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Eingekesselt - oder wie ich bei der Demo gegen die NPD verhaftet wurde

Es ist Montag, der 30. Juli kurz vor halb 12 Uhr mittags. Ich stand am Rotebühlplatz und versuchte, die Szenerie zu überblicken: Was machen die Gegendemonstranten, von wo kommt der NPD-LKW und wie verhält sich die Polizei? Der LKW der NPD hatte gerade die Kreuzung am Rotebühlplatz erreicht, da drängten auch schon dutzende behelmte Polizisten alle Umstehenden exakt an jene Hauswand, an der ich bereits stand. Ein paar Augenblicke später schloss sich die Polizeikette um uns und der NPD-LKW mit der Aufschrift „unterwegs für deutsche Interessen“, gesäumt von Polizisten in voller Montur, fuhr über die Kreuzung. Doch obwohl diese schon umstellt und abgesperrt war, wurden wir, allesamt willkürlich Gefangene, nicht wieder freigelassen. Weder informierte uns jemand, warum wir hier festgehalten wurden, noch wie lange das dauern würde, geschweige denn, was als Nächstes geschehen sollte. Direkt neben mir fing eine Frau, etwa Mitte dreißig, die sich auf ein Fahrrad stützte, an zu schluchzen: „Seit dem 30.9.2010 macht mir die Polizei einfach nur noch Angst“, sagte sie. Dann wurde sie von zwei Beamten aus dem Polizeikessel geführt. Ich fragte den Polizeiführer, ob ich auch gehen könne. Er kam mir unangenehm nahe, als er antwortete: „Sie nicht. Sie gehören dazu.“ Doch eine ganze Weile später wurde auch ich von zwei Beamten aus dem Kessel geführt. Ich wollte meine Beschwerde zu Protokoll geben. „Das können Sie auf der Wache beim Sachbearbeiter“, hieß es. Meinen Personalausweis musste ich zuerst abgeben, dann auch meine Handtasche; ich wurde durchsucht und von Kopf bis Fuß mit einer Handkamera abgefilmt, die Hände mit Kabelbindern hinter meinem Rücken gefesselt, und ich musste in den Laderaum eines fensterlosen Gefangenentransporters steigen; nur wenig Licht drang durch ein kleines Dachgitter. Auf blanken Bänken saß ich neben fünf anderen, gleichermaßen Gefesselten. Als unsere Fahrt ins Ungewisse begann, konnten wir uns weder anschnallen noch festhalten.


 

In Stuttgart hat es die NPD leichter

Auf einer sogenannten „Deutschlandfahrt” reisten Funktionsträger und Mitglieder der NPD wochenlang mit einem rot-beklebten Werbe-LKW durch verschiedene Städte, um Kundgebungen unter dem Motto „Wir wollen nicht Zahlmeister Europas sein“ abzuhalten. In Kiel, Neumünster, Lüneburg, Bielefeld oder Ulm verlegten oder verkürzten die örtlichen Behörden die Kundgebungen erheblich. Amtsträger/-innen und Stadtpolitik bekannten sich immer wieder klar zu den Gegenprotesten und ließen Blockaden gewähren. In Ulm war der Oberbürgermeister Ivo Gönner trotz Privaturlaub vor Ort und bekräftigte seine Hoffnung auf ein baldiges Verbot der NPD.

In Stuttgart dagegen sah es ganz anders aus: Nur der OB-Kandidat Hannes Rockenbauch und Mitglieder der Linken waren präsent. In München gingen weit über tausend Menschen gegen die NPD auf die Straßen, in Stuttgart waren es nur ein paar Hundert. Thomas Trüten vom Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit nimmt die Behörden der Stadt Stuttgart in die Verantwortung: „Offenbar gab es bei der Stadt keine Überlegungen, die NPD-Aktion zu verbieten. Herr Scheithauer vom Ordnungsamt erklärte sogar: ‘Eine Meinungsäußerung zum Euro ist zulässig – das soll und kann man nicht unterdrücken. Wer angesichts der Verstrickung führender NPD-Funktionäre in die NSU-Morde die Demagogie der Neonazis für eine “Meinungsäußerung” hält, verhält sich nach Ansicht des Bündnisses für Versammlungsfreiheit zumindest „geschichtslos“.“

