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Blogkino: Ulrike Marie Meinhof (1994)

Heute zeigen wir im Blogkino mit Filmen zum Thema Ⓐnarchismus "Ulrike Marie Meinhof" von Timon Koulmasis. "Ulrike Marie Meinhof, 1970 Mitbegründerin der Roten Armee Fraktion, galt bis zu ihrem schaurigen Tod 1976 in der Gefängnisfestung Stuttgart-Stammheim als führende Theoretikerin der Gruppe. Die Nachwelt hat sie bis heute in die vereinfachenden Muster der "kommunistischen Staatsfeindin" oder der "Märtyrerin" gepresst. Das hier unternommene Filmporträt Ulrike Meinhofs stellt, ohne den historischen Kontext und die politische Perspektive zu vernachlässigen, den menschlichen Aspekt in den Vordergrund. Reise an die Schauplätze ihres Lebens, Begegnung und Dialog mit denen, die ihr Leben von der Jugend bis in die Jahre der Stadtguerilla geprägt haben, gräbt der Film nicht nur ein Stück vergangener deutscher Geschichte aus oder bezeichnet den Platz Ulrike Meinhofs in der Kollektiverinnerung; er bestimmt ihn neu." Quelle: Timon Koulmasis

Peter Brückner: "Aus dem Abseits"

„Der Film präsentiert uns einen weitgehend in Vergessenheit geratenen linken Intellektuellen, der in den Jahren des Modells Deutschlands von u.a. Helmut Schmidt zur Zielscheibe von Mob, Politik und Justiz in der BRD geraten war. Zweimal wurde er suspendiert, mehrere Razzien musste er über sich ergehen lassen. Altnazis schrieben Brückner Drohbriefe. Der Mob hasste in Brücker einen linken Intelektuellen jüdischer Herkunft, für den Revolution und schönes Leben zusammen gehörten und sich da auch mit machen linken zeitgenössischen Dogmatiker_innen zerstritt.“

„Man muss das Nein gegenüber der Normalität nicht nur denken, sondern auch realisieren, ansonsten denkt man es nicht sehr lange“

Das dokumentarische Porträt stellt die Familiengeschichte Brückners die von den 1930er Jahren bis in den Deutschen Herbst führt, in den Kontext der Zeitgeschichte und der politischen Prozesse, in die er sich eingemischt hat.

Peter Brückner (1922-1982) kämpfte als Jugendlicher für den kommunistischen Untergrund gegen die Nazis, ging als Erwachsener aus der DDR in den Westen, 1967 wird Peter Brückner Professor für Psychologie an der TU in Hannover. Auch und gerade in seiner Tätigkeit als Hochschullehrer setzt er sich ein, nimmt Stellung, verteidigt zum Beispiel 1970 mit einem positiven Gutachten das Sozialistische Patientenkollektiv.

1972 wirft man Brückner vor, er habe Ulrike Meinhof Unterschlupf gewährt. Brückner wird für einige Zeit von seinen Hochschultätigkeiten suspendiert. 1977 folgt die zweite Suspendierung, mit Amtsenthebung und Hausverbot, nicht nur an der TU Hannover, sondern auch an anderen Unis, etwa Heidelberg, Konstanz, Freiburg oder Tübingen, unter anderen wegen der Dokumentation und Herausgabe des indizierten Textes »Buback –” ein Nachruf«, der anonym unter dem Namen »Mescalero« erschien.

"Aus dem Abseits" gibt denjenigen, die im "Modell Deutschland" ausgegrenzt und kriminalisiert wurden, ein Forum. Der Film zeigt auch die Folgen der Kriminalisierung.

Dokumentarfilm - 112 Minuten - von 2014

combatiente zeigt geschichtsbewußt: filme aus aktivem widerstand & revolutionären kämpfen

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k9 - combatiente zeigt: „Une Jennesse Allemande - Eine deutsche Jugend“

"Wir stürmen und werden Soldaten des revolutionären Krieges oder wir werden wieder Bürger und antikommunistische Schweine."

In den 1960ern durchlebte die Bundesrepublik Deutschland eine ihrer radikalsten und kritischsten Phasen. Zehntausende gingen auf die Straße, um gegen Kapitalismus und Staat aufzubegehren.

„Une Jennesse Allemande - Eine deutsche Jugend“ wirft einen Blick von außen auf die BRD und ist sehenswert, weil er die Notwendigkeit der 68er dokumentiert,eine Auseinandersetzung mit der Kriegsgeneration zu forcieren, um sozialistische Verhältnisse in der BRD zu erkämpfen.

Ende der 1960er lehnte sich die Nachkriegsgeneration in der Bundesrepublik gegen ihre Eltern auf. Sie war desillusioniert von den antikommunistischen, kapitalistischen Staatsstrukturen, in denen die Elite des tausendjährigen Reichs, umetikettiert zu Demokraten, ihre Verbrechen unter den Teppich gekehrt hatte.

Periot schneidet die Positionen kunstvoll gegeneinander zu einem vielstimmigen Kaleidoskop. Darunter zahlreiche Filmzitate von Fassbinder in „Deutschland im Herbst" über Antonionis „Zabriskie Point" bis hin zu Studentenfilmen von Holger Meins und Reportagen von Ulrike Meinhof, die seitdem nie wieder gezeigt wurde". Der Filmemacher stellt Staat und bewaffneten Widerstand der 1970er und 1980er Jahre, Gewalt und Geschichte, Radikalisierung und die Reaktionen der Gesellschaft darauf einander kommentarlos gebenüber und erteilt auch Filmemachern jener Jahre das Wort.

