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Jagd auf Verfassungsfeinde · Der Radikalenerlass und seine Opfer

"Ob angehende Lehrer oder Postboten, viele junge Leute hat der Verfassungsschutz in den 70er- und 80er-Jahren politisch durchleuchtet. Grundlage: der sogenannte Radikalenerlass; er hat die Jagd auf Verfassungsfeinde ausgelöst. Die Opfer fühlten sich in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit angegriffen, sprachen von Berufsverboten. Auch Winfried Kretschmann, heute Ministerpräsident von Baden-Württemberg, war betroffen.

Alle Parteien wollten den Staatsdienst damals vor der rebellischen Jugend und der "Gefahr aus dem Osten" schützen. Auch der damalige Bundeskanzler Willy Brandt. Rückblickend bewertete er den Beschluss als großen Fehler. Doch bis heute zeigt die Politik kaum Interesse an der Aufarbeitung. Gleichzeitig ist die Verteidigung unserer Demokratie aktueller denn je." (ARD.de)

Der Film von Hermann G. Abmayr ist in der ARD Mediathek zu sehen.

Berufsverbote: Betroffene warnen vor Wiedereinführung der Regelanfrage



Demonstration gegen Berufsverbote 27.01.2007
Der brandenburgische Innenminister Michael Stübgen (CDU) will vor jeder Beamteneinstellung und -beförderung die Verfassungstreue prüfen lassen. Dazu rbb: „Konkret prüft die Landesregierung, ob und in welcher Form beim Verfassungsschutz differenziert und strukturiert abgefragt werden kann“.

Ausgerechnet 50 Jahre nach der Verabschiedung des berüchtigten „Radikalenerlasses“ wird also über eine Wiederbelebung dieser Praxis laut nachgedacht - diesmal angeblich aus Sorge vor rechter Unterwanderung.

Aber wir wissen aus eigener Erfahrung: Die Einschränkung von Grundrechten und die Etablierung von Gesinnungsschnüffelei dienen nicht der Demokratie, sie fügen ihr schweren Schaden zu. Solche Maßnahmen des Staates richten sich damals wie heute in erster Linie gegen eine kritische linke Opposition. Der Kampf gegen Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und rechte Hetze war damals und ist heute eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie ausgerechnet an den sogenannten „Verfassungsschutz“ zu delegieren, kommt einem Suizid der Demokratie gleich. Dieser Geheimdienst brachte das erste NPD-Verbotsverfahren zum Scheitern, weil der neonazistischen Partei aufgrund ihrer Durchsetzung mit „V-Leuten“ „mangelnde Staatsferne“ attestiert werden musste. Auch die jetzt angekündigte „Überwachung“ der AfD durch den „Verfassungsschutz“ wird absehbar nur zu einer noch stärkeren personellen und finanziellen Beteiligung des Staates an dieser Partei führen.

Das Grundgesetz und die einschlägigen Rechtsvorschriften bieten ausreichend Möglichkeiten, Mitglieder der rechten Szene aus sensiblen Bereichen des Öffentlichen Dienstes (Polizei, Militär, Justiz, Schulen) fernzuhalten –“ wenn das politisch gewollt ist. Doch obwohl in den letzten Jahren immer wieder rechtsextreme Netzwerke insbesondere in Polizei und Bundeswehr öffentlich wurden, ist gerade dort von diesen Möglichkeiten kaum Gebrauch gemacht worden. Auch juristisch bewegten sich solche Gedankenspiele auf dünnem Eis. Heute gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, mit dem verbindliche Antidiskriminierungsrichtlinien der EU umgesetzt wurden. Es würde ein in jeder Hinsicht höchst bedenklicher Präzedenzfall geschaffen.

Die faktische Wiederbelebung eines „Radikalenerlasses“ wäre brandgefährlich. Am 28. Januar 2022 wird sich die Verabschiedung des seinerzeit von Bundeskanzler Willy Brandt initiierten Ministerpräsidentenbeschlusses zum 50. Mal jähren. Damals wurden zigtausende Menschen verhört, denunziert, ausgeforscht und ihre berufliche Existenz zerstört. Die Demokratie wurde nachhaltig beschädigt, ein Klima der Einschüchterung, der Angst und des Duckmäusertums erzeugt. Diese Erfahrung verpflichtet dazu, dass jeder neue Versuch unterbleibt. Dringend notwendig ist stattdessen die Aufarbeitung dieses finsteren Kapitels der Nachkriegsgeschichte und die Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen. Das bekräftigen damals Betroffene in einem Aufruf, der bereits von mehreren Gewerkschaftsvorsitzenden, Juristen, Künstlern sowie bisher über 500 weiteren Persönlichkeiten unterschrieben wurde.

Quelle: Presseerklärung des Arbeitsausschusses der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung demokratischer Rechte, 7. März 2020

Aufruf von Betroffenen des „Radikalenerlasses“ an die Politik: „Beenden Sie die Berufsverbotepolitik endlich offiziell!"

Demonstration gegen Berufsverbote 27.01.2007
Start einer bundesweiten Unterschriftensammlung in Vorbereitung des 50. Jahrestages im Januar 2022

Aktuell fällt im Zusammenhang mit den Einschränkungen im Rahmen der derzeitigen Covid-19-Maßnahmen der Begriff des Berufsverbots. Und in der Tat ist es für Hunderttausende Menschen derzeit eine große Belastung,

dass sie in ihrem Beruf nicht arbeiten können. Das sorgt für Unsicherheit und Existenzängste, selbst wenn es staatliche Unterstützungsmaßnahmen gibt - die aber nicht alle erhalten und die hinten und vorne nicht ausreichen.

Die Berufsverbote der 70er und 80er Jahre für Tausende Menschen, die im öffentlichen Dienst arbeiteten oder sich dafür bewarben, hatten einen völlig anderen Hintergrund.

Der Radikalenerlass vom 28. Januar 1972 von Kanzler Willy Brandt (den Brandt später selbst als seinen größten politischen Irrtum bezeichnete) und den Ministerpräsidenten der westdeutschen Bundesländer hatte schwere Folgen für die Betroffenen: Viele verloren ihre Arbeit oder wurden gar nicht erst eingestellt, allein deshalb, weil sie sich beispielsweise gegen Notstandsgesetze, gegen den Krieg in Vietnam oder das Wiedererstarken alter Nazis engagiert und damit ihre im Grundgesetz garantierten Grundrechte wahrgenommen haben.

Nie wurde den Betroffenen eine konkrete Dienstpflichtverletzung vorgeworfen, sondern es ging meist um die Mitgliedschaft in legalen linken Parteien und Organisationen, oder um Kandidaturen für Parlamente.

