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500 Jahre Reformation und der Fluch der Lohnarbeit

In der Feudalzeit war die Wirtschaft ausschließlich oder vorwiegend betrieben worden in Hinblick auf den Bedarf, also nach Maßgabe der vorhandenen Ansprüche. Entweder stand Art und Umfang des Konsums von vornherein fest, wie in der Familie, der Fronwirtschaft oder Dorfgemeinde, oder aber der Konsum wurde von der Kundschaft durch die Bestellung von Beginn der Produktion geltend gemacht. Bis zum städtischen Handwerk herauf war alle Produktion organisch eingeordnet, eingebettet in eine lebendige Einheit, ein überindividuelles Leben, das Stamm, Sippe, Familie, Dorfgemeinschaft, Gilde oder Zunft hieß. Erst kam der Mensch, dann die Arbeit, die der Sicherung des Lebens diente. Der Mensch arbeitet um zu leben. Dies wurde mit Beginn der bürgerlichen Epoche anders. An Stelle der natürlichen Gebilde, in deren Inneren sich die Produktion als ein Teilprozess des Stoffwechsels abspielte, trat ein Abstraktum: das Geschäft. Der Wirtschaftsprozess verselbstständigte sich. Die einzelnen Wirtschaftsakte wurden nicht mehr auf eine bestimmte Person bezogen, sondern zielten auf ein vom rein wirtschaftlichen Geist erfülltes Abstraktum, gleichsam auf sich selber als Ganzes. Die Vermögensbeziehungen waren entpersönlicht, versachlicht. Diese Verselbstständigung des Geschäfts gehört zur Entstehung und zum Wesen der kapitalistischen Unternehmung. Denn die Versachlichung der Wirtschaftsakte ermöglicht es, sie ohne alle Rücksicht auf andere Interessen nur auf den Gewinn auszurichten, und die Verselbstständigung des Geschäfts schaffte dem grenzenlosen Gewinn freie Bahn. So gewann in dem von allen Persönlichen abgelösten Wirtschaftsmechanismus das Erwerbsprinzip volle Freiheit zu ungehinderter Entfaltung und Betätigung.

Die auf Erwerbszweck und Gewinn abzielende Arbeit konnte aber zu keinem Resultat kommen, wenn weiterhin der Grundsatz galt, dass der Mensch nur arbeite um zu leben. Deshalb musste mit dieser These gebrochen werden. Der bürgerliche Mensch kehrte sie um, indem er die Maxime aufstellte: Der Mensch lebt, um zu arbeiten. Nur unter Anerkennung dieses Grundsatzes hatte er Aussicht, dass sich der Erwerbszweck der Produktion und Wirtschaft für ihn praktisch realisieren würde.

Diese Umstellung der Postulate machte es notwendig, in der gesellschaftlichen Ideologie dem Begriff der Arbeit einen anderen Sinn unterzuschieben, besonders der Lohnarbeit einen anderen Wertakzent zu geben. Das mittelalterliche Denken hatte für die Lohnarbeit, um des Erwerbs und der Bereicherung willen geleistet, wenig Verständnis. Jetzt galt es, Bauern und Handwerker für die Industriearbeit zu gewinnen. Dazu musste ihr Widerstand gegen die Erwerbsarbeit überwunden werden. Mit dieser Aufgabe betraute der bürgerliche Mensch die Kirche. Wie wir wissen, hat die Entwicklung der christlichen Kirche ihren Ausgang genommen von der christlichen Laiengemeinschaft. Sie ging also vom Kollektivismus aus, dessen ideologischer Träger sie blieb. Aber indem sie sich eine hierarchische Organisation gab mit Zentralismus, Autorität, Disziplin usw., entwickelte sie in sich eine Machtposition und Befehlshaberschaften, deren Repräsentanten notwendigerweise Persönlichkeiten, Kommandeure, Helden werden mussten. Sie züchtete Herren, Machthaber, Kirchenfürsten, Könige und landete beim Prinzip des Individualismus. Im Katholizismus vollzog sich diese dialektische Entwicklung, soweit sie der Feudalismus brauchte. Dem Protestantismus fiel dieselbe Aufgabe für das bürgerlich-kapitalistische Zeitalter zu. Das Charakteristische der protestantischen Ideologie liegt darin, dass sie den Individualismus in der religiösen Gedankenwelt völlig uneingeschränkt zur Anerkennung und Geltung brachte. Sie erhob fürs erste zum Grundsatz, dass jeder einzelne sich seinen eigenen Gott aus seinen Innersten neu erschaffen müsse. Weiter verwies sie den Gläubigen zur Verrichtung seiner Gebetsübungen aus der großen Gemeinde ins stille Kämmerlein. Endlich verkündete sie, dass jeder wahrhafte Gläubige ein Priester sei, der ohne Mittelsperson aus freien, eigenen Recht mit Gott in Verbindung treten könne. Aber auch den Intellektualismus führte Luther in das christliche Leben ein. An Stelle der Person des Papstes setzte er als höchste Instanz das Wort Gottes, statt des Menschen also ein Buch. Und während der Katholizismus die Rechtfertigung durch gute Werke lehrte, trat er für Rechtfertigung allein durch den Glauben ein. Dieser Glaube aber lief auf nichts anderes hinaus, als auf ein Sichklammern an den toten Buchstaben der Lehre.