„Mit meinem Film hole ich die Bilder der Vergangenheit in unsere Gegenwart und organisiere sie neu zu einer subjektiven Montage. Dabei interessiert mich das, was über die offensichtliche Botschaft der Bilder und Töne hinausgeht. Die Widersprüche und die besondere Prasenz des Materials - wie es mich bewegt und verstört.“ Jean-Gabriel Periot

Zum 42. Todestag von Ulrike Meinhof: Bambule (1970)



Ulrike Meinhof 1964

Quelle: Privates Foto, aus der Sammlung Bettina Röhls, der Tochter Ulrike Meinhofs


In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1976 starb Ulrike Marie Meinhof im Knast Stuttgart-Stammheim. Ihr Tod und auch der der anderen RAF Gefangenen in der Haft wurde bis heute nicht vollständig aufgeklärt, Menschen, die an der staatlichen Selbtmordthese zweifeln, werden kriminalisiert. Ulrike Meinhof engagierte sich seit 1957 politisch, war Mitglied der illegalisierten KPD und wurde durch ihre Artikel und Kolumnen vor allem in „Konkret“ eine bedeutende linke Persönlichkeit in der BRD.

"Sie war die erste Person in der Bundesrepublik, nachdem wir aus Polen 1958 nach Westdeutschland gekommen waren, die nach meiner Zeit im Warschauer Ghetto fragte. Am Ende des Interviews, das viel länger dauerte als ursprünglich geplant, hatte Ulrike Meinhof Tränen in den Augen." Marcel Reich-Ranicki

1970 gründete sie mit anderen die bewaffnet im Untergrund kämpfende Gruppe Rote Armee Fraktion (RAF). Zu ihrer Person hatte ich anlässlich ihres 40. Todestages im vorletzten Jahr einiges zusammengestellt, das ich an dieser Stelle nicht wiederholen will. Relativ unbekannt ist ihre Arbeit als Drehbuchautorin an dem auch heute kaum gezeigten Film Bambule:

"24 Stunden in einem geschlossenen Mädchenheim: Irene und Monika unternehmen einen Ausbruchsversuch. Während Irene die Flucht gelingt, landet Monika zur Strafe in der Arrestzelle und erzählt dort einer Fürsorgerin ihre Lebensgeschichte. Die Situation im Heim spitzt sich zu und in der Nacht wird eine "Bambule", ein Aufstand, angezettelt."(arte)

"Der Film kritisiert die autoritären Methoden der Heimerziehung (Fürsorgeerziehung) in einem Mädchenheim. Im Verlauf der Handlung kommt es zu einer Revolte der Heiminsassinnen gegen die unterdrückenden Strukturen. Die Handlung des Films wird oft auch als Parabel auf die gesellschaftlichen Zustände der Zeit verstanden, denen eine neue, verschärfte Form des Klassenkampfes entgegengesetzt werden müsse." (wikipedia)

Die Ausstrahlung des Films war für den 24. Mai 1970 in der ARD geplant, wurde wegen der Beteiligung Ulrike Meinhofs an der Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai aber abgesetzt. Das Drehbuch erschien als "Bambule: Fürsorge - Sorge für wen?" bereits 1971 in Buchform. Erst ab 1994 wurde der Film in den dritten Programmen der ARD gezeigt. Film und Drehbuch sind die authentische Wiedergabe der Zustände, die sie in ihren Reportagen über Heimerziehung beschrieben hat und heute wichtige Dokumente für die Beurteilung der Erziehungspraxis in Einrichtungen der Jugendhilfe der 1940er bis 1970er Jahre sind.

Das Buch "Bambule: Fürsorge - Sorge für wen?" ist längst zum Klassiker geworden. Nicht nur wer wissen will, welche Erziehungsvorstellungen noch Ende der sechziger Jahre herrschten, sollte Bambule lesen. Denn das Thema ist aktuell wie je: Wie geht die Gesellschaft mit Randgruppen um, wie erzieht der Staat diejenigen, deren Fürsorge ihm übertragen wurde? Ulrike Meinhof hatte sich als Journalistin in langen Recherchen ein Bild über die Lage der Mädchen in Erziehungsheimen gemacht. In der Geschichte von Irene beschreibt sie den Alltag zwischen Hof, Schlafraum, Wäscheraum und "Bunker", die Repressalien der Erzieher und die Befreiungsversuche der Mädchen, die "Bambule" machen, weil sie leben wollen und nicht bloß sich fügen.

Zum 41. Todestag von Ulrike Meinhof: Bambule (1970)

Ulrike Meinhof 1964
Quelle: Privates Foto, aus der Sammlung Bettina Röhls, der Tochter Ulrike Meinhofs

In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1976 starb Ulrike Marie Meinhof im Knast Stuttgart-Stammheim. Ihr Tod und auch der der anderen RAF Gefangenen in der Haft wurde bis heute nicht vollständig aufgeklärt, Menschen, die an der staatlichen Selbtmordthese zweifeln, werden kriminalisiert. Ulrike Meinhof engagierte sich seit 1957 politisch, war Mitglied der illegalisierten KPD und wurde durch ihre Artikel und Kolumnen vor allem in „Konkret“ eine bedeutende linke Persönlichkeit in der BRD.

