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Gaddafis Ende: Ende des EU-Ideals einer rein bürgerlichen Revolution

Sämtliche Medien wiederholen für Libyen das eingeübte Stück: "Der Irre von..." - Dieses Mal nicht "von Bagdad", sondern "von Tripolis".

Sein Auftritt wie der "Steinerne Gast" - aber absolut nicht monumental. Abstrahiert man vom Gaddafi-üblichen Gezappel und der Intonation, lässt man sich vor allem nicht durch die absichtlich gebrochene Übersetzung verhetzen, kommt man ziemlich nah an das, was westliche Herrscher in der Not auch ausgeben. Unsere Gegner: versifft, verkifft und vom Ausland bezahlt. Berlusconi hat so was sicher schon hundertmal abgelassen. Samt der Berufung auf die demokratische Stützung der vorhandenen Gewalten, insbesondere der diese überwölbenden Militärmacht. Und so weiter.

Zugegeben, eines haben die Berlusconis und Blairs noch nicht eingesetzt: das Militär in seiner vollen Brutalität.

Aber, was nicht ist, kann unter den gegebenen Umständen noch werden. Das Militär ist es, das auch in den fundiertesten  nationalen Gebilden des Westens notdürftig die Einheit des Ladens zusammenhält. So lange es eben geht. Und wo Gramscis Hegemonie nicht mehr vorhält zum Zusammenhalt.

Und darum jetzt ein Rückblick auf die Frühzeit des bürgerlichen Revolutionärs Gaddafi - und Vorblick auf sein zu erwartendes trauriges Ende.:br />
1969 war in Libyen vor kurzem Erdöl entdeckt worden. Die zunächst noch geringen Erträge fielen unter König Idris einer ganz kleinen Clique im Inland zu, vor allem aber den aktiv gewordenen Erdölfirmen.
Gaddafi als Führer des "Revolutionären Rats" von Offizieren, betrieb die Nationalisierung der ganzen Erdölindustrie. Ohne dass die westlichen Abnehmer des Öls groß zu protestierten wagten. Ganz im Sinne Lenins: den Reichtum des Landes fremden Ausbeutern entreißen und nationalisieren.

Ganz nach den Mustern der deutschen und vor allem der italienischen nationalen Einigung sah sich Gaddafi wie ein neuer Cavour und Garibaldi zugleich. Für den gesamtarabischen Raum des Maghreb. In diesem Sinn unternahm er immer neue Versuche des Zusammenschlusses: mit Ägypten, mit Tunesien, mit dem Tchad. Alles durch innere Schwierigkeiten und vor allem äußeren Einfluss nirgends lange gelungen. Nirgends bis zum Ende gediehen.

Eine wesentlich nach Stämmen organisierte Bewohnerschaft hat Gaddafi nicht der Brutaldressur des "nation building" unterworfen. (Das werden die westlichen Angelwerfer noch bedauern. Es fehlt  der zentrale Verfügungsverwalter). Er versuchte ein System einer demokratischen Ur-Versammlung. (Damals auch von GRÜNEN besucht und gebilligt, die heute vermutlich mit allen anderen zusammen in ein kräftiges "HUCH" verfallen!)

Schließlich hat Gaddafi den nationalen Reichtum lange Zeit nicht für Waffen verschleudert, sondern tatsächlich im Vergleich mit den Nachbarländern vorbildliche öffentliche Einrichtungen geschaffen. Er hat sich auf die bestehenden Strukturen gestützt - stützen müssen - und insofern den Stämmen viel, der Zentralgewalt weniger Verfügungsgewalt überlassen als benachbarte Staaten.

Mit brutalen Militärüberfällen auf der einen Seite, Geldangeboten auf der anderen haben die USA am Ende das Steuer herumgerissen und Gaddafi für den Westen eingekauft. (Die Kaserne, in welcher der ehemalige Revolutionsführer seine vielleicht letzte Rede hielt, wurde von der US-Luftwaffe seinerzeit in offener Mordabsicht gegen Gaddafi bombardiert. Der Vater eines ehemaligen Schülers hat den Angriff auf dem Bauch liegend knapp überlebt. Der Revolutionsführer verdankte seiner Marotte des Übernachtens im Beduinenzelt das damalige Überwintern).

