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Bradley Roland Will: 15. Todestag

Am Freitag, den 27. Oktober 2006, wurde Bradley Roland Will, alias Brad Will, ein US-Journalist und Kameramann, in Oaxaca bei einer Schießerei durch einen Bauchschuss getötet. Zu der Schießerei kam es, als bewaffnete Personen versuchten eine Straßensperre zu beseitigen, die von den Aufständischen der Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca (APPO) errichtet worden war, die Oaxaca mehrere Monate besetzt hielten.

Brad Will
Foto: Hinrich Schultze

Will war in Oaxaca und berichtete über den andauernden Widerstand von Lehrern und Arbeitern gegen die PRI-kontrollierte Regierung des Staats Oaxaca. Nach Berichten von IMC New York und von "La Jornada" (Mexico) wurde dem 36-jährigen Will aus einer Entfernung von 30-40 Metern von zivilen Paramilitärs in den Bauch geschossen. Er starb auf dem Weg zum Roten Kreuz.

¡Brad Will presente. Ahora y siempre!

Santa Lucia del Camino,Oaxaca 2008
Foto: contraimpunidad


Mehr Informationen:

http://vientos.info/cml/
http://mexico.indymedia.org/BradWill
http://mexico.indymedia.org/oaxaca
Spanischer Bericht bei IndyMedia Chiapas

Damián Gallardo Martínez : Ein Jahr in Freiheit

Am 28.12.2019 fand in Oaxaca eine Feier zum ersten Jahrestag der Freilassung von Damián Gallardo Martínez statt. Wir dokumentieren seine kurze Rede. (Übersetzung: B. / chiapas.eu)

Aus dem Oaxaca des Aufstands.
28. Dezember, 2019.

Schwestern, Brüder, Weggefährten und -gefährtinnen:

Vor einem Jahr hatten wir den Weg abgeschritten, den andere, die uns in Schmerz, Hoffnung und mit Beispiel vorausgegangen waren, bereits abgelaufen hatten. Sie, Männer und Frauen anderer Tage, anderer Zeiten; ebenfalls eingeschlossen durch die Dunkelheit, die Mauern, die Zäune und das Schweigen, die die von jeher Mächtigen den Kindern der Erde aufzwingen; Den Kindern des Volks (d.h., der Marginalisierten), die wir in Würde kämpfen für Gerechtigkeit. Wir sind nicht die ersten gewesen, nicht die einzigen und nicht die letzten. Vor einem Jahr eröffneten sich andere Wege in andere Richtungen. Die Nächte und die Tage waren länger gewesen und die Ungewissheit ein Kreis ohne Mitte, der sich in unseren Herzen drehte; So wie es auch heute geschieht in den Herzen anderer Gesichter mit anderen Namen, wenn sie das Wort "Freiheit" aussprechen.

Vor einem Jahr, zu den Seiten hin, öffnete sich die Solidarität, die Begleitung durch Angehörige, Freunde, Freundinnen, Schwestern und Brüder im Kampf. Mit ihnen kam das Wort anderer Frauen und Männer, ohne Gesicht, mit unbekannten Namen, die die Lüge und das Schweigen zerbrachen, die sich die Mächtigen gegen uns ausgedacht hatten. Mit dem Ruf: Freiheit den Politischen Gefangenen!

Ausgehend von der Lehrer*innenbewegung, Kollektiven und Organisationen verwandelten sich die Wege in weite Brücken, über die sich unauffällig die Freiheit annäherte, verkleidet als kleine Ameise, tapfer und gemeinschaftlich. Heute kann ich das Gesicht meiner Schwestern und Brüder sehen. Den Namen ihrer Herzen kennenlernen, ihre Hände und Hoffnungen erreichen. Denn unsere Schritte treffen sich weiterhin in neuen Kämpfen und Heiterkeiten, weben alte Aufstände und erfinden den Traum unserer Großmütter und -väter, die uns jene Sturheit frei sein zu wollen vererbten, neu.

Vor einem Jahr hatten wir eine mit dem Tod ringende Regierung, erstickt an ihren Lügen, gebadet in Blut, mit übel riechender Korruption, die in jedem Atemzug und jeder Rede umhertrieb. Zurück reichten die von vorn begonnenen und gelernten Pfade gegen ihre Bildungsreform; Auch die Kämpfe, die nach unserer Befreiung, gegen die Kriminalisierung von Protest und sozialen Kämpfen. Von dem zurückgelegten Weg erreichte und übertrug sich uns der Mut der Namen unserer 43 Verschwundenen, der Märtyrer aus Nochixtlán, Acteal, Loxicha und der APPO von 2006. Von dem zurückgelegten Weg her kommt die Geschichte, in der wir weitergehen.

Heute, mit neuen Vergehen und Ungerechtigkeiten, in diesen hybriden Zeiten, in denen sich neue Schwindeleien aufbauen und inmitten von Festtagen Anordnungen getroffen werden, der Tod des Neoliberalismus, ohne auch nur mit dem Blütenblatt einer Rose eine einzige Bergbaukonzession zu berühren, erhalten wir uns im Geist, auf den Lippen, im Herzen und in der Aktion:

• Weder Verzeihen, noch vergessen!
• Uns fehlen weiterhin 43 (Studenten)!
• Nicht eine Tote mehr, Lebend wollen wir uns!
• Freiheit für Pablo López Alavez, für Fredy García und alle Politischen Gefangenen des Landes!
• Stoppt die tödlichen Megaprojekte!
• Stoppt die Kriminalisierung, Verfolgung und die Attentate gegen Menschenrechtsverteidiger, Land und Territorien (der Marginalisierten)!

Vor einem Jahr, begannen die noch unbeschrittenen Wege in die Zukunft: Die formlose Amnestie einer neuen Regierung annehmen? Das Angebot einer Begnadigung annehmen zu einer Tat, die wir nicht begangen hatten? Oder das Risiko eingehen, weiterhin ungerechtfertigt gefangen zu bleiben bis wir eine würdige Freiheit erlangen würden? Wir entschieden uns für das Recht, um für eine Freiheit in Würde zu kämpfen.

Heute halten wir weiterhin daran fest:

„Das ist nicht passiert, damit wir zuhause bleiben, sondern wir gestalten ein Zuhause/
Nicht damit wir in der Liebe bleiben, sondern damit wir lieben/
Und wir sind nicht gestorben, um zu sterben/
Wir haben Durst und Geduld wie ein Tier“.

Wir verwechseln deshalb nicht die Veränderung eines politischen Regimes von oben mit dem Kulminationspunkt der Kämpfe unserer Bevölkerungen; Wir geben ebenso wenig unseren kritischen Blick oder die kreative Debatte auf. Ein Jahr nach dem gemeinschaftlichen Erringen unserer Freiheit. Heute ist weiterhin die Zeit der Würde, jene, nicht darauf zu warten, dass die Mächtigen unsere Probleme lösen; Es ist weiterhin die Zeit, um unsere Geschichte zurückzuerobern, unsere Stimme und um unsere Kämpfe aus fröhlicher Würde heraus neu zu erfinden.

Ein Jahr danach... noch mit dem Echo der Gitterstäbe meiner Zelle nachklingend in meinen Ohren beim Verschließen hinter mir glaube ich weiter daran, dass sich die wirklichen Transformationen von unten aufbauen. Durch Arbeit in Gemeinschaft, ohne Versprechen, und ohne Vortäuschen; Gestaltend aus unseren verschiedenen Wirklichkeiten heraus, die Initiativen und Kräfte, die uns ermöglichen, eine Alternative –“ zu leben und uns zu organisieren –“ aufrechtzuerhalten, gegen die Plünderung, die Zerstörung der Erde, der Menschheit und der Natur.

Weggefährtinnen, Weggefährten, Schwestern, Brüder: Ein Jahr, nachdem wir unsere Freiheit erobert haben, möchte ich euch allen; Einzelpersonen, Kollektiven, Sozialen Organisationen, Gewerkschaften, NGOs, Menschenrechtsverteidiger*innen auf nationaler und internationaler Ebene meine Dankbarkeit ausdrücken. Dafür, dass ihr es möglich gemacht habt, durch Begleitung, Solidarität und die Verpflichtung gegenüber den gerechten Sachen, dass ich am heutigen Tage das Wort „Freiheit“ unter blauem Himmel ausrufen kann, der mir nicht mehr fremd ist, und meine Füße auf der Erde rasten lassen kann, die neue Wege des Kampfes zeichnet. Für immer und von Herzen euch allen Danke für euren Kampf und eure Solidarität. Meine Schwestern und Brüder, ich erkenne euch anhand der Hoffnung und weil ihr das Leben verteidigt wie ein Feuer.

Brüderlich

Menschrechtsverteidiger und ehemaliger Politischer Gefangener
Damián Gallardo Martínez

Der Wind Sind Wir - Widerstand gegen einen Megawindpark in Mexiko

Der Istmo von Tehuantepec (Oaxaca, Mexiko) ist eine der windigsten Regionen der Welt. Seit 1994 werden dort deshalb zahlreiche Windparks errichtet. Während sie Entwicklung und Fortschritt versprechen, führen sie die ansässigen Gemeinden hinters Licht.

2012 spitzt sich einer der vielen Konflikte, der durch den Plan der Errichtung des Windparks San Dionisio del Mar hervorgerufen wird, zu. Mehrere Gemeinden verschiedener indigener Völker vereinen sich im Widerstand gegen dieses Megaprojekt.

Der Dokumentarfilm stützt sich auf die Realitäten und Meinungen der betroffenen Bewohner*innen und gibt denjenigen das Wort, die in den Massenmedien totgeschwiegen werden.

Gleichzeitig wird der Diskurs der „grünen Energie" und der „nachhaltigen Entwicklung" kritisch hinterfragt, um die Logik und Funktionsweise der Megaprojekte im Kontext des globalen Kapitalismus aufzuzeigen.

Kontakt: somosviento@riseup.net

Mörder von Brad Will gefasst?

Brad Will

Foto mit freundlicher Genehmigung von Hinrich Schultze
Am Freitag, den 27. Oktober 2006, wurde Bradley Roland Will, alias Brad Will, ein US-Journalist und Kameramann, in Oaxaca bei einer Schießerei durch einen Bauchschuss getötet. Zu der Schießerei kam es, als bewaffnete Personen versuchten eine Straßensperre zu beseitigen, die von den Aufständischen der Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca (APPO) errichtet worden war, die Oaxaca mehrere Monate besetzt hielten.

Will war in Oaxaca und berichtete über den andauernden Widerstand von Lehrern und Arbeitern gegen die PRI-kontrollierte Regierung des Staats Oaxaca. Nach Berichten von IMC New York und von "La Jornada" (Mexico) wurde dem 36-jährigen Will aus einer Entfernung von 30-40 Metern von zivilen Paramilitärs in den Bauch geschossen. Er starb auf dem Weg zum Roten Kreuz.