"Sie war die erste Person in der Bundesrepublik, nachdem wir aus Polen 1958 nach Westdeutschland gekommen waren, die nach meiner Zeit im Warschauer Ghetto fragte. Am Ende des Interviews, das viel länger dauerte als ursprünglich geplant, hatte Ulrike Meinhof Tränen in den Augen." Marcel Reich-Ranicki

1970 gründete sie mit anderen die bewaffnet im Untergrund kämpfende Gruppe Rote Armee Fraktion (RAF). Zu ihrer Person hatte ich anlässlich ihres 40. Todestages im vergangenen Jahr einiges zusammengestellt, das ich an dieser Stelle nicht wiederholen will. Relativ unbekannt ist ihre Arbeit als Drehbuchautorin an dem auch heute kaum gezeigten Film Bambule:

"24 Stunden in einem geschlossenen Mädchenheim: Irene und Monika unternehmen einen Ausbruchsversuch. Während Irene die Flucht gelingt, landet Monika zur Strafe in der Arrestzelle und erzählt dort einer Fürsorgerin ihre Lebensgeschichte. Die Situation im Heim spitzt sich zu und in der Nacht wird eine "Bambule", ein Aufstand, angezettelt." (arte)

"Der Film kritisiert die autoritären Methoden der Heimerziehung (Fürsorgeerziehung) in einem Mädchenheim. Im Verlauf der Handlung kommt es zu einer Revolte der Heiminsassinnen gegen die unterdrückenden Strukturen. Die Handlung des Films wird oft auch als Parabel auf die gesellschaftlichen Zustände der Zeit verstanden, denen eine neue, verschärfte Form des Klassenkampfes entgegengesetzt werden müsse." (wikipedia)

Die Ausstrahlung des Films war für den 24. Mai 1970 in der ARD geplant, wurde wegen der Beteiligung Ulrike Meinhofs an der Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai aber abgesetzt. Das Drehbuch erschien als "Bambule: Fürsorge - Sorge für wen?" bereits 1971 in Buchform. Erst ab 1994 wurde der Film in den dritten Programmen der ARD gezeigt. Film und Drehbuch sind die authentische Wiedergabe der Zustände, die sie in ihren Reportagen über Heimerziehung beschrieben hat und heute wichtige Dokumente für die Beurteilung der Erziehungspraxis in Einrichtungen der Jugendhilfe der 1940er bis 1970er Jahre sind.


Das Buch "Bambule: Fürsorge - Sorge für wen?" ist längst zum Klassiker geworden. Nicht nur wer wissen will, welche Erziehungsvorstellungen noch Ende der sechziger Jahre herrschten, sollte Bambule lesen. Denn das Thema ist aktuell wie je: Wie geht die Gesellschaft mit Randgruppen um, wie erzieht der Staat diejenigen, deren Fürsorge ihm übertragen wurde? Ulrike Meinhof hatte sich als Journalistin in langen Recherchen ein Bild über die Lage der Mädchen in Erziehungsheimen gemacht. In der Geschichte von Irene beschreibt sie den Alltag zwischen Hof, Schlafraum, Wäscheraum und "Bunker", die Repressalien der Erzieher und die Befreiungsversuche der Mädchen, die "Bambule" machen, weil sie leben wollen und nicht bloß sich fügen.

Falsches Bewußtsein

Ulrike Meinhof 1964
Quelle: Privates Foto, aus der Sammlung Bettina Röhls, der Tochter Ulrike Meinhofs
"Aus der Emanzipationsforderung ist der Gleichberechtigungsanspruch geworden. Emanzipation bedeutete Befreiung durch Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, Aufhebung der hierarchischen Gesellschaftsstruktur zugunsten einer demokratischen: Aufhebung der Trennung von Kapital und Arbeit durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Beseitigung von Herrschaft und Knechtschaft als Strukturmerkmal der Gesellschaft.

Der Gleichberechtigungsanspruch stellt die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Ungleichheit zwischen den Menschen nicht mehr in Frage, im Gegenteil, er verlangt nur die konsequente Anwendung der Ungerechtigkeit, Gleichheit in der Ungleichheit: Die Gleichberechtigung der Arbeiterin mit dem Arbeiter, der Angestellten mit dem Angestellten, der Beamtin mit dem Beamten, der Redakteurin mit dem Redakteur, der Abgeordneten mit dem Abgeordneten, der Unternehmerin mit dem Unternehmer. Und tatsächlich beschäftigt dieser Gleichberechtigungsanspruch heute noch jeden gewerkschaftlichen Frauenkongreß und jede Unternehmerinnentagung, weil er sich erst juristisch, nicht aber praktisch durchgesetzt hat. Es scheint, als hätte eine ungerechte Welt noch Schwierigkeiten, wenigstens ihre Ungerechtigkeiten gerecht zu verteilen."

Ulrike Meinhof, 1968 in "Emanzipation und Ehe" hrsg. von Christa Rotzoll

RAF-Richter a.D. Kurt Breucker und das Pippi-Langstrumpf-Prinzip

Logo der RAF
Quelle: WikiPedia
Die Ausstellung „RAF –“ Terror im Südwesten“ im Stuttgarter Haus der Geschichte wird von der Stuttgarter Zeitung publizistisch begleitet. In diesem Zusammenhang interviewte die StZ in ihrer Ausgabe vom 17.7.2013 den pensionierten Richter Kurt Breucker, der 1977 als Beisitzer den Prozess gegen die Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan Carl Raspe mit leitete.

