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k9 - combatiente zeigt geschichtsbewußt: Esther Bejarano 15.12.1924 — 10.7.2021. ERINNERUNGEN

Einladungsflyer
Einladungsflyer
Ausschnitte eines gemeinsamen Konzerts mit der Rap-Gruppe Microphone Mafia und Interviews »Ich habe viel Glück in meinem Leben gehabt, ein ganz großes Glück, ein unheimliches Glück.« Dies sagt eine Frau von sich, deren Eltern u. Schwester von den NS-Faschisten umgebracht wurden; die selbst die unfaßliche Grausamkeit des Vernichtungslagers Auschwitz er- und überlebt hat. Sie überlebte Auschwitz als Musikerin im weiblichen Häftlingsorchester, dem sogenannten »Mädchenorchester von Auschwitz«. Von Auschwitz nach Ravensbrück verbracht, konnte sie auf einem der folgenden Todesmärsche entfliehen.
Später war sie Jahrzehnte eine Kämpferin gegen das Vergessen die ihre Geschichte an Schulen erzählt und mit den Mitteln der
Musik leidenschaftlich gegen jede Art von Intoleranz anging.

Sonntag, 10. Juli 2022 - 19 Uhr
kg + größenwahn » politischer filmabend
„Esther Bejarano - ERINNERUNGEN“ aus Interviews
und Ausschnitte aus Konzerten mit Microphone Mafia - 43 min.

combatiente zeigt geschichtsbewußt: revolucion muß sein! filme aus aktivem widerstand & revolutionären kämpfen
kinzigstraße 9 + 10247 berlin + U5 samariterstraße + S frankfurter allee

Anpassung an einen Unrechtsstaat ist Unrecht

Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Quelle: Fritz Bauer Institut / A. Mergen
Generalstaatsanwalt Fritz Bauer
Quelle: Fritz Bauer Institut / A. Mergen
"Wenn die Prozesse einen Sinn haben, so ist es die unumgängliche Erkenntnis, daß Anpassung an einen Unrechtsstaat Unrecht ist. Wenn der Staat kriminell ist, weil er die Menschen- und Freiheitsrechte, die Gewissensfreiheit, das Recht auf eigenen Glauben, (...) das Recht auf eigenes Leben systematisch verletzt, ist Mitmachen kriminell. Es ist, wie unsere Prozesse demonstrieren sollen, möglicherweise Mord, gemeiner Mord. Dabei macht es keinen Unterschied, ob ich selber Hand anlege oder nicht. Es kommt nicht darauf an, ob an meinen eigenen Händen Blut klebt oder ob sie nur mit Tinte besudelt sind, ob ich aktiver Täter, Nutzniesser oder nur beifällig nickender Zuschauer bin."

Fritz Bauer (* 16. Juli 1903 in Stuttgart; –  1. Juli 1968 in Frankfurt am Main): "Warum Auschwitz-Prozesse?", in: Neutralität. Kritische Zeitschrift für Kultur und Politik, Jg. 2 (1964/65), H. 6–“7 S. 9, via Fritz Bauer Institut

Stuttgart: Gedenkkundgebung zum Tag der Befreiung von Auschwitz

Um 9 Uhr am Morgen des 27. Januar 1945 erreichten die ersten Verbände der Roten Armee das Außenlager Auschwitz-Monowitz. Gegen 15 Uhr befreiten die Rotarmisten auch das Stammlager sowie das Lager Auschwitz-Birkenau. Die meisten SS-Wachen waren bereits geflohen und nur wenige leisteten Widerstand. Wenige Tage zuvor hatte die SS ca. 56.000 Frauen und Männer in Todesmärschen Richtung Westen getrieben. Mit der Befreiung von Auschwitz beendete die Rote Armee auch die industrielle Vernichtung von Menschen.

