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Das Gedächtnis der Menschheit



Bertolt Brecht (1954) Foto: Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / Kolbe, Jörg / CC-BY-SA 3.0
Das Gedächtnis der Menschheit
für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz.
Ihre Vorstellungsgabe für kommende
Leiden ist fast noch geringer.

Die Beschreibungen,
die der New Yorker
von den Gräueln der Atombombe erhielt,
schreckten ihn anscheinend nur wenig.
Der Hamburger ist noch umringt von den Ruinen,
und doch zögert er,
die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben.
Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen.
Der Regen von gestern macht uns nicht nass, sagen viele.

Diese Abgestumpftheit ist es,
die wir zu bekämpfen haben,
ihr äußerster Grad ist der Tod.
Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote,
wie Leute, die schon hinter sich haben,
was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen.

Und doch wird nichts mich davon überzeugen,
dass es aussichtslos ist,
der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen.
Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen,
damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!
Lasst uns die Warnungen erneuern,
und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!
Denn der Menschheit drohen Kriege,
gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind,
und sie werden kommen ohne jeden Zweifel,
wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten,
nicht die Hände zerschlagen werden.

Bertolt Brecht, 1952 * 10. Februar 1898 –  14. August 1956
Aus: Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 12: Gedichte 2. © Bertolt-Brecht-Erben/Suhrkamp Verlag 1988.

Maria



Bertolt Brecht (1954) Foto: Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / Kolbe, Jörg / CC-BY-SA 3.0
Die Nacht ihrer ersten Geburt war
Kalt gewesen. In späteren Jahren aber
Vergaß sie gänzlich
Den Frost in den Kummerbalken und rauchenden Ofen
Und das Würgen der Nachgeburt gegen Morgen zu.
Aber vor allem vergaß sie die bittere Scham
Nicht allein zu sein
Die dem Armen eigen ist.
Hauptsächlich deshalb
Ward es in späteren Jahren zum Fest, bei dem
Alles dabei war.
Das rohe Geschwätz der Hirten verstummte.
Später wurden aus ihnen Könige in der Geschichte.
Der Wind, der sehr kalt war
Wurde zum Engelsgesang.
Ja, von dem Loch im Dach, das den Frost einließ, blieb nur
Der Stern, der hineinsah.
Alles dies
Kam vom Gesicht ihres Sohnes, der leicht war
Gesang liebte
Arme zu sich lud
Und die Gewohnheit hatte, unter Königen zu leben
Und einen Stern über sich zu sehen zur Nachtzeit.

Bertolt Brecht * 10. Februar 1898 –  14. August 1956, 1920

125. Geburtstag von Bertolt Brecht: Über die irdische Liebe und andere Welträtsel

Einladungsflyer mit den Angaben aus dem Text und einem Foto von Ernst Konarek vor einem gezeichneten Portrait von Bertolt Brecht
Einladungsflyer
Freitag, 15. Dezember, 19.30 Uhr


Ernst Konarek:
Zum 125. Geburtstag von Bertold Brecht

Über die irdische Liebe und andere Welträtsel

Eintritt: 18 Euro für Gäste, 15 Euro für Mitglieder
Im Waldheim Gaisburg


Obere Neue Halde 1
70186 Stuttgart-Ost



An den Schwankenden



Bertolt Brecht (1954) Foto: Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / Kolbe, Jörg / CC-BY-SA 3.0
Du sagst:
Es steht schlecht um unsere Sache.
Die Finsternis nimmt zu.
Die Kräfte nehmen ab.
Jetzt, nachdem wir so viele Jahre
gearbeitet haben, sind wir in
schwierigerer Lage als am Anfang.

Der Feind aber steht stärker da denn jemals.
Seine Kräfte scheinen gewachsen.
Er hat ein unbesiegliches
Aussehen angenommen.

Wir aber haben Fehler gemacht,
es ist nicht zu leugnen.
Unsere Zahl schwindet hin.
Unsere Parolen sind in Unordnung.
Einen Teil unserer Wörter
hat der Feind verdreht
bis zur Unkenntlichkeit.

Was ist jetzt falsch von dem,
was wir gesagt haben?
Einiges oder alles?
Auf wen rechnen wir noch?
Sind wir Übriggebliebene,
herausgeschleudert aus dem lebendigen Fluß?
Werden wir zurückbleiben?
Keinen mehr verstehend und
von keinem verstanden?
Müssen wir Glück haben? So fragst du.

Erwarte keine andere Antwort als die deine.

Bertolt Brecht * 10. Februar 1898 –  14. August 1956
Aus: Gesammelte Werke, Bd.IX, S.678

Kein Vergeben - kein Vergessen!



Bertolt Brecht (1954) Foto: Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / Kolbe, Jörg / CC-BY-SA 3.0
Und die da reden von Vergessen
Und die da reden von Verzeihn –
All denen schlage man die Fressen
Mit schweren Eisenhämmern ein.

Bertolt Brecht * 10. Februar 1898 –  14. August 1956
Aus: Gesammelte Gedichte Bd. 4, Ffm 1976, S. 1124 ff. (Dreigroschenoper, neue Fassung)


75. Todestag von Karl Valentin: "Mysterien eines Frisiersalons"

Wir unterbrechen unser Programm anlässlich des 75. Todestages von Karl Valentin mit der Ausstrahlung des Films "Mysterien eines Friseursalons" mit Karl Valentin und Blandine Ebinger in hauptsächlichen, Liesl Karlstadt in einer nicht unwesentlichen und Max "Nosferatu" Schreck in einer nebensächlichen Rolle. Gedreht wurde die Groteske 1922 auf dem Speicher eines Münchner Hauses in der Tengstraße von Erich Engel und Bertolt Brecht, dessen 125. Geburtstag wir morgen feiern. Der Film ist die berühmteste Stummfilmproduktion Valentins.