Zu diesem Interview gäbe es viel zu sagen, z.B. über die absolute Befangenheit des Richters gegenüber den Angeklagten und ihren Verteidigern, die noch heute aus jeder Zeile des Interviews spricht. Kostprobe: „Der linke Rechtsanwalt Hans Christian Ströbele, der ja immer gern das Maul aufreißt,...“ (Man beachte die Gegenwartsform!).

Heute wie damals offenbart Richter Breucker ein „taktisches Verhältnis zur Wahrheit“. Zu der Abhöraffäre (Verfassungsschutz und BND hatten Gespräche der Angeklagten mit ihren Verteidigern abgehört) sagt er im Interview: „Wir verlangten sofort von den beteiligten Regierungsstellen volle Aufklärung und eine Garantie, dass so etwas nicht mehr passiert.“

Tatsächlich stellte der Vorsitzende Richter Foth erst mal zum Entsetzen nicht weniger Juristen fest, dass die Abhöraffäre den Prozess selber nicht berühre. Es bedurfte des Auszugs der Wahlverteidiger und mehrerer Anträge der gerichtlich bestellten Pflichtverteidiger bis der Vorsitzende Richter sich dazu durchringen konnte, solche Abhörmaßnahmen zu verbieten. Das ganze Hin und Her dauerte über zwei Wochen - „sofort“ sieht anders aus.

Die „beteiligten Regierungsstellen“ kümmerten sich im Übrigen einen Dreck um die richterliche Anordnung und verwanzten auch noch die Zellen der Angeklagten.

Vollkommen grotesk ist die Begründung des Richters, die Polizei wollte durch die Abhörmaßnahmen nach dem Anschlag in Stockholm weitere Attentate verhindern. Die Wanzen wurden aber im März 1975 installiert, einen Monat vor dem Stockholmer Anschlag am 24.April 1975 und zwei Monate vor Prozessbeginn am 21.Mai 1975.

Auch was die Ablösung des Vorsitzenden Richters Dr. Prinzing wegen Befangenheit angeht, verfährt Richter Breucker nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!“.

Im Interview heißt es: „Er hatte den Pflichtverteidiger eines Angeklagten angerufen, der einst Referendar bei ihm gewesen war. Dieser Vorfall ist darauf zurückzuführen, dass man Dr. Prinzing systematisch zermürbt hatte.“

Tatsächlich hat dieser Vorfall eine interessante Vorgeschichte:

Beschwerde- und Revisionsinstanz für den 2. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts, vor dem gegen die RAF-Mitglieder verhandelt wird, ist der dritte Strafsenat beim Bundesgerichtshof. Sein Vorsitzender ist der Bundesrichter Albert Mayer.

Dr. Herbert Kremp ist Chefredakteur der Tageszeitung Die Welt und war in derselben Studentenverbindung wie Alfred Mayer. Am 20.7.1976 schreibt Alfred Mayer einen Brief an seinen „Lieben Cartellbruder Kremp“. Darin bittet Herr Mayer Herrn Kremp unter hilfenahme von Kopien der kriminalpolizeilichen Vernehmung von Gerhard Müller (Kronzeuge der Anklage, obwohl eine gesetzliche Kronzeugenregelung erst 1987 eingeführt wird) , die ihm Herr Prinzing privat hat zukommen lassen, einen Artikel in der Welt zu plazieren, der geeignet ist, die Glaubwürdigkeit von Otto Schily, Verteidiger im RAF-Prozess, zu erschüttern. „Es wäre mir lieb, wenn die übersandten Unterlagen (...) nach Gebrauch vernichtet würden“, heißt es am Schluss der Briefes.

Am 10. Januar 1977 stellt Otto Schily deswegen einen Befangenheitsantrag gegen den Richter Prinzing. Der wird prompt zurückgewiesen –“ wie alle Befangenheitsanträge vorher auch.

Daraufhin stellt erstmals einer der gerichtlich bestellten Pflichtverteidiger, Manfred Künzel, einen Befangenheitsantrag. Auch der wird verworfen. Der Senatsvorsitzende Prinzing ärgert sich über den Befangenheitsantrag seines Ex-Referendars so sehr, dass er in deswegen anruft, um ihm seine Enttäuschung mitzuteilen. Es sei für ihn etwas anderes, ob einer der Vertrauensverteidiger oder Künzel einen solchen Antrag gegen ihn gegen ihn einbringe. Dieses Telefonat bringt Prinzing endgültig zu Fall. Zwar werden noch in Windeseile weitere Befangenheitsanträge abgelehnt. Als aber Künzel seinem ehemaligen Ausbilder rasch eine Brief schickt, in dem er ihm sogar noch die Möglichkeit einräumt, selbst zurückzutreten, was dieser strikt ablehnt, scheidet Dr. Prinzing wegen Befangenheit aus dem Verfahren aus.

Angesichts solcher massiven Rechtsverstöße gewährt die Überzeugung von Richter Breucker, „dass der Bundesgerichtshof das Urteil nicht aufgehoben hätte“ einen tiefen und erschreckenden Einblick in dessen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit.

Der Ausgang des Verfahrens ist bekannt: Alle Angeklagten wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, ohne dass die individuelle Tatbeteiligung jeweils nachgewiesen werden konnte –“ das ist nebenbei auch für den Zschäpe-Prozess von Interesse. Eine Revision scheiterte an dem größten Verfahrenshindernis, das es gibt: den Tod der Angeklagten.

