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Antikommunistische Transformation

Passfoto von Rudi Dutschke
Passfoto von Rudi Dutschke
„Der heutige Faschismus ist nicht mehr manifestiert in einer Partei oder in einer Person, er liegt in der tagtäglichen Ausbildung der Menschen zu autoritären Persönlichkeiten, er liegt in der Erziehung, kurz in der entstehenden Totalität der Institutionen und des Staatsapparats.
Diese Persönlichkeitsgrundlage des Faschismus wurde auch durch die äußerliche Niederlage des Faschismus in Deutschland nicht überwunden, konnte vielmehr im wesentlichen ungebrochen in Antikommunismus transformiert werden.“

Dutschke, Rudi: Geschichte ist machbar. Texte über das herrschende Falsche und die Radikalität des Friedens. (Hg. Jürgen Miermeister). Neuaufl. Berlin, 1991, S. 116

The American Führer. Hitlers unliebsamer Doppelgänger

New Yorker Veranstaltung im Madison Square Garden (1939) Das Foto zeigt die Bühne mit den überlebensgroßen Bild George Washingtons, U.S. Fahnen sowie dem Logo des Amerikadeutschen Volksbundes Hinter dem Rednerpodest stehen Fahnenträger und Trommler in typischer SA Uniform
New Yorker Veranstaltung im Madison Square Garden (1939) Aussschnitt aus: "The Nazis Strike" 1943

"Die Geschichte des faschistischen Hochstaplers Fritz Julius Kuhn ist so unbekannt wie erschreckend: Kuhn ist ein deutscher Auswanderer, der sich in den 1930er-Jahren in den USA als Hitlers Stellvertreter ausgibt. Er steht an der Spitze des Amerikadeutschen Bundes, einer faschistischen Vereinigung von deutschstämmigen Amerikanern. Die Anhänger dieses Vereines marschieren mit Hakenkreuzfahnen und in Nazi-Uniform im Stechschritt durch New York City, Chicago oder Los Angeles. Sie versammeln sich zu Tausenden in Stadien und singen das Horst-Wessel-Lied.

Das FBI unterschätzt Kuhn und seine Bewegung. Hitler will ihn stoppen, schafft es aber nicht. Erst ein deutschstämmiger Journalist bringt Kuhn zu Fall. Sein Name: John C. Metcalfe. Unter seinem deutschen Namen Oberwinder schleicht er sich in den Amerikadeutschen Bund und recherchiert undercover. Als rechte Hand von Kuhn erlebt er, was dieser wirklich im Schilde führt: ein faschistisches, antisemitisches Amerika nach deutschem Vorbild. Im September 1937 lässt Metcalfe die Bombe platzen und veröffentlicht in der Chicago Daily Times seine Erlebnisse aus dem Innern des Amerikadeutschen Bundes. Die Artikelserie macht den Amerikanern klar: „It can happen here!“ Die USA sind vom Faschismus bedroht! Nun nimmt auch das FBI den Kampf gegen Fritz Kuhn auf. Es wird ein Katz-und-Maus-Spiel, denn Kuhn ist mit allen Wassern gewaschen. Am Ende stürzt er über einen Steuerbetrug."

Sehenswerte Doku in der ARD Mediathek, verfügbar bis 13. September 2022

Eine weitere Dokumentation ist der Oscar nominierte US Kurzfilm A Night at the Garden

Blick auf die Bühne im Madison Square Garden. Im linken Bildbereich ist ein zum Hitler Gruß ausgestreckter Arm als Schatten zu sehen.
Blick auf die Bühne im Madison Square Garden. Im linken Bildbereich ist ein zum Hitler Gruß ausgestreckter Arm als Schatten zu sehen. Quelle: Screenshot aus "A Night at the Garden"

"(...) Der Film zeigt mit Hilfe von Archivmaterial eine „pro-amerikanische“ Nazi-Wahlkampfkundgebung im Madison Square Garden in New York aus dem Jahr 1939, insbesondere antisemitische Teile einer Rede von Fritz Julius Kuhn, dem Vorsitzenden des Amerikadeutschen Bundes, die dieser am 20. Februar 1939 vor 20.000 Amerikanern im Madison Square Garden hielt, also vor Kriegsbeginn. In dieser Rede zeigt Kuhn seine antisemitische Haltung, die den weißen Nicht-Juden glorifiziert, der sich sein Amerika aus der Kontrolle durch die Juden zurückholen will. Während der Rede wird ein Störer, der auf Kuhn zugestürzt ist, von uniformierten Nazis auf der Bühne überwältigt und anschließend von New Yorker Polizisten weggezerrt. Dabei wird ihm kurzzeitig die Hose heruntergezogen; im Hintergrund feiern junge Zuschauer das Abführen. Kuhn verfolgt den Sachverhalt ohne größere Regung. Traditionen der amerikanischen Kultur wie der Flaggenschwur und die zum Abschluss gesungene amerikanische Hymne umrahmen die Rede Kuhns, zusammen mit Impressionen von einmarschierenden uniformierten Heranwachsenden und dem gemeinsamen Hitlergruß des Publikums.

(...) Die Massenkundgebung des Bunds im Madison Square Garden war heftig umstritten, wurde vom damaligen New Yorker Bürgermeister Fiorello LaGuardia jedoch mit dem Hinweis auf das Recht auf Redefreiheit genehmigt. Nach der Versammlung ließ LaGuardia jedoch das Finanzgebaren Fritz Julius Kuhns untersuchen. Dabei stellte sich heraus, dass der Vorsitzende des Bunds 15.000 US-Doller aus den Einnahmen der Veranstaltung unterschlagen hatte, um eine Geliebte damit zu finanzieren. Er wurde zu 5 Jahren Haft verurteilt, verlor 1943 seine US-Staatsbürgerschaft, die er seit 1934 besessen hatte und wurde 1945 nach Deutschland abgeschoben.

Der Mann, der auf die Bühne stürmt, um gegen Kuhns Rede zu demonstrieren, war der damals 26-jährige, arbeitslose, jüdische Klempnergehilfe Isadore Greenbaum aus Brooklyn. Nach seiner Verhaftung wurde er wegen der Störung der Veranstaltung vor Gericht gestellt. Dabei sagte er aus, dass er die Kundgebung nicht mit der Absicht besucht habe, sie zu stören. Aber angesichts der antisemitischen Rede Kuhns und der Judenverfolgung in Deutschland habe er sich verpflichtet gesehen, etwas zu unternehmen. Auf die Frage des Richters, ob ihm nicht klar gewesen sei, dass bei seiner Aktion Menschen hätten getötet werden können, antwortete er: "Ist Ihnen nicht klar, dass viele jüdische Menschen wegen der Verfolgung durch die da oben (= auf der Bühne) getötet werden könnten. Greenbaum wurde zu einer Geldstrafe von 25 US-Dollar verurteilt, die aber von Unterstützern bezahlt wurde. (...)"

