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RAF-Ausstellung: Notwendige Korrekturen Teil 3

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Quelle: WikiPedia
Von Karl Marx stammt die These, dass sich Geschichte zweimal ereigne: Einmal als Tragödie und einmal als Farce. Auch in der Geschichte des Hanns-Martin Schleyer gibt es solche Doppelungen:

Auch Schleyer war Mitglied einer kriminellen Vereinigung. Die SS wurde am 1.Oktober 1946 zur kriminellen Vereinigung erklärt. Mitgliedschaft wurde mit „automatischem Arrest“ geahndet. Dort fand sich Schleyer nach Kriegsende auch wieder. Die kriminelle Vereinigung RAF nimmt sich gegen Schleyers Verein allerdings eher wie eine Kinderkrabbelgruppe aus.

Bernt Engelmann (damals Vorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller, antifaschistischer Widerstandskämpfer und Überlebender der Vernichtungslager) erklärte 1977 dazu: „Als aktive Terroristen standen uns damals die Angehörigen einer kriminellen Vereinigung gegenüber. Verblüffenderweise sitzen heute von den ehemaligen Führern dieser Terroristengruppe –“ ich muss wohl sagen: - bande –“ nur wenige hinter Gittern, etliche im Bundestag, und zwar just bei jener Fraktion, die jetzt die schlimmsten Verleumder und Scharfmacher stellt, ja, wo einige Herren den Terrorismus am liebsten mit staatlichem Terror beantworten möchten.“

Ebenfalls findet in der Geschichte des Hanns-Martin Schleyer das Verbrechen der Geiselnahme eine Doppelung. 1945 ist er Täter.

Prag, 5. Mai 1945, Aufstand gegen die Nazi-Besatzungsmacht. Im Schulgebäude des 4. Bezirks hat sich eine SS-Einheit verschanzt, die zwanzig Geiseln, Beschäftigte der Firma Janeceln, in ihrer Gewalt hat. Die tschechischen Aufständischen verhandeln mit dem SS-Kommandanten über die Freilassung der Geiseln. Dieser verlangt dafür im Gegenzug, dass seine Frau und sein Kind herbeigebracht werden sollen. Um Mitternacht wird die Frau, die ein kleines Kind auf dem Arm trägt, mit einem Auto zu dem Schulgebäude gebracht und gegen die Geiseln ausgetauscht. Die Aufständischen ziehen sich zurück. Einen Tag später richtet die SS in unmittelbarer Nähe des Schulgebäudes ein Massaker unter der Zivilbevölkerung an: Im Keller des Hauses 253 und im Garten des Hauses 254 werden 41 Menschen erschossen aufgefunden: unbewaffnete ältere Männer, Frauen und Kinder.

Am 8. Mai 1945, dem Tag der deutschen Kapitulation, bringt eine SS-Einheit Geiseln aus der Prager Zivilbevölkerung in ihre Gewalt, setzt sich aus Prag ab und erreicht abends die amerikanischen Linien, wo sie sich gefangen nehmen läßt.

Der Führer dieser SS-Einheit wird als gedrungener, breitgesichtiger Mann mit dicken Lippen und Mensurnarben auf der Wange beschrieben, dessen Namen auf „Meier oder so ähnlich“ endet. Der einzige SS - Führer in Prag, auf den diese Beschreibung passen könnte, ist Hanns-Martin Schleyer. Er ist zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt, seine Frau hatte ihm am 1. November 1944 einen Sohn geboren.

33 Jahre später ist er Opfer.

Köln, 5. September 1977. Ein 450er Mercedes fährt gegen 17.25 Uhr die Friedrich-Schmidt- Straße entlang. In dem Wagen sitzen der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Hanns-Martin Schleyer, und sein Fahrer Heinz Marcisz. In einem zivilen Polizeifahrzeug folgen die Personenschützer Reinhold Brändle, Roland Pieter und Helmut Ulmer. Ein blauer Kinderwagen, der auf der Straße steht, zwingt Marcisz zu einer Vollbremsung. In diesem Moment eröffnen fünf Maskierte das Feuer. Alle außer Schleyer sterben im Kugelhagel. Schleyer wird aus dem Auto gezogen und in einen VW-Bus geschleppt. Er wird Geisel des RAF-Kommandos Siegfried Hausner.

Der Staat antwortet mit einer Gegengeiselnahme. Über alle Gefangenen, die nach § 129a angeklagt oder verurteilt sind, wird eine „Kontaktsperre“ verhängt, d.h. sie werden untereinander und von jedem Kontakt mit der Außenwelt vollständig isoliert.

Darunter fällt auch der Kontakt mit den Verteidigern. So finden z.B. mündliche Haftprüfungstermine ohne Verteidiger statt, bei der Verkündung des Haftbefehls hat der Rechtsanwalt kein Recht auf Anwesenheit, Vernehmungen und Ermittlungsverhandlungen werden nur durchgeführt, wenn der Rechtsanwalt auf seine Anwesenheit verzichtet. Für dieses Vorgehen gibt es keinerlei gesetzliche Grundla ge, auch wenn die Justizminister sich auf Paragraph 34 StGB , der einen übergesetzlichen rechtfertigenden Notstand vorsieht, berufen. Paragraph 34 StGB ist jedoch eine Ergänzung der reformierten Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Er war zum Zeitpunkt der Kontaktsperre nicht zur Legitimation staatlichen Handelns gedacht.

Und so wird innerhalb von drei Tagen das bis dahin am schnellsten verabschiedete Gesetz in der Geschichte der BRD installiert: das Kontaktsperregesetz (Ähnlich schnell wurde in jüngster Vergangenheit nur die Bankenrettung durch das Parlament gepeitscht).

Sowohl die Kontaktsperre wie auch in der Folge eine Nachrichtensperre über die Ereignisse um die Schleyer Entführung werden von einem Großen Krisenstab in Bonn angeordnet. Eine solche Einrichtung ist in der Verfassung, auch in der Notstandsgesetzgebung, nicht vorgesehen. Die Gewaltenteilung wird aufgehoben, das Parlament hat keinerlei Kontrolle über die Aktivitäten des Krisenstabs.

Am 17.10.1977 sagt der Publizist Golo Mann in der ARD-Sendung „Panorama“: “Der Moment kann kommen, in dem man jene wegen Mordes verurteilten Terroristen, die man in sicherem Gewahrsam hat, in Geiseln wird verwandeln müssen, indem man sie den Gesetzen des Friedens entzieht und unter Kriegsrecht stellt.“

Nachtrag:
Nach der Ermordung Hanns-Martin Schleyers wurde er von vielen Politikern als „Vorbild für die deutsche Jugend“ angepriesen. Die größte Veranstaltungshalle Stuttgarts trägt immer noch seinen Namen.

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