Woher die Chance des Einkaufs eines Mannes, der im Rahmen der Möglichkeiten lange Zeit ganze Arbeit geleistet hatte? Vermutung: Im Lauf der gesteigerten Geldzufuhr traten immer stärkere Zugriffsmöglichkeiten auf. Und damit schwand mehr und mehr die relativ gleichgestellte Stammesgesellschaft (Gentilgesellschaft nach der Diktion von Friedrich Engels). Es traten - ohne große Vorbereitung durch langfristige geistige Entwicklungen - offen und brutal Klassengegensätze auf, gegenüber denen sich Gaddafi mehr und mehr nur noch auf die militärische Gewalt verlassen konnte. Damit von vornherein auch auf Waffenlieferungen und Instruktionshelfer - die, wie Merkel sich das auch vorgenommen hat, die Methode der Machtausübung "westlich" angeboten haben. Dass in einem Land mit den bestehenden Traditionen dann schnell und tief auf offene Gewalt zurückgegriffen wird, darf nicht so stark verwundern, wie die plötzlich pazifistisch gewordene westliche Wertegemeinschaft jetzt tut. Es muss klar sein, dass gerade in Libyen, aber auch in den anderen umkämpften Nationen, die Aufständischen alle - mit vollem Recht - keineswegs Ghandhi nachfolgten.

Brennende Zollstation in Strasbourg, 4.4.2009
Man würde gern mitbekommen, was in einem Land wie unserem zu hören wäre, wenn da irgendwo auch nur eine Poststelle in Flammen aufginge. (Für Amnesie-Anfällige: vergleiche Strasbourg / Brücke). In Tunesien, Ägypten, Libyen wurden öffentliche Gebäude absichtlich und bewusst zerstört. Heuchlerisch machen Merkel und ihresgleichen die Augen davor zu und reden weiter tränentrunken von den Zivilisten, die von Militär und Polizei angegriffen werden.

Dieser Pazifismus wird nicht lange vorhalten. Es müsste offen Partei ergriffen werden. Im Russland 1917 ff. sowie in Spanien reichte der wohlfeile Ruf nach Waffenlosigkeit nicht aus. Es musste und muss Partei ergriffen werden.

Am Beispiel der mutig begonnenen und doch pervertierten bürgerlichen Revolution zeigt sich eines: das westliche Ideal einer Revolution ohne soziale Absichten, ohne übers Kapital hinausreichende Ziele wird nach kurzer oder längerer Zeit zusammenbrechen. Bürgerlich allein hängt ab jetzt in der Luft. Bereitet sich vor auf den langen  Fall und Verfall.

Von daher müsste von unseren eigenen Machthabern Unmögliches, zugleich Unerlässliches gefordert werden. Partei ergreifen.

Und wenn mit Recht gegen den heutigen Gaffhafi Partei ergriffen würde, dann gegen einen, der als bürgerlicher Revolutionär an sein Ende geriet - und jetzt sich gegen zwei Versuche wehrt: die der alten Stämme, sich das gemeinsame Öl unter den je eigenen Nagel zu reißen - und gegen - nur zu vermutende andere - von der bürgerlichen zur sozialistischen Republik voranzuschreiten. Also genau das, was der WESTEN gemeinsam am meisten verabscheut: Sozialismus.

Da der WESTEN darauf auf keinen Fall freiwillig eingehen wird, wird er über heuchlerisches BlaBla niemals hinauskommen. Nicht einen Flüchtling mehr werden sie aufnehmen - aus keinem der umkämpften Länder.

Unsere Aufgabe hier - die derer, die Merkels Grapschgriff entgegentreten = herauszubekommen: wie konkret ein solcher Übergang von der bürgerlichen Revolution zu einer hin zum Sozialismus konkret  vorzustellen wäre.


P.S.:
Leider sehr verzerrt  wird der Geschichte des "Revolutionsführers" in "rf-news vom 22.2.2011" Rechnung getragen. Schon das Attribut "selbsternannt" sollte in keiner linken Schrift mehr geduldet werden. Zumindest nicht im Zusammenhang mit revolutionären Aktivitäten. Was wäre denn mit einer Meldung: "Der selbsternannte Guerilla-Führer Che Guevara..." tat dies und das. Gibt es denn irgendwo eine Abteilung im Innenministerium, bei der man einen Antrag stellen könnte? "Bitte um Ernennung zum Guerillero mit späteren Aufstiegs-Chancen zum Abteilungs-Chef?"

Zum Inhalt der Ausführungen: Durch Übernahme von Merkels Als-Ob-Pazifismus wird eine Entscheidung unmöglich gemacht. Auf Panzern sitzen am Ende offensichtlich beide Parteien.

P.P.S: Eine richtige Erinnerung an das, was uns vor Jahren Gaddhafi bedeutete. Uwe Kampmann im Kommentar zu einer Darstellung Gaddhafis im "FREITAG" online. 22.2.2011 (Mit freundlicher Genehmigung des Autors)

"Fremd sind mir die Veränderungen in seinem Gesicht,
nie wünsche ich mir ihn wieder zu sehen.
Einst Stolz im mutigen Blick,
die Schultern den Mächtigen den Weg versperrten.
In den Falten des Umhangs hat sich der Wind verfangen.
Einst frei, schreit er jetzt das blutige Grauen,
in den Städten über das Land.
Flüsternd steht es auf und ruft in den Wind:
"Freiheit!“
Der Wind ist zurückgekehrt."
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