Zum Film: A Night at the Garden

Quelle: wikipedia

Was mir heute wichtig erscheint #342

Geburtstag: Happy birthday Angela Davis! Der mdr hat eine Dokumentationsseite zusammengestellt, das Howard Zinn Education Project verweist auf zwei Interviews mit ihr - zur Rolle von Frederic Douglass und zur Bewegung zur Abschaffung von Gefängissen. Siehe auch: "Wirkliche Demokratie", Angela Davis über die Hegemonie des US-Imperialismus und globale Bewegungen gegen Krieg und Kapital sowie "Siegreiche Solidarität". Erinnerungen an den Schauprozeß in San Jose und die Unterstützung aus der DDR für die US-Kommunistin

Verrohung: "Die Publizistin, Soziologin und politische Aktivistin Jutta Ditfurth setzt sich seit Jahrzehnten kritisch mit dem Kapitalismus und dem politischen Zeitgeschehen auseinander. Im Gespräch erklärt sie, warum Reformen und Parteien nichts am Kapitalismus ändern und weshalb die Revolution noch immer nicht ausgebrochen ist." Das sehr lesenswerte Gespräch bei telepolis: "Große Teile der bürgerlichen Mittelschicht sind dabei, sozial zu verrohen"

Marktmacht: Eigentlich weiß ja jedeR Bescheid, wie es in der Tierherstellung und den Schlachthöfen zugeht. Die "Süddeutsche" über eine für Hersteller und Konsumenten und vor allem das Produkt scheinbar ausweglose Situation. Solange Ernährung das große Geschäft ist. "(...) Hühnern werden also zack-zack die Schnäbel gekürzt, weil das die einfachste Methode ist, sie vom gegenseitigen Picken abzuhalten. Kälbern werden ohne Betäubung die Hornansätze weggebrannt und Schweinen die Ringelschwänze kupiert. Im Sinne der Verbraucher, die immer wieder klar zum Ausdruck bringen, dass sie großen Wert auf Tierschutz legen, ist all das sicher nicht. Für die Landwirte aber ist es die einzige Möglichkeit, noch einigermaßen kostendeckend zu arbeiten. (...)"

Verschlimmbesserung: ""Und ich finde, es ist legitim zu fragen, welche Haltung die Linkspartei - deren Ikone Frau Wagenkecht nun einmal ist - beispielsweise zu Europa hat, und wie das gemeint ist, wenn in einem Parteiprogramm-Entwurf in Bezug auf die EU die Adjektive „militaristisch“ und „diktatorisch“ auftauchen. Sie sagte in der Sendung zwar, das sei unglücklich formuliert, eine klare Distanzierung war das aber nicht. Und daran entzündete sich die Debatte." Mal abgesehen davon, dass Nachfragen nur Sinn machen, wenn auch Antworten zugelassen werden, - das Adjektiv 'diktatorisch' steht gar nicht im Parteiprogramm-Entwurf der Linken. Wer den Unterschied zwischen 'diktatorisch' und 'weithin undemokratisch' nicht kennt und falsch zitiert, sollte die Moderation von politischen Formaten vielleicht wirklich besser lassen." Markus Lanz macht alles nur noch schlimmer. Meint Andrej Hunko.

Kampflieder: Songs, die von Klassenkampf und Revolution erzählen, haben den Menschen aller Epochen Mut und Kraft gegeben auf ihrem langen Weg in die befreite Gesellschaft. Es sind »Lieder, in deren Melodie man das Herz singen hört«, wie der sozialistische Schriftsteller Henri Barbusse sagte. Die Redaktion der Musikzeitschrift Melodie&Rhythmus will diesen Songs ein Denkmal setzen. Ein Hinweis im neuen redblog.

Öffentlichkeit: Am 27. Januar 2014 - dem Gedenktag für die Opfer des Faschismus lädt die Nürtinger Gedenkinitiative um 17.30 Uhr alle Interessierten in den Saal des Bürgertreffs im Rathaus Nürtingen ein. Sie gibt einen kurzen Impuls zum Gedenktag, stellt sich vor, informiert über ihre Ziele und die bisherige Chronologie und gibt Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch.

Nulltarif: In Estlands Hauptstadt Tallinn sind Busse und Straßenbahnen für die EinwohnerInnen seit einem Jahr umsonst. Nun verzeichnet die Stadt eine Welle von Zuzügen und andere Städte sind sauer.

Polizeigewalt: Mehrere tausend Menschen demonstrierten am Freitag abend in der Wiener Innenstadt gegen den von rechtsextremen Burschenschaften veranstalteten Akademikerball in der Wiener Hofburg. Die Polizei griff unverhältnismäßig hart gegen die KundgebungsteilnehmerInnen durch - im Pressebüro der "Offensive gegen Rechts" gingen bis 21 Uhr laufend Meldungen über massive Polizeigewalt und Verletzte ein. Es kam zum Einsatz von Tränengas, Pfefferspray und Schlagstöcken. Die Infozentrale verwandelte sich im Laufe des Abends zu einem Lazarett. Zur Pressemitteilung.

BlockG8: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat entschieden, dass der G8-Gipfel 2015 in Schloss Elmau stattfinden wird. Schloss Elmau liegt in den bayerischen Alpen in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen, rund 100 Kilometer südlich von München. Über die notwendigen Gegenproteste wird in diesem Blog berichtet werden.

Kampfschrift: Das neue Buch einer „Verfassungsschützerin“ erreicht einen publizistischen Tiefpunkt: Bettina Blank sucht Antifaschismus, findet Kommunismus und stellt KZ-Häftlinge unter Extremismus-Verdacht. "Der Antifa-Schwindel". Eine notwendige Rezension auf linksunten.

"Liebknecht entsorgt" - Frankfurt a.O. reinigt sich mit der Wurzelbürste

Karl Liebknecht, ca. 1911

Die "Junge Freiheit" hat einen schönen Erfolg eingeerntet für ihr Geschichtsbild. Als die Schule darüber diskutierte, ob der Namen Karl Liebknechts gestrichen werden sollte und eine Mehrheit sich zur Zustimmung breitschlagen ließ, hing ein Artikel des bekannten Blatts am Schwarzen Brett.

Was aber war die Begründung für die Beseitigung des Namensgebers aus der Schulbezeichnung? "Seit Beginn dieses Schuljahres hatte es an dem Gymnasium eine lebhafte Debatte über die Benennung gegeben. Ehemalige Schüler nahmen Anstoß an Karl Liebknecht, weil dieser mit Waffengewalt gegen die erste deutsche Demokratie, die Weimarer Republik, geputscht hatte." (Ronald Berthold s.o.)

Arme Schüler, die den Entschluss mitzutragen hatten! Was für Erzählungen müssen ihnen im Unterricht vorgetragen worden sein, um die Auseinandersetzungen 1914-1918 richtig ans Herz zu bekommen. Wir andern im verdooften Westdeutschland kannten 1918 im Augenblick der Erklärungen Liebknechts auf der einen Seite und der Konkurrenz auf der anderen Seite nur zwei konkurrierende Parteifraktionen, aber gar keine Republik, gegen die man hätte "putschen" können.

Entsprechend wird die Abstimmung beim Gründungsparteitag der KPD interpretiert: man hätte die Abstimmung verhindern wollen, weil die KPD bei dieser zu geringe Chancen gehabt hätte. Es ist nicht jedem bekannt - bei der "Junge Freiheit" offenbar keinem - dass zumindest Rosa Luxemburg ursprünglich für Teilnahme an der Abstimmung gewesen war, nur keine Mehrheit dafür bekam. (Was Liebknecht dazu meinte, ist mir nicht bekannt.)

Insgesamt müssen wir also korrekterweise ein vorgeschriebenes Geschichtsbild annehmen, nach welchem zwar Ebert vorbildlich gehandelt hat, weil er ja schließlich vom letzten kaiserlich genehmigten Kanzler -Großherzog von Baden- die Regierung übernommen hatte. Also legitim verfuhr, als er "seine" Republik als Nachfolge-Organisation des Reiches gründete. Liebknecht und Co. machten sich durch anderweitige Zielsetzungen automatisch zu Demokratiefeinden.

Eine weitere Richtigstellung des bewährten Organs: "Dabei gerät in Vergessenheit, daß das Wirken zu Lebzeiten entscheidend für eine Ehrung sein sollte. „Eine Ermordung durch die Nationalsozialisten reicht nicht aus, um jemanden direkt in den Heldenstand zu erheben“, hatte der Historiker Klaus Schroeder vom Forschungsverband SED-Staat mit Bezug auf Straßen, die nach Kommunisten benannt sind, gesagt." (Roland Berthold s.o.)

