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Erich FRIED zum neunzigsten Geburtstag

Fried-Zitat auf einem Rest der Berliner Mauer
Lizenz: Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland
Bundesarchiv, B 145 Bild-F088808-0036 / Thurn, Joachim F. / CC-BY-SA
Viel Gekeif schon zu Lebzeiten um Würde und Wert dessen, was Erich Fried zeitlebens hervorgebracht hat. Inzwischen - 23 Jahre nach seinem Tod - besteht man darauf, dass seine Liebesgedichte überdauern werden. Bei den politischen müsse man noch stark nachdenken. Wer tot ist, muss es leiden.

Es fehlen Raum und Zeit, hier ausführlich nachzuweisen, dass die politischen und die Liebesgedichte aus einer Wurzel entspringen: dem Sprachspiel.

Was manche von Frieds Gedichten nahe an die Jandls rückt, ist die Aufmerksamkeit auf das Eigenleben der Wörter. Die Erstfassung des Lautgedichts “Hollald im Nebel– zum Beispiel erfährt eine Korrektur: alle verbliebenen -n- werden auch noch durch -l- ersetzt. Um der Undurchdringlichkeit willen.

Das Lustige erweist sich bei Fried meist als qualvoll: die Sprache, geschaffen im Lauf der Entwicklung, um Menschen zueinanderzubringen, stellt sich als Wand heute zwischen sie. Fried starrt auf den Eigensinn der Wörter, die sowohl den bösen Sinn des Sprechers verraten, wie auch das Nichtgesagte, das sie verhüllen, bei geeigneter Behandlung aber offen legen.

Küchentischgespräch

Zwischen Besteck und Geschirr
Reste von Unterhaltung
Umschreibungen Gähne Geplänkel
geflügelte Worte

Aber sie fliegen nicht
Nichts schwingt sich auf und davon
Der Vogel hüpft fort von mir
und kauert unter dem Ausguß

Wenn ich tot wäre
wollte ich hämmern
an deine
verriegelte Welt

Wenn ich wieder
geboren wäre
dich finden
und zu dir sprechen

Aber ich lebe
und meine Worte reichen
nicht bis zu dir
und fallen unter den Tisch


(Quelle: Erich Fried: "Hundert Gedichte ohne Vaterland" Berlin 1978. © 1978 Verlag Klaus Wagenbach)

Zweifellos ein Liebesgedicht. Wenn auch die erstickten, die ermüdeten, die verstummten Beziehungen noch zur Liebe zählen. Wie bei Eichendorff: Hat mir die Treu gebrochen/ Das Ringlein brach entzwei.

Den “geflügelten Worten– -epea pteroenta- wie sie seit Homer formelhaft heißen, sieht Fried die Verstümmelung an: die Worte am Küchentisch fliegen gerade nicht. Kraftlos fallen sie unter den Tisch.

Dann die ungeheure Anstrengung, aber fiktiv, ganz ohne Macht über den irdischen Widerstand. Die Geschichte von Orpheus und Eurydike ist nicht zu schade, aufgerufen zu werden, der Gang durch die Finsternisse der Unterwelt, um eine Verlorene wiederzugewinnen. Alles eher, als einfach die Hand hinüberzustrecken. Im letzten Satz gewinnt die Phrase unseliges Leben– sie fielen unter den Tisch“. Bittere Einsilbigkeit des finalen Urteils.

Das Politische heftet sich genau an diese Fähigkeit der Sprache, das Gemeinte zu verschlingen. Im Küchentischgespräch als Leiden erfahren, in der Politik als gewaltsames Zudecken.

Das folgende aus den letzten Jahren des Vietnamkriegs:

Die Freiheit den Mund aufzumachen
besteht auch dort
wo andere schreien:
Denen wird der Mund zugemacht!

Im Gegenteil
man muss nur eine Liste anlegen
was alles herauskommt
aus Mündern die angeblich zu sind

Erstens Schreie
zweitens am Anfang und
ganz am Ende
vielleicht sogar noch Proteste

Drittens Zähne
und viertens Blut und fünftens
Erbrochenes
und sechstens in vielen Fällen

Flüssigkeiten
die vorher eingeflößt wurden
durch Schläuche oder
durch Untertauchen des Kopfes

Man darf das nicht einseitig sehen
denn die Freiheit den Mund aufzumachen
ist gleiches Recht für alle
zum Beispiel auch für die Behörden

den verbissenen Mund
des Gefangenen aufzumachen
Was kommt da hinein?
Viel Wasser oder viel Öl

oder Stiefelabsätze
oder Kot und blutige Lappen
oder Urin
oder Sägemehl oder Erde

und heraus kommt dabei
wenn es gut geht
das freiwillige
Geständnis

Der Mund wird manchmal verletzt
nie die Freiheit den Mund aufzumachen
sie herrscht immer noch - so oder so -
in all unseren Ländern


Die Phrase der Freiheitskämpfer und Befreier - bei uns kann man wenigstens noch den Mund aufmachen, und sagen, was einem stinkt.