Eine besonders üble Rolle dabei spielte der sogenannte Verfassungsschutz, der alle, die auch nur nach fortschrittlichen Einstellungen rochen, ausschnüffelte und die so gesammelten „Erkenntnisse“ an die Dienststellen weiterleitete. Dort saßen dann Beamtinnen und Beamte, die mit einem obrigkeitsstaatlichen Weltbild für Entlassungen und Nichteinstellungen sorgten. Die Hoffnung vieler damals Betroffener vor Gericht Recht zu bekommen, wurde nicht selten deshalb enttäuscht, weil an den Richtertischen Menschen saßen, die ihren ersten Amtseid auf Hitler geleistet hatten; Willi Geiger, ehemals Nazistaatsanwalt, war 26 Jahre lang Bundesverfassungsrichter.

Finanzielle Hilfen vom Staat erhielten die vom Berufsverbot Betroffenen nicht; sogar um Arbeitslosenunterstützung mussten sie kämpfen. Für viele sind die Folgen bis heute gravierend. Viele sind gesundheitlich angeschlagen und die Pensionen oder Renten sind mehr als bescheiden.

Eine große Solidaritätsbewegung in Deutschland und in ganz Europa führte nach 1972 dazu, dass viele ehemalige Betroffene schließlich doch noch oder wieder eingestellt wurden. In einigen Bundesländern wurde der Radikalenerlass ganz abgeschafft, in den meisten nicht mehr angewendet.

Aber wirklich aufgearbeitet ist dieses dunkle Kapitel der bundesrepublikanischen Geschichte bis heute nicht.

Deshalb werden Betroffene aus dem gesamten Bundesgebiet einen Aufruf verbreiten, der bereits von zahlreichen Erstunterzeichner*innen aus Gewerkschaften, Politik und Kultur unterstützt wird.

Darin heißt es:

„Es ist an der Zeit,

- den Radikalen-Erlass generell und bundesweit offiziell aufzuheben,

- alle Betroffenen vollumfänglich inhaltlich zu rehabilitieren und finanziell zu entschädigen,

- die Folgen der Berufsverbote und ihre Auswirkungen auf die demokratische Kultur wissenschaftlich aufzuarbeiten.“

„Wir planen, diese Unterschriftensammlung das ganze Jahr hindurch fortzuführen,“ so der Sprecher der Initiative, Klaus Lipps aus Baden-Baden, der als Lehrer selbst jahrelang und schließlich erfolgreich gegen sein Berufsverbot kämpfte. „Wir werden mit zahlreichen Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet auf das Unrecht von damals, das bis heute fortwirkt, aufmerksam machen. Und wenn es im Januar 2022 eine neue Bundesregierung gibt, hoffen wir, dass diese sich an dieses Thema wagt und endlich zu einem guten Ende bringt. Das gilt insbesondere für die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg, die eine Aufarbeitung des Radikalen-Erlasses bis heute verweigern bzw. ihn in abgewandelter Form weiter verwenden.“

Quelle: Pressemitteilung

Erklärung der "Initiative 40 Jahre Radikalenerlass" zum „Tag der Menschenrechte“ am 10. Dezember 2020

Demonstration gegen Berufsverbote 27.01.2007
Die „Initiativgruppe 40 Jahre Radikalenerlass“ nimmt den Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 2020 zum Anlass, die baden-württembergische Landesregierung erneut aufzufordern, sich endlich für das Unrecht der Berufsverbote zu entschuldigen.

Welches Ausmaß diese Politik der Berufsverbote gerade in Baden-Württemberg angenommen hatte, und wie rigoros sie mit Hilfe des „Schiess-Erlass“ praktiziert wurde, ist z. B. im Zwischenbericht eines Forschungsprojekts des Historischen Seminars der Universität Heidelberg nachzulesen.

Auf Grundlage des Schiess-Erlasses „wurden zwischen 1973 und 1991 über 600.000 Überprüfungen von Beamten(bewerber*innen) unter Hinzuziehung des Landesamtes für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg durchgeführt. Die Ablehnungen und Entlassungen beziffern sich nach Stand des Forschungsprojekts 2020 auf insgesamt ca. 200 bis 300.“ (Verfassungsfeinde im Land? Baden-Württemberg, –™68 und der „Radikalenerlass“ (1968-2018) Ein Forschungsbericht S.27)

Viele der Betroffenen waren jahrelang arbeitslos, mussten sich eine neue Existenz aufbauen und sind mittlerweile teilweise völlig unverschuldet von Altersarmut betroffen.

Deshalb fordern wir von der Landesregierung, die Betroffenen zu rehabilitieren und zu entschädigen. Besonders empörend für uns Betroffene war und ist noch heute, dass ausgerechnet die Vertreter dieser Politik, die uns unsere demokratische Haltung absprechen wollten, CDU-Ministerpräsident Hans Filbinger und

Innenminister Karl Schiess, alte Nazis waren.

Auf die Gefahr von rechts haben wir schon damals aufmerksam gemacht, auch, dass der Verfassungsschutz die Verfassung nicht schützt. Für viele ist dies erst nach dessen Verstrickungen in der Naziszene offensichtlich geworden.

Mit großer Besorgnis sehen wir die Zunahme von rechten Netzwerken in Polizei und Bundeswehr, in denen Volksverhetzung betrieben und Rassismus geschürt wird.

In Kreisen von Innenministern gibt es Überlegungen, dieser Gefahr mit einem neuen Radikalenerlass zu begegnen. Dies lehnen wir aus eigener Erfahrung grundsätzlich ab.

Um gegen nazistische Tendenzen vorzugehen, braucht es keinen neuen „Radikalenerlass“ oder „Extremistenbeschluss“, sondern die konsequente Umsetzung des Art. 139 GG und der § 86 und 130 StGB.

Wir halten an unserer Auffassung fest, dass aus dem Öffentlichen Dienst entlassen werden kann und soll, wer sich schwerwiegender konkreter Vergehen gegen seine Dienstpflichten schuldig gemacht hat. Die bloße Mitgliedschaft in einer Gruppe oder Organisation oder einer nicht verbotenen Partei kann kein Berufsverbot begründen.

Die etablierten Parteien, die staatlichen Institutionen und auch die Justiz hatten und haben alle Möglichkeiten, politisch und rechtlich gegen Organisationen und Personen vorzugehen, die grundgesetzwidrig handeln.

Es ist höchste Zeit, dass sie diese ihre Aufgabe endlich entschieden wahrnehmen.