TV Tipp: Bambule

"24 Stunden in einem geschlossenen Mädchenheim: Irene und Monika unternehmen einen Ausbruchsversuch. Während Irene die Flucht gelingt, landet Monika zur Strafe in der Arrestzelle und erzählt dort einer Fürsorgerin ihre Lebensgeschichte. Die Situation im Heim spitzt sich zu und in der Nacht wird eine "Bambule", ein Aufstand, angezettelt." (arte)

"Der Film kritisiert die autoritären Methoden der Heimerziehung (Fürsorgeerziehung) in einem Mädchenheim. Im Verlauf der Handlung kommt es zu einer Revolte der Heiminsassinnen gegen die unterdrückenden Strukturen. Die Handlung des Films wird oft auch als Parabel auf die gesellschaftlichen Zustände der Zeit verstanden, denen eine neue, verschärfte Form des Klassenkampfes entgegengesetzt werden müsse." (wikipedia)


Die Ausstrahlung des Films war für den 24. Mai 1970 in der ARD geplant, wurde wegen der Beteiligung der Drehbuchautorin Ulrike Meinhof an der Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai aber abgesetzt. Das Drehbuch erschien als "Bambule: Fürsorge - Sorge für wen?" bereits 1971 in Buchform. Erst ab 1994 wurde der Film in den dritten Programmen der ARD gezeigt. Film und Drehbuch sind die authentische Wiedergabe der Zustände, die sie in ihren Reportagen über Heimerziehung beschrieben hat und heute wichtige Dokumente für die Beurteilung der Erziehungspraxis in Einrichtungen der Jugendhilfe der 1940er bis 1970er Jahre sind.

Montag, 12. März 2012 um 00.05 Uhr bei arte.


Zum Film bei UBUWeb

Bambule - Fernsehspiel von Ulrike Meinhof

Als Fernsehfilm von der ARD vierundzwanzig Jahre lang unterdrückt, ist das Buch "Bambule: Fürsorge - Sorge für wen?" längst zum Klassiker geworden. Wer wissen will, welche Erziehungsvorstellungen noch Ende der sechziger Jahre herrschten, sollte Bambule lesen. Das Thema ist aktuell wie je: Wie geht die Gesellschaft mit Randgruppen um, wie erzieht der Staat diejenigen, deren Fürsorge ihm übertragen wurde? Ulrike Meinhof hatte sich als Journalistin in langen Recherchen ein Bild über die Lage der Mädchen in Erziehungsheimen gemacht. In der Geschichte von Irene beschreibt sie den Alltag zwischen Hof, Schlafraum, Wäscheraum und "Bunker", die Repressalien der Erzieher und die Befreiungsversuche der Mädchen, die "Bambule" machen, weil sie leben wollen und nicht bloß sich fügen.

Stammheim: Zellen abhören - na und? Aus damals: Legitim soll heute: Legal werden

Ulrike Meinhof 1964
Quelle: Privates Foto, aus der Sammlung Bettina Röhls, der Tochter Ulrike Meinhofs
Recycled aus gegebenem Anlass zum 36. Todestag Ulrike Meinhofs.

Aust hat wieder zugeschlagen. Am Sonntag-und Montagabend bei ARD,gleich nachher bei Beckmann noch mal, alles flankiert vom SPIEGEL am Montag. Jetzt endlich Bader-Meinhof-Ensslin in die Kiste bekommen und datumsgerecht abgeliefert.

Austs Urbuch “Bader-Meinhof-Komplex– hatte vor Jahren immerhin das Verdienst einer ersten Datenerfassung.

Der danach gedrehte Film, der jetzt auch noch mal aufgekocht werden soll, wurde zwar von vielen Linken kritisiert. Wie Inge Viett aber vor einiger Zeit schon feststellte, hatte er immerhin in der Beschränkung auf den Gerichtssaal die ganze unversöhnliche Dramatik herausgeholt. Auf der einen Seite Prinzing und der Justizapparat- nicht persönlich bösartig, aber in ihrem Mechanismus, der eigentlich auf Sachaufklärung abstellt, als unbarmherziges Mahlwerk erkannt. Das Eigentliche kann da nie zur rechten Zeit am rechten Platz gesagt werden. Auf der andern Seite die Vorkämpferinnen und Vorkämpfer- bleich, verbissen, und doch immer auf die Sekunde lauernd, wo sie ihre Wahrheit auf die Tribüne bringen könnten.Der nie kam. Die ganze Strafbegründung der Aufklärung: Besserung, Abschreckung, Sühne lief ins Leere. Gebessert kann der nicht werden, der das angebotene Bessere nicht als solches anerkennt. Und Abschreckung nahm in jenen Tagen tatsächlich den Charakter des blinden Umsichschlagens auf Verdacht hin an.

Das war damals: Buch und Film.

In den verflossenen dreißig Jahren ist Aust beim SPIEGEL zunehmend Staatsträger und Reichspropagandist geworden.

Nicht in der schreihalsigen Weise, die 1977 gang und gäbe war. Nein: auf der einen Seite entwickelt er tatsächlich immer noch journalistisches Interesse und deckt Neues auf. So vor allem die Anwesenheit eines speziellen Geheimdienstes, ohne jede parlamentarische Kontrolle,die Gruppe F- Fernmeldewesen. Erst 1994 legalisiert, seither aus der öffentlichen Diskussion wieder weitgehend herausgehalten.