Fast sechs Jahre nach dem Mord wurde nun dessen mutmaßlicher Mörder festgenommen. Das erklärte der Gouverneur von Oaxaca, Gabino Cué, am 25. Mai. Mit der Festnahme von Lenin Osorio Ortega durch die Ermittler seien die Untersuchungen der Generalstaatsanwaltschaft PGR abgeschlossen, so Cué. Zur Meldung bei poonal

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Spanischer Bericht bei IndyMedia Chiapas

Bradley Roland Will: 5. Todestag

Am Freitag, den 27. Oktober 2006, wurde Bradley Roland Will, alias Brad Will, ein US-Journalist und Kameramann, in Oaxaca bei einer Schießerei durch einen Bauchschuss getötet. Zu der Schießerei kam es, als bewaffnete Personen versuchten eine Straßensperre zu beseitigen, die von den Aufständischen der Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca (APPO) errichtet worden war, die Oaxaca mehrere Monate besetzt hielten.

Brad Will
Foto: Hinrich Schultze

Will war in Oaxaca und berichtete über den andauernden Widerstand von Lehrern und Arbeitern gegen die PRI-kontrollierte Regierung des Staats Oaxaca. Nach Berichten von IMC New York und von "La Jornada" (Mexico) wurde dem 36-jährigen Will aus einer Entfernung von 30-40 Metern von zivilen Paramilitärs in den Bauch geschossen. Er starb auf dem Weg zum Roten Kreuz.

¡Brad Will presente. Ahora y siempre!

Santa Lucia del Camino,Oaxaca 2008
Foto: contraimpunidad


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Spanischer Bericht bei IndyMedia Chiapas

Was mir heute wichtig erscheint #269

Kommunismus: Baden-Württemberg ist ja inzwischen direkt auf dem Weg in den Kommunismus. Zumindest kann man das glauben, wenn man den bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer hört. Er sagte nämlich, jetzt wo BaWü einen grünen Ministerpräsidenten bekommen wird: „Bisher hatten wir einen Wettstreit innerhalb gleicher Grundüberzeugungen. Jetzt führen wir einen Wettbewerb unter anderen Vorzeichen. Wir haben nun einen Wettbewerb der Systeme.“ Beitrag und Fotos von Woschod zur gestrigen Montagsdemo in Stuttgart.

Aktionen: Fotos von den Antifa-Aktionen gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai 2011 in Heilbronn.

Bericht: Die Demobeobachter des Stuttgarter Versammlungsrechtsbündnisses haben ihren Bericht zur "revolutionären 1. Mai Demonstration" in Stuttgart veröffentlicht.

Verfassungsbruch: Frau Merkel, wörtlich: „Ich freue mich, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten.“

Morddrohung:
Neonazis sprühten eine Morddrohung an das Haus des Hoesch-Betriebsratsvorsitzenden Gerd Pfisterer in Dortmund. Doch der seit vielen Jahren aktive Antifaschist lässt sich nicht einschüchtern. Kollegen und Nachbarn stehen an seiner Seite. Bericht bei der IG Metall.

Prozess: Die nächsten beiden Robin Wood-Kletterer der Baggerbesetzung haben ihren Prozess heute, Dienstag, 3.5.2011, 13.00 Uhr im Amtsgericht Stuttgart. Sie freuen sich über zahlreiche solidarische Unterstützung und Protest-Emails an das Gericht. Alles weitere im Blog der Kletteraktivistin Cécile Lecomte, siehe auch: 2. Gerichtstermin wegen Baggerbesetzung.

Analyse: Die 90. Ausgabe der Quartalszeitschrift "Antifaschistisches Info-Blatt (AIB)" beschäftigt sich in ihrem Titelthema "Ausweitung der Kampfzone" diesmal mit den praktischen Auswirkungen des Extremismuskonzepts. Friedrich Burschel schreibt in seinem Beitrag "Konstrukt mit Wirkungsmacht", wie die neue Extremismus-Doktrin bewährte Projekte gegen rechts gefährdet und die Programme des Familienministeriums "mit fragwürdigen Argumenten auf andere ,Extremisten'" ausgeweitet wurden. Der ebenfalls im Hefttitel erscheinende Beitrag ",Andi'-Comics für alle" nimmt die Projekte von Initiativen, die Mittel gegen "Linksextremismus" beantragt haben unter die Lupe. Der analytische Text "Wo geht's hier zum Extremismus?" stellt u.a. heraus, aus welcher Interessenlage die Bundesregierung, allen voran Bundesfamilienministerin Köhler, die Ausrichtung der Programme veränderte und welche juristischen Probleme auf Schwarz-Gelb noch zukommen könnten. Ebenso schreiben im AIB-Titel die Rechtsanwälte Alexander Hoffmann und Björn Elberling zur Frage der Versammlungsfreiheit für Neonazis. Hans-Christian Petersen thematisiert schließlich im Beitrag "Alles Extremismus?" rechte Gewalt in Rußland und wie der Staat mit dem mörderischem Phänomen umzugehen pflegt.

Spurensuche: Autonome tauchen immer dann in den Medien auf, wenn es alle anderen nicht gewesen sein sollen. Autonome erkennen die Medien immer dann, wenn es nichts zu erkennen gibt. Autonome waren es, wenn es um Randale und Ausschreitungen geht und kein Fußballspiel in der Nähe ist. Autonome sind alle, die nicht friedlich von A nach B demonstrieren. Autonome sind schlimmer als Krawallmacher und Hooligans. Letztere machen alles aus Langweile und Frust, erstere aus Leidenschaft, mit Plan. Autonomen geht es nie um die Sache, um das konkrete Anliegen. Ihnen geht es ums Ganze, ums System. Autonome tauchen aus dem Nichts auf, machen alles kaputt und verschwinden dann genauso schnell spurlos. Neuerdings gibt es in den Medien –ºLinks-Autonome–¹. Wer hat sie abgespalten, von was? Autonome gibt es immer am 1. Mai in Berlin. Gab es sie überhaupt? Gibt es sie noch? Sind sie ein Mediengespenst, das ab und an durch die politische Landschaft gescheucht wird? Gespräch mit Wolf Wetzel.

Freilassung: Der politische Gefangene Abrahám Ramírez Vásquez aus Santiago Xanica/Oaxaca wurde vor wenigen Tagen bedingungslos aus der Haft entlassen. Seit Januar 2005 war Abrahám Ramirez, Mitglied der lokalen Organisation CODEDI aus dem zapotekischen Dorf in der Sierra Sur, inhaftiert -teils unter unmenschlichen Bedingungen. Abrahám gilt als erster politischer Gefangener des ehemaligen Gouverneurs von Oaxaca, Ulises Ruiz Ortíz (2004-2010), in dessen zweitem Amtsjahr sich in dem südmexikanischen Bundesstaat 2006 ein mehrmonatiger Volksaufstand entwickelte.

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika.

Was mir heute wichtig erscheint #245

Studie:  Bei der Rosa Luxemburg Stiftung ist die Studie: "Der Herbst der „Wutbürger“ - Soziale Kämpfe in Zeiten der Krise" herunterzuladen. Der erste Teil dieser Publikation widmet sich der Analyse der Protestbewegung gegen Stuttgart 21. Wer sind die Protestierenden und was treibt sie an? Geht es „nur“ um den geplanten Bahnhofsumbau oder ist Stuttgart 21 vielmehr zum Symbol eines Politikstils des „an den Menschen vorbei Regierens“ geworden? Von der Blockade heute morgen hat Patrick G. Stoesser ein paar Fotos gemacht.

Eröffnung: Unter anderem der UStA der PH Freiburg ruft zu einer Demonstration am kommenden Montag auf. Sie ist der Auftakt zu vielen verschiedenen Protestfeuer-Aktionen des Bildungsstreiks Baden-Württemberg, die in eine große Aktion am 29. Januar 2011 in Stuttgart münden werden-

Mythologie: Das Jahr 2010 sei ein Wendepunkt für die Lage in Afghanistan gewesen. Das stellt der Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Lage in Afghanistan 2010 fest, der jetzt dem Bundestag zur Unterrichtung vorgelegt wurde. Der US-Historiker Juan Cole, der sich hauptsächlich mit dem Mittleren Osten beschäftigt, konfrontiert zehn der Mythen, die 2010 über Afghanistan verbreitet wurden, mit den Fak­ten und kommt zu ganz anderen Ergebnissen. Deutschsprachige Übersetzung bei linkezeitung.de.

Prozessauftakt: Am 13.1. begann am Stuttgarter Landgericht der Prozess gegen 9 der insgesamt 18 kurdischen Jugendlichen die alle wegen gemeinschaftlichen versuchten Mordes angeklagt sind. An diesem ersten Prozesstag beteiligten sich etwa 100 Angehörige, FreundInnen und GenossInnen. Ungefähr 80 davon wurden in den Gerichtssaal gelassen. Alle BesucherInnen wurden in Gruppen zu vier oder fünf Personen kontrolliert, durchsucht und ihre Personalausweise wurden eingesammelt und kopiert. Prozessbericht auf IndyMedia. Am Abend vor dem Beginn des Prozesses veranstaltete das Kurden Soli-Komitee eine Kundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz.

Revolte: Im armen und abgehängten Hinterland der tunesischen Küste finden erneut massive soziale Unruhen statt. Dieses Mal erschüttern sie die Kreisstadt Sidi Bouzid. Zwei Selbstmord(versuch)e von Arbeitslosen in aller Öffentlichkeit fanden dort innerhalb von weniger als acht Tagen statt: am vergangenen Freitag und gestern Abend. Am vorigen Wochenende und zu Anfang dieser Woche kam es darüber hinaus zu heftigen Straßenkämpfen. Ein vierteiliger Beitrag von Bernard Schmid bei LabourNet: Teil I und Teil II und Teil III und Teil IV

Lügenpack: Der frühere S-Bahn-Geschäftsführer für Arbeit und Soziales, Hans-Otto Constantin, erhebt in einem offenen Brief schwerste Vorwürfe gegen den aktuellen Bahnvorstand Grube, seinen Vorgänger Mehdorn und vor allem gegenüber DB-Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg. Die Ausführungen Constantins sind sehr glaubwürdig und werden auch durch viele andere Aussagen von S-Bahnmitarbeitern gestützt. Der Brief ist bei Duckhome im Wortlaut zitiert.

Beratung: Am 30. Juli 2010 hat auf dem Stuttgarter Schlossplatzein „öffentliches Gelöbnis“ der Bundeswehr stattgefunden. Bereits im Vorhinein versuchten die städtischen Behörden den Widerstand dagegen klein zu halten. So wurden mehrere Kundgebungsanmelder als „ungeeignet“ abgelehnt. Die Stuttgarter Ortsgruppe der Roten Hilfe hat einen Beitrag dazu geschrieben.

Präsentation: Josef A. Preiselbauer hat beim Roten Blog ein paar Fotos von der LLL Demonstration vom letzten Sonntag veröffentlicht.