Quelle: Erklärung vom 4. Dezember 2020

Ein neuer "Radikalenerlass"??

Gegenwärtig wird von den Innenministern des Bundes und der Länder laut über die Einführung eines neuen Radikalenerlasses nachgedacht, der den Einfluss des rechten Flügels der AfD, namentlich Höckes und seiner Anhänger, begrenzen soll.

Dazu erklärt der Sprecher des „Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte“), Klaus Lipps:

Am Sonntag, den 31. Mai, stellte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einen Vorschlag von Dr. Ralf Brinktrine, Professor für Öffentliches Recht in Würzburg, zur Diskussion:
Im Bundesbeamtengesetz und im Beamtenstatusgesetz könne der folgende Satz stehen: „Die politische Treuepflicht ist in der Regel verletzt, wenn ein Beamter öffentlich seine Zugehörigkeit zu einer als verfassungsfeindlich eingestuften Partei oder Vereinigung bekundet.“ Bei der SPD sei man nicht abgeneigt. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir uns auf eine Ergänzung des geltenden Beamtenrechts einigen könnten“, wird die innenpolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, Ute Vogt, zitiert. Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jan-Marco Luczak, zeige eher Skepsis: „Eine Änderung des bestehenden Rechtsrahmens halte ich nicht für erforderlich, disziplinar- und beamtenrechtliche Konsequenzen könne heute schon gezogen werden.“ (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/extremistische-beamte-bei-bund-und-laendern-16793709.html)

Schon im vergangenen Oktober haben wir, Betroffene des sogenannten Radikalenerlasses vom 28. Januar 1972, einen Beschluss der Innenminister und Innensenatoren zum Anlass genommen, solche Vorstöße abzulehnen, und zwar aus ganz konkreter persönlicher und politischer Erfahrung. Zitat: „Wir sind gebrannte Kinder: Wir haben nach 1972 erfahren, dass und wie solche Maßnahmen, die sich angeblich gegen rechts und links richten, sehr bald und dann fast ausschließlich gegen linke Kritiker der herrschenden Verhältnisse angewandt werden. “

Wie seinerzeit von „Radikalen“ die Rede war, so wird heute - ebenso schwammig und juristisch undefiniert –“ von „Extremisten“ statt von Nazis gesprochen. Antifaschistinnen und Antifaschisten aber werden kriminalisiert, etwa wenn sie gegen Nazis auf die Straße gehen. Dabei ist in Artikel 139 des Grundgesetzes festgelegt: „Die zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.“ An diese Rechtsvorschriften sei im 75. Jahr der Befreiung erinnert. Sie sind juristischer Ausdruck der Befreiung.

Sie galten vor dem Grundgesetz, sind Teil des Grundgesetzes und bilden den grundgesetzlichen Rechtsrahmen, um dem wachsenden Aufkommen extrem rechter, faschistischer und rechtsterroristischer Gruppen entgegenzuwirken.

„Höcke und Kalbitz sind nicht Rechtsextremisten, weil Internettrolle sie so nennen, sondern weil das Bundesamt für Verfassungsschutz beide beobachtet hat und zu dem Ergebnis kam, dass sie als Extremisten eingestuft werden müssen.“ (FAS 31. Mai 2020) Sie sind laut FAS also Rechtsextremisten, weil der Verfassungsschutz sie so einstuft (und keine, solange der Verfassungsschutz das nicht tut.) Der Verfassungsschutz soll demnach das Privileg genießen, eine derartige Bewertung verbindlich vorzunehmen.

Im vergangenen Jahr wurde der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes –“ Bund der Antifaschisten (VVN - BdA) die Gemeinnützigkeit entzogen. Die Gemeinnützigkeit von Vereinen wird durch die Abgabenordnung (AO) bestimmt, die Regelungen zum Steuer- und Abgabenrecht enthält.
Darin heißt es in § 51 (3):
„(3) Eine Steuervergünstigung setzt zudem voraus, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen im Sinne des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt. Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind. Die Finanzbehörde teilt Tatsachen, die den Verdacht von Bestrebungen im Sinne des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes oder des Zuwiderhandelns gegen den Gedanken der Völkerverständigung begründen, der Verfassungsschutzbehörde mit.“

Der Bayerische VS-Bericht führt die VVN unter der Rubrik Linksextremismus. Eine Klage dagegen wurde abgewiesen. Auf diese Nennung aber beruft sich nun das Finanzamt Berlin, um der VVN die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Mittels Abgabenordnung ist somit die Entscheidung über Gemeinnützigkeit dem Inlandsgeheimdienst, dem „Verfassungsschutz“, übertragen worden.

Angesichts der massiven Versäumnisse und Fehleinschätzungen in den letzten Jahren (Stichwort „NSU“) ist es völlig falsch dem Inlandsgeheimdienst die Entscheidungshoheit darüber zu verleihen, wer als „extremistisch“ einzustufen ist –“ zumal dieser Begriff juristisch völlig undefiniert ist, seine Verwendung aber weitreichende Rechtsfolgen haben soll.

Der Verfassungsschutz ist Teil des Problems, aber nicht der Lösung. Das zeigt sich u.a. darin, dass sein Feindbild weitgehend deckungsgleich ist mit dem der AfD, was sich am Beispiel zahlreicher parlamentarischer "Anfragen" dieser Partei mühelos entnehmen lässt.

Wir halten an unserer Auffassung fest, dass aus dem Öffentlichen Dienst entlassen werden kann und soll, wer sich schwerwiegender konkreter Vergehen gegen seine Dienstpflichten schuldig gemacht hat. Die bloße Mitgliedschaft in einer Gruppe oder Organisation oder einer nicht verbotenen Partei kann kein Berufsverbot begründen. Die Dienstherren müssen sich schon die Mühe machen (und dies schleunigst!), den Betreffenden konkrete Verfehlungen nachzuweisen.

Die etablierten Parteien, die staatlichen Institutionen und auch die Justiz hatten und haben alle Möglichkeiten, politisch und rechtlich gegen Organisationen und Personen vorzugehen, die grundgesetzwidrig handeln.
Es ist höchste Zeit, dass sie diese ihre Aufgabe endlich entschieden wahrnehmen!