Von Stuttgart-Nord wurden Jüd*innen, Sinti und Roma aus Württemberg in Zügen nach Auschwitz, Riga, Izbica und Theresienstadt deportiert. Die durch einen beispiellosen Antisemitismus, Antiziganismus und Hass auf jene Menschen, die nicht zur nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ zählten, vorangetriebene Entmenschlichung führte dazu, dass weite Teile der Bevölkerung die Verbrechen vor ihrer Haustüre ignorierten oder dabei mitwirkten. Nach der Befreiung von Auschwitz und der militärischen Niederlage des Nationalsozialismus fanden sehr viele Täter*innen in der neuen Bundesrepublik Deutschland problemlos zurück in ein ziviles Leben oder kamen gar zu Amt und Würden. So ist es nicht verwunderlich, dass bis heute in staatlichen Handlungen und in der Gesellschaft faschistische und nationalsozialistische Muster erkennbar sind. Eben jene Muster der Entmenschlichung, des blinden Gehorsams, der Ignoranz gegenüber Marginalisierten oder des Wegsehens. Dies gilt es zu kritisieren und zu bekämpfen, damit Gleiches und Ähnliches nicht erneut geschehen kann.

Am 27.01.2022 jährt sich die Befreiung von Auschwitz zum 77. Mal. An diesem Tag möchten wir gemeinsam an die Nazi-Verbrechen erinnern, der Opfer gedenken und für die Zukunft mahnen. Aber wir wollen auch dazu ermutigen dem gesellschaftlichen Rechtsruck im privaten und öffentlichen Raum entschlossen entgegenzutreten.


Samstag , 29. Januar 2021, 14 Uhr,
Gedenkstätte “Zeichen der Erinnerung–
Nordbahnhof, Otto-Umfrid-Straße, Stuttgart

Veranstalter:innen:
Zusammen Kämpfen Stuttgart
Mauthausen Komitee Stuttgart


Wir bitten um solidarischen Umgang miteinander und in gegenseitigen Interesse die die notwendigen Hygienevorkehrungen zu treffen. Darunter verstehen wir, sich bitte vor der Veranstaltung selbst zu testenu, während der Kundgebung eine medizinische Maske zu tragen und auf den notwendigen Abstand untereinander zu achten.

»Die bringen nur die Verbrecher weg« / »They only take away the criminals«

»Die bringen nur die Verbrecher weg«, hat Zilli Schmidts Vater gesagt, als die Nationalsozialisten die ersten Sinti und Roma verhafteten. Er irrte sich: Die gesamte Familie –“ eine »glückliche Familie«, wie Zilli sagt –“ wurde nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Die 96-jährige Sintiza berichtet in dem erschütternden und zugleich berührenden animierten Kurzfilm von der Ermordung ihres Töchterchens und eines Großteils ihrer Familie in den Gaskammern, von ihrem Überlebenskampf, dem Weg zurück ins Leben und ihrem Glauben nach dem Völkermord.

Der durch den RomaTrial und die StiftungDenkmal - FoundationMemorial produzierte Kurzfilm wird anlässlich des 16. Dezember zum ersten Mal online präsentiert. Am 16. Dezember 1942 ordnete der Reichsführer SS Heinrich Himmler den Auschwitz-Erlass an, nach dem Anfang 1943 die »familienweise« Deportation von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich nach Auschwitz-Birkenau begann.

Auschwitz als Steinbruch. Was von den NS-Verbrechen bleibt

Vortrag/Diskussion mit Thomas Willms (Bundesgeschäftsfüher VVN-BdA und Autor des Buches «Auschwitz als Steinbruch»)

Roter Tresen im Club Voltaire Tübingen
Dienstag, 12.11.2019, 20:00 Uhr, Club Voltaire, Haaggasse 26b

Thomas Willms setzt sich mit Veränderungen in der Gedenkkultur und deren Auswirkungen auf das Geschichtsbild auseinander. Er stellt dar, was von den NS-Verbrechen bleibt, welche Aspekte der Erinnerungen von Zeitzeugen von Anfang an ignoriert wurden und welche Missverständnisse die Vorstellungen über Konzentrationslager bestimmen. In Essays, Analysen und Recherchen befragt er literarische und philosophische Werke, Museen, Filme, Fernsehserien, Graphic Novels, ein Puppenspiel und die Reenactment--Bewegung danach, wie apologetisch oder aufklärerisch sie sich mit dem Zweiten Weltkrieg und den deutschen Massenverbrechen auseinandersetzen. Die Streifzüge beginnen in Italien und führen über Deutschland, Frankreich, Polen und Großbritannien in die USA.

Eine Veranstaltung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschist*innen VVN-BdA Tübingen-Mössingen und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg im Rahmen der Veranstaltungsreihe zur Reichspogrommnacht.

"Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. "


Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964
Foto: Jeremy J. Shapiro
Lizenz: CC BY-SA 3.0

"Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, daß man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug. Daß man aber die Forderung, und was sie an Fragen aufwirft, so wenig sich bewußt macht, zeigt, daß das Ungeheuerliche nicht in die Menschen eingedrungen ist, Symptom dessen, daß die Möglichkeit der Wiederholung, was den Bewußtseins- und Unbewußtseinsstand der Menschen anlangt, fortbesteht. Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig diesem einen gegenüber, daß Auschwitz nicht sich wiederhole. Es war die Barbarei, gegen die alle Erziehung geht. Man spricht vom drohenden Rückfall in die Barbarei. Aber er droht nicht, sondern Auschwitz war er; Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigten, wesentlich fortdauern. Das ist das ganze Grauen. Der gesellschaftliche Druck lastet weiter, trotz aller Unsichtbarkeit der Not heute. Er treibt die Menschen zu dem Unsäglichen, das in Auschwitz nach weltgeschichtlichem Maß kulminierte. [...]"

Theodor W. Adorno - Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1. Auflage 1971, ISBN 3-518-36511-8, S. 88 oder auch hier als PDF

Zeugnis geben über Auschwitz

"Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee Auschwitz. Die europaweit gefangen genommenen Menschen wurden per Bahn in das KZ Auschwitz transportiert. Etwa 90 % waren Juden. Die Herkunftsländer waren Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei und Ungarn. Die Zahl der Todesopfer beläuft sich auf 1,1 bis 1,5 Millionen."
Quelle: Wikipedia

Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz gilt als Synonym für die Shoah. Denn dieser Komplex aus mehr als 40 Neben- und Außenlagern diente in erster Linie der Vernichtung von Menschen - und das auf vielfältige Weise. Einige Überlebende haben ihre Erlebnisse schriftlich festgehalten. Diese Zeugnisse bilden die Grundlage des Dokumentarfilms von Emil Weiss über die Schrecken einer grausamen Realität.

„Wer keine Tränen vergießen wird, der wird zumindest schwitzen.“ Über Gisela Elsner

Am 2. Mai wäre die Schriftstellerin Gisela Elsner 80 Jahre alt geworden.

Foto: jens David
„Selbst dem Arglosesten, sollte man meinen, dürfte das Mißverhältnis zwischen den langatmigen Äußerungen der Presse über ihr Leben und den kärglichen Bemerkungen über ihren Tod nicht entgangen sein. Tatsächlich hatte die Beisetzung, von der es überall recht untertrieben hieß, sie wäre feierlich gewesen, von ihrem bemüht makabren Anstrich ganz zu schweigen, etwas durchweg Skandalöses an sich (...)
Die Inszenierung der Veranstaltung berührte, das ist wahr, die meisten dermaßen peinlich, daß sich bedingt durch die Bedrücktheit fälschlicherweise der Anschein von Trauer einstellte. Wäre nicht das wie der Prunk unpassende Ehepaar gewesen, ein Polizist und eine hochschwangere Hausschneiderin, die letzten überlebenden Erben, die sich von keinem der Würdenträger den Platz hinter dem gläsernen Sarkophag streitig machen ließen, so würde man heute noch all diese ausgeklügelten Ehrerweisungen der Spontaneität ihrer Anhänger, zumal der zahlreichen Mitglieder der internationalen Elsner-Gesellschaft, zuschreiben, die sich weniger durch ihr Konzept als vielmehr durch ihre werbeträchtige Rührigkeit auszeichnen.“

Im Gegensatz zu dieser spektakulären Inszenierung verlief die tatsächliche Beisetzung von Gisela Elsner in aller Stille. Die zitierten Passagen stammen aus ihrer Erzählung „Die Auferstehung der Gisela Elsner“ und wurden in dem 1970 veröffentlichten Sammelband „Vorletzte Worte –“ Schriftsteller schreiben ihren eigenen Nachruf“ veröffentlicht.
Nach ihrem Suizid im Mai 1992 war die einstige Starautorin der bundesdeutschen Literaturszene eine Vergessene. Von „langatmigen Äußerungen der Presse über ihr Leben“ konnte schon Jahre vor ihrem Tod keine Rede mehr sein. Von der Kritik war sie zunehmend missachtet, im Literaturbetrieb an den Rand gedrängt worden.
„Schreibende Kleopatra“ wurde sie von Kritikern oft genannt. Von Kritikern, die nicht verstanden, dass ihre schwarzen Perücken und ihre Vorliebe für teure Kleider auch Teil einer Selbstinszenierung waren. Eine Selbstinszenierung, die eine parodistische Reaktion auf ein Bild von Weiblichkeit und von ihrer Person war. „Sexy thing“ nannte sie ein englischer Autor bei der Verleihung des „Prix Formentor“ für ihren Debütroman „Die Riesenzwerge“. Vielleicht war ihre exzentrische Erscheinung auch ihr bewusster Ausdruck dessen, dass es, wie Adorno sagte, „kein richtiges Leben im Falschen“ gebe.