Geschmacksintensiv: "Es wäre ein Skandal, wenn kannibalische Verbraucher nicht mehr unbesorgt Menschen mit Chloroform betäuben und privat in Ruhe verzehren könnten." Statement des Bundesverbands der Kannibalen in Deutschland (BKD) zum Dioxinskandal, der dazu führt, dass bei einzelnen Menschen die zulässigen Höchstwerte für das Gift bereits überschritten wurden.

Räumung: Binnen 2 Wochen müssen sich die Waggonbewohner am Nordbahnhof eine neue Bleibe suchen. In Zusammenhang mit Stuttgart 21 soll das Gelände für "Vegetationsarbeiten, die bis zum 28.Febr. 2011 beendet sein müssen" geräumt werden.

Historisch: Eine Kurzdokumentation über den Aufstand in Oaxaca vom Schweizer Fernsehen: "In Mexiko geht die Polizei mit brutaler Gewalt gegen Demonstranten vor: Im armen Bundesstaat Oaxaca kommt es seit den Ausschreitungen vom letzten Jahr immer wieder zu Protestmärschen gegen die Repression durch den Staat. In der Rundschau-Reportage fordern Schweizer Parlamentarier, dass die Menschenrechte eingehalten werden."

Ungeklärt: Im Januar 2005 verbrennt der Asylbewerber Oury Jalloh gefesselt in einer Gefängniszelle. Der Regisseur Simon Paetau greift den ungeklärten Fall auf. Sendung: 17.01. bis 23.01.2011 im Offenen Kanal Dessau, mehrmals täglich.

Bloggerkongress:
"Wenn Blogger sich auf Kongressen und Konferenzen treffen, geht es meist um technische Fragen, soziale Netzwerke und vor allem darum, wie man mit Blogs Geld machen kann. Politische Blogger und die Leser politischer Blogs interessieren sich für solche Themen erfahrungsgemäß eher peripher. Dass es auch anders gehen kann, wollen das Künstler- und Netzaktivistenpaar Jürgen und Ulrike Beck zeigen. Vom 11. bis 13. Februar 2011 veranstalten sie den 1. Kölner Blogger-Kongress unter dem selbstironischen Motto “(Re)Evolution –“ Der Kongress bloggt!“. Subline ist in diesem Jahr “Krise muss nicht traurig sein–. Ein Schwerpunktpanel beschäftigt sich dabei mit dem “Whistleblowing–. Als Stargast wird in diesem Panel der Schweizer Whistleblower Rudolf Elmer auftreten, dessen über Wikileaks veröffentlichte Daten das Bankhaus Julius Bär schwer belasteten.  (...)" Mehr bei Jens Berger

Hysterie: “Werte und Normen– sollte eine Oberstufenlehrerin ihren Schülern vermitteln. Das dürfte ihr gründlich misslungen sein: Sie zeigte anonym einen türkischstämmigen Schüler bei der Polizei an, Mitglied einer islamistisch-terroristischen Vereinigung zu sein. Der Staatsschutz ermittelte pflichtergeben, wenn auch vergebens. Der Schüler hat mittlerweile das Handtuch geworfen. Udo Vetter über den Fall.

nachschLAg:
Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika

Hetzwelle:
Den BewohnerInnen des bereits seit den 90er Jahren besetzen Haus- und Kulturprojektes »Liebigstraße 14« in Berlin-Friedrichshain droht die Räumung. "Offenbar animiert durch angekündigte Proteste linker Gruppen, fühlen sich Berliner CDU und Hauptstadtpresse bemüßigt, eine Welle neuer »linker Gewalt« herbeizuschreiben. Im Tagesspiegel wird gemutmaßt, von wo aus die Gegner der drohenden Räumung Steine auf Polizisten schmeißen könnten. Die Beamten selbst kündigen für den Tag der Räumung den Einsatz von Spezialeinsatzkommandos an."

Thrillertipp: Es geht um Staatsterrorismus und die geheimen Armeen der NATO, kurz: Gladio. Martin Maurer, der eigentlich Drehbuchschreiber ist, hat fünf Jahre lang zum Thema recherchiert und seine Rechercheergebnisse in dem Buch "Terror" verarbeitet, das gerade im Dumont Buchverlag erschienen ist. Kurzgespräch von Marcus Klöckner mit dem Autoren bei telepolis

Sexarbeit: Prostitution in prekarisierter/globalisierter Arbeitswelt + Geschichte der SexarbeiterInnen-Bewegung + Lusty Lady: Strip-Club in Selbstverwaltung + das Thema im feministischen Diskurs + Prostitution und Militär + Gewalt gegen SexarbeiterInnen + Internationaler Hurentag + Interviews, außerdem Beiträge über EU-Regierungen mit Militär und Notstand gegen Streiks + Polnischer Mietstreik gegen Gentryfikacji + Hamburger Bauprojekte + Hausbesetzungen in Berlin zur Wendezeit. Inhalt der "Direkte Aktion 203"

Massenkontrolle: Die Europäische Union hat sich ein neues Projekt zur Handhabung politischer Proteste zugelegt: “Good practice for dialogue and communication as strategic principles for policing political manifestations in Europe– (GODIAC) vereint 20 Partner aus 11 Ländern und wird von der schwedischen Polizei geführt. Die erste von 10 Feldstudien wird anlässlich des jüngsten Castor-Transportes im Wendland erstellt. Beitrag von Matthias Monroy. Siehe dazu auch den Hinweis auf den Kongress "entsichern", der am 29. und 30. Januar in Berlin stattfindet.

Waffenstillstand: Die Euskadi Ta Askatasuna (ETA) gibt eine positive Antwort auf die Erklärung von Brüssel und das Abkommen von Guernica und erklärt den permanenten, umfassenden und verifizierbaren Waffenstillstand. Mehr dazu in den Verweis auf die Originalerklärung und in der Erläuterung von Ralf Streck bei den Freunden des Baskenlandes. Inzwischen hat spanische Regierung mit neuen Verhaftungen reagiert. Am Dienstag morgen nahm die Polizei beiderseits der Pyrenäengrenze zwei Basken unter dem Vorwurf fest, der ETA anzugehören.

Trickserei: 70.000 Tonnen hochradioaktiven Giftmülls sollen im staatlichen Zwischenlager Lubmin eingelagert werden. Ein großer Teil des Abfalls entstand in deutschen Kernkraftwerken. KONTRASTE deckt exklusiv Verträge zwischen Bund und Energiewirtschaft auf. Sie zeigen, warum die Konzerne ihren Atommüll auf Kosten der Steuerzahler entsorgen können. Manka Heise und Chris Humbs zeigen anhand exklusiver Papiere, mit welchen Tricks die Atomindustrie arbeitet.

2010 - 200 Jahre Unabhängigkeit und 100 Jahre Revolution in Mexiko. Oder: Was vom Erbe Miguel Hidalgos und Emiliano Zapatas geblieben ist

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Der folgende Bericht aus MÉXICO vom 31.12.2010 erscheint bei uns mit freundlicher Erlaubnis von Fabian - Kalle Blomquist:

»Was haben wir zu feiern? 200 Jahre nach der Unabhängigkeit und 100 Jahre nach der Mexikanischen Revolution leben unsere Völker, Nationen und Stämme, die viel zum Triumph dieser Kämpfe beigetragen haben, wie seit 518 Jahren in Erniedrigung und Diskriminierung, ohne dass unsere fundamentalen Rechte anerkannt würden, das heißt, wir sind Unbekannte in unseren eigenen Territorien.«
(27. Treffen des Nationalen Indigenen Kongresses [CNI] in Durango, Mexiko)

Das Jahr 2010 ist ein ganz besonderes in der Geschichte Mexikos, denn in diesem jähren sich die Aufstände im Kampf um die Unabhängigkeit des Landes vor 200 Jahren und die Revolution vor 100 Jahren. Damit assoziiert wird der blutige Kampf des Volkes gegen die Imperialisten, gegen Aristokratie und Diktatur, für die Umverteilung von Land, Macht und Reichtum, die Schaffung von Gerechtigkeit und Freiheit.
  • Doch was bedeuten diese Begriffe im hochmodernen und traditionell-indigenen, im superreichen und bitterarmen –“ im tief gespaltenen Mexiko von heute?
  • Handelt es sich um pure Zahlensymbolik und Revolutionsromantik, die die wahre Realität und den Charakter des Landes schon lange verfälschen?
  • Ist der Drang nach ausgelassenen Feierlichkeiten nicht möglicherweise ein Ablenken von den wirklichen Problemen und Herausforderungen des nordamerikanischen Landes im Jahre 2010?
  • Welches sind die neuen Stimmen, die nach der Ermordung von Miguel Hidalgo und Emiliano Zapata das Erbe der Unabhängigkeit und Revolution neu definieren und umsetzen können?
In einer kurzen Chronologie der Ereignisse in Mexiko soll diesen Fragen insbesondere mit aktuellen Bezügen nachgegangen werden.

Independencia –“ Die vermeintliche Befreiung von der Conquista
Bis Ende des 16. Jh. waren bereits 80% der ursprünglichen Einwohner Lateinamerikas durch die europäischen Eroberer ausgerottet worden (1). Die gnadenlose Ausbeutung durch harte Feldarbeit und in den unzähligen Minen sowie die Ansteckung mit bisher unbekannten Grippe- und Geschlechtskrankheiten, kostete auch in Mexiko, dem nördlichen Teil Neuspaniens, Millionen von Indigenen das Leben.

Nachdem Spanien Anfang des 19 Jh. von Napoleon Bonaparte erobert worden war, stellten sich viele einflussreiche Großgrundbesitzer und Konservative in Mexiko gegen die neue spanische Krone. Diese Gunst der Stunde nutzte der der damaligen Kirche kritisch gegenüberstehende Landpfarrer und spätere Revolutionär Miguel Hidalgo. Von der französischen Aufklärung inspiriert, plante er in einem Geheimbund einen Putsch, der am 16.09.1810 mit dem Läuten der Kirchenglocken von Dolores begann. Von seinem Ausruf „Viva México!“ getrieben, konnte durch die folgenden blutigen Auseinandersetzungen mit mehr als einer halben Million Toten, schließlich die formale Unabhängigkeit Neuspaniens von der spanischen Krone im Jahr 1821, lange nach der Hinrichtung Hidalgos, erzwungen werden. Die neue vermeintliche Freiheit war u. a. durch immense Reparationszahlungen an die spanische Krone zu begleichen und mit vielen weiteren Abhängigkeiten verbunden, ähnlich wie in anderen gerade „unabhängig“ gewordenen lateinamerikanischen Ländern. Die folgenden Jahrzehnte waren keinesfalls ruhige und unbeschwerte, sondern durch zahlreiche innere und äußere Konflikte gekennzeichnete Jahre. Bis 1848 hatte Mexiko fast die Hälfte seines Territoriums im Krieg gegen die USA verloren, u. a. Kalifornien, Arizona und Texas (2).