Quelle: Pressemitteilung „Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte“, 10. Juni 2020

Am Dienstag: Protest vor dem Stuttgarter Landtag zu Berufsverboten

Demonstration gegen Berufsverbote 27.01.2007
Die Initiative „40 Jahre Radikalenerlass“ wird auch dieses Jahr am Internationalen Tag der Menschenrechte in Stuttgart eine Kundgebung vor dem Stuttgarter Landtag durchführen. Betroffene der Berufsverbote in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts fordern, „dass die politisch Verantwortlichen sich endlich bei ihnen entschuldigen für das ihnen und ihren Familien zugefügte Unrecht, dass sie endlich rehabilitiert werden und dass sie für die teilweise enormen finanziellen Schäden durch die Berufsverbote endlich entschädigt werden.“

Auf der Kundgebung spricht unter anderem ver.di Landesbezirksleiter Martin Gross. Auch der damalige Organisationsbereich von ver.di war von Berufsverboten betroffen. So durften nicht nur Lehrerinnen oder Polizisten ihre Berufe nicht mehr ausüben, sondern auch Postbeamte in der Briefzustellung, Justizangestellte, Beschäftigte in Arbeitsämtern und weiteren Bereichen.

Die Kundgebung findet statt ab 15.30 Uhr auf dem Schlossplatz in Stuttgart vor dem Café Künstlerbund in der Nähe des Landtags.

Folgender Ablauf ist geplant:
Begrüßung und Moderation: Gerlinde Fronemann, Betroffene (Karlsruhe);
Redebeitrag: Jens Heidrich, Erzieher (Stuttgart);
Grußwort: Martin Gross, Landesbezirksleiter ver.di;
Grußwort: Doro Moritz, Landesvorsitzende GEW;
Redebeitrag: Michael Csaszkóczy, Lehrer, Betroffener (Heidelberg);
Musikalische Umrahmung: Helmut Ciesla : Trompete;
Michael Csaszkóczy: Gitarre (Ende: gegen 17:00 Uhr).

Betroffene Beschäftigte sind vor Ort und stehen für O-Töne gerne zur Verfügung.

Quelle: verdi

Samstag, 5. Oktober 2019: Ratschlag „Demokratie wagen“

Ratschlag „Demokratie wagen“

Samstag, 5. Oktober 2019

Bürgerhaus, 60486 Frankfurt-Bockenheim, Schwälmer Str. 28

Die traditionellen politischen Parteien verlieren dramatisch an Zustimmung. Die politischen und ökonomischen Eliten wirken einerseits hilflos, reagieren andererseits mit einer umfassenden Einschränkung demokratischer Rechte auf allen Ebenen. Sichtbare Zeichen sind z.B. neue Polizei- und Verfassungsschutzgesetze. Zunehmende rassistische Stimmungen, die Resonanz extrem rechter Parteien, zusammen mit einer Kaskade staatlicher Kontrollmaßnahmen stoßen auf Sorgen und wachsende Bereitschaft, dieser Entwicklung entgegenzutreten.

Parallel dazu wachsen vielfältige demokratische Strömungen:

- Der Klimawandel mobilisiert wöchentliche Schülerdemonstrationen –“ national und international.

- Neu sind die großen Demonstrationen für elementare Menschenrechte wie Flucht und Migration, gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung.

- Gegen die neuen Polizeigesetze haben in den Bundesländern breite Bündnisse Massendemonstrationen organisiert.

- Es geht mittlerweile auch um soziale Grundfragen wie das Recht auf Wohnen. Es gibt eine Rückbesinnung auf die (Sozial-)Verpflichtung des Eigentums, wie sie in Artikel 14 GG formuliert ist: „Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“



Unter der Forderung „Demokratie wagen!“ bereiten wir, die „Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung demokratischer Rechte“, für den 5. Oktober in Frankfurt-Bockenheim einen Ratschlag vor, auf dem wir all das diskutieren wollen. Wir wollen uns darüber verständigen, wie diese Entwicklung einzuschätzen ist.

Rolf Gössner –“ u.a. Rechtsanwalt, stv. Richter am Staatsgerichtshof Bremen und Publizist - wird einen einführenden Vortrag halten zum Thema „Berufsverbote-Politik der 1970er/80er Jahre und kein Ende: ein dunkles, nicht aufgearbeitetes Kapitel bundesdeutscher Geschichte.“



Es folgen Diskussionsrunden (Fishbowls):

„Wohin führt die Rechtsentwicklung?“

„Demokratie darf nicht am Betriebstor enden“

„Seenotrettung ist kein Verbrechen!“

„Klima-Bewegung gegen Profitinteressen“

„Massenüberwachung“

Wer wir sind:

Seit 2012 haben sich bundesweit neue Initiativgruppen gebildet gegen die persönlichen und gesellschaftlichen Folgen der Berufsverbote seit 1972. Damals, am 28. Januar, hatten die Ministerpräsidenten der Länder unter Bundeskanzler Willy Brandt angesichts der wachsenden Studenten- und Demokratiebewegungen den „Radikalenerlass“ beschlossen.

Tausende Berufsverbote wurden verhängt. Betroffen waren junge Linke wegen ihrer Aktivitäten zu den bedeutenden Zeitfragen, für Demokratie in Hochschule und Gesellschaft, gegen die Notstandsgesetze, gegen den Krieg in Vietnam, gegen die NPD. Der Kampf der Betroffenen gegen die Berufsverbote war im Wesentlichen ein Kampf um Demokratie.

Das trifft auch auf die Bemühungen um unsere politische Rehabilitation zu. Aber ebenso dringend erscheint uns der Austausch und die Verbindung mit weiteren demokratischen Bewegungen im Lande.

Es ist Zeit für diesen Ratschlag. Um diese Konferenz verwirklichen zu können, sind wir auf Spenden angewiesen. Wir bitten um Unterstützung unter dem Stichwort „Ratschlag 5.10.19“

Bankverbindung (Kontoinhaber Lothar Letsche):

IBAN: DE53 6009 0900 7910 0006 00

BIC: GENODEF1P20 (PSD-Bank Rhein-Neckar-Saar, psd-rns.de)

70 Jahre Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind auch 70 Jahre Angriffe auf demokratische Rechte und Freiheiten

Samstag, 18. Mai 2019, 13 –“ 17 Uhr, Theaterhaus (Glashaus),
70469 Stuttgart, Siemensstraße 11

Eine Veranstaltung mit Beiträgen u.A. von:
• Brigitte Lösch, MdL Baden-Württemberg, Die Grünen
• Lothar Letsche, Betroffener von Berufsverbot
• Prof. Dr. Martin Kutscha, Professor i.R. für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin; Institut für Weltanschauungsrecht: „Das missachtete Grundgesetz“

Diskussionsforen:

1. AG: „Mögliche Wege zur Rehabilitierung und Entschädigung der vom Berufs- und Ausbildungsverbot Betroffenen in Baden-Württemberg“
2. AG: „Welche Rolle spielt der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg?“
3. AG: „Wie umgehen mit Rechten im Öffentlichen Dienst?“

Eine Veranstaltung der „Initiativgruppe 40 Jahre Radikalenerlass“

Ein ausführlicher Einladungsflyer folgt demnächst. Weitere Informationen zum Thema Berufsverbote auf www.berufsverbote.de

Rede von Lothar Letsche vor dem „Landesamt für Verfassungsschutz“

Die VVN-BdA Baden-Württemberg hat am 5.12.2018 eine Kundgebung vor dem Landesamt für Verfassungsschutz in Stuttgart durchgeführt.