Endlich hat Luther das Element der Weltlichkeit in die Religion getragen. Er erklärte, dass man überall und zu jeder Zeit, in jedem Stand und Beruf, Amt und Gewerbe gottgefällig leben könne. Er übersetzte in der Bibel das Wort Arbeit mit dem Worte Beruf, dem er den Beiklang einer göttlichen Berufung, einer religiösen Verpflichtung verlieh. Er maß auch der auf materiellen Gewinn abzielenden kapitalistischen Erwerbstätigkeit den Wert einer von Gott den Menschen gestellten Aufgabe zu, die zu erfüllen Christenpflicht sei. Damit leistet er der bürgerlichen Klasse den allerwichtigsten Dienst. Denn „diese Ausprägung des Berufsbegriffs hat“, wie auch Max Weber konstatiert, „dem modernen Unternehmer ein fabelhaft gutes Gewissen und außerdem ebenso arbeitswillige Arbeiter geliefert, indem er der Arbeiterschaft als Lohn ihrer asketischen Hingabe an den Beruf und ihrer Zustimmung zu rücksichtsloser Verwertung durch den Kapitalismus die ewige Seligkeit in Aussicht stellte, die in Zeiten, wo die kirchliche Disziplin das gesamte Leben in einem uns jetzt unfassbaren Grade in ihre Zucht nahm, eine ganz andere Realität darstellte als heute.“ Indem die protestantische Abendmahlsgemeinschaft die „ethische Vollwertigkeit“, von der die Zulassung abhängig war, mit der „geschäftlichen Ehrbarkeit“ identifizierte, war jeder einzelne im Interesse des Unternehmertums der Kirchendisziplin unterstellt. Die Weihe der Arbeit war auf diese Weise in einen seelischen Zwang zur Lohnarbeit verwandelt worden.

Noch weiter als die Lutherkirche ging der Calvinismus. Er hat das bürgerliche Element innerhalb der religiösen Ideologie und kirchlichen Organisation zur Reinkultur entwickelt. Nicht nur, dass Calvin die wortwörtliche Anbetung der Heiligen Schrift lehrte, er machte auch durch die Lehre von der Prädestination die Kirche zum mächtigsten Hilfsinstrument der bürgerlichen Interessen. Denn wenn der Mensch erst durch seinen Wandel erfuhr, ob er zu den von Gott Begnadeten gehörte, dieser Wandel aber durch Kirchengesang und Kirchenzucht bestimmt wurde, war es ein Leichtes, den Wandel nach den Bedürfnissen zu regulieren, die das kapitalistische Bürgertum im Sinne ihrer materiellen Interessen und Vorteile entwickelte. In der Tat wurde durch den Calvinismus jeder Lebensdrang unterbunden, jede Lebensfreude unterdrückt, jeder Lebensgenuss als Sünde und Verbrechen bestraft. In den Mittelpunkt der kirchlichen Ideologie wurde der Satz gestellt, dass Gott den Menschen in die Welt gesetzt habe, damit er arbeite. Damit wurden die Massen zu Fleiß, Unterwürfigkeit, asketischer Lebensführung erzogen, die aufstrebenden Unternehmerschichten zu Nüchternheit, Sparsamkeit, rechnerischen Verhalten und ökonomischer Wirtschaftsweise angehalten. Der Entfaltung des Erwerbssinns und der Entwicklung der Erwerbswirtschaft war aufs kräftigste Vorschub geleistet. Eine derart machtvolle, unbewusst raffinierte Veranstaltung zur Züchtung kapitalistischer Individuen hat es in keiner anderen Kirche oder Religion jemals gegeben.