Aust macht nur allzu glaubhaft, dass per Verwanzung in Stammheim fleißig abgehört wurde. Ein früherer Fall hatte zum Rücktritt von Minister Bender geführt hatte, war also aktenkundig.Was einmal passierte, konnte wiederholt werden. Zur Verwanung tritt hinzu die Möglichkeit, dass die angenommene oder wirkliche Draht-Verbindung zwischen den Gefangenen einfach angezapft wurde.

Damit macht Aust dankenswerterweise glaubhaft, dass die Lauscher und Mithörer die ganze Zeit auf dem Laufenden gewesen sein müssen, also auch die Pläne der Inhaftierten kannten. Wenn es sich um Selbstmordpläne gehandelt haben sollte, WENN!, dann ist anzunehmen, dass sämtliche Beamte, die das mitbekamen, sich des Verbrechens der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machten. Hinzukommt, dass nach Aust- die Plattenspieler und sonstigen Verstecke für die Pistolen- von ausgewiesenen Technikern untersucht worden waren, ohne etwas Auffälliges zu finden. Nachträglich stellte selbst der um Waschungen aller Art bemühte Untersuchungsausschuss Baden-Württemberg fest, dass die “plumpen Lötungen– usw. jedem hätten auffallen müssen. Zwei Schlüsse sind möglich: Entweder in dem Plattenspieler war zum Zeitpunkt der Untersuchung wirklich keine Pistole, (und wurde erst nachträglich eingefügt, um die Schmuggel-Legende der Waffen zu stützen) - oder - noch bedenklicher - der Beamte wusste, dass er nichts finden durfte und beließ die Waffe dort, wo er sie gefunden hätte, wenn er gründlicher nachzuschauen den Mut gefunden hätte. (Um den Gefangenen nicht die Möglichkeit der billigend in Kauf genommenen “finalen Lösung– zu entziehen.)

Dass das Baden-Württembergische Ministerium heute im Jahre 2007 keinerlei Hinweise auf Lauschangriffe und Überwachungsmaßnahmen finden konnte, versteht sich, hat aber für die Frage der Ergründung der wirklichen Sachverhalte nichts weiter zu sagen.

Soweit die Recherche Austs also ausgezeichnet. Er hat die jahrelangen Vertuschungen der Obrigkeit aufgedeckt.

Nur mit welcher Absicht? Bei Beckmann am Abend wiederholte Aust wörtlich, was er im SPIEGEL schon geschrieben hatte: er halte solche Abhörmaßnahmen unter den gegebenen Umständen für völlig legitim. Legitim, nicht legal, immer vorsichtig in der Wortwahl. Warum: Eben Staatsnotstand, rechtfertigender Notstand oder was auch immer.

Damit folgt einer, dessen SPIEGEL in der Frankfurter Rundschau vor einigen Tagen als das Veröffentlichungsorgan der Dienste bezeichnet wurde, genau der Linie Schäubles. Immer wieder verweist der heutige Innenminister auf seinen Amtvorgänger Schily, der heimlich vor nichts zurückschreckte, ob gesetzlich und grundgesetzlich erlaubt oder nicht.

Nur er, Schäuble, will es eben legal. Wahrscheinlich nicht aus Gesetzesfetischismus. Er will die Massenmobilisierung, den Propagandaeffekt, das breite brüllende Ja zum Staat, der alles darf und dem alle Bürger zuarbeiten. Er ist nicht der erste, der gemerkt hat, dass staatliches Tun allein heute zu wenig bewirkt, wenn nicht Massendruck von unten eingesetzt wird.

Genau so- ohne es so laut auszusprechen - AUST. Haben wir 1977 heimlich, aber gerechtfertigt, so gehandelt, warum nicht jetzt mit der Sprache herausrücken und offen -drohend- das durchführen, was heimlich ja ohnehin schon immer getrieben wurde.

Aust wird damit sicher auf Zustimmung stoßen. Wie Neumann (aus dem amerikanischen Exil 1941) in seinem BEHEMOTH schon meinte,hatte die Ablehnung der Nazis von Parlament, Völkerbund und Justizförmigkeit zumindest den Charme der Ehrlichkeit. “Endlich sagt einer, wie die Dinge laufen- mit Gewalt, Staatsgewalt, und bekennt sich dazu. Was soll das Gesäusel von Menschenrecht und demokratischer Transparenz–.

Soviel zu Austs Hauptabsicht. Daneben ging es wieder darum, die Toten noch einmal zu erschlagen- und -über alle Details hinweg- den Bogen zu schlagen vom Terror 1977 zum Terror 2007. Bei Beckmann ganz offen: RAF - fast religiöser Fanatismus, Neigung zum Selbstmord, elitärer Wahn. Passgenau die Islamisten aus Neu-Ulm!

Sonst Sammlung der Zeugnisse all derer, die immer schon darüber standen. Etwa der überall als bescheiden, zurückhaltend, selbstkritisch bekannte Cohn-Bendit: –Mahler- das arrogante Arschloch–.

Dann der von Aust zum Evangelisten erhobene Boock, der freilich auch schon Breloer in seinem “Todesspiel– zu Willen war und eigentlich jedem, der seiner pathologischen Geltungssucht fünf Minuten lang Auftrieb verschafft. Aust legte ausdrücklich Zeugnis für ihn ab. Der Treueste der Treuen. Beim Nachlesen all seiner Aussagen muss man Austs Leichtgläubigkeit bedauern oder die Bedenkenlosigkeit im Gebrauch des für ihn Nützlichen bewundern.