Lothar Letsche, Mitglied des Landesvorstands, hielt dabei eine Rede, bei der er deutlich machte, warum der Verfassungsschutz nicht reformiert werden kann, sondern aufgelöst werden muss.

Wir stehen vor einer Einrichtung, die ein bekannter Rechtsanwalt bezeichnet hat als „ein ideologisches Kind des kalten Krieges –“ gezüchtet als nachrichtendienstliche Waffe im Ost-West-Konflikt der 50/60er Jahre zur Westintegration, Wiederbewaffnung und Absicherung des westdeutschen –šBollwerks gegen den Kommunismus–™“.

Rolf Gössner hat mir in seiner Rede, die er am 19. August dieses Jahres vor dem „Bundesamt für Verfassungsschutz“ in Köln hielt, so oft aus dem Herzen gesprochen, dass er mir bitte nachsieht, dass ich heute immer wieder daraus zitiere.

In jener Zeit eines militanten Antikommunismus, in der Zeit, als ich zur Schule ging, erwarb sich dieses „Amt“ –“ ich zitiere –“ seine „zweifelhaften Verdienste bei der systematischen Ausspähung, Stigmatisierung und gesellschaftlichen Ausgrenzung von Kommunisten, anderen Linken und Antifaschisten aus dem politischen Willensbildungsprozess. Diese geheimdienstlichen Praktiken haben seinerzeit maßgeblich zu einer exzessiven Kommunistenverfolgung mit einer halben Million Betroffener beigetragen und in den 70er/80er Jahren zu einer einschüchternden Berufsverbote-Politik, die zu millionenfachen Ausforschungen führte und der Tausende zum Opfer fielen.“

Als einer der persönlich Betroffenen füge ich hinzu: dafür haben ihm Politiker –“ die Ministerpräsidenten der Länder –“ am 28. Januar 1972 mit dem „Radikalenerlass“ zu dem größten Arbeitsbeschaffungsprogramm seiner Geschichte verholfen und die betreffende Konferenz stand unter dem Vorsitz des damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt, der das später als einen großen Irrtum bezeichnete.

Das Ergebnis hat der niedersächische Landtag am 16. Dezember 2016 in einem Beschluss so zusammengefasst und es gilt genauso für Baden-Württemberg: den damaligen Betroffenen seien „fast ausnahmslos legale politische Aktivitäten, wie die Kandidatur bei Wahlen, die Teilnahme an Demonstrationen oder das Mitunterzeichnen politischer Erklärungen vorgeworfen“ worden, wodurch es „zum faktischen Berufsverbot für Tausende von Menschen“ kam. „Systemkritische und missliebige Organisationen und Personen wurden an den Rand der Legalität gedrängt, die Ausübung von Grundrechten wie der Meinungs-, Organisations- und Versammlungsfreiheit wurde behindert, bedroht und bestraft. Bis weit in die 1980er-Jahre vergiftete die Jagd auf vermeintliche –šRadikale–™ das politische Klima. Statt Zivilcourage und politisches Engagement zu fördern, wurden Duckmäusertum erzeugt und Einschüchterung praktiziert.“

Fünf ehemalige Mitglieder des Parlamentarischen Rats, am 23. Mai 1949 Unterzeichner des von ihnen erarbeiteten Grundgesetzes, hatten schon am 18. März 1982 in Hannover öffentlich erklärt: „Wir sehen in der Berufsverbotepraxis, wie sie durch den sogenannten Radikalenerlass vom 28. 1. 1972 ausgelöst wurde- auch nach den inzwischen erfolgten Korrekturen –“ eine Gefahr für die von uns gewollte freiheitlich-demokratische Grundordnung. Wir sehen diese Gefahr nicht nur in dem vom Grundgesetz unseres Erachtens nicht gedeckten Ausschluss einzelner Personen vom öffentlichen Dienst, sondern mindestens ebensosehr in der allgemeinen Verunsicherung, insbesondere der Jugend, durch die inzwischen entwickelte Verfassungsschutzpraxis.“

Das änderte damals allerdings nichts daran, dass es in einigen Bereichen noch jahrelang so weiter ging, bis die internationalen öffentlichen Verurteilungen der Berufsverbote als Verstöße gegen arbeitsrechtliche Normen, als Verstöße gegen Menschenrechte und gegen das Diskriminierungsverbot nicht mehr auf die Seite gewischt werden konnten. Und dass es in Bayern bis heute so weiter geht.

Die mittlerweile 68jährige Geschichte des „Verfassungsschutzes“ lässt sich auch –“ ich zitiere wieder Rolf Gössner –“ als eine Geschichte weiterer „Skandale und Bürgerrechtsverletzungen schreiben: von der Waffenbeschaffung für militante Gruppen; der Überwachung demokratischer Organisationen und Parteien, die als –šextremistisch beeinflusst–™ gelten, sowie politisch-sozialer Bewegungen, wie der Anti-Atom- und Friedensbewegung, über skandalöse Sicherheitsüberprüfungen, Bespitzelung von Journalisten, Anwälten, Abgeordneten und Gewerkschaftern, illegale Telefonabhöraktionen bis hin zu jenem fingierten Bombenattentat, das als –šCeller Loch–™ in die Geschichte einging –“ eine Chronik ohne Ende, die mit der V-Mann-Affäre im NPD-Verbotsverfahren, mit den V-Mann-Verflechtungen in Neonaziszenen und im NSU-Umfeld ihre vorläufigen Tiefpunkte fand.“

Wissen muss man jedenfalls, dass es zwischen den Beiträgen zur politischen Brunnenvergiftung und zur Ablenkung von ihrer Rolle, die sie in ihre Berichte schreiben, und dem, was sie wirklich tun, noch einmal einen Unterschied gibt.

In ihrem Umgang mit unserer 1947 von Überlebenden der Naziverfolgung gegründeten VVN-BdA erkennen wir verschiedene Ebenen:

In Bayern werden wir offiziell im Bericht als „linksextremistisch beeinflusst“ gelistet. Das dient vor allem dazu, bundesweit –“ wohlgemerkt: in allen Ländern –“ ständig das Drohszenario eines Entzugs der Gemeinnützigkeit bereit zuhalten. Wiederum muss man sagen, Politiker waren es, die die entsprechenden Gesetzesparagraphen beschlossen haben.