Demnach hätte die ohnedies schuldbeladene DDR bei der Namensverleihung ausschließlich auf die Todesumstände gesetzt, nicht aber auf die Taten im Leben. Wieso gab es dann aber nirgends zum Beispiel eine Jogiches - Schule? Er wurde genauso umgelegt wie Luxemburg und Liebknecht. Tatsächlich wurden in der DDR gerade Liebknechts antimilitaristische Schriften immer wieder aufgelegt und gelesen. Ebenso die gegen die wilhelminische Klassenjustiz - mit Anwendungen für die Gegenwart.

Sehr originell der vom Autor offenbar gebilligte Alternativ-Namen: Heinrich v. Kleist. Dass dieser Ehrungen verdient hätte, steht außer Zweifel. Nur bedenklich für Demokratie-Theoretiker. Ist der Autor der "Hermanns-Schlacht" wirklich ein gemütsnaher Freund der Sofa-Demokraten? Sinnspruch aus Kleists Drama immerhin" Schlagt ihn tot! Das Weltgericht - fragt euch nach den Gründen nicht". Ist Kleist gewaltfrei genug?

Die Schulversammlung des Gymnasiums in Frankfurt mag ihren Namenspatron wechseln, wie sie will. Weitgehend ihr Privatvergnügen. Die Erinnerung an den großen Vorkämpfer Liebknecht wird sie nicht löschen können.

Gauckfreuden: Der Witwe Honecker beim Überleben zugeschaut

Margot Honecker, 1986
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1986-0313-300 / Brüggmann, Eva / CC-BY-SA
Gauck hatte sie energisch eingefordert bei seinen verschiedenen Festvorträgen: die Amtsfreude des Westbürgers. Er kann nicht oft genug zu Kohlpreis und Merkeltum ermuntert werden im Rückblick auf die Erniedrigung und Fesselung, die er zwar nicht erlitten hat, aber die ihm seit sechzig Jahren vorgeführt wird. Einfacher gesagt: Kalter Krieg verdünnt - unter Glasur.

Das Interview mit Margot Honecker am Montag im Ersten Programm folgte exakt der Vorschrift des neuen Präsidenten. Hervorstechendes Merkmal der ehemaligen Ministerin für Volksbildung: sie bereute nichts. "Starrsinn" "realitätsfremd" - entsprechendes Vokabular wurde schon in den Vorweg-Kommentaren an ihr aufgebraucht.

Journalisten werden inzwischen Staatsanwälte. Als solcher trat der Interviewer auf. Ein Staatsanwalt ohne offenen Fluch auf den Lippen. Lächelnd, zurückgenommen. Den nötigen Kommentar sollten die Einschiebungen liefern: Bilder aus der wirklichen DDR- und Bekenntnisse von Zeugen.

Erwartet wurde "Reu und Leid". Wie konnte alles nur so kommen! Das haben wir nicht gewollt... Ein Stück heulendes Elend. Alterchen zum tröstenden Schulterklopfen!

Davon lieferte Margot Honecker nichts. Da keine konkreten Fragen über konkrete Regierungsschritte gestellt wurden, blieb nur eisiges Beharren.

Zurückweisung als freilich leere Geste.

Um ein Beispiel zu geben. In den Statistiken der letzten Tage über die Zahl der Kindertagesstätten in Deutschland ergab sich, dass nur auf dem Gebiet der ehemaligen DDR halbwegs die Menge erreicht war, die unsere Bundesregierung vor Jahren der ganzen BRD versprochen hatte. Warum? Gerade unter dem Ministerium Honecker wurden solche landesweit eingeführt. Und blieben.

Darüber hätte diskutiert werden können.

Statt dessen blies das ganze Interview Paraden-Propaganda. Ungewollt brachte es doch einige Erkenntnisse zu Tage. So wurde die Lage des Ehepaars Honecker nach der ersten Entlassung aus Untersuchungshaft schonungslos gezeigt. Sie war die Rechtlose, obwohl in der Verfassung der DDR wie in der unseren jedem Bürger ein Obdach zugesichert wurde. Da wurden im Interview alte Genossen und spätere Widerständler befragt, ob sie damals bereit gewesen wären, die Herumirrenden aufzunehmen. Keiner von den Männern, die später im Westen für ihren Mut gepriesen wurden, hätte sich dazu bereit erklärt. Die Angst vor dem Mob war stärker als die vor der Obrigkeit.

Helmut Schmidt sprach das Schlussurteil. Seiner Absicht nach dem Staatsratsvorsitzenden Honecker. In Wirklichkeit allen Staaten Europas unter der Regie von Merkel und seiner eigenen Partei in Anwartschaft der Regierungsbeteiligung. Was nannte der Altkanzler als entscheidenden Grund für Honeckers Scheitern? Das Land sei "überschuldet" gewesen!

Dass er damit den heutigen Griechenland, Spanien und Portugal das Todesurteil mit ausgesprochen hat - wer merkte es schon? Im Jahre 2030 werden Schmid und Honecker immer noch in den Geschichtsbüchern auftauchen - ganz gegen die Prophezeiung des Altkanzlers - aber vielleicht mit anderen Urteilswörtern behangen als heute.

PS: Ich hätte nie gern in der DDR leben wollen, als es sie noch gab. Wohl auch nicht können - angesichts der bürgerlichen Zurichtung meiner Existenz. Um so bedauerlicher, dass mit diesem Interview eine Gelegenheit verpasst wurde, dasjenige besser kennen zu lernen, was uns zu seinen Lebzeiten fremd geblieben war...

Honnigfort (FR) wachsam: LINKE weiterhin fertigmachen!

Es gibt einen  Aufruf, der sich mit vollem Recht gegen die vorbereitenden Kriegsmanöver des Westens wendet, die Syrien und den Iran vor den eigentlichen Kriegshandlungen kaputtschießen wollen. Wir kennen das von Libyen her. Es muss nicht weiter ausgeführt werden. Die Folgen sind zu besichtigen. Eins der bisher reichsten Völker Afrikas ist zu einem der ärmsten gemacht worden.

In dem Aufruf der wahrscheinlich entscheidendste Satz: "Das iranische und syrische Volk haben das Recht, über die Gestaltung ihrer politischen und gesellschaftlichen Ordnung allein und souverän zu entscheiden. Die Erhaltung des Friedens verlangt es, daß das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten konsequent eingehalten wird."

Was besagt das? Die Unterschreibenden halten sich an den alten und bewährten Grundsatz, dass Revolution selbst gemacht werden muss. Ohne ausländische und vor allem staatliche Schutzpatrone mit ihren immer schon leicht durchschaubaren Absichten. Besonders nach dem Libyenkrieg. In allen bekannten Fällen, die im Aufruf auch aufgezählt werden, haben Regierungen ihre Spiele getrieben. Regierungen haben nachher ihren Profit daraus gezogen. Nichts ist übriggeblieben vom solidarischen Einsatz Einzelner und Gruppen, wie etwa im Spanischen Bürgerkrieg.

Es ist klar, dass es heute unmöglich ist, wie etwa 1938, einer der kämpfenden Parteien vorbehaltslos zuzustimmen und ihre Ziele zu unterstützen. (Vor allem, weil wir darüber zu wenig wissen). Das heißt aber noch lange nicht, dass wir Eroberungsabsichten bekannter Imperialisten gegenüber dem betroffenen Land stillschweigend zu unterstützen haben.

All das, was ein Bernhard Honnigfort vermutlich so gut weiß wie jeder andere, hindert ihn nicht, seine vermutlich verlagsgeschätzte Knüppelarbeit in der FR vom 11.1.2011 fortzusetzen. Er schreibt: Honnigfort: Die falschen Verbündeten. Linke solidarisieren sich mit Syrien und Iran.