(Otto Rühle: Illustrierte Kultur-und Sittengeschichte des Proletariats, Berlin 1930. S. 18.) via GIS

ARD: Fromme Fälschungen für Fußballflüchter

Fußball: der allgemeine Kultus der Moderne saugte natürlich die übergroße Mehrheit aller Gläubigen ab. Der andersorientierten Restgruppierung servierte ARD eine fromme Legende. GOTTES MÄCHTIGE DIENERIN. Zweiteilig. Stundenlang.

Das wäre ja weiter nicht aufsehenerregend: Jedem Bedürfnis sein gesundheitlich unbedenklicher Schuss Opium. Nur dass dabei die gewöhnliche allen zugängliche Geschichte der Verklärungssucht geopfert wurde.

Dass die Revolution 1918 als abgefeimtes Bubenstück gegen die Rechte der katholischen Kirche erkannt und angeklagt wurde, ist für solche Verkündigungen selbstverständlich und soll keine besonderen Seelenkrämpfe hervorrufen. Nur dass der ab der Monarchenzeit Bayern mitregierende Kardinal Faulhaber zum weltoffenen Friedensfreund und Erzdemokraten zurechtgeschminkt wurde, war zu forciert. Wie es mit diesem Kirchenfürsten wirklich stand, hat im Jahr 1929 Feuchtwanger in seinem Roman "ERFOLG" ohne Namensnennung ausführlich aufgezeichnet. In unseren Tagen hat das unter dem Pseudonym Corell ein Historiker vorbildlich und unwiderlegbar nachvollzogen.

Papst ohne Heiligenschein? Papst ohne Heiligenschein? Joseph Ratzinger in seiner Zeit und Geschichte von Richard Corell, Ronald Koch, Hubertus Mynarek und Hans Heinz Holz von Zambon (Broschiert - September 2006, Besprochen bei kritisch-lesen.de)

Entsprechend dann die Darstellung des Abschlusses des Konkordatsvertrags zwischen dem Vatikan und dem Neuen Deutschen Reich von 1933. Kein Wort von der kirchlich mehr oder weniger erzwungenen Selbstaufgabe der immer noch mächtigen katholischen Zentrumspartei. Keine Zweifel zulässig über die Unterstützung eines in ganz Europa mit Recht damals schon verdächtigen Systems von staatlichem Unrecht und offiziell gebilligter Unterdrückungsgewalt.Wichtig im Film nur, dass eine einfache Pfarrköchin und Klosterfrau sich so weit ein-und emporgearbeitet hatte, dass sie Anmerkungen in den Text des KONKORDATS schmuggeln konnte, die die Aufmerksamkeit des amtierenden Papstes Pius XI erregten.

Und so ging es weiter. Dass der neue Papst Pius XII - PACELLI - nicht einmal so weit gehen wollte im Protest gegen die Verbrechen des Faschismus wie sein Vorgänger, wird nur in kläglichen Lamentationen vorgeführt. Angeblich - wenn man dem Film folgen wollte - sind alle Verbrechen der NAZIS direkte Folge der Warnungen von Seiten der Kirche. Kein Zweifel daran möglich.

Das Ganze ein religiös untermalter Fall extremer Cheferotik. Die Gott ergebene Dienerin,die allenfalls Anfälle von Hochmut in sich zu bekämpfen hat - der Chef, der sogar die Treueste der Treuen von sich stoßen muss, damit kein böser Verdacht die gottvertraute Innerlichkeit störe.

Wie gesagt: nichts gegen solche Traumgewährungen des öffentlich verpflichteten Mediums. Nur alles gegen Umschreibungen der bekannten Geschichte zur Erzeugung frommer Wallungen. So scheut der Film am Ende nicht davor zurück, statt aller sonst amtierenden Kardinäle und Würdenträger die treue Schwester allein am Totenbett des Papstes zu zeigen, wie sie ihm die rituelle Frage dreimal stellt: "Piccolomoni,schläfst Du nur?" - Als keine Antwort erfolgt, und der Tod damit gesichert ist, zieht sie - gerade sie - ihm den heiligen Ring der Papsteswürde von der schlaffen Hand.