Der Zweiakter passierte die Filmzensur am 14. Juli 1923 und erhielt Jugendverbot. Der verschollen geglaubte Film tauchte erst Anfang der 70er Jahre in der damaligen Sowjetunion wieder auf.


Gegen den Krieg

Als der letzte Krieg vorüber war,
gab es Sieger und Besiegte:
Bei den Besiegten das nied–™re Volk hungerte.
Bei den Siegern hungerte das nied–™re Volk auch.

Die das Fleisch wegnehmen vom Tisch,
lehren Zufriedenheit.
Die, für die die Gaben bestimmt sind,
verlangen Opfermut.
Die Sattgefressenen sprechen zu den Hungrigen
von großen Zeiten, die kommen werden.

Die das Land in den Abgrund stürzen,
nennen das Regieren zu schwer
für den einfachen Mann.

Wenn die Ob–™ren vom Frieden sprechen,
Mann auf der Straße, laß alle Hoffnung fahren.
Wenn die Ob–™ren Nichtangriffspakte schließen,
kleiner Mann, mach dein Testament.

Wenn der Krieg kommt, wird sich vieles vergrößern.
Es wird größer werden der Reichtum der Herrschenden.
Es wird größer werden: das Elend der Ausgebeuteten,
der Hunger, die Ungerechtigkeit und Unterdrückung.
Die werden größer werden.

Auf der Mauer stand geschrieben: Sie wollen Krieg.
Der es geschrieben hat, ist schon gefallen.

Wenn die Ob–™ren vom Frieden reden,
weiß das gemeine Volk, daß es Krieg gibt.
Wenn die Ob–™ren den Krieg verfluchen,
sind die Gestellungsbefehle schon ausgeschrieben.

Wenn die Ob–™ren von Ehre reden,
weiß das gemeine Volk, daß es Krieg gibt.
Wenn die Ob–™ren uns Ruhm versprechen,
sind die Gestellungsbefehle schon ausgeschrieben.
Wenn sie reden von großen Zeiten,
weiß das gemeine Volk, daß es Blut gibt.
Wenn die Ob–™ren von Opfern sprechen,
so meinen sie unser Blut.

Sie reden wieder von großen Zeiten,
von Ehre, von Siegen.
Marie, weine nicht.

Wenn es zum Marschieren kommt:
Euer Feind marschiert an der Spitze.
Die Stimme, die euch kommandiert,
ist die Stimme eures Feindes.
Wer da vom Feind spricht, ist unser Feind.
In der Schlacht habt ihr den Feind im Rücken.

General, dein Tank ist ein starker Wagen.
Er bricht Wälder nieder.
Er zermalmt hundert Menschen.
Aber er hat einen Fehler:
Er braucht einen Fahrer.

General, dein Bomberflugzeug ist stark.
Es fliegt schneller als der Sturm
und trägt mehr als ein Elefant.
Aber es hat einen Fehler:
Es braucht einen Monteur.

General, der Mensch ist sehr brauchbar,
er kann fliegen, er kann töten.
Aber er hat einen Fehler:
Er kann denken.

Das Brot der Hungrigen ist aufgegessen.
Das Fleisch kennt man nicht mehr.
Der Schweiß des Volkes
ist nutzlos vergossen.
Aus den Schloten der Munitionsfabriken
steigt Rauch.
Dieser Krieg ist nicht unser Krieg.

Text: Bertolt Brecht
Musik: Hanns Eisler

Rede für den Frieden

Foto: © Jörg Kolbe, Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 dea
"Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Die Beschreibungen, die der New Yorker von den Gräueln der Atombombe erhielt, schreckten ihn anscheinend nur wenig. Der Hamburger ist noch umringt von Ruinen und doch zögerte er, die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. „Der Regen von gestern macht uns nicht nass“, sagen viele.

Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen.

Und doch wird nichts mich davon überzeugen, dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden."

Bertold Brecht (1952)

Wer zu Hause bleibt...



Bertolt Brecht (1954) Foto: Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / Kolbe, Jörg / CC-BY-SA 3.0


„Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt

Und lässt andere kämpfen für seine Sache

Der muss sich vorsehen: denn

Wer den Kampf nicht geteilt hat

Der wird teilen die Niederlage.

Nicht einmal den Kampf vermeidet

Wer den Kampf vermeiden will: denn

Es wird kämpfen für die Sache des Feinds

Wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“



Bertolt Brecht, aus dem Fragment Koloman-Wallisch-Kantate

Siehe auch: WikiPedia zu Koloman Wallisch

Eingeordnet in das durchprüfte System





Bertolt Brecht (1954) Foto: Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / Kolbe, Jörg / CC-BY-SA 3.0

Eingeordnet in das durchprüfte System meiner Beziehungen

Ein elastisches Netz, vermeide ich seit langem

Neue Begegnungen. Emsig bemüht, niemals

Durch Belastungen meine Freunde zu erproben

Oder ihnen besondere

Funktionen zu geben

Halte ich mich an das Mögliche.

Solange ich nicht falle

Werde ich nicht das Unmögliche verlangen

Solange ich nicht schwach werde

Werde ich der Schwäche nicht begegnen.

Aber die neuen Leute mögen

Von anderen geschätzt werden.

Bertolt Brecht * 10. Februar 1898 –  14. August 1956

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