Neues Jahr, neuer Streit in der Linksfraktion. "Das ist deren Privatangelegenheit" kommentiert am Dienstag ein Sprecher der Fraktion leicht genervt einen Aufruf, den sechs Abgeordnete unterzeichnet haben, darunter Dieter Dehm, Ulla Jelpke und Sevim Dagdelen, die dem radikalen Flügel angehören...

Der proisraelische Bundesarbeitskreis "Shalom" innerhalb der Linken hat deshalb scharf gegen "linke Solidarität mit Schlächtern"protestiert und alle Unterzeichner aus der Linkspartei aufgefordert,ihre Unterschriften zurückzuziehen.Es sei doch zynisch, so Shalom, sich über erfolgreiche Regimewechsel in Tunesien und Ägypten zu freuen,diesen aber den Menschen in Syrien vorzuenthalten,nur weil das Regime gegen die USA ankämpfe. Es müsse endlich Schluss sein mit dem Antiamerikanismus der Linken" fr-print 11.01.2011 (Im Netz - in berechtigter Scham? - verborgen. Jedenfalls von mir bis 11 Uhr nicht aufgefunden)

Zur Zusammenarbeit mit BAK Shalom ist nichts weiter zu bemerken. Man kennt das Völkchen.

Hinzuweisen aber auf Honnigforts Überschrift: Von "Verbündeten" kann keine Rede sein. Wenn jemand die sehr unlauteren und durchsichtigen Absichten der imperialistischen Seite angreift, ist damit noch gar nichts gesagt für oder gegen die Wertschätzung der anderen Seite.

Honnigfort geht es nachweislich um Spaltung. Nicht umsonst wird die nicht weiter überprüfbare Aussage eines Sprechers der Gesamtpartei der angeblich "privaten" Meinung einzelner Mitglieder gegenübergestellt. Es steht immer noch zu hoffen, dass die LINKE als Partei nicht so leichtfertig ihr letztes verbliebenes Alleinstellungsmerkmal: absolute Kriegsgegnerschaft aufgibt.

Kleine Zusatzpointe: Honnigfort rechnet Dieter Dehm umstandslos dem "radikalen Flügel" zu. Ist Dehm nicht auch Vorsitzender des Arbeitskreises "Selbständiger" in der LINKEN? Was daran ist "radikaler Flügel"?

Wie sich leicht herausfinden lässt, stehen auch SPIEGEL und SÜDDEUTSCHE dieses wie letztes Jahr stramm hinter Shalom! Mal sehen, ob die Partei DIE LINKE sich ebenfalls unter den vereinigten Peitschenhieben der Kriegstreiber so hilflos krümmt wie letztes Jahr?

Was mir heute wichtig erscheint #295

Erinnerungsarbeit: "Klar, die 68er hatten die bessere Presse. Aber das ist kein Grund, nicht an das Jahr 1980 zu erinnern. Dem Jahr der letzten Jugendrevolte." Beitrag von Stefan Laurin bei den Ruhrbaronen, via publikative.org

Zensurversuch:" Die Deutsche Bank droht mit rechtlichen Schritten und Schadenersatzklage gegen einen Film über Nahrungsmittelspekulationen, sollte nicht eine Passage des Pressesprechers Frank Hartmann herausgenommen werden. Der Pressesprecher wird dahingehend zusammengefasst, dass nicht die Händler von Banken, sondern die Menschen in Somalia für ihre Armut selbst verantwortlich seien. Daraufhin bestätigt Hartmann: „Natürlich sind die selbst schuld!“" Mehr zum Film und dem Ansinnen der Deutschen Bank beim "Zentrum für Politische Schönheit" via DFG/VK.

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika.

Akteneinsicht: Das Thü­rin­ger Lan­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz wurde am Donnerstag für drei Stun­den be­setzt. Ca. 40 Ak­ti­vis­tIn­nen dran­gen angesichts unverschlossener Türen in das Ge­bäu­de der Be­hör­de ein und for­der­ten: „Ich will meine Akten sehen“ oder „Ver­fas­sungs­schutz auf­lö­sen“. Dazu gibt es auch ein Video der Filmpiraten. Nicht zur Besetzung, sondern zur Mahnwache ruft die VVN-BdA Baden-Württemberg für den kommenden Montag 15:30 vor dem Landesamt für Verfassungsschutz auf.

Vorweihnachtsgeschenk: Die Neuseeländische Reggae-Band The Black Seeds verschenkt aktuell einen 8-Track Sampler, via den Kreuzberger Blogrebellen.

Sektenzustand: Das Ergebnis einer Unter­suchungskommission ist erschreckend: In den Niederlanden wurden zwischen 10.000 und 20.000 Kinder in katholischen Einrichtungen mißbraucht. Die Kirche habe zudem versucht, derartige Fälle aus Angst vor Skandalen zu vertuschen. Via Jörg Kantel, der auch viel Solidarität für seine juristische Auseinandersetzung mit der Sekte braucht, die er nicht mit dem bösen Wort mit "F" in Verbindung bringen darf.

Ausstand: Über Streiks in der "Volksrepubilk" China ist zum Teil wenig bekannt, wenn dann werden sie in den bürgerlichen Medien nach dem Motto: "Dort ist es auch nicht besser" im Sinne von T.I.N.A. antikommunistisch gewendet. Zwei Ausnahmen: LabourNet mit diversen Berichten zur Lage und entdinglichung mit einem Verweis auf eine Aufschlüsselung nach Regionen, Branchen, Streikursachen und Forderungen, Anzahl der Beteiligten sowie Unternehmenstyp.

Sylversterdemo: Das Jahr 2011 war ge­prägt von viel­fäl­ti­gen und kämp­fe­ri­schen lin­ken Mo­bi­li­sie­run­gen. Mit dem Wi­der­stand gegen Nazis und Ras­sis­ten, gegen Kriegs­trei­ber und -–‹pro­fi­teu­re, sowie mit klas­sen­kämp­fe­ri­schen Ak­tio­nen gegen die Kri­sen­po­li­tik der Herr­schen­den und für die Über­win­dung des Ka­pi­ta­lis­mus, konn­ten Kämp­fe wei­ter­ent­wi­ckelt und linke Be­we­gun­gen ge­stärkt wer­den. Viele der Ak­ti­vi­tä­ten hat­ten je­doch mit einem aus­ufern­den Pro­blem zu kämp­fen: Staat­li­che Re­pres­si­on in ver­schie­dens­ten For­men. Für ein re­vo­lu­tio­nä­res Jahr 2012 gehen wir darum am 31. De­zember 2011 in Stutt­gart auf die Stra­ße. Wei­te­re Infos gibts auf dem De­mo-–‹Blog.

Schutzbehauptung: "Seit etwa einem Jahr warnen wir, dass alle Webseiten, die Facebook-Buttons einbinden, ohne weiteres Zutun des Anwenders Informationen an Facebook senden, die der Konzern einer konkreten Person zuordnen kann. (...)" Wir haben zwar keinen Facebook Button aber verweisen trotzdem auf den Beitrag bei heise.security.

