Skip to content

Kleine Rechenaufgabe


Erich Kästner 1961
Foto: von Basch
Lizenz: [CC BY-SA 3.0 nl]
Die Zeitlosigkeit der Gedichte des heute leider meist als Kinderbuchautoren wahrgenommenen Erich Kästner ist unglaublich. Wir hatten darauf ja schon in "Das Führerproblem, genetisch betrachtet", Der Zweck und die Mittel und anderen Texten Kästners hingewiesen. Heute:

Kleine Rechenaufgabe

Allein ging jedem Alles schief.
Da packte sie die Wut.
Sie bildeten ein Kollektiv
und glaubten, nun sei–˜s gut.
Sie blinzelten mit viel Geduld
der Zukunft ins Gesicht.
Es blieb, wie–˜s war. Was war dran schuld?
Die Rechnung stimmte nicht.
Addiert die Null zehntausend Mal!
Rechnet–˜s nur gründlich aus!
Multipliziert–˜s mit jeder Zahl!
Steht Kopf! Es bleibt euch keine Wahl:
Zum Schluß kommt Null heraus.

Über den Bergen


Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964
Foto: Jeremy J. Shapiro
Lizenz: CC BY-SA 3.0
Vollkommener als jedes Märchen drückt Schneewittchen die Wehmut aus. Ihr reines Bild ist die Königin, die durchs Fenster in den Schnee blickt und ihre Tochter sich wünscht nach der leblos lebendigen Schönheit der Flocken, der schwarzen Trauer des Fensterrahmens, dem Stich des Verblutens; und dann bei der Geburt stirbt. Davon aber nimmt auch das gute Ende nichts hinweg. Wie die Gewährung Tod heißt, bleibt die Rettung Schein. Denn die tiefere Wahrnehmung glaubt nicht, daß die erweckt ward, die gleich einer Schlafenden im gläsernen Sarg liegt. Ist nicht der giftige Apfelgrütz, der von der Erschütterung der Reise ihr aus dem Hals fährt, viel eher als ein Mittel des Mordes der Rest des versäumten, verbannten Lebens, von dem sie nun erst wahrhaft genest, da keine trügenden Botinnen sie mehr locken? Und wie hinfällig klingt nicht das Glück: »Da war ihm Schneewittchen gut und ging mit ihm.« Wie wird es nicht widerrufen von dem bösen Triumph über die Bosheit. So sagt uns eine Stimme, wenn wir auf Rettung hoffen, daß Hoffnung vergeblich sei, und doch ist es sie, die ohnmächtige, allein, die überhaupt uns erlaubt, einen Atemzug zu tun. Alle Kontemplation vermag nicht mehr, als die Zweideutigkeit der Wehmut in immer neuen Figuren und Ansätzen geduldig nachzuzeichnen. Die Wahrheit ist nicht zu scheiden von dem Wahn, daß aus den Figuren des Scheins einmal doch, scheinlos, die Rettung hervortrete.

Theodor W. Adorno - Minima Moralia

50. Todestag von Theodor W. Adorno *11.9.1903 - 6.8.1969


Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964
Foto: Jeremy J. Shapiro
Lizenz: CC BY-SA 3.0


Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.

Man muss altern, damit die Kindheit, & die Träume, die sie hinterließ, sich verwirklichen, zu spät.

Leben, das Sinn hätte, fragte nicht danach.

Theodor W. Adorno, Herbst 1944, Minima Moralia

cronjob