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Der Höllensturz der GRÜNEN! Systemzwang oder Kult des Übermenschen?

Jutta Ditfurth zeichnet in genauester Aufzifferung die Entwicklung der Grünen vom Bosnienkrieg an nach. Sie eröffnet damit die Möglichkeit, nach den tieferen Gründen des Absturzes dieser Partei zu fragen.

Jutta Ditfurth hat einen großen Vorzug: Sie hat alles selbst miterlebt. Sie war schon bei den Bewegungen dabei, aus denen die Grünen erst erwuchsen. Umso tiefer sitzt verständlicherweise in ihr der Ingrimm, nachdem sie nach dreißig Jahren entdecken muss, was sich aus den Anfängen heraus entwickelt hat. Das Buch bedarf vielleicht eines Vorspanns für diejenigen, die all das als Geschichte erleben. Mitte und Ende der 1970er Jahre hatte meiner teilnehmenden Erinnerung nach große Mattigkeit die in Parteiansätzen zusammengetretenen Linken erfasst: KBW, KPD-Rote Fahne, Kommunistischer Bund und so weiter. Die Arbeiter der großen Fabriken trabten ungerührt ihren SPD-Bossen nach. Da war von den Ausnahmesituationen der Spontanen Streiks 1969 und 73 nicht viel zu machen. Dagegen häuften sich Auseinandersetzungen außerhalb der Fabrik in ganz Deutschland: Hausbesetzungen, Kampf gegen Ausbau der Atomindustrie, Startbahn West, um nur einiges zu nennen. Hinzu kam das Heraustreten der Arbeit aus den Hallen der Fabrik: Auslagerung, Lohnarbeit in der Form von Dienstleistung, Montageverleih begannen sich auszubreiten. In Zusammenfassung solcher Erfahrungen kam die mehr gefühlte als durchgearbeitete Erkenntnis auf, dass Klassenkampf sich zum großen Teil auch außerhalb der Fabrik abspielt. In der Auseinandersetzung um bezahlbares Wohnen, um Erholungsgebiete nach den Acht-Stunden, um Lebenschancen in einer mehr und mehr zugrunde gerichteten Welt.

Dass all das, was als neues Feld der Ausbeutung sich darbot und unter dem traditionellen Begriff der Natur zusammengefasst wurde, trug schon im Anfang zur Mythologisierung bei. Es gibt kein bewusstes, in sich gesammeltes Wesen namens Natur, das uns anschauen, ja ansprechen könnte. Was es freilich gibt, ist der zunächst unüberschaubare Zusammenhang der Einzeldinge, der Umstände, wie sie aufeinander einwirken. Das ließe sich karger, aber nicht gefühllos als Umgang mit den Ressourcen unserer Produktion und Reproduktion bezeichnen. Die gewählte Begrifflichkeit blieb auf jeden Fall hinter der marxistisch überlieferten an Präzision zurück. „Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“ sollte nach der Formulierung des Gründungskongresses in Karlsruhe 1980 die neue Bewegung sein. Wie Jutta Ditfurth berichtet, wurde das, was in diesen vier Zielworten liegen sollte, nachher leidenschaftlich diskutiert. „Sozial ja, aber nicht sozialistisch“, hieß es bei einigen. „Gewaltfrei“ sollte bedeuten, man verzichte zur Durchsetzung seines Willens auf den Zugriff auf den leidensfähigen Körper des Mitmenschen, auch in Polizeigestalt –“ aber bei manchen auch, man lehne die Lösung eines jeden Problems zwischen Menschen durch die Staatsgewalt ab. Man sieht: Von Anfang an konnten sich Anarchisten mit halbmystischen Naturverehrern zusammentun. Aber nur verbal! Nur durch Herstellung immer größeren sprachlichen Scheins! Dies war der Ansatz aller Spaltungen und Abspaltungen.

Abfall vom Ursprung

Mit schärfster Genauigkeit listet Jutta Ditfurth die kleinen Einzelschritte auf, die in der grünen Bewegung von der Ablehnung der Atomtechnologie hin zum sogenannten Atomkompromiss in der Schröder-Regierung führten. Ein Kompromiss, der in Wirklichkeit vor der völligen Selbstauslieferung Merkel/Westerwelle das äußerste Zugeständnis an die vier größten Monopole der Energiewirtschaft Deutschlands darstellte. Das gleiche gilt für die beschleunigte Bewegung weg vom Pazifismus, welche schließlich hin zum Überfall auf Jugoslawien geführt hatte. Wenn auch in diesem Fall Fischers Ehrgeiz die Hauptrolle gespielt haben dürfte, lässt Jutta Ditfurth den kleineren Mithelfern und Mitschreiern nichts nach. Etwa dem markigen Kriegsgegner Volmer, der nach der Erhebung zum Staatssekretär seine Mit-Linken mit einem frisch entdeckten Pan-Serben besonders nervte, dessen Schrift von 1936 (?) angeblich durch alle politischen Umwälzungen hindurch –“ Bürgerkrieg, Tito-Zeit –“ die Unterdrückung aller Fremdvölker gefordert hätte und heute anerkannte Doktrin sei. Volmer und das Buch sind heute mit Recht vergessener als eine Scherbe der Gräber um Troja. Sie haben ihre Wirkung getan –“ die Völker Jugoslawiens gegeneinander gehetzt und auseinander getrieben. Die Wirkung blieb. Die Gründe bleiben vergessen.

