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Totenlied eines nun selbst schon Toten. Peter Paul Zahl (1944-2011)

Peter-Paul Zahl (2006)
Foto: Hans Weingartz
Lizenz: CC-BY-SA-2.0-DE
1972 veröffentlichte Peter Paul Zahl in der von ihm herausgegebenen unregelmäßig erscheinenden agit 883 die Totenklage für den erschossenen Georg v. Rauch.

Liebeslied für Georg

1972 –“ Peter-Paul Zahl aus: "Die Barbaren kommen. Lyrik und Prosa"

sah ihn erstmals/ nachts um eins
lockig, bebrillt/ wild und schön
tauchte auf im schwarm
der militantesten
der militanten zeitung westberlins
nachts um eins/ mit geballter faust
lachte/ rief: free Bommi now!
sah ihn öfters! nachts um eins
wild und schön/ er nahm drogen
die droge nicht ihn/ den haschrebellen
sah ihn öfters/ schlagzeilen:
Mr. Go, Ku–™damm, Amerikahaus
„so macht das denken
feige aus uns allen“
für ihn gilts nicht
sah ihn öfter/ nachts um eins
lockig, bebrillt/ wild und schön
dann der knast
mit Tommy und anderen
sah ihn später/ entkommen
sah ihn mittags/ verändert:
sanft/ freund und bruder des volkes
klarer blick/ was zu tun
sah ihn nicht mehr:
er stand an der wand
drehte den kopf/ als die kugel ihn traf
man gab sich alle mühe
den mord zu vertuschen
den schuss aus nächster nähe die leiche schnell abgekarrt
spurensicherung fehlte
pressesprecher: diverse versionen
die plötzlich verschwundene brille:
kreisrundes loch
zeugen unter druck/ wie üblich
parlamentarische nachfrage:
die üblichen lügen
ein nachspiel im fernsehen:
sein schädel/ vom fleische entblösst
im fernsehen/ zur abschreckung
linke gibt–™s/ angesichts des schädels
vom fleische entblösst –“
eilends nennen taten sie
utopie
vorwand/ in zukunft nichts zu tun
Petra/Georg/Tommy –“
doch „das gewehr ist weitergegeben“
viel arbeit! viel freiheit
die freiheit zu nehmen/ viel wut
viel hass/ viel liebe zum volk
das land ist verloren nicht
in dem blut fliesst
von kämpfern des widerstands
die Georgs leben
in Pnom-Penh/ Atlanta / Paris
Turin/ Berlin –“
er siegt:
der weltweite Blues


Tommy: Vermutlich Thomas Weißbecker - in Karlsruhe in jungen Jahren liebevoll auch "Störtebecker" genannt.

Befreit Bommi: Bommi Baumann, Bankräuber um der Befreiung willen. Der einzige von allen genannten, der heute noch lebt.

Petra Schelm: Eine der ersten Erschossenen, später der RAF zugerechnet

Sie alle gingen dahin, und konnten eine Welt nicht ändern, die es so nötig gehabt hätte. Gerade darum dürfen sie nicht vergessen sein.

Peter O. Chotjewitz 1980 in Erinnerung an den einzigen Termin, da Zahl aus der Haft Ausgang erhielt, um einen Preis in Bremen entgegenzunehmen:

"Vor allem eins ist Zahl nicht. Er ist kein jammernder Maulheld, dem Monate später einfällt, dass es ihm eigentlich leid tut, falls er oder andere auf jemand geschossen haben sollten, und der daraufhin seine Knarre beim SPIEGEL abgibt. PP hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er sich die zwei Polizisten vom Leibe halten, sie aber nicht treffen wollte, und dass er den Tod eines anderen in einer Situation wie damals prinzipiell nicht billigend in Kauf nehmen würde.

Geglaubt hat ihm keiner. Es war sicherheitspolitisch nicht opportun. Solange die angebliche Bedrohung durch sogenannte Terroristen dazu herhalten musste, den Bürger an die waffenstarrenden Stuntmen der Sicherheitsorgane zu gewöhnen wie an die Eisverkäufer im Fußballstadion; solange Antiterrorgesetze im Parlament schneller durchgepaukt wurden als die Erhöhung der Abgeordnetendiäten... solange der unerklärliche Tod politischer Gegner im Knast und bei der polizeilichen Festnahme noch ein Häuflein versprengter Moralisten auf den Plan rief: So lange brauchte der Staatsschutz jeden Mann, der einmal weniger das wackelige Zahlenwerk ins Wanken gebracht, auf das sich heute seelenruhig die Verdatung ganzer Großstädte und die feierliche Einweihung von Hochsicherheitstrakten stützt"


(Entnommen: Chotjewitz: Fast letzte Erzählungen 2 / Verbrecher Verlag Berlin 2009 - S.258/259 - Erstdruck konkret 3/1980)

Blogkino: "Captain Kidd" (1945)

Wie angekündigt wollen wir die christliche Seefahrt nicht mehr vernachlässigen. Daher bingen wir heute in unserer Reihe "Blogkino" mal einen ordentlichen Piratenstreifen: "Captain Kidd" von 1945 mit Charles Laughton und John Carradine zeigte, daß es schon immer alternative Möglichkeiten gab, ehrlich sein Geld zu verdienen und daß man dazu nicht unbedingt Zug fahren oder eine Bank aufmachen muss.

Zumwinkel - ein moderner Posträuber?

Neulich hatte ich im Blogkino noch sinniert über eine in früheren Zeiten beliebte Methode schnell, unbürokratisch und zinsfrei an das große Geld zu kommen. Der richtige Riecher halt, denn bekanntlich wurde inzwischen mit dem Zumwinkel Skandal die Geschichte mal wieder überholt. Aber wieso eigentlich Skandal, das ist doch so üblich, wie die 900 vorgewarntenangekündigten weiteren Durchsuchungen erwarten lassen? Und: Neu ist das schon gar nicht, via 37,6 Blog wird in der Angelegenheit auch auf Berichte verwiesen, die daran erinnern, dass der Deutsche Post Chef und Aufsrichtsratsvorsitzende der Deutschen Telekom erst im Dezember 4,73 Mio Euro eingeheimst hatte.
Brecht hatte einfach recht mit seiner Erkenntnis: "Was ist schon ein Banküberfall gegen die Gründung einer Bank?"

Und Zumwinkel? Er kann sich wohl demnächst bei Wikipedia hierher gesellen. Die Räubergalerie freut sich sicherlich auch auf die Updates. Ob er sich aber zukünftig von 4,38 Euro am Tag ernähren muss, wie ihm das manche wünschen? Im Schuldfall würde ich eher für trocken Brot & Wasser sowie Steineklopfen plädieren. Da bin ich auch mal populistisch.
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