Infantil: In der neuen Broschüre "Demokratie stärken – Linksextremismus verhindern" der Anti"extremismus"ministerin Christina Schröder "werden nicht nur Sparmaßnahmen der Regierung zu „Trugbildern“ uminterpretiert, sondern auch jeglicher Protest dagegen in die Nähe einer „extremistischen“ Gefahr gerückt." (Tom Strohschneider / Der Freitag)

Zentralbehörde: "(...) Das Versagen der Sicherheitsbehörden wird damit auf rein technische und administrative Aspekte reduziert, ohne an den politischen Grundmustern der Behörden etwas zu ändern. Das GAR lehnt sich in seiner Grundstruktur an das seit 2004 in Berlin-Treptow bestehende Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) an, das zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus gegründet wurde. Dort befinden sich die Vertreter aller beteiligten 38 Sicherheitsbehörden auf einem gemeinsamen Gelände. Das GAR soll nun ausdrücklich keinen gemeinsamen Standort für alle beteiligten Behörden haben – das wird mit dem Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten begründet, das beim GTAZ offenbar keine Rolle gespielt hat. Allerdings soll die räumliche Trennung dabei ein vernachlässigbarer Umstand sein, der schon durch die gemeinsamen Foren wieder ausgeglichen werde. Der eigentlich entscheidende Verstoß gegen das Trennungsgebot liegt darin, daß die Polizei Zugriff auf geheimdienstlich gewonnene Erkenntnisse bekommt, und andererseits die Geheimdienste die repressiven Maßnahmen der Polizei wesentlich beeinflussen können. Das war schon beim GTAZ und ist nun auch beim GAR möglich. (...)" Ulla Jelpke in der Tageszeitung "junge Welt" zu einer Zusammenlegung zweier Behörden, die nicht zusammengehören dürfen.

Insolvent: Mit einer Lichterkette haben die Beschäftigten des insolventen Druckmaschinenkonzerns Manroland im sächsischen Plauen für den Erhalt des Unternehmens demonstriert. (Neues Deutschland). Die IG Metall Verwaltungsstellen Offenbach, Augsburg und Zwickau rufen dazu auf, sich für die Sicherheit der Arbeitsplätze bei manroland einzusetzen.

Hautnah: Verflechtungen der Globalisierung am Beispiel von Kleidung vor dem Hintergrund aktueller Handelsrouten und Wirtschaftsgefällen untersucht das Essay von Simone Münzer auf IndyMedia.

Krankengeldanspruch: "Lieber krank feiern als gesund schuften" hieß es in bestimmten Kreisen in den 70er Jahren. Inzwischen sind nicht nur die Diagnosemethoden der ÄrztInnen besser geworden und das Risiko, sich damit Betrugsverdacht auszusetzen, sondern hat auch der Leistungsdruck und die -verdichtung zugenommen. Langzeiterkrankten stellt sich oft die Frage, woher das Geld während der Zeit kommt. Die IG Metall Baden Württemberg verweist zu dieser Frage auf ein Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG Urteil vom 21.06.2011 - B 1 KR 15/10 - in AuR 2011, 434)"Krankengeld gibt es im Anschluss an die Entgeltfortzahlung nach § 48 Abs. 1 SGB V grundsätzlich "ohne zeitliche Begrenzung"; längstens für maximal 78 Wochen "innerhalb von je 3 Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der AU an". Was gilt, wenn innerhalb der 3-Jahres-Frist sich eine andere Krankheit, die ebenfalls über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinaus andauert, sich anschließt. Das BSG hat entschieden, dass dann, wenn innerhalb der 3-Jahres-Frist ab Beginn der ersten AU und Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit, unmittelbar danach eine andere AU auftritt, die länger als 6 Wochen andauert, wieder den Anspruch auf Krankengeld auslöst. Auch hier besteht dann der Anspruch für längstens 78 Wochen."

Konservative in linkem Gewand. Wie das bürgerliche Feuilleton um Deutungshoheit kämpft

Angesichts derartiger Bilder aus London fragten sich Konservative in den Feuilletons, wie der Kapitalismus vor sich selber gerettet werden kann.

Foto: hughepaul
Lizenz: Creative Commons Attribution 2.0
Im Sommer 2011 fragen sich konservative Intellektuelle aus Deutschland und Großbritannien offen, ob die Linke angesichts der Krise und deren Folgen letztlich recht hat. Diese angeblichen Linkswendungen sind allerdings nicht zwingend Ausdruck einer Krise des Konservativismus - sie machen jedoch in jedem Fall die gegenwärtig schwache Position linker Gesellschaftskritik deutlich.

Im deutschen Feuilleton gibt sich die bürgerliche Elite seit 1945 große Mühe, mittels einer scheinbar tiefgründigen Suche nach Erkenntnis ihre gesellschaftliche Position zu legitimieren und zu stärken. Im Vergleich zu den jeweiligen Politik- und Wirtschaftsressorts zeichnen sich die Feuilleton- bzw. Kulturteile der Zeitungen durch ein breiteres Feld des Sagbaren aus. So treten in Form von gesellschaftspolitischen Debatten selbst in konservativen Blättern auch vermeintlich linke Positionen auf. Doch was sich Mitte August auf den bürgerlichen Feuilleton-Seiten abspielte, überraschte dann dennoch. Konservative Intellektuelle grübeln, ob die Linke mit ihren Analysen nicht doch recht hat. Es scheint Einschneidendes zu geschehen - jedoch nur auf den ersten Blick.

Geläuterte Konservative oder Offensivstrategie?

Den Anfang machte der konservative Publizist und offizielle Biograf von Margaret Thatcher, Charles Moore, in der konservativen Tageszeitung Daily Telegraph. (22.7.11) Er schrieb zwei Kolumnen, die erste mit dem merkwürdigen Titel "Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat". Aufhänger für die vermeintliche Reflexion waren Enthüllungen zu den Abhörmethoden der Zeitung News of the World. (ak 563) Moore kritisierte nicht nur Teile der Presse um den Medienmogul Rupert Murdoch scharf, sondern äußerte zudem Kritik am Bankenwesen und den verantwortlichen PolitikerInnen. In seinem Beitrag wartete er mit links-konnotierten Diskursfragmenten auf, wenn er etwa konstatierte, die ArbeiterInnen verlören ihre Jobs, damit die BankerInnen in Frankfurt und die BürokratInnen in Brüssel beruhigter schlafen können.

Mit den Riots in England schwappte die Diskussion mit dreiwöchiger Verspätung nach Deutschland über. Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der FAZ, bekannte sich am 14.8.11 in der Sonntagsausgabe der Zeitung auf ähnliche Weise. Er zitiert Moore mit Sätzen wie "Globalisierung ... sollte ursprünglich nichts anderes bedeuten als weltweiter freier Handel. Jetzt heißt es, dass Banken die Gewinne internationalen Erfolgs an sich reißen und die Verluste auf jeden Steuerzahler in jeder Nation verteilen." Schirrmacher stimmt Moore zu und fragt sich, ob er angesichts dieser Entwicklungen als Konservativer richtig gelegen habe, "ein ganzes Leben lang".

Charles Moore in England oder Frank Schirrmacher in Deutschland - wenden sich rechte Intellektuelle vom Konservativismus und Kapitalismus ab? Werden sie gar Linke? Gewiss nicht. Es steht keine Kulturrevolution bevor. Auf den zweiten Blick geht es beiden um die Restauration des Konservativismus. Moore macht am Schluss seines ersten Beitrags deutlich, dass er keinesfalls geläutert ist, vielmehr ist sein Artikel als Selbstkritik und Warnung für die Konservativen zu lesen: "Man muss immer beten, dass Konservativismus durch die Dummheit der Linken gerettet wird, wie es so oft in der Vergangenheit der Fall war." In dem nicht so häufig zitierten zweiten Beitrag wird er eine Woche später noch deutlicher. Seine Kritik richtet sich nicht an die kapitalistische Idee, sondern im Gegenteil an die gegenwärtigen PolitikerInnen, die sich in das Gewinnen und Verlieren des freien Marktes einmischen. Moore stellt dem jetzigen System keinesfalls ein linkes entgegen, sondern einen marktfundamentalistischen Neoliberalismus im Sinne von Margaret Thatcher und Ronald Reagan.