Zur schmallippigen Ehrung der katholischen Kirche sei schließlich gesagt: Solche Formverstöße lagen ihr bei aller Verehrung individueller Hingabe zeitlebens fern. Wie die gegenwärtige Behandlung von Frauen in den heiligen Reihen jeden Tag nachweist.

Papst Ratzinger bedroht nicht nur Muslime

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Er kommt also wieder. Der Papst. Vielleicht gegen seinen Willen benutzt, um im Bundestag den Tribut der Ehrerbietung einzutreiben. Schon stehen die Zensoren bereit, um vor aller Welt zu verkünden, wer dem Oberhirten die Ehrerbietung erwies. Und wer schändlich sitzenblieb -oder einfach draußen trotzte.

Darüber hinaus aber - wie immer in Zeiten des erschütternden Ausfalls von Vertrauen in Bank und Behörde - der Papst als Anleiter zum energischen Einsparen von Information. Wissen ist zu kostbar, um es auszuschütten für jedermann.

Deshalb soll hier an die Vorlesung Ratzingers in Regensburg erinnert werden - im Jahre 2006 - in welcher der Papst nur scheinbar den Islam allein angriff. Sein monopolistischer Wissensanspruch im Namen des LOGOS richtete sich gegen alle Bestrebungen der Aufklärung, die irdische Welt einzurichten ohne ängstlichen Aufblick nach dem überirdischen Auge, das uns alle beaufsichtigen will.

Der Papst steht dafür, Aufklärung zurückzunehmen. Und das geht alle an, Christ oder Atheist. Denn - so umwegig dieses Denken auch ausgedrückt sein mag - es dient zuletzt den unverschämtesten irdischen Herrschaftstendenzen. Wie die Sausefahrt des bekenntniswütigen Trittbrettspringers Mattusek - nur als Beispiel genommen - so deutlich dokumentiert:

Es kam, wie es kommen musste. Alles redete über die Vorlesung, kaum einer hatte sie gehört oder gelesen. Die muslimische Gemeinde in Stuttgart geriet in Erregung, viele andere beim Freitagsgebet in Deutschland und der Welt genau so. Verteidiger wie Beleidigte begnügten sich mit Häppchen. Hämisch wird dem türkischen Groß-Hodscha nachgewiesen, dass er die ganze Vorlesung nicht gelesen hat. Wie steht es da mit Merkel und Schäuble? Wollen sie wirklich vorgeben, sie hätten sich in Benedikts thomistische Geheimnisse vertieft?

Gar nicht einfach, den vollen Text zu finden. Bistum München-Freising hat ihn in der vorläufigen Fassung - noch nicht autorisiert vom Redner - dankenswerterweise veröffentlicht.

Offenbar wollte Professor Ratzinger sich vom päpstlichen "Eia Popeia vom Himmel" zu erholen und wieder mal als Hochschullehrer Deutsch mit seinen Kollegen zu reden. Vorlesung- das schoben viele Verteidiger als Entschuldigung vor, als komme es in den Räumen der Uni nicht so drauf an. Ganz im Sinne von Schavans Hochschulreform, Input-Output- nach Wahrheit wird nicht gefragt.Vorlesung erhebt nach alter Vorstellung, die Prof. Ratzinger sicher teilt, einen höheren Anspruch an Überlegung und Gültigkeit als ein Segens-Toast beim Volks-Hallelujah!

Der Vatikan wird gewiss in den nächsten Tagen um das relativ Entschiedene Ratzingers einige hüllende Weihrauch- Schwaden aufsteigen lassen. Um die Reise nach Konstantinopel doch noch zu retten.

Liest man aber das Ganze, wird deutlich, dass der vom Papst aus der Vergessenheit gezogene Kaiser Manuel mit seinem Zitat ihm wirklich nur den Aufhänger bot für etwas Tieferes, weitaus Gefährlicheres.

