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Fernsehen lehren


Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964
Foto: Jeremy J. Shapiro
Lizenz: CC BY-SA 3.0

Adorno: „Im Übrigen, Herr Becker, bin ich ganz Ihrer Ansicht, daß man die Zuschauer Fernsehen lehren müßte. [...] [So ist doch] die Frage: wie soll man fernsehen, ohne darauf hereinzufallen, also ohne dem Fernsehen als Ideologie zu verfallen. Mit anderen Worten: der Unterricht, den Sie vorgeschlagen haben im Gespräch über solche Medien, müßte nicht nur darin bestehen, daß man das Richtige auswählen und mit Kategorien sehen lernt, sondern er müßte von vornherein auch die kritischen Fähigkeiten entwickeln; er müßte die Menschen dazu bringen, etwa Ideologien zu durchschauen; er müßte sie vor falschen und problematischen Identifikationen bewahren und er müßte sie vor allem davor bewahren, der allgemeinen Reklame für die Welt zu verfallen, die durch die bloße Form solcher Medien, vor allem Inhalt, schon unmittelbar gegeben ist.

Kadelbach: Darf ich Sie einen Moment unterbrechen, Herr Adorno? Sie haben also einmal davon gesprochen, das Fernsehen könnte selbst eine Ideologie sein, und dann haben Sie das gleiche Worte Ideologie noch einmal gebraucht, nämlich im Zusammenhang mit der Gefahr, einer Ideologie zu verfallen. Vielleicht ist es um der Begriffsklarheit willen ganz gut, wenn Sie uns einmal sagen, was Sie unter >Fernsehen als Ideologie< verstehen?

Adorno: Unter >Fernsehen als Ideologie< verstehe ich zunächst einmal ganz schlicht, was man vor allem an den amerikanischen Fernsehspielen, und es fehlt ja bei uns nicht an ihresgleichen, feststellen kann, daß nämlich falsches Bewußtsein und Verschleierungen der Wirklichkeit den Menschen eingetrichtert werden, und daß, wie man so schön sagt, eine Reihe von Werten als schlechterdings dogmatisch positiv geltend den Menschen aufgeschwatzt werden, während die Bildung, von der wir sprechen, gerade darin bestünde, daß man solche Begriffe, die hier als positiv gesetzt werden, in ihrer Problematik durchdenkt und daß man zu einem selbständigen und autonomen Urteil über sie gelangt. Darüber hinaus aber gibt es noch etwas wie einen formal-ideologischen Charakter des Fernsehens, daß sich nämlich eine Art von Fernsehsüchtigkeit entwickelt, bei der schließlich das Fernsehen, wie andere Massenmedien auch, eigentlich durch seine bloße Existenz zum einzigen Bewußtseinsinhalt wird und durch die Fülle des Angebots die Menschen ablenkt von dem, was eigentlich ihre Sache wäre und was sie eigentlich angeht. Und von diesem zweiten allgemeineren ideologischen Charakter des Fernsehens wären die Menschen, vor aller einzelnen und bestimmten Ideologie, soweit es möglich ist, durch jene Art von Fernsehunterweisung zu impfen [...].“

Theodor W. Adorno: Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959-1969. Hrsg. v. Gerd Kadelbach. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1971. S. 54f.

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