Auch Schirrmacher findet den Dreh zur Linie der FAZ und appelliert letztlich für das Wiederfinden "bürgerlicher Gesellschaftskritik". Dass diese "bürgerliche Gesellschaftskritik" auch eine erzkapitalistische und sein Beitrag nicht als Abbruch der Zusammenarbeit zwischen Konservativismus und Kapital zu deuten ist, lässt sich anhand Schirrmachers Huldigung von Ludwig Erhard deutlich machen, quasi dem "Erfinder" der Sozialen Marktwirtschaft. Das Credo lautet nämlich: Zurück zur guten, alten Sozialen Marktwirtschaft. So sei etwa das Schweigen Merkels um die Moral in Folge der Krise unter Ludwig Erhard undenkbar gewesen. Sprachlos macht Schirrmacher überdies der "endgültige Abschied von Ludwig Erhards aufstiegswilligen Mehrheiten". Hinter dieser Sprachlosigkeit kommt das konservative Klassendenken zum Ausdruck. Zwar wünscht sich Schirrmacher die Chance des sozialen Aufstiegs und kritisiert somit implizit den klassischen Konservativismus, bei dem alles so bleiben sollte, wie es ist: Der Sohn des Bauers bleibt Bauer, der Sohn des Arztes bleibt Arzt. Jedoch hält er an der Klassengesellschaft fest, in der es neben den aufsteigenden Gewinnern auch Verlierer geben muss.

Die Linkswendungen von Schirrmacher und Moore verschwinden schnell bei näherer Betrachtung. Die Kapitalismuskritik ist nicht mehr als eine kurze "Entladung" in Form eines Blitzes. Eine der Funktionen des bürgerlichen Feuilletons scheint mal wieder erfüllt: Aufkommende Energie blitzschnell entladen, damit nichts bleibt als ein kurz verstörender Donner.

Noch vor hundert Jahren existierte das Feuilleton nicht als selbstständige Rubrik in den Zeitungen. Die Beiträge, meist Buch- und Theaterkritiken, erschienen unter einem Strich im unteren Drittel meist auf der ersten Seite. Mittlerweile ist das Feuilleton das Verständigungsmedium des Bürgertums. Insbesondere das Feuilleton der FAZ ist der Ort, von dem die grundsätzlichen Diskussionen ausgehen. Die hin und wieder geäußerte Gesellschaftskritik versickert entweder oder wird kanalisiert, indem etwa kapitalismuskritische Positionen eingebunden werden. Aufgabe linker Kritik sollte es sein, diese Debatten gegen den Strich zu lesen. Anstatt sich heimlich oder offen über die angeblichen mooreschen oder schirrmacherschen Linksdrehungen zu freuen, sollte sie zum Beispiel gefragt werden, warum zu diesem Zeitpunkt Derartiges geäußert wird.

Kapitalismus durch Kritik an Auswüchsen schützen


Es ist auffällig, dass die Debatte in Deutschland erst mit den Riots in England aufkam. Vorher fand sich kaum ein Wort über die durch Moore angestoßene, sich in England vollziehende Diskussion. Zwei Tage vor Schirrmachers Beitrag tauchte in der FAZ (12.8.11) nur ein Verweis auf. Die Feuilletonkorrespondentin Gina Thomas schrieb über die "Randalierer und ihre Vorbilder" und führte mit Hilfe von Moores Kolumne Werteverfall als Grund für Riots aufs Deutungsfeld. Mit sozialer Ungleichheit hätten die Riots nichts zu tun, sondern sie zeugten vom "Verlust der moralischen Orientierung". Die "Unterschicht" hätte sich an der "Habgier der Boni-Banker und spesenritterlichen Abgeordneten" ein Vorbild genommen. Statt Armut gehe es um allgemeinen "Materialismus". Thomas koppelte die Proteste in England von Fragen der sozialen Ungleichheit ab, um sie zu entpolitisieren.

Diese Delegitimationsstrategie ist in der Sorge um die Sicherung der eigenen gesellschaftlichen Stellung begründet. So erscheint ein Satz als Klagelied auf die gute alte Zeit: "Anders als früher, als ein quasi erbliches Establishment die Zügel in der Hand hatte, gibt heute nicht die Herkunft den Ausschlag, sondern das Geld." Zwar spielen die Riots bei Schirrmacher keine Rolle, in den Zu- und Widersprüchen nach Schirrmachers Beitrag wird hingegen die These von der Krise des Konservativen immer wieder in Zusammenhang mit den sozialen Protesten in England gesetzt. Vermutlich lief dem Großteil des Bürgertums ein Schauer über den Rücken, als die Bilder aus London, Birmingham und Manchester zu sehen waren, wo Menschen Fernsehgeräte und teure Schuhe aus den Kaufhausketten entwendeten. Positiv betrachtet sorgt sich das konservative Establishment in den Redaktionen in erster Linie um ihre Werte, ihre Position und nicht zuletzt um ihren Besitz.

Bürstet man die "Schirrmacher-Debatte" weiter gegen den Strich, erscheint das Gerede um Werte und die Banker-Kritik nicht allein als bloßer Abwehrkampf. Auffällig häufig melden sich derzeit Konservative zu Wort, um Partei für das Soziale zu ergreifen. Anfang August forderte etwa der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel eine Besinnung der CDU auf evangelische Sozialethik und katholische Soziallehre, da die Wirtschaft für die Menschen da sei und kein Selbstzweck. In den USA drängt einer der reichsten Männer der Welt, Warren Buffet, auf erhebliche Steuererhöhungen für Reiche - und der Verfassungs- und Steuerrechtler Paul Kirchhoff bezeichnet in der FAS (21.8.11) das hiesige System als "Feudalismus", da das momentane Steuerrecht zu einer Umverteilung von Arm zu Reich führe.

In den Feuilletons sorgt sich das Bürgertum um Werte, beklagt fehlende soziale Ausgewogenheit. Doch die postulierte Werte- und Daseinskrise des Konservativismus als moralischer Bodyguard des Kapitalismus sollte kein Grund zu Freude sein. Ob gewollt oder nicht: Eine solche Debatte könnte eine für die Linke fatale diskursive Wirkung entfalten.

Karl Kraus merkte einmal an: "Das Geheimnis des Agitators ist, sich so dumm zu machen, wie seine Zuhörer sind, damit sie glauben, sie seien so gescheit wie er." Übertragen auf die Debatte um Schirrmacher und Moore bedeutet das, dass die Blitze in den bürgerlichen Feuilletons an ungeschützter Stelle einschlagen könnten. Die Interventionen bürgerlicher Schreiberlinge zielen darauf ab, die kulturelle Hegemonie über Gesellschaftskritik weiter zu festigen. Ein Feld, auf dem lange Zeit die Linke die Deutungshoheit hatte, aber diese schon vor Jahren verlor.

Würde eine ernsthafte Gefahr für das Bestehende von links ausgehen, wären reihenweise Linksbekenntnisse von Konservativen nur denkbar als Strategie, die linken Positionen in einen gesamtgesellschaftlichen Konsens einzubinden - sie im Sinne des kapitalistischen Projekts zu normalisieren. Doch von einer starken Stellung linker Ideen kann momentan keine Rede sein. Selten wurden antikapitalistische Thesen so sehr bestätigt wie in der billionenschweren Rettung von Banken. Die Linke vermochte es jedoch bisher nicht, aus einer der schwerwiegendsten Legitimationskrisen des Kapitalismus zu "profitieren". Es fehlt der Linken - genauer gesagt, der radikalen Linken - momentan an neuen Analysen und vor allem an der offensiven Vermittlung der vorhandenen.