Eine Reformierung der Land- und Machtverhältnisse hatte ebenfalls nicht stattgefunden, ein Großteil der Bevölkerung lebte verarmt und unter dem der Lehnsherrschaft ähnlichen System der hacienda. Gerade die Landbevölkerung sah sich im Zuge weiteren Landverlustes einer immer stärkeren Proletarisierung ausgesetzt. Unter der 35-jährigen Militärdiktatur Porfirio Díaz–˜ ist in Mexiko Ende des 19. Jh. eine rigide Zentralisierung des Staates und eine Konzentration der Macht entstanden, eine direkte Folge der vom Wirtschaftsaufschwung begünstigten Klüngel-Gesellschaften und Familien-Clans. An dem Aufschwung selbst hatten nur die wenigsten Anteil: im Jahre 1900 befand sich 1/5 des Landes in der Hand von Großunternehmen (3). 1910, im Jahre des Ausbruchs der Revolution, verfügte noch 1% der Bevölkerung über 96% des Bodens (4).

Revolución –“ Die Chancen eines Neuanfangs und die Etablierung einer neuen Elite
Nach der inszenierten „Wiederwahl“ von Díaz begannen sich rund um seinen größten Widersacher, den intellektuellen Politiker Francisco Madero, eine Schar von Rebellen zu bilden, die den Umsturz der Regierung erreichen wollten. Von dem anarchistischen Schriftsteller Ricardo Flores Magón inspiriert, begannen sich unter dem Motto Tierra y Libertad (Boden und Freiheit), im Norden des Landes die Rebellen um Pancho Villa und im Süden die um Emiliano Zapata zu formieren. Dabei konnten sie sich v. a. auf die Solidarität und Kollaboration der landlosen Bevölkerung verlassen, die sich zunehmend in die revolutionären Truppen der Rebellen rekrutieren ließ. Pancho Villa hatte viele Erfahrungen als Pferdedieb und Bandenchef gesammelt und wurde teils als der „Robin Hood Mexikos“ gehandelt, während sein Pendent im Süden, der Mestize Emiliano Zapata mit seinem charakteristischen Sombrero und dem langen Schnauzer v. a. bei den besitzlosen Landarbeitern seinen Rückhalt hatte. Die zentralen Forderungen beinhalteten eine Neuordnung der Landverhältnisse, die Gewähr von Arbeitsrechten, eine Demokratisierung des Landes und das Aufbrechen fest etablierter politischer Klüngel.

Der autoritär regierende Díaz musste 1911 ins Exil flüchten, und Madero wurde neuer Präsident –“ der allerdings die von ihm selbst gestellten Forderungen nicht umsetzen konnte und bereits 1913 in Folge eines neuen Putsches ermordet wurde.

Erst 1917, nach vielen weiteren blutigen Unruhen und nahezu jährlichen Präsidentschaftswechseln, trat die noch heute gültige Mexikanische Verfassung in Kraft, die eine Bodenreform, die Nationalisierung der Rohstoffe und eine schärfere Trennung von Kirche und Staat beinhaltet. Es sollte aber noch weitere Jahre dauern bis einige der ursprünglichen Forderungen der Revolution umgesetzt werden konnten, erst Anfang der 30er Jahre kam etwas Ruhe in das politische Geschehen des Landes. 1929 hatte sich die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) gegründet –“ die von nun an in einem zunehmenden Klientelismus quasi als Einheitspartei die Politik des Landes 71 Jahre lang dominierte. Durch Wahlmanipulationen, keine weiteren Zulassungen von Oppositions-Parteien sowie die Verteilung von Posten und Reichtum an Parteimitglieder, baute sich somit bis 2000 ein neuer postkolonialer elitärer Machtapparat auf.

Der Wendepunkt dieser politisch „stabilen“ aber keineswegs demokratischen Periode stellt ein in unseren Breitenkreisen wie auch in unserer Geschichtsschreibung nahezu unberücksichtigtes Ereignis dar: das Massaker an den Studenten von Tlatelolco am 02.10.1968. Auf dem Platz der drei Kulturen in Mexiko City wurden während des Höhepunkts der umfassenden Studentenproteste in Mexiko mindestens 250 Menschen erschossen, Tausende verhaftet und gefoltert –“ definitive Zahlen sind bis heute nicht bekannt (5). Wie sich herausstellte, handelte es sich um eine gut vorbereitete Operation auf Anordnung des damaligen PRI-Präsidenten Gustavo Díaz Ordaz, um die 68er-Bewegung in Mexiko zu zerstören, was auch gelang und bis heute keine Konsequenzen für die Verantwortlichen nach sich gezogen hat. Die PRI verlor damit jedoch nach und nach jeden moralischen Rückhalt in der Bevölkerung. In Mexiko bedeuteten diese Ereignisse einen Bruch zwischen Intellektuellen und dem politischen Etablissement (6). Es sollte aber noch weitere 30 Jahre dauern, bis sie 2000 durch eine neue Partei, die katholisch-konservative PAN abgelöst werden konnte. Derzeit befindet sich die Partei mit dem rechtskonservativen Präsidenten Felipe Calderón in der zweiten Legislaturperiode, deren Legitimierung aufgrund eines sehr knappen Wahlergebnisses gegen den Linken Manuel López Obrador aber stark angezweifelt werden muss. Der über Jahrzehnte währende Aufbau eines Klientel-Machtapparates stellt immer noch die Basis für die Politik im heutigen Mexiko dar und ist einer der Schlüssel zum Verständnis des derzeitigen Politikgeschehens.

Neozapatismus, EPR/I und APPO –“ eine neue Ära des Aufstandes bricht an

In Südmexiko, kommt es seit Mitte der 90er Jahre zu neuen Aufständen, welche die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und vieler sozio-politischer Gruppen international auf sich ziehen. Dass diese Gruppierungen räumlich nah beieinander liegen, ist kein Zufall –“ es handelt sich um die drei ärmsten und am weitesten marginalisierten Bundesstaaten des Landes, Chiapas, Guerrero und Oaxaca. Rund ¾ der etwa 14 Millionen Indigenen, die sich v. a. in den drei zuletzt erwähnten Bundestaaten befinden, leben in (extremer) Armut. Die Kindersterblichkeit liegt im Durchschnitt rund 60 Prozent über der nationalen Quote. Laut UNESCO ist es für indigene Frauen 15 mal schwieriger, Lesen und Schreiben zu lernen, als für andere Frauen im Land (7).

Chiapas
In der Nacht zum 01. Januar 1994 melden sich die seit rund 10 Jahren im Aufbau sich befindenden Zapatista in San Cristóbal de las Casas, Chiapas (Süd-Mexiko) zu Wort. Das Datum ist mit Bedacht gewählt –“ an diesem Tag tritt Mexiko dem nordamerikanischem Freihandels-abkommen NAFTA bei, das über den Abbau von Handelsbeschränkungen bald den mexikanischen und damit chiapanekischen Markt mit subventionierten US-Produkten überschwemmen wird und somit die traditionelle und regionale Wirtschaft Mexikos in die Enge treibt. In fünf weiteren Gemeinden werden die Rathäuser von der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) besetzt und die „1. Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald“ verlesen. Diese beinhaltet die Forderungen nach freien demokratischen Wahlen, einer Landreform (weg vom Großgrundbesitz) und sozialer Gerechtigkeit für alle –“ inklusive der hier größtenteils indigen lebenden Menschen. Statt des staatlich propagierten Indigenismus, der die „Wilden“ in eine mexikanische Kultur zu „zivilisieren“ versuchte, soll eine echte Autonomie die Rechte der Indigenen respektieren und gewähren (8).

Die Einnahme der sechs Gemeinden sind zugleich eine Kriegserklärung an den mexikanischen Staat. Binnen weniger Tage werden Großteile des mexikanischen Heeres nach
Chiapas verlegt und es beginnt ein Krieg, der auf beiden Seiten, v. a. aber auf zapatistischer Seite, zahlreiche Opfer fordert. Auf Druck der Zivilgesellschaft (Teile Mexico Cities wurden z. B. lahmgelegt) wird dieser Krieg nach zwölf Tagen im Januar 1994 beendet, und es beginnen Friedensverhandlungen. Seitdem kämpfen die Zapatista bis heute mit politischen und äußerst kreativen Mitteln für ihre Ziele. Der eigentliche bewaffnete Arm der Bewegung stellt nur das Rückgrat der vielen zivilen Unterstützungsbasen, den zapatistischen Gemeinden, in einer weiterhin bitterarmen Region dar. Sprachrohr der Bewegung ist Subcomandante Marcos, der durch seine philosophischen Diskurse und Aufsätze über soziale Gerechtigkeit, indigene Autonomie und Antikapitalismus international bekannt geworden ist und im übrigen stets dadurch Aufmerksamkeit erregt, dass er mit schwarzer Skimaske, zwei Uhren und qualmender Tabakspfeife auftritt.

Zuletzt haben die Zapatista mit der Anderen Kampagne seit Anfang 2006 einen Versuch unternommen, als Alternative zu den Präsidentschafts-Neuwahlen in Mexiko, eine nationale Bewegung mit internationaler Allianz „von unten für unten“ sowie mit einer explizit antikapitalistischen Verfassung aufzubauen. Dazu bereisten Marcos als „Delegierter Null“ und andere Vertreter der EZLN das gesamte Land von Norden nach Süden in mehreren Etappen. Aufgrund der immer wieder starken Bedrohungen ihrer eigenen Unterstützungsbasen durch Staat, Militär und Paramilitärs, musste die Reisekampagne im September 2007 abgebrochen werden, zwecks besserer Verteidigung der Gebiete in Chiapas. Seitdem sind keine neuen Verlautbarungen mehr aus dem Lakandonischen Urwald vernommen worden. Die Andere Kampagne läuft aber weiter und es kann jederzeit mit neuen Aktivitäten der Zapatista gerechnet werden –“ für Überraschungen sind diese weithin bekannt.

Guerrero
Der Bundesstaat Guerrero wird ebenfalls von krassen sozialen Gegensätzen bestimmt. Während sich in Acapulco nationale und internationale Touristen zwischen riesigen Hotelburgen tummeln und die hergerichteten Pazifik-Strände bevölkern, lebt die ländliche Bevölkerung, oft Analphabeten, in prekären Verhältnissen. Die gescheiterte Landreform in den 60er Jahren führte zum Aufstand von Teilen dieser Bevölkerung –“ die in dem bewaffneten Kampf der „Partei der Armen“ mit ihrem Kopf Lucio Cabañas gegen die ökonomische Oligarchie in Guerrero gipfelte. Letztendlich wurde diese Guerrilla vom Staat zerschlagen, viele vermutliche Mitglieder „verschwanden“ und die meisten der staatlichen Verbrechen gegen die Bevölkerung sind bis heute nicht aufgeklärt (9).

