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Bundestagswahlkrampf Teil 4. Heute: Die "Grünen"

Das Rad brauche ich nicht neu zu erfinden. Das hat Jutta Ditfurth schon getan. Und zwar gründlich. Viel mehr muss über die Grünen auch nicht gesagt werden.

“Die letzte Schlacht gewinnen wir–

Schön: in Berlin demonstrierten am Samstag, dem 5. September rund 50.000 Menschen gegen Atomanlagen. Ein Meer von bunten Fahnen, Parolen, Musik. Etwas latschig vielleicht, aber anderswo war ja auch was los (z.B. Naziaufmarsch in Dortmund). Alte KämpferInnen mit Ton Steine Scherbens »Die letzte Schlacht gewinnen wir« und Musik von Kraftwerk; dazu junge Anti-AKW-GegnerInnen mit Elektro Hip Hop –“ Jahrzehnte übergreifende Qualität.

Eine Bewegung mit Wurzeln in Whyl, Brokdorf, Grohnde, Malville, Kalkar und Gorleben (1974-1979), militante und phantasievolle Ursprünge. Die Anti-AKW-Bewegung der 1970er Jahre wurde zur erfolgreichsten Massenbewegung seit 1945 und verhinderte –“ ohne auch nur einen einzigen Parlamentarier an ihrer Seite –“, mehr als 70 von über 90 in der Bundesrepublik geplanten Atomkraftwerken. Sie kämpfte unabhängig von Staat und Kapital. Das Atomkapital wurde international in die Defensive gedrängt. In einigen Ländern wurde die Stilllegung der AKWs durchgesetzt; anderswo wurde der Ausbau begrenzt oder zeitweise gestoppt.

Nervig: Mit am Samstag in Berlin dabei auch wahlwerbende PolitikerInnen der Grünen. Sie hoffen auf ein kurzes Gedächtnis ihrer WählerInnen. Aber es gibt im Bundestag keine einzige Partei, die eine Regierungsbeteiligung aufs Spiel setzen würde, um wenigstens eine Atomanlage stillzulegen. Auch die Grünen nicht, im Gegenteil.

Wir AtomkraftgegnerInnen hatten (außer Repressionen und Betrug) nie etwas von staatstragenden Parteien zu erwarten, nicht von der SPD/FDP-Bundesregierung (1970er Jahre), CDU/FDP-Staat (1980- und 1990er) und rein gar nichts von der SPD/Grüne-Bundesregierung (1998–“2005). Auch die Linkspartei hat als Regierungspartei in Mecklenburg-Vorpommern die Atomfusion finanziert. Am verlogensten aber sind die Grünen.

Ihre WählerInnen wollen betrogen werden, daher pflegen die Grünen die Attitüde: –šWir sind irgendwie gegen Atomanlagen–™. Jedenfalls solange pöstchenmässig nichts davon abhängt. Die SPD/Grüne-Bundesregierung bastelte im April 2002 einen »Energiekonsens«. Taktische Absicht war es, den Druck des Anti-AKW-Widerstands zu spalten und zu befrieden, indem man AtomgegnerInnen vormachte: jetzt wird was getan. Wer liest schon Verträge, Kleingedrucktes, Regierungsvereinbarungen?

Dieser rosa-grüne »Energiekonsens« –“ tatsächlich ein Pro-Atomkonsens –“ enthielt so viele sperrangelweite Hintertore, dass das Atomkapital, allem Gejammere zum Trotz, seither alte Nuklearanlagen weiter in Betrieb halten, sogar neue Reaktortypen vorbereiten und bis heute ein Atomprogramm aufrechterhalten konnte, das auf seine nächste Stufe zusteuert, die Atomfusion, deren dramatische Gefahren bis heute verheimlicht und verharmlost werden.

Auch die Grünen (und die SPD) unterstützten die Genehmigung für den Atomforschungsreaktor München II (FRM II in Garching). Er nahm im Juni 2004 seinen Betrieb auf und arbeitet mit waffentauglichem, hochangereichertem Uran. Ein Atomfusionskraftwerk (AFKW) gibt im Normalbetrieb tausendmal mehr Radioaktivität ab als ein AKW (Atomspaltungskraftwerk) und produziert fünf mal so viel radioaktiven Abfall wie ein heutiges AKW–“ darunter der radioaktive Betastrahler Tritium (überschwerer Wasserstoff). Als Gas diffundiert es durch fast alle Materialien. Tritium-Wasser ist chemisch von normalem Wasser nicht zu unterscheiden. Tritium wird deshalb vom menschlichen Körper aufgenommen und kann in jede Zelle eingebaut werden. Der Stoff ist krebserregend und genverändernd.

Der rosa-grünliche Pro-Atomkonsens von 2002 erlaubte, das Atomprogramm auszubauen und Atomkraftwerken Betriebslaufzeiten zu verlängern, wovon das Atomkapital nicht mehr zu träumen gewagt hatte. SPD und Grüne genehmigten auch Atommüllzwischenlager an AKW-Standorten sowie Atomtransporte. Die Grünen trugen als Regierungspartei in Nordrhein-Westfalen (1995-2005) den Ausbau und den Betrieb der Atomanlagen in Ahaus, Jülich und Gronau mit. Eine rot-grüne Landesregierung prügelte mit ihrem grünen Polizeipräsidenten 1998 einen Castor-Transport in das Atommülllager in Ahaus.