In einem ganzen Kapitel („Krieg den Hütten“), wird dann der freudige Beitrag geschildert der Grünen zur gemeinsamen Lohnsenkungspolitik über Hartz IV der Schröder-Fischer-Regierung. Von den Nachfolgern in der Opposition keineswegs widerrufen. Aus den illusionären Anfängen entwickelte sich also etwas, das naturausbeuterisch, antisozial, atomselig auftrat und sich in der Verehrung der Staatsgewalt nicht genug tun konnte, wenn diese nicht gerade die eigenen Leute niederknüppelte.

Woher der Fall?

Es kann kein Zweifel sein, dass Jutta Ditfurth selbst einen Grund für die Gefügigkeit der angeblichen „Basisdemokraten“ gegenüber Fischer in der Tatsache sieht, dass viele jüngere Leute ohne langjährige sonstige Berufsausbildung ins Parlament gelangt waren –“ und sich preisgegeben sahen, wenn sie ihren Posten jetzt verlieren würden.

„Schröder verstand [beim Atomkompromiss, Anm. fg] seinen künftigen grünen Minister und sagte sinngemäß: Wenn er den Kernenergiegegnern deutlich mache, dass der Ausstieg komme, dann rücke die Frage nach dem definitiven Ende in den Hintergrund. Wer etwas werden wollte, verstand die Botschaft. Reihenweise kippten Positionen und Fristen. Die Realos gaben gern damit an: irgendein Restlinker revoltiert? –˜Wir schütten einfach Gold in seinen Rachen, das minimiert den Durchknallfaktor erheblich–™ prahlten sie (...).“ (S. 88)

Hier wird also die Vorstellung von Massenbestechlichkeit als sekundär wirksam angesetzt. Sicher nicht zu Unrecht. Nach dem gleichen Schema hatte Lenin die Arbeiter-Aristokraten entdeckt. Leute, die vom Gesamtkapital in bessere Situationen versetzt worden wären, daraufhin das Bestehende für erhaltenswerter gehalten hätten als alle Veränderungen und damit zum Bleiklotz am Bein der Organisation geworden wären. So einleuchtend und unbestreitbar das ist, kann es zur völligen Erklärung der Umkehr ursprünglich anders gesonnener Bewegungen nicht ausreichen. Einfach, weil es immer gerade unter den Bessergestellten welche gab, die –“ auch mittels verbesserter Kenntnisse –“ die herrschenden Zustände durchschauten und sich gegen sie wandten. Man denke nur an die führende Stellung der Drucker oder der Uhrmacher im neunzehnten Jahrhundert. Hinzugenommen werden muss als weiteres Motiv nach 1977 die zunehmende Ehrfurcht vor den gesetzlichen Regelungen. Keineswegs, weil sie als gerecht angesehen wurden. Einfach deshalb, weil sie bestanden, und weil die Hoffnung nach den nie geklärten Todesfällen in Stammheim geschwunden war, gegen die bewaffneten Durchsetzer des Bestehenden durchzukommen. Cohn-Bendit hat im vielleicht einzigen ehrlichen Bekenntnis seines Lebens zugegeben, dass er im Erlebnis der mörderischen Schlagkraft der französischen CRS vor Malville merkte, dass er auf diesem Weg zu viel riskiere. Der Weg von der Achtung der gesetzlichen Regelung zum Wunsch nach Setzung von eigenen Regeln aus der Regierungsposition darf nicht unterschätzt werden. Die neue gesetzliche Regelung über Partei und vor allem das Gesetzgebungsmonopol des Staates sollte dann als friedenschaffend gelten, wie jetzt gerade die Steinmeiers und ihre grünen Kollegen von damals betonen. Ihr Gesetz war friedenswahrend, das neue Merkels aber wirkt aufrührerisch. Und ist nach Ansicht dieser Theoretiker schon deshalb verwerflich.

Unvermeidlicher Personenkult?

Letzter und tiefster Grund des so tiefen Falls der Grünen ist wahrscheinlich der in uns allen anzutreffende Personenkult. Fischer, der Metzgersohn, ist nicht nur, wie Ditfurth an einer Stelle ausführt, die westliche Variante des Millionärs, der einmal Tellerputzer war. Sondern –“ viel eindringlicher –“ die des jugendlichen „Idealisten“, zu dem die Studienräte uns getrimmt hatten, zum reifen Mann, dem Realo, der jedes Verbrechen sorgfältig prüft, um es gewissenhaft erst dann zu begehen, wenn es sich nicht nur ihm allein, sondern auch der gleichgesinnten Gruppe als nützlich erweist. Nicht aber allen!