Gisela Elsner wurde am 2. Mai 1937 in Nürnberg geboren. Sie wuchs in großbürgerlichen Verhältnissen auf: Ihr Vater Dr. Richard Elsner war Generalbevollmächtigter der Siemens AG.

Ein Leben lang haderte die Schriftstellerin mit ihrer Herkunft:

„Obwohl ich, seitdem ich 16 Jahre alt war, meine Eltern immer wieder anflehte, bei Siemens, wo es mein Vater bis zum Vorstandsmitglied brachte, Akkordarbeit verrichten zu dürfen, weil ich jene kennenlernen wollte, für die ich aus Haß auf meinen Vater und die gehobenen Kreise in zunehmendem Maße Partei ergriff, genehmigte man mir nur einen Posten in der Werksbibliothek, den ich ablehnte, weil ich den Arbeitern nicht jene Werke anpreisen und ausleihen wollte, die von übergeordneter Stelle für sie ausgewählt worden waren.“

1954 lernte sie auf einem Studentenball ihren späteren Ehemann, den Schriftsteller Klaus Roehler, kennen. Aus dieser Zeit stammen auch ihre ersten literarischen Gehversuche. Bereits mit 18 Jahren,1955, erschienen Texte von ihr in der Literaturzeitschrift Akzente und in der FAZ.
Im August 1958 heiratete sie Klaus Roehler. Die Ehe wurde fünf Jahre später „schuldhaft“ geschieden, weil Elsner „ehewidrige Beziehungen“ unterhalten habe. Dadurch verlor sie auch das Sorgerecht für ihren 1959 geborenenen Sohn Oskar.

Einen ersten Text zur literarischen Aufarbeitung des Faschismus, einem ihrer zentralen literarischen Themen, legte Gisela Elsner 1960 mit „Der Sonntag eines Briefträgers“ vor.
Sie beschreibt darin einen Postbeamten, der sinnlos, aber von „Pflicht“ und „Verantwortungsbewußtsein“ erfüllt, selbst sonntags arbeitet. Diese Arbeit besteht darin, Unmengen von Briefen im Kamin zu verbrennen:
„Auch sonntags versiegt der Strom von Briefen nicht, der mir zufließt. (...) Berge von Briefen verkohlen sonntags in seinen Flammen (...).“
Elsner kannte die Aufzeichnungen des ebenso „pflichtbewussten“ Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß. Unschwer ist ihr Text als Anspielung auf die „willigen Vollstrecker“ (Goldhagen) des faschistischen Massenmords und auf die Verbrennungsöfen in den Vernichtungslagern zu verstehen.

1964 veröffentlichte Elsner ihren international gefeierten Debütroman „Die Riesenzwerge“. Der Roman beschreibt aus der Sicht des etwa fünfjährigen Lothar Leinlein Episoden aus seinem und dem Leben seiner Eltern, des Oberlehrers Leinlein und seiner Frau Luise. Elsner beschreibt kühl und analytisch die Vorgänge, zoologisch fast ihre Figuren.
Mit grotesken Mitteln legt sie eine autoritär geprägte Nachkriegsgesellschaft, die sich dem Konsum der sogenannten Wirtschaftswunderjahre hingibt, bloß.
Das Motiv des Essens, im Sinne von „Fressen und gefressen werden“, zieht sich durch das ganze Buch:
Der Roman beginnt mit dem Satz „Mein Vater ist ein guter Esser“. Es folgt eine minutiöse Beschreibung einer Mahlzeit in der Familie.
Die Verteilung des Essens drückt das Machtgefüge in der autoritären Kleinfamilie aus. Der Vater ist der Vielfraß, seiner Frau und seinem Sohn bleibt nur ein geringer Teil über. Der Sohn wird später schließlich noch von einem Bandwurm befallen.
Fressen und gefressen werden; Elsner drückt damit auch die gesellschaftlichen Verhältnisse aus. So beschreibt sie eine gierige Meute von Restaurantbesuchern, die sich gar über die Goldfische des Aquariums und zuletzt über Vater Leinlein hermachen und ihn auffressen.
Vater Leinlein selbst hatte vorher bereits Luises ersten Mann verspeist. In seinem Antrag an Luise spricht er von der Heirat als „Wiedergutmachung“.