Nur zwei Details zu Boocks Auskünften: Im Prozess gegen die als Waffenüberbringerin verdächtigte Frau Haas im Zusammenhang mit der Entführung der LANDSHUT machte er nacheinander Aussagen über die deutlich sichtbare Schwangerschaft der Frau Haas, die weder mit den realen Daten der Geburt des zu erwartenden Kindes noch unter sich zusammenpassten. Das Gericht musste auf Verwertung bedauernd verzichten.

Taz vom letzten Samstag stellte ein kleines Experiment an. So nebenbei, weil die anderen Unternehmungen der RAF nicht reichten, erwähnte Boock auch eine geplante Entführung von Helmut Schmidt. Er selbst habe von einem schräg gegenüberliegenden Haus den Bungalow des damaligen Kanzlers oberviert. Ergebnis der Nachforschung: man kann von keinem der in Frage kommenden Standorte her vom Haus mehr als das Dach wahrnehmen.

Boock dient vor allem dazu, die Selbstmordthese zu unterstützen. Die Sache mit den eingeschmuggelten Pistolen hat er inzwischen ausgebaut. In den Früherzählungen, als die versammelte RAF im Hotelzimmer weit vom Schuss vom Tod der Stammheimer erfuhr, hätten alle - naheliegend - an eine Ermordung durch die Dienste geglaubt. Da sei Mohnhaupt- “wie eine Furie– dazwischengefahren und habe die anderen gefragt, ob sie sich nicht vorstellen wollten, dass die Gefangenen ihr Schicksal bis zuletzt in die eigene Hand genommen hätten.

In der Fernsehfassung kommt Mohnhaupt früh zu Boock und erzählt von den Waffen, zu verschieden denkbarem Gebrauch, zuletzt vielleicht auch, um ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. ( Zusatzproblem: Boock will doch beim Waffenschmuggel, wie bei allem anderen, hauptamtlich beteiligt gewesen sein. Was konnte ihm Mohnhaupt da Neues erzählen?)Das alles lange vor dem Oktober 77. Dann geht die Geschichte in der obigen Fassung weiter.

Nur: wenn Boock das alles schon vorher wusste, woher überhaupt der Gedanke an Ermordung statt Selbstmord? Boocks Glättungen machen die darunter liegenden Risse nur noch deutlicher.

Wie es wirklich war - Breloer und jetzt Aust tun so, als sei alles sonnenklar - wie die Schlacht von Austerlitz oder der Hergang des 20.Juli.

Ich weiß nichts. Ich weiß gar nichts- und behalte mir das Recht vor, auf diesem Nichtwissen bis auf weiteres zu verharren. Die Sachlage ist genau die selbe wie vor dreißig Jahren. Was damals unerklärlich war, ist bis heute nicht zu erklären. In einem Artikel in der taz schreibt ein Gast, wie es nach ihm wirklich war. Anmerkung der Redaktion: er hatte lange an Mord geglaubt. Aber was ihn jetzt dazu bewog, nicht mehr daran zu glauben, wird nicht deutlich.

Die Wahrheit ist: wir alle scheuen den Gedanken, in einem Staat zu leben, wo heimliche Ermordung von staatswegen möglich ist. Wir möchten gerne im einzigen Staat leben, wo - im Gegensatz zu England, Italien, Frankreich, USA- gezielte Tötungen undenkbar sein sollen. Deshalb die im Lauf der Jahre gewachsene Unlust weiterzufragen.

Uns in dieser Sicherheit festzuhalten, es werden nur noch wenige überhaupt danach fragen, dienen Breloers und Austs Darstellungen der Hauptsache nach.

Beweis: Eine umfassende Untersuchung müsste endlich einmal Irmgard Möller zu Wort kommen lassen. Ihre Darstellung der berühmten Nacht,die sie als einzige überlebte, gegenüber Tolmein ist in sich mindestens so glaubhaft und widerspruchsfrei wie alles, was Boock aufzutischen hat. Und warum nicht Brigitte Mohnhaupt selbst einmal fragen, was sie wirklich zu Allem gesagt hat?

Und warum den Gefängnisbeamten Bubeck immer noch als Zeugen ernst nehmen, der die BILD-würdige story in die Welt setzte, Bader hätte mit einer Rechtsanwältin im Vernehmungszimmer ein Kind gezeugt. Nachforschungen ergaben, dass die einzige in Frage kommende Rechtsanwältin ein einziges Kind hat, das aber keineswegs zu diesem Zeitpunkt entstanden sein kann.Wir alle können schließlich normalerweise seit der dritten Klasse auf neun zählen. Da es nicht unendlich viele in Frage kommende Rechtsanwältinnen gibt, ist damit Bubecks Erfindung eindeutig als böswillige Verleumdung zu erkennen, mit dem Zweck, dem nachträglich entrüsteten und zugleich leicht aufgegeilten Publikum unter die Nase zu streichen, was für eine lustige Baracke doch Stammheim gewesen war. Nein, auch Bubeck wird weiterhin als ehrenwerter Zeuge - selbst beim betont wissenschaftlich vorgehenden - Koenen- geführt.

Besonders unangenehm die Ausmalung des Psychodramas von Ulrike Meinhof.

Nicht ohne begeisterte Mitwirkung ihres ersten Ehemanns Röhl. (Die Jahre der Ehe mit ihm hätten unter allen Umständen auf die spätere Haft angerechnet werden müssen. Ein Jahr Röhl - fünf Jahre Stammheim - so ungefähr).

