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Kurt Tucholsky: Schnipsel. In: Gesammelte Werke / Die Weltbühne, 19. Juli 1932, Nr. 29, Seite 98
Danke für die Idee geht an Wolfgang Hammes
. . . Und wenn alles vorüber ist -; wenn sich das alles totgelaufen hat: der Hordenwahnsinn, die Wonne, in Massen aufzutreten, in Massen zu brüllen und in Gruppen Fahnen zu schwenken, wenn diese Zeit-krankheit vergangen ist, die die niedrigen Eigenschaften des Menschen zu guten umlügt; wenn die Leute zwar nicht klüger, aber müde geworden sind; wenn alle Kämpfe um den Faschismus ausgekämpft und wenn die letzten freiheitlichen Emigranten dahingeschieden sind -: dann wird es eines Tages wieder sehr modern werden, liberal zu sein.
Dann wird einer kommen, der wird eine gradezu donnernde Entdeckung machen: er wird den Einzelmenschen entdecken. Er wird sagen: Es gibt einen Organismus, Mensch geheißen, und auf den kommt es an. Und ob der glücklich ist, das ist die Frage. Daß der frei ist, das ist das Ziel. Gruppen sind etwas Sekundäres - der Staat ist etwas Sekundäres. Es kommt nicht darauf an, daß der Staat lebe - es kommt darauf an, daß der Mensch lebe.
Dieser Mann, der so spricht, wird eine große Wirkung hervorrufen. Die Leute werden seiner These zujubeln und werden sagen: "Das ist ja ganz neu! Welch ein Mut! Das haben wir noch nie gehört! Eine neue Epoche der Menschheit bricht an! Welch ein Genie haben wir unter uns! Auf, auf! Die neue Lehre -!"
Und seine Bücher werden gekauft werden oder vielmehr die seiner Nachschreiber, denn der erste ist ja immer der Dumme.
Und dann wird sich das auswirken, und hunderttausend schwarzer, brauner und roter Hemden werden in die Ecke fliegen und auf den Misthaufen. Und die Leute werden wieder Mut zu sich selber bekommen, ohne Mehrheitsbeschlüsse und ohne Angst vor dem Staat, vor dem sie gekuscht hatten wie geprügelte Hunde. Und das wird dann so gehen, bis eines Tages . . .
Ignatz Wrobel (* 9. Januar 1890 in Berlin; – 21. Dezember 1935 in Göteborg)
Erstveröffentlichung in: Die Weltbühne, 28.10.1930, Nr. 44
Von Bundesarchiv, Bild 183-L1129-511 / CC-BY-SA 3.0
Du sitzt für uns alle.
Unerschütterlich.
Wir gedenken deiner. Wir grüßen dich.
Als es aus war, hast du deinen Kopf hingehalten.
Gegen die Presse, die Bürger, die Polizei –“ gegen alle Gewalten.
Als es aus war, hast du vor Gericht gestanden.
Als ein Mann!
Alle Paragraphen wurden zuschanden.
Der Richter funkelte –“ weiß vor ohnmächtiger Wut.
Du sahst ihn nur an wie der Hauptmann den dummen Rekrut.
Der Richter kreischte und schimpfte unflätig –“ gemein.
Da standest du auf! Und spieest der Justiz mitten in ihr Gesicht hinein!
»Wer seid ihr?« Und: »Ich erkenne dies Gericht nicht an!«
Und: »Was könnt ihr mir schon –“?«
Die zappelnden Talare übertönte dein Ruf:
»Es lebe die Weltrevolution –“!«
Jetzt sitzt du im Zuchthaus.
In der Hand von Gefängniswärtern und Direktoren.
Du wirst schikaniert, geschlagen, gequält ...
Du hast den Mut nicht verloren.
Tausende sitzen wie du. Tapfer, ohne zu klagen, stumm.
Opfer der Richter. Wer kümmert sich drum –“?
Wer –“?
Wenn wo Proletarier zusammenstehn,
wenn sie deinen Namen hören, dein Bildnis sehn –“
dann wird es ganz still. Die Köpfe neigen sich.
Du sitzt für sie alle.
Sie geloben Rache. Schweigen ...
Und grüßen dich.
Theobald Tiger. Der Knüppel, 01.07.1926, Nr. 7.
Was die Freiheit ist bei den Germanen,
die bleibt meistens schwer inkognito.
Manche sind die ewigen Untertanen,
möchten gern und können bloß nicht so.
Denn schon hundert Jahr
trifft dich immerdar
ein geduldiger Schafsblick durch die Brillen.
Doof ist doof.