(Der Vergleich mit den fremdenfeindlich gehässigen dänischen Karikaturen auf dem dumpfesten Niveau ist völlig abwegig). Der Hinweis Manuels auf die Gewalt, mit der -angeblich- Mohammed seinen Glauben verbreiten wolle, dient nur der Entfaltung von Ratzingers Logos-Theorie. Logos- deutsch etwas verkürzt mit Vernunft übersetzt- nämlich sei das Wesen Gottes und der menschlichen Seele. Gewalt- korrekt im Sinn des Zugriffs auf den leidensfähigen Körper gedacht- könne diese Seele nicht erreichen, nur menschliche Rede, belehrend, überzeugend.

Auf diesen Logos kommt es Ratzinger an. Damit wird dann weiter die -vorsehungshafte- Bindung der christlichen Überlieferung an das Griechische verbunden.

Griechisch- das ist für Ratzinger gleichbedeutend mit platonisch, genauer: neuplatonisch. Denn in dieser Geistesschule wurde der Logos-Begriff entwickelt.

Platonismus für Benedikt: Vernünftige Regelung der menschlichen Angelegenheiten durch die Wissenden. Das Wissen muss das Nicht-Wissen dirigieren, in Schranken halten, wenn es geht,zum Wissen bringen. Sonst aber eisern lenken.

Thomas von Aquin hat das über Aristoteles weitgehend übernommen, den er übrigens in lateinischer Übersetzung aus arabischer Überlieferung kannte.( Ohne Araber hätte er traurig in die Röhre geguckt) Menschliche Vernunft reicht weit- sie bedarf der helfenden Offenbarung nur wie der Kaffee des Sahnehäubchens. In diese thomistische Tradition stellt sich Professor Ratzinger.

Von da aus die Polemik Ratzingers gegen alle Gottesvorstellungen, die Gott völlig ins Jenseitige, Unbegreifliche verbannen. Mit Recht fallen ihm dabei nicht nur islamische Theologen, sondern auch die Nominalisten ein- jener Occam etwa, den Eco im "Namen der Rose" hochleben ließ. Diese Schule, gewöhnlich als Wurzel des neuzeitlichen Denkens angesehen, retteten die Berechenbarkeit der irdischen Welt, indem sie die Theologie aus ihr hinauskomplimentierten. Gott hat seine Sicht, über die wissen wir nichts- und leise gesagt: wir wollen nichts darüber wissen- wir haben unsere Ansichten. Und bei deren Ausbau dulden wir keine Störung.

Ratzingers Platonismus bejaht genau die Position, die Foucault darstellt und immanent kritisiert. Wissen ist eine Form der Machtdisposition. Wir können nur das wissen, was die Macht schon vororganisiert hat. Der Erkenntnis auf dem Büfett sortiert angeboten. Umgekehrt: das sich durchsetzende Wissen bedeutet aktive Anordnung der Erscheinungen, die in einer vordefinierten Welt vorkommen dürfen.

Was fehlt bei diesem Weltbild.? Vor allem Kenntnis des zweiten und dritten Satzes aus dem Eingang des Johannes- Evangeliums. Der erste lautet- von Ratzinger zitiert- "im Anfang war das Wort(Logos), und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort". Dann aber fährt der Evangelist fort: "Das Wort ist in die Welt gekommen, und die Seinigen haben es nicht erkannt".

Den Fall des Logos, seine Ohnmacht im Verkanntsein, gibt Ratzinger nicht zu. Das noch viel Schlimmere als das Nicht-Haben- es Gehabt-zu-Haben und wieder verloren- das negiert der Professor als Papst.

Damit aber auch die Möglichkeit des Falls, die Erinnerung an den geschehenen, die Gewissheit des künftigen. Erich Auerbach, der Romanist, hat in dem Buch MIMESIS wunderbar gezeigt, wie dieses Bewußtsein des möglichen Einbruchs alle Geschichten des "Alten und Neuen Testaments" (katholisch gesprochen) durchzieht: Abraham, der den einzigen Sohn unbegreiflicherweise opfern soll, David, der der Sünde erliegt, Petrus, den die Angst übermannt, der ungläubige Thomas, der auf den verlangten körperlichen Beweis der Auferstehung verzichtet, der Schrei des Zusammenbruchs Jesu–™ am Kreuz- die ganze jüdische Tradition, wie sie auch die jesuanische Lehre begründete und ermöglichte, ist für den vernunftstolzen Professor ausgefallen.