Argumentiert wird mit einem gemeinsamen Dokument des Bundes- und der Landes„verfassungsschutz“ämter, wo tatsachenwidrig, behauptet wird die VVN-BdA sei eine „linksextremistisch beeinflusste Organisation“, deren Bestrebungen „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ gerichtet seien. Die VVN-BdA sei „dem orthodox-kommunistischen Antifaschismus verpflichtet“ und trete demzufolge „für eine sozialistisch/kommunistische Diktatur“ als „einzig konsequente Alternative zu –šfaschistischen–˜ [in Gänsefüßchen!] Gefahren“ ein.

In Baden-Württemberg taucht allerdings seit 2012 unsere antifaschistische Organisation nicht in den Berichten auf. Auch in Hessen und auf Bundesebene nicht.

Das hindert die Herrschaften aber nicht, einzelne bekannte Antifaschistinnen und Antifaschisten permanent zu bespitzeln mit der Begründung, dass sie bei uns sind und mitarbeiten. Michael Csaszkóczy aus Heidelberg betrifft das beispielsweise und Silvia Gingold aus Kassel. Als Silvia dagegen klagte, gab der Geheimdienst offen zu, dass er auch Organisationen „beobachte“, die in den Jahresberichten nicht aufgeführt seien. Im „Beweismaterial“ war der Video-Mitschnitt eines Vortrags enthalten, den Silvia auf einem gewerkschaftlichen Podium neben dem heutigen thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow hielt. In dem Gerichtsurteil, das den Einlassungen des Geheimdienstes in allen wesentlichen Punkten folgte, wird ihr als belastend vorgehalten, dass sie –“ als eine der bekanntesten Berufsverbote-Betroffenen –“ auf einer entsprechenden Kundgebung eine Rede hielt und dass sie aus den Memoiren ihres Vaters, des jüdischen Resistancekämpfers Peter Gingold vorliest, und damit –“ O-Ton –“ „wegen der relativen Bekanntheit ihres Namens als Tochter eines Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialismus quasi als Magnet für Personen gewirkt hat, die den Zielen der Veranstalter bislang eher fern gestanden haben.“

Bei diesem Feindbild können wir also davon ausgehen, dass diese Herrschaften nicht einmal eine Spur von Scham empfinden, sondern sich als verdiente Beamte vorkommen, falls sie auch hier in Bad Cannstatt ein paar hundert Meter entfernt am 9. November die Kundgebung am Platz der ehemaligen Synagoge bespitzelt haben sollten, wo der Opfer der Reichspogromnacht gedacht wurde und Silvia eine Rede hielt.

Besonders empörend ist die Behauptung in den genannten Dokument, der Schwur von Buchenwald sei eine verfassungsfeindliche kommunistische Hervorbringung. Da haben die überlebenden Buchenwald-Häftlinge am 19. April 1945 nämlich nicht nur dem kurz vorher verstorbenen Präsidenten der USA Franklin D. Roosevelt ein ehrendes Andenken ausgesprochen, indem sie ihn als „großen Freund der Antifaschisten aller Länder, Initiator und Organisator des Kampfes um eine neue, demokratische, friedliche Welt“ würdigen, sondern auch geschworen: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“, behaupten die „Verfassungsschützer“, sei das „orthodoxe“, „kommunistische“ Faschismus-Verständnis, als alle nicht-marxistischen Systeme –“ also auch die parlamentarische Demokratie –“ als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet würden, die es zu bekämpfen gelte.

Abgesehen von der Beleidigung der 21.000 überlebenden und der 51.000 ermordeten Buchenwald-Häftlinge zeugt es davon, dass die Verfasser solcher Hervorbringungen einfach strohdumm sind. Antifaschisten jedenfalls wissen dass die Demokratie nicht die Vorstufe, sondern das Gegenteil des Faschismus ist. Faschismus und Demokratie verhalten sich wie Feuer und Wasser. Deshalb wehren sich Antifaschisten gegen den Abbau demokratischer Rechte.

Aber wir haben es mit organisierter Dummheit zu tun, die mit staatlichen Machtmitteln ausgestattet existenzbedrohende Folgen hatte und weiterhin haben kann!

„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln!“ –“ das rührt durchaus an den Kern dessen, wofür die Einrichtung steht, vor deren Gebäude wir stehen. Der Artikel 139 des Grundgesetzes legt die Weitergeltung der zur Befreiung Deutschlands vom Nazismus und Militarismus erlassenen Bestimmungen fest. Nur auf dieser Grundlage konnte die Bundesrepublik 1970 überhaupt der UNO beitreten. So etwas ist in diesem Haus selbstverständlich unbekannt.

Es drängt sich die Frage auf, ich zitiere wieder Rolf Gössner, „welche Werbefirma wohl auf die glorreiche Idee kam, diese Institution ausgerechnet –šVerfassungsschutz–™ zu nennen. Was verbirgt sich in Wirklichkeit hinter dem wohlklingenden, aber irreführenden Label, das wir oft unhinterfragt benutzen? Wenn man die Kritik am –šVerfassungsschutz–™ als Inlandsgeheimdienst und an seinen Praktiken zusammenfassen möchte, so könnte man diesen Problemfall der Demokratie komprimiert so auf den Punkt bringen: Der –šVerfassungsschutz–™ mit seinen 17 Ämtern in den Bundesländern und auf Bundesebene ist ein im kalten Krieg geprägter, antikommunistischer und skandalgeneigter Inlandsgeheimdienst mit geheimen Strukturen, Mitteln und Methoden sowie der Lizenz zu Gesinnungskontrolle, Infiltration und Desinformation. Er ist ein Regierungsgeheimdienst, der seine frühen altnazistisch-personellen Prägungen lange verleugnet und verdrängt hat; der eine ellenlange Skandalgeschichte hat und immer wieder Bürger- und Persönlichkeitsrechte vieler Menschen verletzt; der weite Teile der Linken und politisch Andersdenkende als –šVerfassungsfeinde–™ und –šLinksextremisten–™ verdächtigt und heimlich bespitzelt –“ und bei der Bekämpfung des Neonazismus weitgehend versagt; der sich mit seinen bezahlten V-Leuten und seinem unkontrollierbaren V-Leute-System heillos in mörderische Neonaziszenen und kriminelle Machenschaften verstrickt und diese deckt; der ein skrupelloses Vertuschungssystem betreibt, wichtige Beweismittel manipuliert und beseitigt sowie brisante Akten schreddert; der demokratisch kaum zu kontrollieren ist, weil er demokratischen Grundprinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widerspricht und auch deshalb zu Verselbständigung und Machtmissbrauch neigt, und der aus all diesen Gründen Verfassung und Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaat notorisch gefährdet und schädigt, anstatt sie auftragsgemäß zu schützen. –šVerfassungsschutz–™ ist also in Wirklichkeit ein euphemistischer Tarnname, hinter dem sich weitgehend demokratiewidrige Geheiminstitutionen verbergen. Folgerichtig könnte man hinzufügen: Hätte der –šVerfassungsschutz–™ den ideologisch aufgeladenen Begriff –šExtremismus–™ und das Verdikt –šverfassungsfeindlich–™ nicht gepachtet und für die radikalen –šRänder–™ der Gesellschaft reserviert, dann könnten diese Vorwürfe letztlich auch gegen ihn selbst gerichtet werden –“ strenggenommen also: ein Fall für den Verfassungsschutz.“