In Kooperation mit Frankreich hat die SPD/Grüne-Bundesregierung 1993 den Bau des Europäische Druckwasserreaktor (EPR) auf den Weg gebracht. Der frühere Außen- und Jugoslawienkriegsminister Joseph Fischer (Grüne), heute ein missgelaunter Villenbewohner in Berlin-Dahlem, hat 2003 zugestimmt, dass die Förderung und Nutzung der Atomenergie in EU-Europa Verfassungsrang erhielt.

Auch einige Gewerkschaften, die in ihrer Mehrheit den Atomparteien nahestehen, mobilisierten jetzt nach Berlin. Schon vergessen? Im Oktober 2005 forderten die Gewerkschaften Ver.di und IG BCE (Bergbau, Chemie, Energie) gemeinsam mit den vier Energiekonzernen Eon, Vattenfall, RWE und EnBWvon der neu gewählten CDU/CSU/SPD-Bundesregierung die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken.

Die Anti-AKW-Bewegung hat in 35 Jahren immer wieder nachgewiesen, dass Atomenergie mörderisch, überflüssig und zu teuer ist und sofort ersetzt werden kann, durch dezentrale, erneuerbare Energien (Sonne, Wind, Wasser) und durch technische Veränderungen (Produktion, Architektur usw.). Auch die Propaganda, die mörderische Atomtechnologie sei ein geeignetes Mittel gegen die Klimaveränderung, ist seit langem endgültig widerlegt.

Der »Kreislauf« der Atomproduktion (Uranabbau, Urananreicherung, Atomkraftwerken, Wiederaufbereitungsanlagen, Atomtransporten, Atommüll) ist ein Klimakiller erster Klasse. Atomanlagen verseuchen die Natur und zerstören Menschen. Atomanlagen zerstören das menschliche Immunsystem, erzeugen Krebs und sie töten schon im störfallfreien Normalbetrieb durch radioaktive Niedrigstrahlung. –“ Und nie zu schweigen davon: es gibt keine Trennung zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomenergie, wer Atomkraftwerke betreibt, kann auch Atombomben bauen.

Grüne wählen? Unter der Schröder/Fischer-Bundesregierung prügelten zehntausende von Polizisten die Castor-Transporte durchs Wendland. Grüne Politiker wurden damals von den AtomgegnerInnen aus ihren Demonstrationen geworfen! Zu Recht. Warum durften sie sich im letzten Jahr wieder einschleichen? Weil man alle fünf Jahre erneut betrogen werden möchte? Auch das »kleinere Übel« ist nur ein Übel und oft ein genauso großes. Gibt es materielle Abhängigkeiten einiger Organisationen? Staatsknete? Mandate? Initiativen wie X-tausendmal quer behaupten allen Ernstes: »Wir können an der Seite von rotgrün den ungeliebten Atomkonsens gegen die Laufzeitverlängerungswünsche aus Industrie und CDU/FDP verteidigen«. Man erkennt die Aufgeweichten und Abhängigen ganz gut daran, dass sie die zentrale Positionen der Anti-AKW-Widerstands vermeiden. Sie sagen allenfalls »abschalten«, »aussteigen« aber nie: »Sofortige Stillegung aller Atomanlagen«.

Genau dafür kämpfen wir.

"Die Grünen sind, sofern sie irgendwo mitregieren dürfen, eben nur an der Regierung, nie an der Macht (frei nach Tucholsky)."

Hinweise: Die Geschichte und Kritik der Grünen findet sich in Jutta Ditfurths Buch: Das waren die Grünen, München: Econ Taschenbuchverlag 2000, ISBN 3-548-75027-3, antiquarisch erhältlich.

Der ungekürzte und unveränderte Text darf unter folgenden Auflagen nachgedruckt werden:

1. Direktlink zu: http://blog.prinz.de/wahl09/

2. Direktlink zu:www.jutta-ditfurth.de

Trackbacks

Kommentare aus der AMAZONAS-Box am : mehr Grünsuppe

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Über die "Ditfurth" hab ich mich immer wieder geärgert mit manchen Positionen. Aber der Text über die Grünen ganz aktuell passt mir irgendwie schon. Es ist allerdings ein "Ein-Punkt-Text" zur 5.9.09-Demo, die ganze Militär-und-Kriegs-Kiste kommt leider ga

Kommentare

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der glockenstadtbote alfred lanfer am :

du legst den finger in viele wunden. als unabhängiger linker,
kann ich auch die haltung der
DIE LINKE, nur kritisieren, genau wie du. ich kann deinen
kommentar, deine einschätzung, nur entschieden unterstützen.

ich kann nur hoffen, dass wir
die LETZTE SCHLACHT gewinnen.

Hans am :

Die Grünen. Jeder kennt ihren Namen. Doch was verbirgt sich hinter der wohlklingenden Verpackung?
Ein kurzer dramaturgischer Streifzug durch einen jüngeren Teil der deutschen politischen Landschaft.
*
YouTube-Video: Die Bewegung der Grünen - Des Pudels Kern
*

"Das also war des Pudels Kern!" - J.W. Goethe 'Faust'

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