Anne Will: Entmerkelung durch kein Säurebad zu beschleunigen
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Armin Linnartz
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Information: Merkel hat den Bundespräsident vor ihrem Strafakt gar nicht persönlich sprechen können. Sie telephonierte nur nach Italien- und bekam dort erwartungsgemäß die Zustimmung "ihres" Präsidialkandidaten. Eine Hand wäscht die andere.
Dann: Laut Bosbach wurde der jetzt geschasste Umweltminister -entgegen anderen Behauptungen- nicht einmal persönlich über die Hinrichtung informiert, sondern erfuhr -wie wir alle- sein Urteil aus der Zeitung. Es handelt sich also um eine betont rüpelhafte Handhabung der Machtvollkommenheiten einer Kanzlerin.
Analyse: Frau Höhler, in vergangenen Jahren weitgehend Säuselmarie, hat auf ihre alten Tage die Zähne nachgeschliffen und bot einen ausbaufähigen Gedanken. Merkel wollte mit dem Fußtritt für einen Minister der Partei beweisen, dass es gar nicht mehr um Partei- und damit Lager gehen dürfe, sondern einzig und allein um ihre kostbare Person. Also die aus anderen Epochen und eigenen Partei-Konstellationen bekannte Umwandlung einer Herrschaft mittels des Parlaments hin zum Caesarismus. Die SPD-Schröder allerdings in allen Punkten vorweggenommen hatte. Als er Scharping auf ähnlich brutale Weise entließ, geschah das nicht wegen dessen abstrusen Lügengeschichten über gesichtete KZs im Feindesland, sondern wegen ein paar läppischen Hosen, vom Werbeberater zum Einkauf dazugelegt.
Die Frage, die sich die Runde selber stellte: ist das der Anfang vom Ende der Ära Merkel? Bei Schröder war es das gewesen. Er hatte zuletzt zuviele seiner SPD-Genossen in Angst getrieben um den weiteren Erhalt ihrer Pöstchen und Positionen im Bundestag und den Landtagen. Angesichts der brutalen Einschränkungen beim Arbeitslosengeld- und der offenen Begünstigung von Lohndumping in allen denkbaren Formen.
Davor muss sich Merkel nicht fürchten. All das gilt inzwischen als Erbe einer nichtzuergründenden Vorzeit. Dankbar hingenommen als Tatsache. Vor allem nicht weiter zu diskutieren.
Gefragt werden muss deshalb schärfer: Schadet zur Schau getragene Alleinherrschaft bei den verbliebenen Wahlmöglichkeiten überhaupt?
Europaweit zeichnet sich ab, dass sie auf Zustimmung stößt, solange die Aussichten auf materielle Absicherung anhalten.Wohlgemerkt: Nur die Aussichten, nicht die Lage selbst. Man muss nicht gleich an Putin erinnern. Sarkozy und der italienische Quasi-Diktator hielten sich doch recht lange mit genau solchen Tricks. Und einem Orban schadet die Kritik von außen auch nicht besonders.
Also: so lange die Kaufkraft in Deutschland gehalten, sogar ein wenig gesteigert wird, steht zu vermuten, dass die Konzentration auf die Wundertäterin und die Zustimmung wächst. Es ist Merkel bisher gelungen, gegen die Krise in Europa gar nichts zu tun, aber ein nie einzulösendes Versprechen auszugeben: es gehe weiter so. Die unendliche Vertröstung klappt noch immer. So sicher, dass die SPD sich nicht traut, offene Opposition auch nur zu simulieren.
Und damit kommen wir auf eine Vermutung, die bei ANNE WILL gar nicht geäußert wurde. Hängt die Entlassung des bisher gehätschelten Ministers auch mit einer weiteren Wendung in der Energiepolitik zusammen? Den Rückzug aus dem Atomwesen kann auch die allerwendigste Opportunistin nicht völlig zurücknehmen. Sollten bei dem Überraschungsschlag vom Mittwoch aber nicht doch Einflüsterungen und Drohungen der Energie-Konzerne mitgeholfen haben. Da an Enteignung und gesetzliche Beschränkung von deren Macht ja nicht mehr zu denken ist, bleibt nur Entgegenkommen durch geeigneteres Personal. Da war der bisherige Amtsinhaber vielleicht immer noch zu selbständig in seinen Denkanfällen.
Zeichnet sich also ab: Personenfixierte Herrschaft Merkels auf der einen Seite - offen getragen - auf der anderen - geheimeren - wachsende Abhängigkeit von denen, die immer schon heimlich mitregierten: den Monopolen. Diese Kombination ist nicht selten. Mit ihr lässt sich so lange durchhalten, wie die Opposition ihre Oppositionsrolle verleugnet - und so lange die Taktik des unendlichen Aufschubs - der Versprechungen für überübermorgen - sich durchhalten lässt.
Darauf wird viel länger zu warten sein, als alle aus der Anne-Will-Runde gestern sich träumen ließen.