Da Ulrike Meinhof im allgemeinen Bewusstsein die größte Rolle spielt, kommt es darauf an, nicht so sehr sie selbst zu diskreditieren als die Gruppe. Die - so auch die Darstellung Austs - hätten sie systematisch fertiggemacht - und Tage vor ihrem Tod - sich formell von ihr losgesagt durch Ensslins Prozesserklärung, in der die Verantwortung für den Anschlag auf das Springerhaus nicht übernommen wurde.Das- mitgedacht- hätte Ulrike den Rest gegeben. In Wirklichkeit liegt von Meinhof fast textgleich eine Veröffentlichung unmittelbar nach dem Anschlag vor, in welchem sie fast mit gleichen Worten den Fehler kritisiert. Das reicht dann freilich zum Todesstoß nicht aus.

Deshalb zum Nachladen bei Aust die Kassiberzitate, in denen Meinhof sich selbst als die “bürgerliche– Kreatur verurteilt, die erst- als Kolumnistin und Party-Gast- der Bourgeoisie “in den Arsch gekrochen sei–, jetzt aber “der RAF–.

Gewiss: das war der wunde Punkt. Das was die massenhafte Zustimmung zu Meinhofs Abgang in den Untergrund genau so bedingte wie ihre spätere Zerrissenheit. Das totale Ungenügen am bloßen Reden, bloßen Schreiben, bloßen Schlautun, die Widerlichkeit des kommentierenden Danebenstehens- zernagte damals Hunderte. “Die Welt ist bisher immer nur anders interpretiert worden, es kömmt aber darauf an, sie zu ändern–. (Marx) Wer hätte damals dem nicht erschüttert nachgestammelt! Mit einem kleinen Lesefehler: wir lasen alle “handeln–, ließen die Nuancen des “Änderns– weg. Verändern setzt den Knick in der Bahn voraus, die Richtungsverschiebung. Das - zur Not - ließe sich - auch - durch Reden mitbewirken. Das Ausweglose bestand dann für Ulrike darin, den letzten Teil ihres Lebens aufs Schreiben zurückgeworfen zu verbringen, aber eines, das nicht einmal mehr die früheren Adressaten erreichte. Verschärfend kam dann hinzu, dieses Versagen als das bürgerliche Erbe zu verstehen und - vergeblich - aus sich ausreißen zu wollen. Wie der Wolf, den die Wackersteine des Vergangenen in die Tiefe zogen- der einfach nicht zum - angeblich tatbereiten - Proletariat durchstoßen konnte, mochte sich so mancher auch außerhalb der Mauern vorkommen. Mit einer weiteren Fehlinterpretation: sich ein Proletariat aus Lenins Zeiten als geschlossenen Marschkörper immer noch ausdenken zu müssen! Real ist nicht nur die Arbeiterklasse aus der Fabrik herausgetreten, sondern hat sich undeutlich vermischt mit allen möglichen Existenzen, die allesamt ein starkes Unbehagen empfinden an den bestehenden Zuständen, ohne auf den Hebel zu stoßen, der das alles umwirft, und ohne den starken Arm gegen die sausenden Räder.

Das das Überindividuelle am Schicksal der Ulrike Meinhof! Das zu Erinnernde!

Aust hat das erkannt, versucht aber geschickt, den Widerspruch nach rückwärts aufzulösen. Genauer: ihn nur als Scheinwiderspruch erkennen und anerkennen zu wollen.

Schon der Titel “Aufstand der Bürgerkinder– verrät die Absicht. Es soll gezeigt werden, wie Leute - wie wir - solche, die eigentlich keine Sorgen zu haben bräuchten - eben Bürger - sich aus Überdruss und Langeweile aus der Normallinie entfernen: eben der der Bürger.

Bürgertum soll aufs Neue die anerkannte Lebensform sein, nach der die sich zu drängeln haben, die noch nicht dazugehören.Aufsteiger, Modernisierungsgewinnler. Wer schon dazu gehört, hat keinen Grund sich aufzuregen, schon gar nicht über das Geschick anderer Leute, die nicht dazugehören. Wie erklären, dass jemand sich doch aufregt? -Ganz einfach: der hat Rosinen im arroganten Kopf wie Bader, der ist neurotisch (oder doch verhirntumort?) wie Meinhof, der ist missionarische sendungsbewusste Pfarrerstochter wie Ensslin - oder - speziell bei Koenen - Nazisohn unter Wiederholungszwang wie Vesper. Das alles gesehen vom Allgemeinmenschen her, vom Super-Normalo, der sich beglückwünscht, von solchen Sonderlichkeiten verschont zu sein. Dass es diesen symptomlosen Normalo ohne Macken gar nicht gibt, verschweigen Koenen und Aust. Ihr Ziel: uns einverstanden machen mit unserer Lage, wie beschissen sie sein mag, und mit den Maßnahmen unseres Staates, der den Laden, so gut es geht, zusammenhält.

Unterwerfung.

Den Suggestionen Austs und der Seinigen nicht zu unterliegen ist anstrengend. Vielleicht aber doch lohnender als die Langeweile des Immergleichen und Unveränderlichen, welche die Tröstungen von SPIEGEL und ARD uns versprechen.

Quelle: SPIEGEL 10.9/ARD zwei Sendungen; Junge Welt

Zuerst veröffentlicht in: stattweb.de: Stattzeitung für Südbaden im Internet
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