Aus dieser immer noch vorhandenen Basis erwuchs 1996 die neue Guerilla Revolutionäre Volksarmee (EPR), die durch mehrere gezielte Anschläge auf Banken, PRI-Einrichtungen und Erdölkonzerne –“ bei denen keine Menschen zu Schaden gekommen sind –“ bekannt wurden. Sie fordert soziale Gerechtigkeit für die verarmte Landbevölkerung, Nichtanerkennung der Auslandsschulden sowie eine echte Souveränität Mexikos in den postkolonialen globalen Strukturen. Das Ziel ist eine kommunistische Gesellschaft. Aus der EPR ging zwei Jahre später die EPRI, die Revolutionäre Aufständische Volksarmee mit der Begründung hervor, die EPR sei inzwischen zu bürokratisch und lege unmenschliche Verfahrensweisen an den Tag (10). Die EPRI ordnet sich –“ wie die Zapatista –“ dem Prinzip des „gehorchenden Befehlens“ unter, sie macht also nur das, was die breite Unterstützungsbasis auch ausdrücklich will. Trotz Verhaftungen der mutmaßlichen Köpfe der Guerilla und weiterer starker Repression gegen alles potenziell Aufständische in Guerrero sowie trotz der damit verbundenen Straflosigkeit für die Täter, scheint es ein offenes Geheimnis zu sein, dass die EPR/I einen weiterhin starken Rückhalt in der (ländlichen) Bevölkerung genießt. Während ihres jahrelangen Kampfes hat die EPR/I allerdings mangels Solidarität seitens anderer linker Gruppen nie die öffentliche und vor allem auch internationale Bedeutung erlangen können, die die EZLN oder APPO in Oaxaca erreicht haben. Dessen ungeachtet, kontrolliert sie weiterhin insbesondere die schwer zugänglichen gebirgigen Gebietes des verarmten Bundesstaates (11).

Oaxaca
Ein weiteres und ganz besonderes Beispiel für den neuen Kampf der Entrechteten stellt der seit Juni 2006 intensiv brodelnde Aufstand in Oaxaca (Stadt und Land) dar. Ursprünglich als Lehrer_innenstreik für die Durchsetzung alljährlicher Forderungen am traditionellen 1. Mai begonnen, entpuppte sich der Konflikt in diesem Jahr als viel weitreichender und härter als zunächst angenommen. Bereits im Juni kam es zu großen Straßenschlachten zwischen regierungsloyalen Gruppen (Militär, Polizei und Paramilitärs) rund um PRI-Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz und der neuen Volksversammlung der Völker von Oaxaca (APPO), wobei immer wieder der zentrale Platz von Oaxaca von den Demonstrant_innen eingenommen und als Basis des Widerstandes genutzt worden war. Das wachsende Bündnis aus zuletzt rund 350 verschiedenen sozialen, politischen und indigenen Organisationen übernahm teilweise die Kontrolle über diverse Radiostationen, schickte eine Karawane nach Mexiko City und forderte die Absetzung des schließlich sich im internationalen Flughafen verschanzenden Gouverneurs. Bis Ende November 2006 reichten die täglichen, teils blutigen Auseinandersetzungen, die erst mit der Erschießung des US-amerikanischen Indymedia-Reporters Brad Will durch Paramilitärs Ende Oktober, viel zu spät, internationale Aufmerksamkeit bekamen.

Seitdem hat eine regelrechte Repressionswelle den Bundesstaat überrollt, viele der APPO-Aktivisten sind „verschwunden“, gefoltert und getötet worden. Der Konflikt ist damit nicht gelöst und schwelt vor sich hin –“ bis zu einem neuen Ausbruch eines Tages. Währenddessen harren in San Juan de Copala, einer indigenen seit 2007 als autonom erklärten Triquis-Gemeinde, zahlreiche von Paramilitärs belagerten Familien ohne ausreichende medizinische und Nahrungs-Versorgung aus. Viele Tote hat es dort schon gegeben. Zwei von Ihnen sind kurzfristig in das internationale mediale Geschehen gerückt: der Finne Jyri Jaakkola und die Mexikanerin Bety Cariño, die erstmals in Mexiko als internationale Menschen-rechtsbeobachter_innen Ende April diesen Jahres, bei der Anfahrt auf den autonomen Ort mit einer 40-köpfigen Hilfskarawane durch Paramilitärs erschossen worden sind (12).

Diese neue Qualität und zugleich auch Brutalisierung des Konflikts in Oaxaca, macht eine gefahrenlose internationale Menschenrechtsbeobachtung immer schwieriger. Gleichzeitig gibt es einen leichten Hoffnungsschimmer: am 05.07.2010 gewann ein neues Oppositionsbündnis die Gouverneurswahlen und löst damit die 80-jährige (!) PRI-Herrschaft ab.

Der Ursprung der genannten Konflikte in den verschiedenen Südregionen Mexikos liegt viel weiter in der Vergangenheit. Mit der Kolonialisierung, Unterdrückung und Ausbeutung der Menschen vor über 500 Jahren angefangen, reichen die Wurzeln dessen über die immer noch fehlende Umsetzung der Revolutions-Forderungen von 1910 bis in die jüngste Vergangenheit des PRI-Klüngel-Machtapparats und den selbst danach nicht erreichten grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen in den verarmten marginalisierten Bundesstaaten Chiapas, Guerrero und Oaxaca.

Der Schrei der Unabhängigkeit –“ neue Herausforderungen für ein immer ungleicheres Mexiko
Im Mexiko von heute toben noch ganz andere Kriege. Die der Narcos, der Drogenbarone und ihrer hochbewaffneten Handlanger, gegen den Staat und die Bevölkerung zum Beispiel: der Kampf um den Einfluss von Produktion und Handel diverser Drogen. Um es mit den Worten des Schriftstellers Juan Villoro zu sagen: die USA stellt die Konsumenten, Mexiko die Toten (13). Die im Norden des Landes gelegene Stadt Ciudad Juárez, ursprünglich nach dem ersten indigenen und äußerst fortschrittlichen Präsidenten Mexikos zum Ruhm benannt, führt heute die traurige Statistik der meisten Morde pro 100.000 Einwohner weltweit an (14). In den letzten vier Jahren hat der von Präsident Calderón erklärte Krieg gegen die Drogen an die 30.000 Opfer gefordert. Dabei ist zu bemerken, dass der Krieg äußerst komplex ist und sich darin keine klaren Feinde gegenüberstehen. Die Grenzen verschwimmen zwischen rivalisierenden Narco-Banden, korrupten Politikern, Militärs und Polizei, einer teilweise davon profitierenden Bevölkerung und zuletzt einem Präsidenten, der höchstwahrscheinlich ebenfalls in das Drogengeschäft verwickelt ist (15). Ein solcher Krieg kann nicht militärisch gewonnen werden. Von daher sind kurzfristige Erfolge, wie die vielen erfolgten und breit zur Schau gestellten Festnahmen der Köpfe großer Kartelle, wie z. B. von „El Grande“ oder „La Barbie“, purer Populismus, der von der eigentlichen Niederlage des in Teilen des Landes bereits paralysierten Staates ablenken soll.

Ein weiteres Thema ist die immer noch starke, meist „illegale“ Migration vieler Mexikaner_innen in die USA –“ jährlich schaffen es rund 400.000. Das enorme Anwachsen der Latino-Viertel in den Südstaaten wie z. B. Kalifornien und Arizona nutzen rechte Politikwissenschaftler wie Samuel P. Huntington („The Hispanic Challenge“, 2004), um vor einem steigenden US-Identitätsverlust vor dem Hintergrund der mexikanischen „Invasion“ zu warnen. Mit Sicherheit handelt es sich um eine große Herausforderung –“ weniger im Sinne einer Gefahr von Entfremdung der Gesellschaft und Schwächung der Ökonomie der USA, als vielmehr um eine der Würde und der Verbesserung der prekären Lebens(grund)lage vieler Mexikaner_innen. Wer verlässt schon freiwillig seine Familie und begibt sich in die Hand von mafiösen Schleppern, den Coyoten –“ mit tagelangen Wanderungen durch die trockene Wüste zwischen San Diego und El Paso? Die Gefahr der Ermordung durch Banden sowie die Aufspürung durch den teilweise brutal vorgehenden US-Grenzschutz sowie durch selbst ernannte Bürgermilizen, meist alte Vietnam-Veteranen, ist dabei mit inbegriffen (16). Vor dem Hintergrund der historischen Grenzkonflikte der USA mit Mexiko könnte man, zugegebenermaßen etwas sarkastisch, auch von einer Reconquista reden, einer modernen Rückeroberung der Gebiete, die vor 1848 offiziell zu Mexiko gehörten.

Mexiko ist so voll von Konflikten, Ungleichheiten, Korruption und Straflosigkeit vieler bereits identifizierter Täter, dass es fast platzen müsste und zunehmend unregierbarer wird. Während der Mexikaner Carlos Slim der inzwischen reichste Mann dieses Planeten mit einem geschätzten Vermögen von 53,5 Mrd. US-Dollar ist (17), liegt die Unterernährung in Guerrero und Chiapas bei über 70% innerhalb der Indigenen Bevölkerung (18). Dessen ungeachtet war es am 15.09.2010 in allen größeren Städten Mexikos soweit, mit Ausnahme einiger Grenzstädte, aufgrund der zu großen Macht und Gefahr durch die Drogen-Kartelle. Der „Schrei der Unabhängigkeit“ anlässlich der 200-Jahr-Feiern wurde z. B. in Oaxaca Stadt vom Balkon des Gouverneurspalastes von dem Mann ausgestoßen, der 2006 für die blutigen Niederschlagung des APPO-Protestes verantwortlich war und bis heute seine eigenen Bürger_innen foltern und in Armut lässt. Für viele der Millionen Marginalisierten im Land, der seit Jahren ungehörten oder mundtot gehaltenen Indigenen, Bauern, Zapatista, APPO-Anhänger_innen, Angehörigen der Tlatelolco-Opfer und der Verschwundenen sowie unter Morddrohungen arbeitenden Menschenrechtler_innen, ist dieser Ausschrei ein Hohn, der die eigentlichen Herausforderungen und Wunden des Landes kaschiert. Es scheint in Zukunft weiteren Widerstandes zu bedürfen, ein an Kultur und Natur so reichhaltiges Land für seine Einwohner_innen wieder lebenswerter zu gestalten.