Ratzinger sieht sich als jemand, der die bloß "instrumentelle Vernunft" nicht anders angreift als Horkheimer-Adorno seinerzeit. Er berührt damit den vergessenen Punkt der Terrorismus- Diskussion. Allenthalben zeigt sich Entrüstung: die haben doch bei uns nahtlos Ingenieur studiert, oder Chemie, haben alles bekommen, sind nirgends aufgefallen Und jetzt stürmen sie die Twin-Towers! Niemand kommt in den Sinn, dass gerade die Erfahrung des blinden Funktionierens im Westen, das fraglos als selbstverständlich vorausgesetzt wird, denjenigen aufs innerste verstört und empört, der -aus religiöser Herkunft irgendeiner Art- sich nicht abgewöhnen kann: nach dem Warum und Wozu zu fragen. "Die Herren machen das selbst, dass der gemeine Mann ihnen feind ist" wie ein Fundamentalist christlicher Herkunft -Thomas Müntzer- in den Bauernkriegen kurz vor der Hinrichtung schrie. Es müsste statt "die Herren" heute eher: "die Verhältnisse" heißen, "die leerlaufende Struktur". Nicht anders als aus der Erfahrung der tiefsten Entleerung ist der falsche Weg der selbstaufopfernden Zerstörung zu verstehen.

Nur, dass der Ausweg Benedikts keiner ist. Er erinnert zwar in der Rede mit Recht an die unausrottbare Frage nach dem “Warum– und “Wozu– - aber er stoppt das Weiterfragen als Monopolist des Wissens. Er hat immer schon die Antwort. Benedikts Weg ist trotz entgegenstehender Beteuerung ein Rückweg. Appell an das übergeordnete Wissen, das das Recht verlangt, die Unwissenden zu zwingen.

Kein Wunder, dass der Satz "coge intrare" - " Erzwinge den Kircheneintritt" von dem bei Ratzigner auch erwähnten Augustinus von Hippo stammt. So eindringlich dieser in den Bekenntnissen das Plötzliche des Falls, die Nacht der Seele ausmalte, so sehr besteht der zuletzt doch unveränderte Platoniker gegenüber anderen auf der vernunftgestützten Zwangsgewalt der Kirche.

Woytila, Benedikts Vorgänger, wirkte- mit eigenem Willen- als Dampfwalze gegen den Kommunismus in Osteuropa. Benedikt- vielleicht gegen seinen Willen- steht in Gefahr, zu ähnlichem Zweck benutzt zu werden gegen das Gespenst des Weltislamismus, wie Bush und die seinigen es aus durchsichtigen Gründen brauchen. Ratzingers Platonismus dient dem guten Gewissen der Wissenden, die Herrschaft auszuüben. Als Vorsitzender der Glaubenskongregation, Nachfolger der Heiligen Inquisition, hat er seine Vorstellung von vernunftgeleiteter Herrschaft über die Irrenden gezeigt. Das einjährige Strafschweigen, das er Boff, dem Sprecher der “Theologie der Befreiung– in Südamerika auferlegte, war freilich “nur– Macht, zunächst nicht den Körper bedrückende Gewalt. Aber auch im Mittelalter überließ die Kirche reiner Hand die endgültige Exekution der weltlichen Gewalt. Der Henker mit der Fackel am Scheiterhaufen der Jeanne d–™Arc war englischer Kriegsknecht. Heute nicht viel anders. Wer ein Jahr bußschweigt, den schweigen die Medien ein Leben lang tot. Wer kennt heute noch Boff? Und nach den Medien die Staatsgewalt, Militärherrschaft bis hin zu den Todesschwadronen in El Salvador, die den Bischof Romero vor dem Hochaltar umlegten, nicht anders, als es einst Thomas Beckett geschah.

Professor Ratzinger als Papst Benedikt ist gefährlich für alle -nicht nur für Muslime. Das subtile gute Gewissen, das er auf höchstem Niveau den Herrschenden anliefert, wird sich aufs äußerste verdünnt über die Merkels und Schäubles, die jetzt schon ahnungslos Hurrah schreien- bis hin zu den Exekutoren der Meinungspolizei in Zeitung und Ordnungsamt verbreiten. “Nur nicht zaghaft bei der Verteidigung des europäischen Geistes- der Papst hat es auch gesagt– wird man dann hören bei jeder Kritik an der walzenden Obrigkeit.