Bürgertum will Hegemonie über Gesellschaftskritik


Das Betören und Streicheln linker Überzeugungen durch das konservative Feuilleton raschelte vielmehr deshalb so laut im Blätterwald, weil die Linke als Gegner um Deutungen nicht mehr ernst genommen wird. Beides zusammengedacht, einerseits die schwache Position linker Ideen in den Deutungskämpfen und andererseits soziale Proteste wie in England, aber auch in vielen anderen Ländern, ergibt folgende Situation: Die Verhältnisse spitzen sich zwar zu, gleichzeitig sind linke Alternativen im Mainstream unsichtbar. Genau diesen Zustand versucht die "bürgerliche Gesellschaftskritik" für sich zu nutzen.

Negativ betrachtet schicken sich also gerade die Moores und Schirrmachers an, linke Gesellschaftskritik endgültig überflüssig zu machen und an deren Stelle konservative und erzkapitalistische Deutungen zu setzen. Linker Antikapitalismus wird ersetzt durch (sozial-)marktwirtschaftliche "Kapitalismuskritik", die sich nicht gegen die Logik der Wirtschaftsordnung richtet, sondern gegen einzelne "Auswüchse". Das Feld des Sagbaren könnte schon bald so sehr beschnitten sein, dass der Linken hören und sehen vergeht.

Ob nun negativ oder positiv betrachtet: Sich über die vermeintlichen RenegatInnen zu freuen oder blauäugig zu fordern, sie sollten ihrer Worte Taten folgen lassen, führt in eine Sackgasse. Das von Schirrmacher und Moore gemeinsam servierte Zuckerbrot sollte offensiv abgewehrt werden, man könnte dran ersticken - und zum Schluss auch noch sprachlos werden.

Erstveröffentlichung in ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 564 / 16.9.2011

Was mir heute wichtig erscheint #285

Ausgesetzt: Die Landesregierung hat nach einer Pressemitteilung der "Juristen gegen Stuttgart 21" die Zahlungen an die Bahn ausgesetzt. Die Meldung erfreute tausende von MontagsdemonstrantInnen.

Niederlage: Sie be­ju­bel­ten den Mau­er­bau und sol­len des­halb keine An­zei­gen von der Lin­ken mehr be­kom­men. Das will Gre­gor Gysi. Doch die Links­par­tei folgt ihm wohl nicht. Zum Bericht über den Boykott eine Boykotts im "junge Welt" Soliblog.

Folgenreich: Das Freiburger "Konzept", Mietobergrenzen am Masstab einer fiktiven Wohnung auszurichten, ist gescheitert und hat eventuell Folgen für 14.000 EmpfängerInnen von Hartz IV "(...) Das Urteil des BSG, dessen schriftliche Begründung nun vorliegt, meint Roland Rosenow von der Kanzlei "Sozialrecht in Freiburg", könnte Folgen haben für mindestens 14 000 Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV und Grundsicherung in der Stadt.(...)" (via Badische Zeitung)

Unterstützung: Die "California Federation of Teachers" bekräftigt ihre Unterstützung für Mumia Abu-Jamal und bezeichnet seine anhaltende Inhaftierung als "Bedrohung für die Bürgerrechte aller Menschen".

Vorwurf: Dem in Stuttgart wegen Beteiligung an antirassistischen Protesten gegen einen „islamkritischen Kongress“ und den Gründungsparteitag des Landesverbandes der Partei „Die Freiheit“ Anfang Juni diesen Jahres angeklagten Antifaschisten werden nun auch noch vorgeworfen, zwei Bereitschaftspolizisten getreten zu haben, als diese versuchten ihn und andere DemonstrantInnen abzudrängen. Dabei sollen den beiden Schmerzen entstanden sein. Mehr im Soliblog "Freiheit für Chris".

Bespitzelung: Eine Initiativgruppe mehrerer freier AkteurInnen der politischen Bildungsarbeit hat einen Aufruf verfasst, in dem sich gegen das Hineinwirken des Verfassungsschutz in die politische Bildungsarbeit ausgesprochen wird.  Über 70 Personen und Projekte, u.a. PolitikerInnen, freie BildungsarbeiterInnen, WissenschaftlerInnen, SchülerInnen, GewerkschafterInnen und Initiativen und Organisationen gegen Rechts unterstützen den Aufruf bisher als ErstunterzeichnerInnen.

Rückblick: "Die HausbesetzerInnenbewegung–­ –¬–ºOst–­–¹–¬ begeht ihr zwanzigjähriges Jubiläum,–­ –¬die HausbesetzerInnenbewegung–­ –¬–ºWest–­–¹–¬ schaut auf dreißig Jahre zurück.–­ –¬Verträge laufen aus,–­ –¬unter neuen Vorzeichen tauchen alte Fragen auf:–­ –¬Verhandeln oder–­ (–¬wieder)besetzen–­? –¬In öffentliches/genossenschaftliches Eigentum umwandeln oder kaufen–­? –¬Die alten Zeiten vergessen oder mit ihnen drohen–­? –¬Vieles steht erneut auf dem Spiel und Prüfstand:–­ –¬Was ist aus den alten Zielen,–­ –¬aus den alten Ideen geworden–­? –¬Wer hält an ihnen fest,–­ –¬wer verrät sie,–­ –¬wer bestimmt sie neu–­? (...)" Veranstaltung mit Andrej Holm–­ (–¬Berlin–­) –¬und Wolf Wetzel–­ (–¬Frankfurt–­), den Autoren der DVD-Bücher:–­ –¬–ºWir wollen alles–­–¹–¬ -–­ –¬Häuserkampf von–­ –¬1970–­ –¬-–­ –¬1985–­ (–¬Band I–­) –¬und–­ –¬–ºBesetzen lohnt sich–­ –¬–“ bleiben auch–­–¹–¬ -–­ –¬Häuser-–­ –¬und Stadtkämpfe von–­ –¬1989–­ –¬-–­ –¬heute–­ (–¬Band II–­)–¬.

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika.

Widersprüche: "Seit dem 20. Juni wird wegen versuchten Totschlags eines Polizisten ermittelt und zahlreiche Handlungen der Ermittler damit begründet. Schwerer Raub, schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung. Der Stuttgarter Staatsanwaltschaft kann man zumindest bei der Suche nach Tatvorwürfen keine fehlende Fantasie vorwerfen. (...)" gulli.com zu einem Skandal ohne Ende.

Fallstudie: "Der letzte Akt des Aggressionskrieges gegen Libyen scheint nun begonnen zu haben. Von einem »Sieg der Rebellen« oder gar einem »Sturz des Diktators durch das eigene Volk«, wie die taz in der vergangenen Woche frohlockte, kann keine Rede sein. Es war im Kern eine NATO-Offensive, die der Anti-Ghaddafi-Koalition den Weg nach Tripolis ebnete. Während außerhalb Europas und Nord­amerikas die verheerenden Sturmangriffe auf die libysche Hauptstadt und andere Orte klar als imperiales Verbrechen verurteilt wurden, ging die Komplizenschaft westlicher und arabischer Medien über das bisherige Maß hinaus, sie wurden Teil der massiven psychologischen Kriegführung. (...)" "Der Fall von Tripolis" Beitrag von Joachim Guilliard in der "jungen Welt".

Neusprech: "Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird, knöpft sich nun den Niedriglohn vor: der sei eigentlich ein Einstiegslohn, findet die INSM und versucht das auch gleich mit einem passenden Gutachten zu belegen. (...)" Beitrag von Silvio Duwe bei telepolis

Polizeioperationen: "Zwar wurde die Teilnahme der rumänischen Regierung am Schengen-Zirkus vorerst verzögert. Jedoch sollen bald auch Rumänien und Bulgarien an der viel gepriesenen Freizügigkeit teilhaben, die für die privilegierten BürgerInnen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vereinbart wurde. Diese scheinbare Bewegungsfreiheit durch den Abbau der Grenzen zwischen den Mitgliedsstaaten ging indes mit der Einrichtung einer neuen Datenbank einher: Dem Schengener Informationssystem SIS II, das größtenteils zum Aufspüren unerwünschter MigrantInnen genutzt wird. (...)" Redebeitrag von Out of Control Berlin für die Videokundgebung„Antiziganistische Hetze stoppen! –“ Selbstbestimmung statt Räumung“– am 29.8. in Berlin zur Rolle der "EU Grenzschutzagentur" Frontex bei der Migrationsabwehr.