Dies ist eine der vielen Anspielungen Elsners auf Verdrängen und Vergessen des faschistischen Massenmords.
In einer Beschreibung einer katholischen Prozession erzählt Elsner von einem der Teilnehmer, dem Kriegsversehrten Herr Kecker; ein Täter, der sich mit seinen Krücken und mit seinem Beinstumpf als Opfer inszeniert.
Während der Prozession lässt er sich vor aller Augen auf einer Bahre tragen. Er und seine Opferinszenierung werden so zum eigentlichen Mittelpunkt des Geschehens. Die Träger beschimpft er als Deserteure und Kriegsdienstverweigerer. Das Kapitel endet:
„Frömmlinge, die! Inquisitorengesocks!“, hörte ich den Herrn Kecker schreien.
Mich ausquetschen wollen! Mich! Kein Sterbenswörtchen werden sie erfahren. Mich bringt man nicht zum Reden! Nicht so leicht! Auch nicht mit solchen Methoden! Eher beiß ich mir die Zunge ab! Eher reiß ich mir die Zunge raus!“ Dann rannten die Träger ums Eck.“

Nach ihrem zweiten Roman „Der Nachwuchs“ von 1968 begann Elsner, sich von ihrem bisherigen großen Vorbild Franz Kafka zu lösen.
Kafka, in ihren „jungen Jahren (..) ein konkurrenzlos dastehender literarischer Gott“, attestierte sie später einen „verderblichen“ Einfluss, seiner Prosa „entrückte Weltferne“.
Demensprechend stellte Elsner ab Ende der 1960er Jahre ihr eigenes Werk vom Kopf auf die Füße.
Sie wechselte von der grotesken zu einer realistischeren Schreibweise; vom Absurden und Parabelhaften zur Gesellschaftssatire.
Mit dem Roman „Das Berührungsverbot“ (1970) versuchte sich Elsner 20 Jahre vor Elfriede Jelineks Roman „Lust“ in einer Art Anti-Porno. Es war ihre Reaktion auf die Welle der sexuellen Befreiung, die sie für keine wirkliche Befreiung hielt.
Der Roman beschreibt eine Gruppe von Ehepaaren, die sich im Partnertausch versuchen. Dieser Versuch scheitert und mündet in Gewalt.

Als gebildete Marxistin wandte sich Elsner in ihren Satiren zunehmend auch ökonomischen Themen zu. In ihrem 1977 erschienenen Roman „Der Punktsieg“ beschreibt sie einen Großunternehmer, der für die SPD Wahlkampf macht. Das politisch-ökonomische Programm eines „sozialen Unternehmertums“ entlarvt sie als unmöglich.

Gisela Elsner ordnete sich als Schriftstellerin den Bedingungen des Literaturbetriebs nicht unter. Sogenannte Frauenliteratur, Psychologisieren, Subjektivität und Innerlichkeit lehnte sie ab.
Weil sie als Frau über Dinge schrieb, die andere Schriftstellerinnen nicht schrieben, also über die herrschenden Zustände, sah sie sich schon in ihren frühen Jahren Angriffen der Kritik ausgesetzt. Elfriede Jelinek in einem Essay über ihre Kollegin: „Gisela Elsner steht mir als Schriftstellerin sehr nahe und sie geht mir sehr nahe; in der Verzweiflung über die Verachtung des weiblichen Werks finde ich mich wieder (...) Sie (die Frau) darf die Wirklichkeit bedienen, aber sie darf sie nicht beschreiben, so wie sie ist.“
Die Wirklichkeit beschrieb Elsner mit ihrem unverwechselbaren Stilmittel langer Schachtelsätze voller Redundanz und Wiederholungen.
Mit ihrer fordernden und geradezu folternden Syntax verstand sie es, Macht-, Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse in ihrer ganzen Stupidität und Brutalität darzustellen.