„(...) es ist eine große Chance vertan worden, die Geschichte auf den Prüfstand zu stellen und eine kritische Bilanz zu ziehen. Die Feiern richtet eine konservative Regierungspartei aus, die nie an die Unabhängigkeit oder die Revolution geglaubt hat. Eigentlich war sie immer dagegen. Präsident Calderón hat sich zu einer großen und teuren Feier entschlossen, die 60 Millionen Dollar kostet und nichts beiträgt und nach Eigenlob riecht. Es wäre besser, Mexiko mit dem Bau von Schulen, Krankenhäusern und Bibliotheken zu ehren.“
(Juan Villoro, mexik. Schriftsteller, FR vom 14.09.2010)

Einzelnachweise:

(1) SCHMIDT, MICHAEL: LAND DER KONTRASTE in: DER TAGESSPIEGEL vom 14.09.2010: http://www.tagesspiegel.de/zeitung/land-der-kontraste/1933326.html
(2) ebd.
(3) ebd.
(4) DEPKAT, VOLKER (2008): GESCHICHTE NORDAMERIKAS. EINE EINFÜHRUNG –“ Böhlau-Verlag, S. 104, Köln.
(5) HUFFSCHMID, ANNE: BENGALISCHE LICHTER BLITZTEN IN DER ABENDDÄMMERUNG in: DER FREITAG vom 07.12.2007: http://www.freitag.de/2007/49/07490901.php
(6) CHIAPAS-SOLIGRUPPE ÖSTERREICH ÜBER „INDIGENISMUS“: http://www.chiapas.at/beitraege/indigenismus.htm
(7) KERKELING, LUZ: WAS HABEN WIR ZU FEIERN? in: NEUES DEUTSCHLAND VOM 21.09.2010: http://www.neues-deutschland.de/artikel/180039.was-haben-wir-zu-feiern.html
(8) CHIAPAS-SOLIGRUPPE ÖSTERREICH ÜBER „INDIGENISMUS“: http://www.chiapas.at/beitraege/indigenismus.htm
(9) INFORMATIONSSTELLE LATEINAMERIKA IN BONN, HEFT 324: http://www.ila-bonn.de/artikel/ila324/drogenkrieg_ aufstandsbekaempfung.htm
(10) OFFIZIELLE SEITE DER ERPI, VORSTELLUNG: http://www.enlace-erpi.org/index2.html#SECCION2
(11) INFORMATIONSSTELLE LATEINAMERIKA IN BONN, HEFT 324: http://www.ila-bonn.de/artikel/ila324/drogenkrieg_ aufstandsbekaempfung.htm
(12) HENKEL, KNUT: GEMEINSAM GEGEN DIE KAZIKEN in: JUNGLE WORLD 25 vom 24.06.2010: http://jungle-world.com/artikel/2010/25/41182.html
(13) VILLORO, JUAN: WIR ZERSTÖREN UNS SELBST in: FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 14.09.2010: http://www.fr-online.de/panorama/-wir-zerstoeren-uns-selbst-/-/1472782/4643962/-/item/0/-/index.html
(14) DIE PRESSE vom 27.08.2009: http://diepresse.com/home/panorama/welt/504321/Mordhauptstadt-der-Welt-liegt-in-Mexiko?from=simarchiv
(15) VOGEL, WOLF-DIETER: LEGALIZE IT! in: JUNGLE WORLD 49 vom 09.12.2010: http://jungle-world.com/artikel/2010/49/42239.html
(16) BERGMANN, EMANUEL: DIE MINUTEMEN AN DER US-MEXIKANISCHEN GRENZE in: JUNGLE WORLD 32 vom 12.08.2010: http://jungle-world.com/artikel/2010/32/41503.html
(17) FORBES-RANGLISTE 2010: http://www.forbes.com/lists/2010/10/billionaires-2010_Carlos-Slim-Helu-family_WYDJ.html
(18) SIPAZ MEXIKO: CHIAPAS IN ZAHLEN, GESUNDHEIT: http://www.sipaz.org/data/chis_de_02.htm

Siehe auch die weiteren Beiträge:

Infos aus Chiapas - Vol. 1: Einführung in den lakadonischen Urwald
Infos aus Chiapas - Vol. 2: In einem Dorf der anderen Kampagne
Infos aus Chiapas - Vol. 3: In einem Hotel des lakadonischen Urwalds

Das zähe Ringen um Autonomie - Aktuelles aus Chiapas

Veranstaltungsplakat
Am Donnerstag, 4.11.2010 findet in Münster eine Veranstaltung im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Die Integrationsunwilligen laden ein" der Gruppe B.A.S.T.A. zur Situation in Chiapas statt.

19 Uhr:
Der Aufstand der Würde. Wie kam es zum Aufstand der Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN? "Der Aufstand der Würde" ist ein einführender Film über die zapatistische Bewegung in Chiapas, Mexiko. (D/MEX 2007, 65 Min., Zwischenzeit e.V.)

ab 20:30 Uhr
Das zähe Ringen um Autonomie - Aktuelles aus Chiapas. Zwei Teilnehmerinnen der Europäischen Solidaritätsbrigade 2010 berichten mit zahlreichen Bildern über Probleme und Fortschritte der zapatistischen Bewegung.

Veranstaltungsort:

Interkulturelles Zentrum Don Quijote, Scharnhorststr. 57, 48151 Münster

Zum Austausch, Verlauf und den Ergebnissen der Rundreise bietet die Gruppe B.A.S.T.A. an, den reich bebilderten Vortrag auch an anderen Orten zu halten.

Zentrale Themen des Vortrags sind:

• Wie ist die aktuelle Situation der Zapatistas in Südmexiko?
• Mit welchen Schwierigkeiten ist die indigene Bewegung konfrontiert?
• Welche Fortschritte konnte die Bewegung erreichen?
• Welche Perspektiven zeichnen sich ab?

Anfragen bitte an: gruppeBASTA@gmx.de

Infos aus Chiapas - Vol. 3: In einem Hotel des lakadonischen Urwalds

Der folgende Bericht aus Chiapas / MÉXICO vom 23.10.2010 erscheint bei uns mit freundlicher Erlaubnis von Fabian - Kalle Blomquist:

Liebe Unterstützer_Innen und Interessierte!
Der Alltag in San Cristóbal holt mich wieder ein. Die zurückliegende Woche hätte kaum gegensätzlicher sein können: zusammen mit 10 anderen Menschenrechtsbeobach-ter_innen haben wir uns am Rande einer kleinen Gemeinde im Lakandonischen Urwald zwischen permanentem Grillenzirpen, Lagerfeuer und vorsichtigen Annäherungsversuchen an die tseltal (eine der 61 indigenen Sprachen Mexikos) sprechenden Genossen eine Woche in einem von den Zapatista bewachten Hotel aufgehalten.

Im folgenden nunmehr letzten Bericht aus Chiapas möchte ich Euch von diesem wunderschönen aber zugleich auch spannungsgeladenen Flecken Erde und seiner jüngsten Geschichte der zapatistischen Erhebung und Einnahme eines Hotels im Dschungel erzählen.

In den nächsten Tagen bereite ich mich auf meine Weiterreise nach Guatemala, Ecuador und schließlich Peru vor.

Wir sehen uns –“ vielleicht im Sommer 2011 –“ mit einem noch hoffentlich voll funktionierenden oberirdischen Bahnhof in Stuttgart ohne Baustelle davor. Es gibt viel auszutauschen, aus Chiapas genauso wie aus dem immer ungehorsamer werdenden Stuttgarter Ländle.

Es grüßt mit einem weinenden Auge des Abschieds und einem lachenden der Weiterreise,
Fabian

Auf ins Caracol
Am 09.08.2003 feiern an die 20.000 Menschen im Caracol Oventic den „Tod der Aguascalientes und die Geburt der Caracoles“. Vor genau neun Jahren wurden die Aguascalientes in den eingenommenen Zapatista-Gebieten als regionale Zentren für kulturelle und politische Entfaltung gegründet. Die neue politische Strategie der Zapatista, Jahre nach den gescheiterten Regierungsgesprächen und nicht umgesetzten Abkommen von San Andrés, die direkte autonome Umsetzung der seit Jahren gleich lautenden Forderungen von Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit, sollte von nun an durch eine Struktur von 5 Regionalregierungen umgesetzt werden. Das neue Kredo ist: wir setzen das um, was uns bisher immer verweigert worden ist –“ ohne zu fragen und ohne zu betteln.

Seitdem hat sich viel getan. Es sind autonome zapatistische Krankenhäuser, Schulen, Läden und Produktions-Kollektive entstanden, die den Traum von einem freien und selbstbestimmten Handeln in Mexiko zunehmend mehr erlauben. In direkter basisdemokratischer Form der asamblea general (Generalversammlung) werden die Juntas del Buen Gobierno (Räte der Guten Regierung) –“ die böse sitzt in Mexiko City –“ in einem ein- bis zweiwöchigen Turnus gebildet. Danach werden wieder neue Räte gebildet. Jede_r ist also einmal dran, die Geschicke und Anliegen der Zapatista zu verwirklichen. Dabei ist zu betonen, dass den jeweiligen Räten die Stimme vom Volk nur „geliehen“ wird, d. h. sie sind direkt verantwortlich für das was sie tun und jederzeit absetzbar. Die kurze Frequenz des Regierens führt beizeiten zu Komplikationen, die Leute müssen sich einarbeiten, haben wenig Zeit, gleichzeitig erlaubt es aber auch, dass sie in kurzer Zeit ihr bestes geben und sich dabei nicht in Klientel-Verhältnissen etablieren können.

Um in unsere Gemeinde mit den nötigen Formalitäten (Offizielles Schreiben der Junta del Buen Gobierno) reisen zu können, müssen wir zunächst zu einem solchen Caracol fahren. Die Fahrt dorthin wird anhand mehrerer colectivos (Busse, die feste Routen und Preise haben) bewältigt. Im Gegensatz zu sonstigen Reisen, wo ich mich gerne und viel mit den Leuten austausche, nach dem Weg frage, erzähle was ich vorhabe, ist es diesmal anders: wir geben nur zögernd an, wo wir hinwollen. Die generelle Strategie ist die: wir sind Touristen, haben vom Zapatismus keine Ahnung und fahren in den Regenwald um uns Ruinen und Wasserfälle anzuschauen. Politisches Material, Pamphlete, eindeutige T-Shirts etc. haben wir zu Hause gelassen bzw. gut versteckt –“ zu groß ist die Gefahr, bei einer der möglichen Militär- oder Polizeikontrollen als Zapatista-Sympathisant bzw. Menschen-rechtsbeobachter_in entlarvt und möglicherweise mit weiteren Problemen konfrontiert zu werden (im allerschlechtesten, seltenen Fall: Ausweisung aus Mexiko).

Dann kommen wir an. Bereits an der Straße steht das Hinweisschild: „Sie befinden sich in zapatistischem Gebiet im Widerstand. Hier regiert das Volk und die Regierung gehorcht.“. Wir sind also richtig. Am Eingang, einem großen Eisentor, steht einer der compas und wir müssen in Ruhe erklären, woher wir kommen, wer wir sind und was unser Ziel der Reise ist. Sie schauen unsere Reisepässe an und wir geben das offizielle Schreiben ab, in dem uns das Zentrum FrayBa bescheinigt, zur Menschenrechtsbeobachtung gekommen zu sein.