Einer der abstrusesten Vorwürfe gegen Gössner, stellvertretender Richter am Bremer Staatsgerichtshof, der natürlich auch selbst jahrzehntelang bespitzelt wurde, lautet: er würde mit seiner Staats- und Geheimdienst-Kritik „die Sicherheitsorgane diffamieren, wolle den Staat wehrlos machen gegen seine inneren und äußeren Feinde.“

Er spricht davon –“ ich habe es zitiert -, der Inlandsgeheimdienst habe bei der Bekämpfung des Neonazismus „weitgehend versagt“, er habe „als Frühwarnsystem versagt“. Kernproblem ist, sagt er, dass der „Verfassungsschutz“ „ein dubioses V-Leute-System unterhält, das sich als unkontrollierbar und erhebliches Gefahrenpotential herausgestellt hat: V-Leute in Neonaziszenen sind nicht etwa –šAgenten–™ des demokratischen Rechtsstaates, sondern staatlich alimentierte Naziaktivisten–“ zumeist gnadenlose Rassisten und Gewalttäter, über die sich der –šVerfassungsschutz–™ heillos in kriminelle Machenschaften und Naziszenen verstrickt;... Das Erschreckendste, was ich bei meinen Recherchen erfahren musste, ist, dass der –šVerfassungsschutz–™ seine kriminellen V-Leute oft deckt und gezielt gegen polizeiliche Ermittlungen abschirmt, um sie weiter abschöpfen zu können –“ anstatt sie unverzüglich abzuschalten. Das ist zwar strafbare Strafvereitelung im Amt und Beihilfe zu Straftaten, womöglich auch zu Morden, doch die Verantwortlichen sind dafür nie zur Rechenschaft gezogen worden.“

Alles richtig, bin ich überzeugt! Aber beschreibt er da nicht genau die Arbeitsweise dessen, wofür dieses „Amt“ da ist? Wo es nicht „versagt“, sondern genau seinen Job macht?

Genauso wie es seinen Job macht, wenn es –“ arbeitsteilig mit der Polizei –“ in antifaschistische und linke Strukturen seine bezahlten Leute schickt, die nicht nur zu unüberlegten Aktionen und Straftaten provozieren, sondern auch privateste Dinge ausspähen und vor allem die Solidarität zerstören sollen?

Solidarität ist etwas prinzipiell anderes als das mafiose Schweigen derer, die hektisch Beweise ihrer konspirativen Machenschaften schreddern, sobald parlamentarische Untersuchungsausschüsse sich dafür zu interessieren beginnen! Aber dieser Unterschied ist in der Abteilung für psychologische Kriegsführung, die ich in diesem Haus ebenfalls vermute, wahrscheinlich nicht bekannt.

Solidarität ist für uns ein Vermächtnis des antifaschistischen Widerstands, das wir hoch halten.

Vor sieben Jahren haben wir schon einmal eine Kundgebung vor diesem Haus durchgeführt. Der Redner sagte: „Den wichtigsten Dienst, den der Geheimdienst Verfassungsschutz der Verfassung erweisen könnte, wäre wenn er sich vom Acker machen würde. Die Auflösung dieser strukturell demokratiegefährdenden Institution Verfassungsschutz würde weit mehr zum Schutz der Verfassung beitragen, als der allerschönste Geheimdienst es je könnte, selbst wenn er wollte.“

Dieser Forderung namhafter Bürgerrechtsorganisationen –“ sagt Gössner heute –“ „steht nicht etwa das Grundgesetz entgegen, denn danach muss der –šVerfassungsschutz–™ [verstanden als wirklicher Schutz der Verfassung] keineswegs als Geheimdienst ausgestaltet sein. Seiner sozialverträglichen Auflösung als Inlandsgeheimdienst stünde verfassungsrechtlich also nichts im Wege. Im Fall von konkreten Gefahren, Gewaltorientierung und strafbaren Handlungen sind ohnehin Polizei und Justiz zuständig. In diesem Sinne: Schicken wir den –šVerfassungsschutz“ nach 68 Jahren endlich in den unverdienten Ruhestand –“ zum Schutz von Verfassung, Bürgerrechten und demokratischem Rechtsstaat.

Danke für eure Aufmerksamkeit.

Quelle: VVN-BdA Kreisvereinigung Esslingen

Gemeinsam gegen ihre Repression

Michael Csaszkóczy bei einer Demonstration gegen sein Berufsverbot, 2007
„Der Kampf gegen Unterdrückung ist das Projekt der politischen Linken in ihrer Gesamtheit und ihrer Vielfalt.“

Kritisch-lesen.de sprach mit Michael Csaszkoczy über Arbeitsweisen der Roten Hilfe und die Notwendigkeit, Repression solidarisch und organisiert zu bekämpfen.

kritisch-lesen.de: Gerade erst erschien ja eure Broschüre zur Geschichte der Roten Hilfe zur Zeit des deutschen Faschismus, in der die Organisation aus der Illegalität heraus arbeiten musste. Die Methoden der staatlichen Repression und Überwachung haben sich seitdem massiv verändert. Kannst du einige Entwicklungen in Arbeitsweisen und -schwerpunkten der Roten Hilfe skizzieren?