Fried dringt wieder bis zum verschütteten Bildgehalt der Redensart vor, und gibt ihr -in Umkehrung- den entsetzlich anschaulichen Sinn zurück, den sie verbergen will. Was als Wortspiel begann, endet als bohrend sinnliches Starren ins Blutige, Verkotzte. In genau das, was die Rede von der allzeit freien Rede zudecken sollte. Von da aus die Wucht der Verallgemeinerung in der letzten Zeile.

Das ganz persönliche Liebesgedicht und jenes: Politik als persönliches Leid, Beleidigung empfindendes Kampfgedicht: Beide aus einer Wurzel.

Fried verletzte damals viele reine Herzen, die nicht hören können, was reine Herzen nicht entbehren können. Es setzte Strafanzeigen, so für das Gedicht auf den toten Generalbundesanwalt Buback. Schlusszeile: –Besser wäre es, ein Mensch hätte nicht so gelebt–. Vorige Fassung - vielleicht ein Druckfehler, vielleicht Absicht: “Besser wäre es, so ein Mensch hätte nicht gelebt.–

Bei allem Mitgehen mit der äußersten Zuspitzung des Klassenkampfes im Flirren zwischen den zwei Fassungen das Gefühl - ja Mitgefühl - für den lauen Körper, der dalag und ausblutete. Es hätte doch nicht sein sollen. War es nicht aber unvermeidlich in der äußersten Konsequenz der Einsätze?

Einer tat sich in den letzten Lebensmonaten Frieds traurig hervor. Broder in seinem - im Vergleich zum heute Ausgeworfenen noch lesbaren Buch “der Ewige Antisemit–. Darin erfand er erst mal die Liebe der Deutschen zu den jüdischen Dichtern, aber nur zu den Toten.

Und dann auch ein Sprachspiel, seines: und wenn es die Toten nicht sind, dann die Sterbenden. Mit dieser Zusammenstellungsabstraktion fiel er über Fried her, der selbst Jude, sich genau so gegen die israelische Friedensverhinderungspolitik gewendet hatte wie gegen jede andere.

Broders Sprachspiel: Gleichsetzungen. Von der Roheit, einen auf dem Sterbebett zu Lebzeiten in den Sarg zu befördern, abgesehen . (Inzwischen steht es mit Broder so traurig, dass er den Tod Hitlers in Berlin den Amis zuschreibt. Alle andern, die den Geschichtsunterricht nicht ganz verschlafen haben,erinnern sich: die Russen marschierten in Berlin ein. Broder kommt es inzwischen auf geschichtliche Wahrheit nicht mehr an, wenn er nur einen klärenden Vergleich zum angeordneten kill-out Bin Ladens anbringen kann).

Uns, die wir jedes neue Buch von Fried bei Wagenbach gierig einverleibten, das Interesse an Erkenntnis abzusprechen zugunsten des Generalverdikts: die Deutschen sind halt solche Nekrophilen - ein Sprachtrick der Urteilsanmaßung Broders, der alles wegfegen sollte. Dieser Vernichtungsabstraktion setzt Fried seine Suche nach den Brüchen entgegen - den Löchern im Sprachkonstrukt, die -noch einmal, zum letzten Mal - den Blick erlauben auf den trotz allem noch sprechenden Mund, den schmerzenden Leib, alles Stöhnen und Geschrei des lebendigen Lebens.

Nach nunmehr dreiundzwanzig Jahren ist der Blick vielleicht freier, das Ohr geübter für die Unterscheidung, wer damals dauerhafter gesprochen und vernichtender geschrieben hat: Broder oder Fried.

Quellen:
Erich Fried: "Die bunten Getüme. Siebzig Gedichte."
Erich Fried: "Die Freiheit, den Mund aufzumachen: Achtundvierzig Gedichte"
Broder: Achse des Guten (08.05.2011 01:52)

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