Da helfen keine Pillen.
Was Justitia ist bei den Teutonen,
die hat eine Binde obenrum.
Doch sie tut die Binde gerne schonen,
und da bindt sie sie nicht immer um.
Unten winseln die
wie das liebe Vieh.
Manche glauben noch an guten Willen ...
Doof ist doof.
Da helfen keine Pillen.
Was die Einigkeit ist bei den Hiesigen,
die ist vierundzwanzigfach verteilt.
Für die Länder hat man einen riesigen
Schreibeapparat gefeilt:
Hamburg schießt beinah
sich mit Altona;
Bayern zeigt sich barsch,
ruft: »Es lebe die Republik!«
Jeder denkt nur gleich
an sein privates Reich ...
Eine Republike wider Willen.
Deutsch ist deutsch.
Da helfen keine Pillen.
Theobald Tiger
Die Weltbühne, 15.03.1927, Nr. 11, S. 424.
"Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen 'wie es denn eigentlich gewesen ist–˜. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt."
Walter Benjamin "Über den Begriff der Geschichte"
Heute ist der 80. Todestag des von mir sehr verehrten Journalisten und Schriftstellers, Satirikers, Kabarettautoren, Liedtexters, Romanautoren, Lyrikers und Kritikers Kurt Tucholsky.
Er wurde 1890 in Berlin geboren, veröffentlichte 1907 erste Texte, war nach seinem Jura-Studium 1915-1918 Soldat im I. Weltkrieg. Lebte dann von 1919-1924 in Berlin, war Mitherausgeber der "Weltbühne", von 1924-29 in Paris als deren Korrespondent. 1933 wurde er von den Faschisten aus dem Deutschen Reich ausgebürgert, seine Bücher wurden - für die Nazis nicht ohne Grund - verbrannt. Er verstand sich zeitlebens als "linker Demokrat, Sozialist, Pazifist und Antimilitarist und warnte vor der Erstarkung der politischen Rechten –“ vor allem in Politik, Militär und Justiz –“ und vor der Bedrohung durch den Nationalsozialismus." (Quelle)
Am 21. Dezember 1935 starb er, vermutlich an einer versehentlichen Überdosierung von Medikamenten im schwedischen Göteborg, wo er bereits seit 1930 lebte.
Mein erster bewußter Kontakt zu Tucholsky war sein Gedicht "Drei Minuten Gehör!" aus dem Jahr 1922, das er unter dem Pseudonym Theobald Tiger veröffentlichte (Im Ergebnis besorgte ich mir erst einmal die Gesammelten Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Rowohlt, Reinbek 1975, ISBN 3-499-29011-1, heute leider nur noch antiquarisch erhältlich). Zu Tucholsky siehe auch den Beitrag von Fritz Güde: Tucholsky - zur Feigheit begnadigt. Im Protest
Drei Minuten Gehör!
Drei Minuten Gehör will ich
von euch, die ihr arbeitet –“!
Von euch, die ihr den Hammer schwingt,
von euch, die ihr auf Krücken hinkt,
von euch, die ihr die Feder führt,
von euch, die ihr die Kessel schürt,
von euch, die mit den treuen Händen
dem Manne ihre Liebe spenden –“
von euch, den Jungen und den Alten –“:
Ihr sollt drei Minuten inne halten.
Wir sind ja nicht unter Kriegsgewinnern.
Wir wollen uns einmal erinnern.
Die erste Minute gehöre dem Mann.
Wer trat vor Jahren in Feldgrau an?
Zu Hause die Kinder –“ zu Hause weint Mutter ...
Ihr: feldgraues Kanonenfutter –“!
Ihr zogt in den lehmigen Ackergraben.
Da saht ihr keinen Fürstenknaben:
der soff sich einen in der Etappe
und ging mit den Damen in die Klappe.
Ihr wurdet geschliffen. Ihr wurdet gedrillt.
Wart ihr noch Gottes Ebenbild?
In der Kaserne –“ im Schilderhaus
wart ihr niedriger als die schmutzigste Laus.
Der Offizier war eine Perle,
aber ihr wart nur –ºKerle–¹!
Ein elender Schieß- und Grüßautomat.
»Sie Schwein! Hände an die Hosennaht –“!«
Verwundete mochten sich krümmen und biegen:
kam ein Prinz, dann hattet ihr stramm zu liegen.
Und noch im Massengrab wart ihr die Schweine:
Die Offiziere lagen alleine!
Ihr wart des Todes billige Ware ...
So ging das vier lange blutige Jahre.
Erinnert ihr euch –“?
Die zweite Minute gehöre der Frau.