Während des gesamten Tages war die Polizei mit einem Großaufgebot von mehreren hundert Polizeikräften in der Stuttgarter Innenstadt unterwegs, riegelte ganze Straßenzüge ab und führte immer wieder Personenkontrollen durch. Selbst berittene Einheiten wurden in unmittelbarer Nähe der Sitzblockade einer Gruppe junger Antifaschisten eingesetzt. Um die Menge der Gegendemonstranten und zufällig Eingekesselten überhaupt bewältigen zu können, kamen auch Streifen- und Zivilpolizisten zum Einsatz. Etwa 60 Menschen wurden, ohne unmittelbare Begründung, bis zu über sechs Stunden im Kessel festgehalten, anschließend aufgrund verschiedenster Vorwürfe festgenommen und auf der Wasenwache teils bis zum Abend in Sammelzellen gesperrt. Auch von Schlägen und Tritten durch Einsatzkräfte wurde berichtet. Insgesamt nahm die Polizei an diesem Tag ca. 75 Protestierende in Gewahrsam.

 

Große Verwirrung auf der Wasenwache

Nach einer etwa zehnminütigen Fahrt hielt der Gefangenentransporter an, und die Tür wurde geöffnet. Wir wurden namentlich aufgerufen und mussten einzeln aus dem Wagen steigen. Der Beamte, der mich am Rotebühlplatz gefesselt hatte, trennte nun die Kabelbinder wieder auf. „Ich hoffe es ging so“, sagte er. Als ich ihm mitteilte, dass ich nicht verstünde, warum das alles nötig sei, blickte er nur zu Boden. Dann fragte ich, wo ich mich über diese Maßnahmen beschweren und Widerspruch einlegen könne. „Beim Sachbearbeiter – der ist in der Wache“, hieß es wieder. Doch bevor ich von den zwei Polizisten, die mir seit dem Rotebühlplatz zugeteilt waren, in die Wache geführt wurde, kam es zu einer Planänderung: Die Polizeistelle war nicht groß genug – wir sollten alle auf die Wache am Cannstatter Wasen gebracht werden. Dort angekommen, wiederholte ich mein Anliegen der Beschwerde. Und wieder hieß es, dass ich das später beim Sachbearbeiter machen könne. Einen Grund für meine Festnahme konnte man mir ebenfalls immer noch nicht nennen. Keiner der Beamten interessierte sich dafür, was ich überhaupt an der Kreuzung am Rotebühlplatz gemacht habe. Dann wurden nochmals meine Personalien überprüft, ich wurde erneut fotografiert und zu guter Letzt gefragt, ob ich Alkohol getrunken hätte. Dann musste ich im Eingangsbereich der Wasenwache Platz nehmen. Ich war eine der Ersten, doch nach und nach füllte sich der Raum mit den Festgenommenen, die in ihrer Verschiedenheit einem Querschnitt der Stuttgarter Bevölkerung gleichkamen. Niemand wusste genau, warum wir verhaftet worden waren. Manche haben etwas von „schwerem Landfriedensbruch“ und „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“ gehört, anderen wurde von Polizisten „geplante Gefangenenbefreiung“ vorgeworfen. Die Verwirrung zeigte sich auch beim Ausfüllen der Formulare durch die Polizisten: Ich war Ohrenzeugin, wie mehrere Beamte beratschlagten, wen sie nun eigentlich als Einsatzleiter für diese großangelegte Festnahmeaktion in das entsprechende Feld des Formulars eintragen sollten.

 

Rechtsmittel gegen illegale Polizeikessel sind langwierig

Es war nicht das erste Mal in der jüngeren Vergangenheit, dass die Polizei in Baden–Württemberg so rigoros gegen Bürger und Bürgerinnen vorging, um eine rechtsextreme Demonstration oder Kundgebung zu „schützen“. So wurden in Heilbronn am 1. Mai im letzten Jahr gleich Hunderte eingekesselt und in Gewahrsam genommen, während die Neonazis durchs Bahnhofsviertel marschierten. Dabei wurde bereits am 29.11.2010 in zwei Entscheidungen ein ähnlicher Polizeikessel am 1. Mai 2009, der beim Weinhof in Ulm durchgezogen wurde, vom Verwaltungsgericht Sigmaringen für rechtswidrig erklärt. Doch sind die Umstände eines Polizeikessels nur geringfügig anders, muss die Rechtswidrigkeit erneut per Gericht festgestellt werden. Gegen den Heilbronner Kessel läuft ebenfalls eine Klage. Doch der Weg der Entscheidung ist lang. Erst für den 25. Oktober 2012 – also eineinhalb Jahre nach der Einkesselung – ist der Verhandlungstermin angesetzt. Janka Kluge, Landessprecherin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), vermutet beim Stuttgarter Kessel auch einen Rechtsbruch: „Wir werden prüfen, ob wir gegen die Einsatzkräfte Anzeige wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und unterlassener Hilfeleistung erstatten.“