Um in den indigenen Gemeinden und vor allem zapatistischen Strukturen zu Recht zu kommen, muss jede_r eine Menge Geduld, Flexibilität und Freundlichkeit mitbringen. Viele Prozesse laufen nach unserem Verständnis ineffizient, langsam, redundant oder einfach unverständlich ab. Das ist der Preis einer sich entwickelnden, fairen Basisdemokratie der viel ruhiger lebenden Menschen –“ ein Ablauf, an den wir nicht gewöhnt sind.

Schließlich dürfen wir eintreten. Nach der ersten Hürde am Eingang stehen nun zwei weitere Schritte an: die Aufnahme unserer Daten in der Generellen Information und schließlich das finale Gespräch mit der Junta del Buen Gobierno, die uns in die jeweilige Gemeinde mit offiziellem Schreiben schickt. Ein sehr freundlich lächelnder und gut gelaunter Mann nimmt also unsere Daten auf. Mit den unterschiedlichen Formaten und Sprachen in unseren Pässen hat er so seine Schwierigkeiten, er fragt mich ernsthaft, nachdem er schon gedacht hatte, dass der Vermerk „Deutsch“ mein Nachname sei, ob das rote Ding, das ich ihm gegeben hätte, ein echter Pass sei. Schließlich haben wir diesen Schritt bewältigt und warten auf die Einladung in das Büro nebenan bei der Junta.

Das dauert. Die Junta hat zu tun, wir schauen uns also das Gelände an, machen Fotos von den vielen sehr schönen Wandbildern im Caracol. Dann ist es soweit: ein weiteres Mal geben wir unsere Namen und Ziel der Reise vor der sechsköpfigen Junta an. Vor uns sitzen vier Männer und zwei Frauen, die meisten in den 30ern. Alles was wir angeben, wird sechsfach mitgeschrieben. Die Kommunikation erfolgt teilweise etwas verhalten, was sich mit Sicherheit auch mit der Sprache erklären lässt –“ Spanisch ist für viele Indigene nur Zweitsprache oder gar nicht im Repertoire vorhanden. Obwohl FrayBa für uns zwei verschiedene Orte vorgesehen hatte, werden wir auf Geheiß der Junta alle an denselben Ort geschickt, ohne weitere Erklärung. Dies passiert öfter und hat i. d. R. mit Strategien im Caracol zu tun (Dringlichkeit, neue Bedrohungen, kein Bedarf etc.), von denen wir nichts wissen. Dann erhalten wir unser offizielles Schreiben, das wir später beim verantwortlichen compa im Hotel vorzeigen müssen. Obwohl wir bereits um 7h morgens losgefahren sind, ist es inzwischen Nachmittag und damit zu spät, um die Reise zum eigentlichen Ort des Geschehens anzutreten.

Wir bleiben eine Nacht im Caracol, spannen unsere Hängematten in einem eigens für Besuch errichteten Holzhaus auf und kochen nebenan auf Holz. Am nächsten Morgen können wir früh mit einem Pickup der compas in die nächstgrößere Stadt mitgenommen werden, um von da aus weiterzufahren.

Die Abfahrt verzögert sich, auch daran muss man sich gewöhnen. Wir werden von den compas zum Mittagessen eingeladen: Reis, schwarze Bohnen und am Feuer geröstete Tortillas. Etwa 2 Stunden später als gedacht geht es dann aber los, die folgenden colectivos nehmen wir als Touristen getarnt. Einmal passieren wir eine fest installierte Militärkontrolle, jedoch ohne weiter durchsucht zu werden.

Die Ankunft und das Hotel

Nach dreimaligem Umsteigen landen wir rund vier Stunden später am Rande des Hotels im Lakandonischen Urwald. Mitten zwischen Lianen und hoch gewachsenen Bäumen schauen wir auf einen türkisblauen Fluss im romantischen Postkarten-Format, in dem die Kinder des Dorfes auf der anderen Seite baden. Blattschneideameisen haben kleine Schnellstraßen durch das Grün gemäht, auf denen sie ihr Material transportieren. Wir laufen zu dem nahe liegenden Hotel mit unseren Rucksäcken voll mit Essen für die nächsten Tage. Die dort wartenden compas begrüßen uns verhalten, wir zeigen das offizielle Schreiben aus dem Caracol vor und belegen nach wenigen, nötigen Sätzen der Verständigung unsere Schlafplätze.

Das Hotel ist massiv (Zement) und in offener Bauweise errichtet worden. Mehrere Doppelzimmer, eine große Küche mit Gasherd und Ofen, Elektrizität, Licht, Kühlschränke, fließendes Wasser, Klo und Duschen machen den Dschungel-Aufenthalt zu einem der komfortabelsten der zurzeit für die Menschenrechtsbeobachtung verfügbaren Gemeinden. Trotzdem ist auffällig, dass das Gebäude schon etwas heruntergekommen ist, die installierten Fliegengitter in den Zimmern weisen viele Löcher auf, der Herd funktioniert nicht mehr richtig, Teile der Einrichtungen sind defekt bzw. stark benutzt / verdreckt. Wir reinigen die Küche, Klos und Duschen, reparieren ein paar der Lampen. Ich selbst habe mit der von CAREA propagierten integrierten Moskitonetz-Hängematte beste Karten und schlafe draußen auf der Veranda bei schönstem Grillenzirpen und morgendlicher Kolibri-Beobachtung aus der Liegeposition heraus.

Einiges im Hotel wäre ohne größere Anstrengungen und finanziellen Aufwand relativ leicht zu reparieren bzw. zu verschönern. Ich mache mir Gedanken darüber, wohl wissend, dass meine Vorstellungen von Komfort, Schönheit und bester Nutzung des Hotels durch meine westliche Sozialisierung andere als die der hier aufgewachsenen compas sind.

Mir fällt dazu die „Geschichte vom zufriedenen Fischer“ ein, die ungefähr beinhaltet, dass irgendwo an einem wunderschönen Flecken der Erde, ein effizient denkender Westler einen am Strand faulenzenden Fischer anspricht, warum er so tatenlos in der Sonne liege. Dieser antwortet daraufhin, dass er für heute genug Fische gefangen hätte, um sich nun dem Nichtstun hinzugeben. Der Mann entgegnet ihm voller Ideen, dass er seine Zeit viel besser nutzen und durch weiteren Fischfang seine Umsätze erhöhen, mehr Fisch verkaufen, weiteren Luxus erwerben und seinen Lebensstandard verbessern könne. Der Fischer antwortet verständnislos, dass er dann aber nicht mehr in der Sonne liegen könne.

Diese Geschichte ist keineswegs direkt auf die Situation der compas und Indigenen hier vor Ort adaptierbar. Die meisten müssen sehr viel arbeiten und genießen dabei wenig bzw. gar keinen Luxus. In zwei Punkten beinhaltet diese Anekdote jedoch sehr Wahres, auch was die Realität in Chiapas angeht: zum einen die grundsätzlich verschiedenen Denkweisen der Menschen hier und die von uns und zum anderen die Freude und Zufriedenheit, die die nach harten Kriterien als arm einzustufenden Bewohner_innen trotz alledem besitzen. Reis, Bohnen, Tortillas, die Natur und das soziale Netzwerk reichen zumindest aus, um relativ zufrieden, ohne die typischen psychischen West-Krankheiten leben zu können.

Trotz alledem wäre es mit Sicherheit von Vorteil, etwas am Hotel zu ändern, denn der Tourismus bleibt zurzeit aus. Ökonomische Mittel gibt es kaum, die compas warten auf Ansagen und Hilfe vom Caracol –“ eines Tages. Die zapatistische Schnecke sagt „Langsam –“ aber ich komme voran“.

Der Alltag und die Wache
Da wir –“ im Gegensatz zu meinem ersten Einsatz –“ keine Wache halten müssen, beginnt der Tag etwas gemächlicher, jede_r steht auf wann sie / er Lust hat. Seit einer Woche sind bereits drei mexikanische Soziologie-Studenten hier, die als Menschenrechtsbeobachter einen Teil ihres Uni-Praktikums absolvieren. Es ist sehr interessant mit ihnen zu sprechen. Einer von ihnen ist der Sohn eines (im Norden Mexikos) bekannten Gitarrenspielers, der bei diversen zapatistischen Feiern zum Spielen eingeladen worden ist. Seit Kindheit an ist der Sohn dadurch mit dem Zapatismus konfrontiert gewesen, war bei Treffen, bei politischen Diskursen von Marcos und weiß viel über die chronologischen Geschehnisse zu erzählen.

Nach dem Frühstück gehen wir meist in dem türkisblauen Fluss baden. Die compas haben uns gebeten, stets zusammen zu bleiben, da es gefährliche Stromschnellen gebe –“ ein compa ist einmal von diesen fortgetragen worden. Letztendlich ist es für uns nicht besonders gefährlich, viele Menschen hier können –“ obwohl sie an Gewässern wohnen, Fischer sind etc. –“ nicht schwimmen. Dazu vermischen sich neben den echten Gefahren Aberglaube und Geschichten, die immer wieder mit neuen Vermischungen erzählt werden. Angeblich gäbe es in diesem Fluss auch Sirenen, die einen mitnehmen wollten...

In der Nähe befindet sich ein 2008 von den Zapatista gegründetes Dorf, in dem zur Zeit 10 Familien als Unterstützungsbasis leben. Wir machen einmal einen Besuch, eine Frau zeigt uns, wie sie aus gekochtem Mais mit einer Mühle und Presse Tortillas herstellt. Die weiteren umliegenden zwei Dörfer sind von priistas besiedelt, auch deswegen ist unser Bewegungsradius sehr eingeschränkt. Die compas wollen Probleme mit den anderen Dorfbewohner_innen vermeiden, wir sollen keinen Kontakt mit ihnen aufnehmen.

Wir kochen draußen auf Holz, das die compas aus der Umgebung tagtäglich heranschleppen. Es besitzt meist keinen guten Brennwert, ist von Termiten zerfressen und sehr leicht. Die umliegenden Bäume stellen einen herben Konfliktpunkt zwischen den Zapatista und den anderen nahe wohnenden priistas dar (priista = Regierungsanhänger –“ ursprünglich der Einheitspartei PRI, den Zapatista meist feindlich eingestellt, tlw. in paramilitärischen Einheiten organisiert). Nicht selten haben sie Bäume im Gebiet des Hotels gefällt, was die compas aus verschiedenen Gründen nicht wollen (s. Geschichte des Hotels im Dschungel).

Tag und Nacht halten die compas mit einem Funkgerät gestützten System Wache. Zum einen soll so sichergestellt werden, dass keine_r im Territorium des Hotels Holz oder sonstige Ressourcen entnimmt, zum anderen dient es als frühzeitiges Warnsystem –“ wenn eines Tages priistas, Paramilitärs oder Polizeieinheiten kommen sollten. Die compas sind in einem Netz organisiert, dass es ihnen erlaubt, in einer halben Stunde mehrere Dutzend Personen zusammen zu trommeln, die bereit sind, ihr Gebiet (und das Hotel) zu verteidigen. Dabei geht es nicht um direkte Waffenanwendung sondern um ein sehr entschlossenes „sich-dem-Widersacher-Entgegenstellen“, wie aus unzähligen Fotos und Videos diverser Landbesetzungen der Zapatista bzw. versuchten Vertreibungen aus ihren Gebieten bekannt ist.