Wem wurden zu Haus die Haare grau?
Wer schreckte, wenn der Tag vorbei,
in den Nächten auf mit einem Schrei?
Wer ist es vier Jahre hindurch gewesen,
der anstand in langen Polonaisen,
indessen Prinzessinnen und ihre Gatten
alles, alles, alles hatten –“ –“?
Wem schrieben sie einen kurzen Brief,
dass wieder einer in Flandern schlief?
Dazu ein Formular mit zwei Zetteln ...
wer mußte hier um die Renten betteln?
Tränen und Krämpfe und wildes Schrein.
Er hatte Ruhe. Ihr wart allein.
Oder sie schickten ihn, hinkend am Knüppel,
euch in die Arme zurück als Krüppel.
So sah sie aus, die wunderbare
große Zeit –“ vier lange Jahre ...
Erinnert ihr euch –“?
Die dritte Minute gehört den Jungen!
Euch haben sie nicht in die Jacken gezwungen!
Ihr wart noch frei! Ihr seid heute frei!
Sorgt dafür, dass es immer so sei!
An euch hängt die Hoffnung. An euch das Vertraun
von Millionen deutschen Männern und Fraun.
Ihr sollt nicht strammstehn. Ihr sollt nicht dienen!
Ihr sollt frei sein! Zeigt es ihnen!
Und wenn sie euch kommen und drohn mit Pistolen –“:
Geht nicht! Sie sollen euch erst mal holen!
Keine Wehrpflicht! Keine Soldaten!
Keine Monokel-Potentaten!
Keine Orden! Keine Spaliere!
Keine Reserveoffiziere!
Ihr seid die Zukunft!
Euer das Land!
Schüttelt es ab, das Knechtschaftsband!
Wenn ihr nur wollt, seid ihr alle frei!
Euer Wille geschehe! Seid nicht mehr dabei!
Wenn ihr nur wollt: bei euch steht der Sieg!
–“ Nie wieder Krieg –“!
Theobald Tiger, Republikanische Presse, 29.07.1922, Nr. 6,
Heute vor 125 Jahren wurde der Schriftsteller, Journalist und Satiriker Kurt Tucholsky geboren. Aus diesem Anlass sein bis heute hochaktueller Text:
Was darf die Satire?
Wenn einer bei uns einen guten Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.
Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: "Nein!" Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.
Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.
Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.
Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird.
Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Ich hebe den Vorhang auf, der schonend über dieFäulnis gebreitet war, und sage: "Seht!" - In Deutschland nennt man dergleichen "Kraßheit". Aber Trunksucht ist ein böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose Wahrheit kann da helfen. Und so ist das damals mit dem Weberelend gewesen, und mit der Prostitution ist es noch heute so.
Der Einfluß Krähwinkels hat die deutsche Satire in ihren so dürftigen Grenzen gehalten. Große Themen scheiden nahezu völlig aus. Der einzige "Simplicissimus" hat damals, als er noch die große, rote Bulldogge rechtens imWappen führte, an all die deutschen Heiligtümer zu rühren gewagt: an den prügelnden Unteroffizier, an den stockfleckigen Bürokraten, an den Rohrstockpauker und an das Straßenmädchen, an den fettherzigen Unternehmer und an den näselnden Offizier. Nun kann man gewiß über all diese Themen denken wie man mag, und es ist jedem unbenommen, einen Angriff für ungerechtfertigt und einen anderen für übertrieben zu halten, aber die Berechtigung eines ehrlichen Mannes, die Zeit zu peitschen, darf nicht mit dicken Worten zunichte gemacht werden.
Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.
Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrpückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.
Nicht einmal dem Landesfeind gegenüber hat sich die deutsche Satire herausgetraut. Wir sollten gewiß nicht den scheußlichen unter den französischen Kriegskarikaturen nacheifern, aber welche Kraft lag in denen, welche elementare Wut, welcher Wurf und welche Wirkung! Freilich: sie scheuten vor gar nichts zurück. Daneben hingen unsere bescheidenen Rechentafeln über U-Boot-Zahlen, taten niemandem etwas zuleide und wurden von keinem Menschen gelesen.
Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle - Volksschullehrer und Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte und Frauen und Volksbeauftragte - wir alle haben Fehler und komische Seiten und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren ("Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!"), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen - aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt. Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übel nähmen.
So aber schwillt ständiger Dünkel zum Größenwahn an. Der deutsch Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös, aber auf Dauer etwas ermüdend. Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.
Was darf die Satire?
Alles.
Ignaz Wrobel, Berliner Tageblatt 36, 27.1.19