Problem dabei: Wir könnten ohne Personenfixierung wahrscheinlich gar nicht bis zum politischen Handeln kommen. Tatsächlich brauchen alle Gruppen, jedenfalls die mir bekannten, die Vormacher, die hochreißen und zugleich beweisen, dass sie, die die Vorschläge machen, zugleich Mut und Kraft haben, sie durchzusetzen. Man erinnere sich nur an die durchschlagende Wucht des Fotos von Dutschke auf dem Titelbild einer SPIEGEL-Ausgabe, wie er die Barrikaden überspringt. Insofern liegt in der Figur desjenigen, der einmal aufgerufen und hochgerissen hat, eine bleibende Gefahr. Man bleibt an ihr hängen und verzichtet im gegebenen Augenblick auf das Widerwort. Ist das einmal geschehen, der gute Augenblick verpasst, scheint es unmöglich doch noch abzuspringen.

Drei denkbare Gründe also, den Willen zum Anderen und zum Ändern unserer Welt erliegen lassen. Erstens Angst ums Fortkommen beim Ausstieg aus dem entgleisenden Zug. Zweitens Gesetzlichkeit, die die frontale Auseinandersetzung scheut und auf dem Weg der Gesetzesbeobachtung selbst zum Ziel kommen will. Und schließlich drittens der Personenkult, der es nicht schafft, auch der verehrten Person auf ihre Unehre, ihre unvermeidlichen Grenzen zu kommen.

Gibt es eine Chance, unterwegs nicht zu fallen und zu verfallen?

Wenn das so ist, verlieren Ditfurths mitgedachte Vorwürfe gegen den Weg der Grünen nicht ihr Gewicht. Cohn-Bendits gegenwärtiges Rotzen gegen seine lasch gewordenen Genossen, die den Krieg gegen den libyschen Staatschef scheuen, zeigen, wie verworfen und klebrig heute einer wirkt, der doch einmal unbestreitbar gewisse Verdienste hatte. Heißt aber das Ergebnis dann nicht mit Notwendigkeit: Jede geschichtliche auf Revolution ausgerichtete Bewegung verfällt nach gewisser Zeit zum schleimenden Reformismus? Meist, aber nicht zwingend dem fortschreitenden Alter der Akteure folgend. Auch die im Verborgenen arbeitenden und die aus den KZs befreiten SPDler hatten 1945 sicher anderes im Sinn als eine polierte Küchengarnitur namens Godesberger Programm!

Dem vorher Gesagten entsprechend müsste eine Organisation, die den revolutionären Willen in sich selbst aufrecht erhalten wollte, drei schwer zu Ende zu denkende Aufgaben anpacken:
1. Wie Jutta Ditfurth es für den Anfang der Bewegung richtig beschreibt, müsste das Besoldungsprinzip des Rätesystems brutal durchgesetzt werden. Bekommt jeder ohnedies nur einen Facharbeiterlohn, muss am Sessel nicht so kleben geblieben werden. Die drohende Arbeitslosigkeit für missliebige Ex-Politiker muss freilich weggedacht werden.
2. Es müssen Möglichkeiten gefunden werden, ehemals erkämpfte gesetzliche Möglichkeiten nicht aufzugeben, aber zugleich Formen zu entwickeln, in denen die Satzungen der bürgerlichen Gerichte nur die zweite oder dritte Rolle spielen. Der Vorschlag Inge Vietts der Herausbildung einer dem Staat unbekannten und unerkennbaren Organisation im Rahmen der Luxemburg-Veranstaltung der Jungen Welt wurde zu wenig beachtet, meiner Kenntnis nach gar nicht diskutiert. In der vorgetragenen Form halte ich ihn für unvollziehbar. Es müssen aber Formen verdeckter Arbeit überlegt werden können.
3. Das Schwerste: Die ehemals notwendigen Anführer müssen aus dem Herzen gerissen werden, ohne ihr Andenken zu vernichten. Und wären es Lenin oder Mao Zedong –“ sie werden aus einer Antriebskraft zu Hemmung und Ballast, wenn wir nicht über sie hinaus und ohne sie weiterlaufen können als sie es schafften. Jutta Ditfurth selbst hat wie wenige widerstanden. Sich dem Sog widersetzt. Also muss es möglich sein. Aber wie?

Jutta Ditfurth 2011: "Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen"
2. Auflage. Rotbuch Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-86789-125-7. 288 Seiten. 14.95 Euro.

Zuerst veröffentlicht bei kritisch-lesen.de

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