Nach ihrem letzten Erfolg „Abseits“ von 1982, der Roman war im deutschsprachigen Raum ihr absatzstärkstes Buch, geriet Gisela Elsner selbst ins literarische Abseits. Ihr Werk, das laut Selbstauskunft in 20 Sprachen übersetzt worden war, wurde von Verlagen und Kritik verkannt.
In ihrem Spätwerk befasste sich Elsner wieder verstärkt mit dem Faschismus, so unter anderen in dem Roman „Heilig Blut“, für den sie in Deutschland keinen Verleger fand.
„Heilig Blut“ handelt von vier älteren Herren, allesamt alte Nazis, die jedes Jahr einen mehrtägigen Jagdausflug in den Bayerischen Wald unternehmen. Diesmal jedoch ist einer dieser Herren, Herr Gösch, erkrankt und schickt seinen Sohn, den „jungen Gösch“ mit.
Die Atmosphäre ist von stetig wachsender Feindseligkeit geprägt. Die Herren Hächler, Lüßl und Glaubrecht werden unter anderem mit „kehlige(m) Gelächter“ als menschliche Wölfe dargestellt.
Nachdem nun aus einer Forschungsstation in der Nähe von Heilig Blut zwölf echte Wölfe ausbrechen, beginnt eine Jagd mit erwartbar tödlichem Ausgang.
In ihrem Roman verknüpft Elsner die katholische Blut-Verehrung mit dem Blut- und Boden-Kult der Faschisten. Sie entlarvt damit den irrationalen Charakter einer mörderischen Ideologie.
Das Manuskript von „Heilig Blut“ wurde von Elsners Hausverlag Rowohlt abgelehnt. Mit der Autorin befreundete Redakteure und Mitarbeiter der DKP-nahen Literaturzeitschrift „kürbiskern“ bemühten sich daraufhin um Vermittlung in der Sowjetunion.
1987 erschien der Roman in der Übersetzung der Germanistin Nina Litwinez zusammen mit weiteren Erzählungen im Band „Chailigbljut“ im Moskauer Raduga Verlag.
In einem Interview mit der DKP-Zeitung Unsere Zeit vom September 1987 erklärte Elsner zu diesen Vorgängen trocken:
„Im Falle meines antifaschistischen Romans 'Heilig Blut' habe ich, etwas jenseits der Legalität, die Weltrechte für diesen Roman an den größten sowjetischen Verlag verkauft. Das Buch erscheint demnächst in der UdSSR, wo man es für mein bestes Buch hält, während es hier von drei Verlagen als 'mißlungen' abgelehnt wurde. Was daran mißlungen war, sagte man mir allerdings nicht. Zu meiner Freude wird der Roman jetzt nicht etwa vom Deutschen, sondern vom Russischen ins Bulgarische übersetzt. Ob man ihn daraufhin vom Bulgarischen ins Sudanesiche oder Koreanische übersetzen wird, kann ich momentan noch nicht sagen“.
Erst 2007, zu Elsners 70. Geburtstag und 15 Jahre nach ihrem Tod wurde der Roman vom Verbrecher Verlag erstmals auf Deutsch publiziert.

Gisela Elsner fertigte in den 1980er Jahren einige weitere Romanmanuskripte an, die sie vielleicht aus Resignation über ihre zunehmende Missachtung von sich aus nicht bei Verlagen einreichte.
Ein besonders gelungenes Beispiel hierfür ist „Otto der Großaktionär“, der erstmals 2008 erschien.
Otto Rölz arbeitet als „sogenannter Tierbetreuer“ bei Tierversuchen in einer Schädlingsbekämpfungsmittelfabrik. Er kauft fünf Aktien „seiner“ Firma und fühlt sich als stolzer Miteigentümer. Einsparungen führen zu Arbeitszeitverkürzungen. Da das Gehalt nicht mehr ausreicht, sieht sich Otto Rölz dazu gezwungen, sich der Firma als Versuchsperson für chemische Kampfstoffe zur Verfügung zu stellen. Der soziale Abstieg Ottos ist dennoch nicht aufzuhalten. Die Aktien verlieren an Wert und müssen verkauft werden; er wird entlassen.
Der Roman enttarnt die Illusionen einer Klassengleichheit. Er stellt aber auch die Profite deutscher Großkonzerne an Waffen und historisch an der Herstellung von Zyklon B dar, das von der IG Farben ursprünglich auch als Ungeziefervertilgungsmittel entwickelt worden war. In ihrem Roman deutet Elsner dies mit dem Tierversuchstrakt an, der von den Arbeitern das „AUSCHWITZEL“ genannt wird.
In den 1980er Jahren begann eine schleichende Entfremdung zwischen dem Rowohlt Verlag und seiner einstigen Starautorin. Gisela Elsners „Marktwert“ war gesunken, die Vorschüsse für ihre Bücher wurden immer geringer.
Mit dem neuen Verlagsleiter Michael Naumann überwarf sie sich und Ende der 1980er Jahre wurde die Verlagsbindung aufgehoben.

