnung über die lokalen Verhältnisse, nennt Frau Jelpke nur die Guerilla-Einheiten einzelner Gebiete, auf die man sich verlassen könne zur Bergung der Jeziden. Diese selbst sind kaum zu unterstützen.

So traurig es ist. Die Maxime des Augenblicks muß lauten: Widerstehe dem Mitleid! Die unangebracht weichen Herzen sind heute die größte Gefahr.

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LATEINAMERIKA
Tausende Kinder fliehen vor Armut, Hunger und Gewalt aus Mittelamerika in die USA. Eine Fotoreportage von Eduardo Verdugo/AP

ARGENTINIEN
Nach gescheiterten Verhandlungen mit den sogenannten Geierfonds zur argentinischen Schuldentilgung hat Cristina Fernández de Kirchner, Präsidentin des südamerikanischen Landes, die Gläubiger scharf angegriffen und ihr Vorgehen als »Gewalt« bezeichnet.

Argentinien fordert Ermittlung wegen Insiderhandels und fordert US-Behörde zur Kooperation auf. Wurden interne Informationen für umstrittenes Geschäft genutzt? Debatte um Liquidität dauert an.

Am gestrigen Dienstag ist nach 36 Jahren der von Militärs geraubte Enkel der Präsidentin der Vereinigung der Großmütter vom Plaza de Mayo, Estela de Carlotto, mittels eines DNA-Tests wiedergefunden wurden.

BOLIVIEN
Solaranlagen für die Warmwassererzeugung werden in Bolivien bereits vom Staat bezuschusst. Bald soll ein progressives Energiegesetz die Nutzung von Sonne, Wind und Co fördern.

KOLUMBIEN
Die kolumbianische Regierung und die Europäische Union (EU) haben ein Abkommen geschlossen, durch das Militärs des südamerikanischen Land an sogenannten Krisenmanagement-Operationen der EU in Drittländern teilnehmen können.

Mit 52 zu 30 Stimmen hat der kolumbianische Senat gegen eine Debatte über die Verbindungen zum Paramilitarismus und Drogenhandel gestimmt, die dem Ex-Präsidenten und aktuellen Senator Álvaro Uribe seit Jahren vorgeworfen werden. Die Aussprache hatte der linke Senator der Partei Polo Democrático PDA, Iván Cepeda, kurz nach der Aufnahme der Arbeit durch den neugewählten Kongress vorgeschlagen. Dies sei das erste Mal, dass der Kongress ein Veto gegen eine von einem Senator vorgeschlagene Debatte einlegt, sagte der Parlamentsabgeordnete der PDA, Jorge Robledo.

KUBA
Es ist kein gutes Jahr für die US-Entwicklungshilfebehörde USAID. Wie nun bekannt wurde soll sie junge Lateinamerikaner nach Kuba geschickt haben, um Dissens gegen die kubanische Regierung zu schüren. Erst vor wenigen Monaten war ein heimlich betriebener Kurznachrichtendienst bekannt geworden, mit dem ein “revolutionärer Wandel– auf der Insel angestoßen werden sollte.

VENEZUELA
Mit gut 30 Resolutionen haben die Delegierten beim Parteitag der sozialistischen Partei in Venezuela die Weichen für die Zeit nach dem 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez gestellt. Die Wirtschaftsprobleme des Erdölstaates und die ideologische Ausrichtung der Bolivarischen Revolution –“ wie der Reformprozess in Venezuela heißt –“ standen im Zentrum der sechstägigen Beratungen. Zwar war in den Beschlüssen vieles unklar formuliert, der Wille nach Veränderungen im ökonomischen Gefüge des Landes wurde aber deutlich. So plädierte eine Mehrzahl der 900 Delegierten für eine Erhöhung der in Venezuela stark subventionierten Benzinpreise –“ bislang ein Tabuthema.

Ein Gemeinschaftsprojekt von Einfach Übel und redblog, Ausgabe vom 8. August 2014

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