Wir haben außer unseres eigentlichen Auftrags des passiven Verhinderns von Übergriffen auf die compas und das Hotel durch Präsenz keine weitere Funktion. Zum einen ist es schön, somit ein paar Tage zu faulenzen, zum anderen braucht man aber auch eine gute Dosis Zufriedenheit, um sich nicht vollkommen nutzlos und seltsam bei Kartenspiel und Kaffeeschlürfen in dem eigentlich herben Konfliktgebiet vorzukommen. Leider gibt es nicht viel Austausch mit den Genossen im Alltag, letztendlich auch aufgrund der bereits erwähnten Sprachbarrieren. Trotzdem lächeln wir uns immer wieder zu, manchmal kommen die ebenfalls etwas gelangweilten compas abends bei uns vorbei, schauen interessiert, wie wohl Schach funktioniert. Es ist beizeiten richtig kurios: fünf von ihnen stehen aufgereiht hintereinander und schauen vorsichtig, was wir machen. Davon hätte ich gerne Fotos geschossen –“ aufgrund der Angst um Verfolgung werden aber generell keine Fotos von Gesichtern der Genoss_innen gemacht.

Besonders nach Eintritt der Dunkelheit zeigt sich die Vielfalt der Natur von ihrer besten Seite: immer wieder müssen wir riesige haarige Taranteln, tropische Frösche und Fledermäuse aus dem Bad herausholen, damit alle beruhigt ihre Dinge dort verrichten können. Nachts muss man mit Vorsicht und am besten nur mit Stiefeln durch das Gras laufen. Teils sehr giftige Schlangen sind auf der Pirsch. Kröten besuchen uns scharen-weise, springen durch die Küche. Tagsüber erklimmen riesige schwarze Heuschrecken, die blau leuchten wenn sie fliegen, die Wand des Hotels. Einmal fangen die compas ein Chamäleon, das sie als besondere Delikatesse direkt verspeisen. Für Naturforscher und Hobbyfotografen ist hier also einiges geboten.

Geschichte des Hotels im Dschungel
Es war für uns etwas schwierig, die vollkommene chronologische Geschichte des Hotels und Widerstands vor Ort zu verstehen und erzählt zu bekommen. Am letzten Abend sitzen wir mit dem für uns verantwortlichen compa zusammen. Etwas konfus aber dennoch viele Fragen beantwortend erzählt er, was hier vor sich gegangen ist. Davon im Folgenden eine kleine Zusammenfassung:

• 1996/97
Eine von der seit 1929 in Mexiko regierenden Einheitspartei PRI beauftragte Firma baut das Hotel, um den Tourismus in der Region zu stärken. In dem Hotel arbeiten lokale Bewohner_innen, unter ihnen viele priistas und einige der noch heute hier agierenden Zapatista. 
Wem das Land gehört hat, auf dem das Hotel gebaut worden ist, ist unklar. Wahrscheinlich ist es aber von der Regierung gekauft bzw. der jeweilige Bauer enteignet worden.

• vor 2008
Nachdem die Betreiber merken, dass auch Zapatista Anteil am Hotel haben, werden sie herausgeworfen. Der Erlös des Hotels kommt nur einer Gruppe in den umliegenden Gemeinden zu Gute –“ den priistas.
Bäume werden gefällt, wilde Tiere (z. B. das Ufer bewohnende Krokodile) illegalerweise mit hohen Gewinnen verkauft.

• 2008
Die Zapatista nehmen in einer gut geplanten Aktion das Hotel ein, die priistas fliehen.
Sie begründen ihren Anspruch auf das Gebiet und Gebäude damit, dass sie ein Anrecht auf das Land haben, außerdem keinen Anteil an den Erlösen des Hotels gehabt haben –“ obwohl sie ebenfalls zur Gemeinde dazu gehören.
Außerdem wollen sie die umliegende Natur schützen, versuchen, z. B. die Krokodile wieder anzusiedeln, Bäume dürfen nur mit Ausnahmegenehmigung gefällt werden.
Einmal kommt die Seguridad Pública (eine der vielen mexikanischen Polizeieinheiten), fährt aber wieder direkt ab, nachdem sich mehr und mehr compas rund um das Hotel versammeln.
Zurzeit scheint es relativ ruhig in dem Gebiet zu sein. Trotzdem kann es jeden Tag wieder losgehen: dass bewaffnete priistas versuchen, die compas aus ihren Gebieten zu vertreiben und das naheliegende zapatistische Dorf anzugreifen. In dem Gebiet operiert die paramilitärische Einheit OPDDIC (Abkürzung für die absurde Bezeichnung: „Organisation für die Indigenen und Bäuerlichen Rechte“), die darauf spezialisiert ist, Zapatista einzuschüchtern, zu vertreiben und wenn nötig –“ zu ermorden. Es gibt klare Verstrickungen zwischen OPDDIC, der PRI und Polizeieinheiten. Deshalb schickt FrayBa weiterhin Menschenrechtsbeo-bachter_innen in das Gebiet.

Der lakadonische Urwald
Die Selva Lacandona (Lakandonischer Urwald) ist ein 9500 km² großes tlw. nur schwer zugängliches Urwaldgebiet im Süden Mexikos (Chiapas), das an Guatemala angrenzt. In diesem liegt das Staats-Naturschutzgebiet Montes Azules, das für seinen Ökotourismus und die „echten“ Ureinwohner, die Lakandonen bekannt ist.

Fakt ist, dass viele dieser Lakandonen von der Regierung für Tourismusprojekte aus der Golfregion angesiedelt und nach den im 18. Jh. ausgerotteten Lakandonen benannt worden sind. Diese übernehmen seit den 90ern gleichzeitig die Funktion, das Ursprungsgebiet der Zapatista und anderer indigener Gruppen streitig zu machen, sie der Zerstörung des Naturschutzgebietes verantwortlich zu machen und sogar direkt mit Waffen anzugreifen und zu vertreiben (s. Link unten). Davon wissen viele der Touristen nichts, die in ihre Gemeinden fahren, um „echten Urwald-Indianern“ bei ihrem Alltagstreiben zuzuschauen. Die Lakandonen sind die einzige indigene Gruppe Mexikos, die das den Zapatista und Indigenen erstmals verbindliche Rechte zugestehende Abkommen von San Andrés nicht unterzeichnet haben (s. Link unten).

Im Jahre 1983 hatte alles hier angefangen. Nach der gängigsten Version gründeten der ehemalige Philosophie-Student und Dozent der UNAM Rafael Guillén alias Subcomandante Marcos und fünf weitere indigene und mestizische Genoss_innen aus Mexiko City und Chiapas hier am 17. November formal die EZLN (Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung), beeinflusst von der sandinistischen Revolution in Nicaragua und der kubanischen Revolution. Die besondere Geographie des Urwaldgebietes erlaubte es dieser Zelle, sich jahrelang versteckt zu halten und nach und nach eine 20.000 indigene Kämpfer_innen umfassende Armee aufzubauen, die schließlich am 01.01.1994 mehrere Teile von Chiapas einnimmt und der Regierung den Krieg erklärt.

Für die zivilen Unterstützungsbasen, die zapatistischen Dörfer in Chiapas, ist heute nicht nur der Lakandonische Urwald ihre Heimat, sondern weitaus mehr Gebiete von Chiapas. Der noch existierende militärische Arm der Zapatista, die EZLN, befindet sich im „Stand-By-Modus“ vermutlich irgendwo im Lakandonischen Urwald als Rückgrat der Zapatistischen Dörfer.

Resümee meines Aufenthalts
Der Aufenthalt in Chiapas und den indigenen Gemeinde stellt für mich eine große Bereicherung in Bezug auf das Verständnis der indigenen und politischen autonomen Praktiken dar. Von den vielen kreativen zapatistischen Ideen bereits in Deutschland inspiriert, fühle ich mich hier bestätigt, dass es sich um eine ganz besondere Bewegung handelt –“ die in dieser Form wahrscheinlich kein zweites Mal existiert (hat).

Hinter den vielen bunten Bildern, kreativen Ideen und philosophischen Formeln stehen klare progressive Positionen zum Zusammenleben verschiedenster Menschen unter dem Banner von Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit und Gerechtigkeit. Dieses Konstrukt musste erst erschaffen werden und obwohl ich selbst kein Freund von Waffengebrauch und Gewalt bin, glaube ich, dass in diesem Fall das gezielte Einsetzen von Waffen den Prozess überhaupt erst ins Rollen gebracht hat und damit unausweichlich gewesen ist. Hätten sich 1994 nach jahrelanger Ignoranz und Intoleranz nicht derart viele Menschen so entschlossen erhoben und ihrem eigenen Land den Krieg erklärt, wäre mit Sicherheit nur sehr wenig, von dem, was heute existiert, möglich gewesen.

Dass es keine militärische Lösung für den Konflikt gibt, haben zumindest die Zapatista schnell verstanden. Seit der Gründung der Caracoles 2003 und mit der Anderen Kampagne 2006 (s. 2. Bericht von mir) geht die Bestrebung, sich global mit anderen zu vernetzen und eine eigene autonome Alternative zum Kapitalismus und seinen Mechanismen aufzubauen, in eine neue Runde. Seit 2008 hat man offiziell nicht mehr viel von der EZLN-Kommandantur und Subcomandante Marcos gehört. So wie wir sie in den letzten 16 Jahren erlebt haben, sind sie immer wieder mit neuen Überraschungen und Ideen plötzlich im Zentrum des Geschehens. Für das symbolische Jahr 2010, genau 100 Jahre nach der mexikanischen Revolution und 200 Jahre nach der Unabhängigkeit, ist dies erwartet worden. Vielleicht will die EZLN gerade dieses Klischee nicht bedienen. Es bleibt spannend!

Links:
http://zmag.de/artikel/opddic-greift-neun-ezln-unterstutzungsbasen-an
(Artikel zu Aktivitäten des Paramilitärs OPDDIC, von H. Bellinghausen –“ Mitbegründer der linken Tageszeitung „La Jornada“ –“ s. Anhang)
http://de.indymedia.org/2003/04/49983.shtml (Indymedia-Artikel zur Vertreibungspraxis von Zapatista und indigenen Gruppen durch die Lakandonen und Regierung)
http://www.mexiko-lexikon.de/mexiko/index.php?title=Lacandonen (Wiki-Artikel über die Lakandonen)


Siehe auch:

Infos aus Chiapas - Vol. 1: Einführung in den lakadonischen Urwald
Infos aus Chiapas - Vol. 2: In einem Dorf der anderen Kampagne
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