Proletarisierungsprozess:
Interview von Radio Freies Sender Kombinat, Hamburg (FSK) mit Karl-Heinz Roth, Historiker, Mediziner und Vorstandsmitglied der Bremer Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts zum Kontext des Textes "Der kommende Aufstand" und der Riots in Britannien.

Luftpost: "Am Donnerstag, den 25. August 2011, versammelten sich etwa 40 InternationalistInnen aus verschiedenen Regionen der Welt vor dem US Konsulat in Hamburg (Deutschland), um gegen die Isolationshaft und die Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung für Leonard Peltier zu protestieren. Während der einstündigen Kundgebung hielten die politischen AktivistInnen ein Transparent u.a. mit der Aufschrift „ Yes you can Set him free“ und verteilten Flugblätter. SprecherInnen beleuchteten den Fall von Leonard Peltier und der seit mehr als 35 Jahren unrechter Inhaftierung. Es wurde auch über die Situation Mumia Abu Jamals und der allgemeinen Zwangslage der politischen Gefangenen in den Kerkern der USA gesprochen." Bericht über eine Solidaritätsaktion letzten Donnerstag in Hamburg, bei der ein Flyer und ein Transparentteil auf ungewöhnlichem Weg zu Barack Obama geschickt wurde, bei thecaravan.org

Schwarzer Freitag im August?

Dow Jones Industrial Average 1929
Quelle: Wikipedia
Die Aktienkurse stürzen senkrecht. Seit den kleineren Crashs von vor 14 Tagen sind insgesamt über 2000 Punkte verloren gegangen. Und zwar, ohne dass sich die bescheidensten Zwischenerholungen zeigten.Die Zeitungen brachten das keineswegs alle auf der ersten Seite. Die verinnerlichte Moral verbot Panikmache. Zwischendurch Hilfserklärungen. Jemand hätte am Vormittag bei den Verkaufsorders auf die falsche Taste gedrückt - deshalb das Ganze. Nachdem sich bis Abend nichts gebessert hatte, war es mit diesem Trost auch wieder vorbei.

Das Neue bei diesem Mal: es ging überall bergab. Zum Vergleich: als nach dem glücklich erzielten Zusammenbruch der UDSSR und der Ostländer 1990 ff. alle skandinavischen Märkte in die Knie gingen, da florierte zur gleichen Zeit das okkupierende Westdeutschland. Global glich sich alles wieder aus. Davon kann dieses Mal keine Rede sein.

Dass es keinen besonderen Anlass für dieses Mal gab, gerade das zeigt die katastrophale Lage am deutlichsten an. Kein Bankenkrach. Kein neues KKW - Malheur. Man rechnet nur einfach nicht mehr mit einem weiteren Aufschwung in nächster Zeit. Will aussteigen. Wenn es nur - außer jenem aus dem denkbar unproduktiven Gold - einen Steg an ein sicheres Ufer gäbe. Wurde die gleiche Krise- immer noch die gleiche wie 2008- noch über grenzenloses Schuldenmachen- und Bürgen nicht behoben, aber ins Unsichtbare geschoben, so kann sich inzwischen jeder, der nicht fingeramputiert sein sollte, ohne mechanische Hilfsmittel ausrechnen, dass die Methode nicht unbegrenzt fortgeführt werden kann.

Und - wie England zeigt - dass der Glauben ans Rückzahlenkönnen simuliert werden muss durch Sparbeschlüsse rigoroser Art. Die an den unteren vollzogen werden. Mit den unvermeidlichen Auflehnungen. Und entsprechender Rückschlagmethode gegen die Uneinsichtigen. Die Krise kann dieses Mal nicht schnell zu Kriegen führen in den Kernräumen des Kapitals, aber zu einer Abart kontinuierlichen Bürgerkriegs - zunächst noch über die Polizei. Das Heer steht immerhin eingriffsbereit.

Wird aber alles so schlimm kommen wie 1929 und in den folgenden Jahren? Oder wird es bei einer Delle, bei einem Knick bleiben, wie man besinnlich lächelnd am Brokerstammtisch nach getaner Ausradierung des und der Überflüssigen sagen wird?

Einen Fehler von damals haben die Staaten dieses Mal nicht wiederholt. Den nämlich, die eigenen Wechselkurse so zu senken, dass für den heimischen Export ein Wettbewerbsvorteil herausspringen sollte. Das nämlich hatte bis 1932 den freien Weltmarkt faktisch zerstört und führte allenfalls noch zu nationalen Tauschgeschäften. Diese Entwicklung erwies sich als schlimmer als die Krise an der Börse.

EU hat immerhin das verhindert. Der Vorteil wird durch einen Nachteil weitgehend zunichte gemacht: das Klüngeln der vermeinlich noch Mächtigen- Deutschland/Frankreich- die immer hektischer zusammen herumfuhrwerken, um möglichst vielen europäischen Randstaaten Diktate aufzuerlegen. In Kauf genommen dabei mehr oder weniger empörte Massenbewegungen, die dann wieder unter rechtem Beifall niedergeschlagen werden können.

Die letzte Gluckensitzung Merkel-Sarkozy hat wenig gebracht. Undankbar ließen sich die deutschen und französischen Börsianer am tiefsten fallen- und hätten doch Aufmunterung und Vorbild sein sollen. Immerhin. In der allgemeinen Panik lässt sich wohl doch noch einiges durchsetzen.

Allgemeine Haltung: Weiterwursteln. Obama noch für seine letzten vier Jahre. Merkel kriegt vielleicht auch noch einen Barmherzigkeitsbonus. Auch einen Sarkozy wird man mit zusammengebissenen Zähnen ertragen. Cameron, Berlusconi und der spanische Präsidentenimitator freilich müssen durch noch ärmere Darsteller ersetzt werden.

Damit wäre viel Zeit "gekauft", wie man merkantil sich zu äußern pflegt. Viel Zeit für die Reste der organisierten arbeitenden Leute, die es vielleicht doch einmal müde werden, die Haut immer straffer zusammengezogen zu kriegen.Und die in den härter werdenden Tagen vielleicht doch einmal Versuche machen, sich mit Gewerkschaften in anderen Ländern zusammenzuschließen -gegen den alle bedrohenden Druck. Und mehr noch sich zusammenzuschließen mit all den Jugendlichen, die - wie jetzt in England - zur Schauschlachtung anstehen, um in einem Jahr - nach Amnestie - gerührt der Allgemeinheit und der allgemeinen Sauerei wieder zurückgegeben zu werden.

Das Erschütternde an der gegenwärtigen Krise liegt nicht darin, dass die Oberen brutal, hartherzig und weitplanerisch sind. Das waren sie immer. Das Erschütternde liegt darin, dass es so wenig Empörung dagegen gibt. Und so geringe Einigkeit in der Abwehr. Bald kommt der Papst. Und keinen wird interessieren, was er uns zu predigen hat. Aber alle- wer dieses Mal wieder nicht aufsteht. Oder - wer die längstabgerissene Mauer in Berlin nicht vorschriftsmäßig so schlimm findet, wie linke Tugendwächter das unentwegt tun. Folge: Der Karren holpert weiter seinen bösen Gang.
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