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Oury Jalloh - Selbstanzündung ausgeschlossen

Seit Januar läuft das Revisionsverfahren im Fall Oury Jalloh gegen Andreas Schubert vor dem Magdeburger Landgericht. Der damalige Dienstgruppenleiter hat sich erneut wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu verantworten. Nachdem der Prozess anfangs nur schleppend in Gang kam und sich viele der bisher geladenen Zeugen nicht richtig erinnern konnten oder wollten, kam es in den vergangenen Verhandlungstagen zu einer überraschenden Wende.

Der Polizeibeamte Torsten Bock hatte ausgesagte, dass er den beiden Polizisten Hans-Ulrich März und Udo Scheibe am 07.01.2005 um die Mittagszeit herum in der Zelle 5 noch einmal begegnet ist. In dieser Zelle war der an Händen und Füssen gefesselte und auf einer Matratze fixierte Oury Jalloh nur kurze Zeit später bis zur Unkenntlichkeit verbrannt aufgefunden worden.

Die Aussage des Zeugen Bock steht damit in krassem Widerspruch zu den Erklärungen der Beamten März und Scheibe. Beide hatten behauptet, sie seien, nachdem sie den jungen Mann aus Sierra Leone morgens gegen 9:00 Uhr in die Zelle verbracht und ihn an den entsprechenden Halterungen gefesselt hatten, nicht mehr im Gewahrsamsbereich gewesen. Auf die Frage der Richterin, was die beiden denn dort gegen Mittag gemacht haben, erklärte Torsten Bock, dass die Kollegen Oury Jalloh seiner Meinung nach noch einmal durchsucht hätten. Bock hatte daraufhin Hans-Ulrich März gefragt, ob er ihn zum Mittagessen begleiten wolle. März hatte geantwortet, er habe noch zu tun. Als der Polizist Bock vom Essen aus der Kantine zurückkam brannte es bereits. Scheibe und März habe er in der Kantine nicht gesehen, führte Bock weiter aus.

Nachdem das Gericht den Zeugen darüber informiert hatte, dass seine Aussage mit denen von März und Scheibe unvereinbar ist, bemühte dieser sich, das Gesagte zu revidieren. Unterstützt wurde er dabei vom Oberstaatsanwalt Christian Preissner, der auch schon im ersten Prozess in Dessau die Hauptanklage geführt hatte. Mit Worten wie „Ist ja lange her, da können sich Erinnerungen ändern“, versuchte Preissner wie gewohnt eine wichtige Zeugenaussage zu entkräften.

Ein derartiges Verhalten seitens der Staatsanwaltschaft konnte im bisherigen Verlauf des Prozesses dauerhaft beobachtet werden. Wann immer die Zeugenaussagen auch nur im Ansatz von den bisherigen Erkenntnissen der Ereignisse abwichen oder die staatsanwaltschaftliche „Unglückstheorie“ nicht bestätigten, versuchte Preissner die entsprechenden Polizeibeamten wieder auf den „richtigen“ Weg zu bringen. Dabei erweckten seine Fragestellungen und Äußerungen den Eindruck, als wäre er an einer Aufklärung der Todesursache von Oury Jalloh nicht interessiert und steuert dieser sogar vehement entgegen.

Der Oberstaatsanwalt vertritt auch im Revisionsverfahren keinesfalls den Standpunkt, dass Oury Jalloh in der Zelle 5 ermordet wurde. Stattdessen spricht er im Zusammenhang mit dem Tod des jungen Mannes aus Sierra Leone unbeirrt von einem „Unglück“. Damit impliziert er den Prozessbeteiligten, dass die Geschehnisse am 07.01.2005 im Dessauer Polizeirevier eine Art „Unfall“ gewesen seien. Seiner Ansicht nach hat Oury Jalloh die feuerfeste Matratze, auf der er lag, selbst angezündet, um die Beamte_innen dazu zu bewegen, ihn von den Hand- und Fußfesseln zu befreien. Dabei habe der Gefangene wohl nicht damit gerechnet, dass die Polizist_innen nicht schnell genug reagieren und erst eintreffen würden, als er bereits an einem Hitzeschock gestorben war. Dieser Umstand stellt in den Augen von Christian Preissner das vermeidliche „Unglück“ dar.

Die Hypothese des Oberstaatsanwaltes ist allerdings genauso haltlos wie alle anderen Theorien, die davon ausgehen, dass Oury Jalloh sich, aus welchem Grund auch immer, allein entzündet hat. Abgesehen davon, dass er nachweislich kein Feuerzeug bei sich hatte und die Matratze auf der er lag keine offensichtlichen Beschädigungen aufwies, fehlt der wohl wichtigste Beweis, der für eine Selbstentzündung, mit dem Ziel, auf sich Aufmerksam zu machen, sprechen würde: Oury Jalloh hat nicht geschrien!

Das bestätigte auch die Zeugin Anette Freund. Diese hatte am 07.01.2005 den ganzen Vormittag an der Hauswache gesessen. Sie erklärte, dass man gelegentlich Leute aus dem Gewahrsamsbereich schreien hören konnte. Oury Jalloh hingegen habe sie an diesem Tag gar nicht gehört.

Aus dem zweiten Obduktionsbericht, den die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh in Auftrag gegeben hatte, geht hervor, dass Oury Jallohs Nase gebrochen war. Auch befanden sich nur sehr geringe Kohlenpigmenteinlagerungen in seinen Atmungsorganen, was auf eine sehr schwache Atmung zum Zeitpunkt des Todes schließen lässt. Was war in der Zelle 5 also wirklich geschehen? Warum war Oury
Jalloh nicht mehr in der Lage um sein Leben zu schreien? Haben die gleichen Beamten, die ihm die Nase gebrochen haben, ihn später auch angezündet?

Die Aussage des Zeugen Torsten Bocks spielt eine bedeutende Rolle für die Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh. Sie gibt eindeutige Anhaltspunkte dafür, dass der im ersten Prozess ebenfalls Angeklagte Hans-Ulrich März und dessen Kollege Udo Scheibe bei ihrer Vernehmung gelogen haben. Ihre bisher verschwiegene und undokumentierte Anwesenheit in der Zelle 5 um die Mittagszeit macht die Selbstmord- oder Unglückstheorie nun auch in den Augen des Magdeburger Landgerichts unwahrscheinlich.

Das Landgericht Magdeburg hat für den 05.05.2011 im Rahmen der Hauptverhandlung im Strafprozess um den Tod von Oury Jalloh eine richterliche Inaugenscheinnahme des Polizeireviers in Dessau angeordnet. Nach Abschluss der Hauptverhandlung wird einem akkreditierten Personenkreis von Journalist_innen die Möglichkeit gegeben die vom Gericht in Augenschein genommenen Räumlichkeiten selbst zu besichtigen, um dann der Öffentlichkeit zu berichten. Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh wird an diesem Tag ab 8:00 Uhr eine Mahnwache vor dem Polizeirevier abhalten und steht für Fragen zum bisherigen Prozessverlauf gern zur Verfügung.

Weiterhin wird es am 19.05.2011 im Anschluss an die Hauptverhandlung eine Demonstration durch Magdeburg geben. Der Treffpunkt ist um 16:00 Uhr vor dem Magdeburger Landgericht.
Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh fordert:

BREAK THE SILENCE! Brecht das Schweigen!
Wir wollen ein faires Verfahren, das Aufklärung des Falles, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Familie bringt!
Ein Ende der Schikanen und Repression gegen alle Aktivist_innen!
Ein Ende der Polizeibrutalität und des Behördenrassismus!


Quelle: Pressemitteilung

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