Was geht das alles uns als hartgesottene Atheisten an? Gestehen wir, dass wir innerhalb der Kirche einem Reinhold Schneider immer noch am nächsten stehen, der am Ende des Lebens in seiner Müdigkeit auf Gewissheit und ewige Seligkeit verzichtete. Nichts geht uns an, der interne Streit der Kirche um Zölibat und Frauenpriesterschaft geht. Alles, wenn wir uns eingestehen, dass wir sämtlich - Christ oder Atheist- in einer Einheits-Suppe gängiger Meinungen schwimmen, die keine Grenzen kennen. Woytila wurde zugeprostet von ausgepichten Agnostikern,

Benedikt wird gestützt von Evangelen, Kirchenfeinden, und Aufklärungs- Fetischisten. Deshalb: Professor Ratzinger auf die Segensfinger schauen- auch wenn es von außerhalb geschehen muss

Quelle: Papstvorlesung Regensburg - n. Veröffentlichung Bistum München-Freising

Papa Ratzi unerwünscht! Lesung der Humanistischen Union am Donnerstag, 22. Sept.

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Anläßlich des Papstbesuchs lädt die Humanistische Union ein zur Lesung "Papa Ratzi unerwünscht!"

Donnerstag, den 22. September
ab 20:00 Uhr
im Club Voltaire, Kleine Hochstraße 5, Frankfurt

mit Peter Menne und Helge Nyncke.

Peter Menne
liest aus "Opus Diaboli" von Karlheinz Deschner. Um die traurigen Wahrheiten über das keineswegs "segensreiche" Wirken der Kirche aufzulockern, steuert Helge Nyncke ironische Texte bei: Satiren aus "Eine gotteslästerliche Floßfahrt" und noch unveröffentliches über "Papa Ratzi".

Die Humanistische Union (HU) ruft auf zur Demonstration "Keine Macht den Dogmen" am 22. September ab 16:00 Uhr auf dem Potsdamer Platz in Berlin.

Doch nicht jede/r kann am Donnerstag nach Berlin fahren. Darum schafft die HU Frankfurt auch hier ein Forum, um gegen die menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik des Papstes zu protestieren. Der Eintritt ist frei.

Die HU erinnert daran, dass der Vatikanstaat die letzte Diktatur in Europa ist. Die europäische Menschenrechtskonvention wurde vom Vatikan noch immer nicht ratifizert. "Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass der Vatikanstaat erst 1929 vom Faschisten Mussolini gegründet wurde", so HU-Ortsvorsitzender Peter Menne.

Anfahrt zum "Club Voltaire": Die Kleine Hochstraße zweigt ganz in der Nähe der Alten Oper von der Fressgass' (offiziell: "Große Bockenheimer Straße") ab. Zu erreichen mit der U-Bahn, Linien U 6 / U 7, Station "Alte Oper" oder mit der S-Bahn, alle Linien, Station "Hauptwache", dann 300 m zu Fuß.

Wer mit dem Auto kommt, findet sicher einen Parkplatz in den Parkhäusern
- Börse, Meisengasse,
- Alte Oper, Opernplatz,
oder auch in den Parkhäusern Junghofstraße 16 oder Schiller-Passage, Taubenstraße 11. 

"Bitte, missionieren Sie mich jetzt."

"Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge treibt der Versuch, Asylsuchende, die zum christlichen Glauben konvertiert sind, auf die Echtheit ihrer Überzeugung hin zu überprüfen, seltsame Blüten. Im Rahmen von Anhörungen kommt es zu einer Art Religionsexamina. Sie sollen offenbar klären, ob Flüchtlinge, die in Deutschland Christen geworden sind, dies nur aus taktischen Überlegungen heraus getan haben. Eine besonders bizarre Anhörung erlebte vor kurzem ein Iraner (...)

Bericht von Bernd Mesovic beim Lebenshaus Schwäbische Alb

Das ganze religiöse Elend...

Passend zum hochheiligen Feiertag muss ich dann auch mal was loswerden:
Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.

Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.


Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. In: Karl Marx/ Friedrich Engels -Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin 1976, Seiten 378-385
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