 

Der Festnahmegrund folgt auf dem Postweg

Mittlerweile war es 14:30 Uhr geworden, als ich mit noch drei weiteren Verhafteten endlich namentlich aufgerufen wurde. Von einem Polizisten mit grauem Schnauzbart und einer jüngeren Polizistin wurden wir aus dem Gebäude in den Innenhof der Wache geführt. Doch es ging nicht in ein angrenzendes Gebäude – wir wurden die Stufen zu den Kellerzellen hinuntergeführt. Ich versuchte abermals, Widerspruch einzulegen. Der Polizist antwortete mantraartig, was ich schon so oft gehört hatte, dass ich das beim Sachbearbeiter machen könne. „Doch es ist noch nicht klar, wer das heute sein wird“, fügte er schulterzuckend hinzu. Bevor wir die Zellen, nach Geschlechtern getrennt betraten, mussten wir unsere Schnürsenkel entfernen, eine junge Frau zusätzlich ihren BH ausziehen – „zum Selbstschutz“, konstatierte die Beamtin. Kurze Zeit später bekamen wir Zellenzuwachs, von weiteren jungen Frauen; insgesamt waren wir nun zu sechst, wieder bunt gemischt, im Alter zwischen sechzehn und sechsunddreißig. Eine Unterhaltung war kaum möglich, da der Hall in der Zelle fast alles übertönte. Der Raum war nahezu leer; wer sitzen wollte, musste mit dem eiskalten Kellerboden vorliebnehmen. In der linken Ecke neben der Tür befand sich eine Art Plumpsklo, eingelassen in den Boden und ohne Sichtschutz! Und es gab eine Gegensprechanlage. Beides benutzten wir nicht. Rechts neben der Tür, weiter oben an der Wand, befand sich eine Überwachungskamera. Nach etwa einer Stunde – jetzt war es kurz vor 15:30 Uhr – ging die Tür wieder auf und die Hälfte von uns wurde namentlich aufgefordert, die Zelle zu verlassen. Uns wurde ein Platzverweis bis 20 Uhr vorgelesen, der fast alle Straßen beinhaltete, die zur Route der Montagsdemo gehörten. Draußen bekamen wir durch ein Fenster unsere Handtaschen ausgehändigt. Der Polizist, der mir den durchsichtigen Beutel mit meiner Handtasche reichte, sagte, Widerspruch könne ich jetzt nicht einlegen und die Begründung, weshalb ich festgenommen und eingesperrt wurde, werde ich dann auf dem Postweg erhalten. Etwa fünfzig Meter von der Wache entfernt wurden wir von anderen Nazigegnern, die nicht verhaftet wurden, in Empfang genommen. Ein Jugendlicher, der auch gerade wieder freigekommen war, sagte kopfschüttelnd: „Da beschweren sich alle, dass die Jugend so politikverdrossen ist. Und kaum engagieren wir uns, werden wir verhaftet.“

Einkesselt, gefesselt, dann in Kellerzellen gepfercht, weil sie uns für Nazigegner hielten – nicht damals, letztes Jahrhundert, sondern heute, im Jahr 2012, am helllichten Mittag in der Stuttgarter Innenstadt. Dass Polizisten aus Baden-Württemberg Mitglieder des Ku-Klux-Klans waren, sind für den baden-württembergischen Innenminister Reinhold Gall „eine absolute Ausnahme“. Dass die NPD ihre „Deutschlandfahrt“ in Stuttgart fast unbehelligt durchführen konnte, ist, im Vergleich zu anderen Städten, ebenfalls eine Ausnahme. Hierzu äußerte sich der Innenminister jedoch nicht. Später ließ die baden-württembergische NPD auf ihrer Homepage verlauten: „Wir bedanken uns an dieser Stelle bei der Stuttgarter Polizei für eine faire Behandlung, das konsequente Säubern der Stadtmitte und die damit verbundene Sicherstellung der Meinungsfreiheit für uns Nationaldemokraten“.

Erstveröffentlichung einund20, September-Ausgabe. Sowie bei BlogNau

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