Gisela Elsner wechselte zum Zsolnay Verlag, in dem 1989 ihr letzter zu Lebzeiten veröffentlichter Roman „Fliegeralarm“ erschien. „Fliegeralarm“ erzählt von einer Gruppe von Kindern, die in den letzten Kriegsmonaten in den Bombenruinen von Nürnberg ein KZ nachbauen. Der Roman wurde von der Kritik völlig missverstanden.

Foto: Jens David
1991 wurde Elsners Werk vom Rowohlt Verlag verramscht. Sie selbst sprach vom „großen Elsnerräumungsschlussverkauf“.

Ab Anfang der 1990er Jahre litt Gisela Elsner zunehmend unter den Folgen ihrer Alkohol- und Tablettensucht. Es bestand die Gefahr, dass ihr wegen des Rauchens ein Bein abgenommen werden müsste. Neben den gesundheitlichen Umständen waren es sicher auch ihre finanzielle Situation und die politische Desillusionierung, die ihr zu Schaffen machten. Gisela Elsner war Kommunistin. Der DKP blieb sie mit einer kurzen Unterbrechung bis zu ihrem Tod treu. Vom Ende des Realsozialismus wurde sie schwer getroffen.
Im Juni 1990 zog Elsner nach Ostberlin. Vielleicht war ihr Vorbild dafür ihr Schriftstellerkollege und Freund Ronald M. Schernikau, der nach dem Mauerfall 1989, als viele den Weg von Ost nach West suchten, erfolgreich die Einbürgerung in die DDR beantragte. Nach nur drei Tagen kehrte sie nach München zurück.
Knappe zwei Jahre später erlitt sie einen psychischen Zusammenbruch und wurde in eine Münchner Klinik eingeliefert. Wenige Tage später, am 10. Mai 1992, beging sie dort durch einen Fenstersturz Selbstmord.

Nach ihrem Tod geriet Gisela Elsner, sofern dies nicht schon davor der Fall war, zunächst in Vergessenheit.
Ihre Person wurde erst im Jahr 2000 durch den Film „Die Unberührbare“ mit Hannelore Elsner, die nur den Namen mit ihr gemein hat, wieder bekannter. Regisseur ist ihr Sohn Oskar Roehler.
Kennt man Leben und Werk der Elsner noch nicht, mag der Film faszinieren. Doch wird ihr Alter Ego hier vorrangig als nikotin-, alkohol- und tablettenabhängige, paranoide Person dargestellt. Das bedeutende literarische Werk von Gisela Elsner tritt völlig in den Hintergrund. So ist, gewollt oder nicht, im ganzen Film kein einziges Buch zu sehen.
Auch in weiteren Filmen verarbeitete Oskar Röhler die gestörte Mutter-Sohn-Beziehung und zeichnete das Bild seiner Mutter negativ. In „Die Quellen des Lebens“ tritt Lavinia Wilson als Elsner auf, in „Tod den Hippies. Es lebe der Punk“ Hannelore Hoger.

Um die Wiederentdeckung des Werks von Gisela Elsner haben sich der Verbrecher Verlag und insbesondere die Literaturwissenschaftlerin Christine Künzel verdient gemacht, die Herausgeberin der Werkausgabe ist. Seit 2002 sind zehn Bände wieder oder erstmalig erschienen, zuletzt 2016 das Romanfragment „Die teuflische Komödie“.

In einem behielt Gisela Elsner in ihrem Selbstnachruf recht:
Maßgeblich von Prof. Christine Künzel initiiert, wurde im Mai 2012 am Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg die „Internationale Gisela-Elsner-Gesellschaft“ gegründet, die regelmäßig Symposien veranstaltet und deren Mitglieder intensiv zu Leben und Werk der Schriftstellerin forschen.
Auch im Feuilleton wird Gisela Elsner wiederentdeckt; ihre wieder- oder erstaufgelegten Werke werden durchaus positiv besprochen.
Offenbar schätzt man ihr Werk heute mehr als zu ihren Lebzeiten. Und wenn es nicht geschätzt wird, wird es zumindest wieder wahrgenommen.
Vielleicht wird sich so eine weitere Prophezeiung aus ihrem Selbstnachruf bewahrheiten. Elsner abschließend in ihrer „Auferstehung“:
„Wer keine Tränen vergießen wird, soll Gisela Elsner gesagt haben, der wird zumindest schwitzen.“

Die Gisela-Elsner-Werkausgabe erscheint im Verbrecher Verlag.
Nähere Informationen zu Leben und Werk von Gisela Elsner finden sich auf der Seite der Internationalen Gisela-Elsner-Gesellschaft.

Heute vor 70 Jahren: Einer von wenigen

Der ehemalige Kommandant des Konzentrationslages Auschwitz, Rudolf Höß, kurz vor seiner Hinrichtung, ebendort.
Heute vor 70 Jahren wurde der ehemalige Kommandant des Konzentrationslages Auschwitz, Rudolf Höß, ebendort hingerichtet.

"Die Inkompatibilität jedes allgemein moralischen Urteils mit der psychologischen Determination, die doch von dem Urteil, dies sei das Böse, nicht dispensiert, entspringt nicht in mangelnder Folgerichtigkeit des Denkens, sondern im objektiven Antagonismus. Fritz Bauer hat bemerkt, daß dieselben Typen, die mit hundert faulen Argumenten den Freispruch der Schinder von Auschwitz verlangen, Freunde der Wiedereinführung der Todesstrafe seien. Darin konzentriert sich der jüngste Stand der moralischen Dialektik: der Freispruch wäre das nackte Unrecht, die gerechte Sühne würde von dem Prinzip zuschlagender Gewalt sich anstecken lassen, dem zu widerstehen allein Humanität ist. Benjamins Satz, der Vollzug der Todesstrafe könne moralisch sein, niemals ihre Legitimierung, prophezeit diese Dialektik. Hätte man die Chargierten der Folter samt ihren Auftraggebern und deren hochmögenden Gönnern sogleich erschossen, so wäre es moralischer gewesen, als einigen von ihnen den Prozeß zu machen. Daß ihnen zu fliehen, zwanzig Jahre sich zu verstecken gelang, verändert qualitativ die damals versäumte Gerechtigkeit. Sobald gegen sie eine Justizmaschine mit Strafprozeßordnung, Talar und verständnisvollen Verteidigern mobilisiert werden muß, ist die Gerechtigkeit, ohnehin keiner Sanktion fähig, die der begangenen Untat gerecht würde, schon falsch, kompromittiert vom gleichen Prinzip, nach dem die Mörder einmal handelten. Die Faschisten sind klug genug, solchen objektiven Wahnsinn mit ihrer teuflisch irren Vernunft auszuschlachten."

Theodor W.Adorno - Negative Dialektik

Wehe den Besiegten

“Schicksalsland, wo die einen ewig im Licht stehen und die anderen ewig im Dunkel. Ich durchfuhr es kreuz und quer in den Evakuierungszügen, die uns aus Auschwitz unter dem Druck der letzten Sowjetoffensive westwärts fuhren und danach von Buchenwald gen Norden nach Bergen-Belsen. Wenn der Schienenweg durch den Schnee und über einen Zipfel böhmischen Landes führte, kamen die Bäuerinnen an den Todeszug gelaufen mit Brot und Äpfeln und mußten durch Blindschüsse der Begleitmannschaft verjagt werden. Im Reich aber: die Gesichter von Stein. Ein stolzes Volk. Ein stolzes Volk, immer noch. Der Stolz ist ein wenig in die Breite gegangen, das sei zugegeben. Er preßt sich nicht mehr in mahlenden Kiefern heraus, sondern glänzt in der Zufriedenheit des guten Gewissens und der begreiflichen Freude, es wieder einmal geschafft zu haben. Er beruft sich nicht mehr auf die heroische Waffentat, sondern auf die in der Welt einzig dastehende Produktivität. Aber es ist der Stolz von einst, und es ist auf unserer Seite die Ohnmacht von damals. Wehe den Besiegten.–

Jean Améry - Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten

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