Michael Csaszkoczy: Natürlich haben wir uns ganz bewusst in die Tradition der historischen Roten Hilfe Deutschlands (RHD) gestellt, die in den 1920er Jahren bestand. Das ist aber keine organisatorische Kontinuität. Die wird höchstens gelegentlich von übereifrigen Verfassungsschutzämtern hergestellt, die damit die Rote Hilfe als „Unterorganisation der KPD“ darstellen wollen –“ was sie so schon damals nicht war. Die Rote Hilfe der 1920er und 1930er Jahre war ganz anders strukturiert und hatte ganz andere Aufgaben. Nach der durch Freikorps blutig erstickten Novemberrevolution und den Märzkämpfen 1920 waren die deutschen Gefängnisse voll von revolutionären Arbeitern (seltener Arbeiterinnen), deren Familien draußen von Hunger und Existenzangst bedroht waren. Die direkte Unterstützung der Gefangenen in den Knästen, aber auch ihrer Familien, war damals die Hauptaufgabe der RHD. Große Bekanntheit erreichten damals zum Beispiel die Kinderheime der Roten Hilfe. Obwohl die historische RHD sehr deutlich unter dem Einfluss der KPD stand, trug sie ihren strömungsübergreifenden Anspruch nicht zu Unrecht vor sich her. Ihre wichtigsten Kampagnen (zum Beipiel für Max Hoelz, Erich Mühsam oder Sacco und Vanzetti) beschäftigten sich mit inhaftierten AnarchistInnen oder RätekommunistInnen. Die damalige RHD konnte auch viele bürgerliche Intellektuelle für ihre Sache gewinnen, unter ihnen Thomas Mann, Albert Einstein oder Kurt Tucholsky.

Auch wenn die RHD ihre Arbeit in der Illegalität fortsetzte, gab es in der BRD zunächst kein Anknüpfen an diese Tradition. Erst im Zuge der 68er-Revolte gründeten sich wieder RH-Gruppen, die sich bald in konkurrierende Grüppchen und Parteien aufspalteten. War deren Hauptbeschäftigungsfeld zunächst die Unterstützung von GenossInnen, die wegen Demonstrationsdelikten angeklagt waren, bildete die Unterstützung der in Isolationshaft sitzenden Stadtguerilla aus RAF, Bewegung 2. Juni et cetera den Arbeitsschwerpunkt vieler RH-Gruppen –“ auch wenn sie sich häufig ideologisch scharf von bewaffneten Gruppen abgrenzten.

Mit dem Ende der K-Gruppen-Zeit öffnete sich eine verbliebene Rote-Hilfe-Struktur (die ursprünglich der KPD-ML nahestehende RHD) zu einer tatsächlich strömungsübergreifenden Organisation. Das bedeutet für unsere heutige politische Arbeit, dass wir es ablehnen, uns allgemeinpolitisch zu äußern. Unterstützt werden von uns alle, die von Repression betroffen sind und die sich mit ihrer Politik nachvollziehbar in den Kontext einer linken, antikapitalistischen, feministischen und emanzipatorischen Bewegung stellen. Das reicht von der gewaltfreien Castor-Blockiererin bis zum Angehörigen einer revolutionären migrantischen Exilorganisation, vom einfachen Strafbefehl über Verfahren, in denen es um langjährige Haftstrafen geht.

kritisch-lesen.de: Was sind deiner Meinung nach aktuell die effektivsten Strategien der Herrschenden, kritische Kräfte in ihrer Organisation und Arbeit zu kontrollieren und zu behindern?

Michael Csaszkoczy: Das ist sehr situationsabhängig und richtet sich immer nach den momentanen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. In der BRD spielen zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicherlich nicht nur staatliche Repression, sondern auch Propaganda und Einschüchterung eine zentrale Rolle. Auch staatliche Repression setzt in Deutschland häufig schon sehr niedrigschwellig an, um Menschen, die sich politisieren, sofort und unmittelbar aufzuzeigen, welche Konsequenzen das haben kann. Wo wirkliche soziale Veränderungen greifbar scheinen oder der Status Quo schlicht unerträglich geworden ist, wirkt niedrigschwellige Repression nicht mehr. Nicht umsonst werden in Deutschland zum Beispiel türkische und kurdische Exillinke für viele Jahre eingeknastet, schlicht und einfach nur, weil sie sich politisch organisiert haben.

kritisch-lesen.de: Überwachung ist längst im Alltag angekommen. Die Dimensionen und Mechanismen sind dabei kaum mehr abzusehen. Welche Entwicklungen in diesem Bereich beunruhigen Dich derzeit am meisten?

Michael Csaszkoczy: In diesem Bereich tut sich in der letzten Zeit so unglaublich viel, dass ich mich schwertue, einen konkreten Punkt zu benennen. Was mich an dem gesamten Komplex „Überwachung“ aber am meisten interessiert, ist nicht die technische, sondern die gesellschaftliche und politische Dimension: Führt das Wissen, dass jeder meiner Schritte überwacht werden kann, automatisch zu politischer Lethargie? Und wenn ja, wie können wir das ändern? Kein Gesetz wird bei den gegenwärtigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen Firmen oder Staaten daran hindern, alle nur denkbaren Möglichkeiten der Überwachung zu nutzen. Gibt es dennoch Möglichkeiten, es ihnen schwer zu machen? Wir bei der RH wären ja schon froh, wenn Linke grundsätzlich ihre Mails, Chats und Festplatten verschlüsseln würden. Das wäre umso wichtiger, als es ja nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaften sind, die gern an unsere Daten wollen, denen zumindest offiziell aber rechtliche Grenzen gesetzt sind. Was der sogenannte „Verfassungsschutz“ und andere Geheimdienste tun, unterliegt schon formal fast gar keiner gesetzlichen Kontrolle.

kritisch-lesen.de: Derzeit laufen ja beispielsweise die Gerichtsverfahren gegen Aaron und Balu in Berlin. Was macht ihr in einem solchen Fall konkret, wie sieht die Unterstützung aus?

Michael Csaszkoczy: Die Unterstützung der Roten Hilfe hat zum einen natürlich einen materiellen Aspekt. Genauso schlimm wie die Belastungen eines Prozesses und die eventuelle Strafe sind oft die finanziellen Folgen, die nicht selten existenzbedrohend sein können. Für diese Folgen wollen wir als Linke gemeinsam einstehen. Zurzeit können wir in der Regel 50 Prozent der Unkosten stemmen, ganz gleich ob der Antrag von einem Rote-Hilfe-Mitglied gestellt wird oder nicht.

Der andere Aspekt betrifft Prozessbegleitung und Öffentlichkeitsarbeit. Wir wollen die Leute ermutigen, politische Prozesse auch politisch zu führen. Tatsächlich agieren Gerichte ja nicht im luftleeren Raum und der Ausgang eines politischen Verfahrens ist meist stärker von der hergestellten Öffentlichkeit bestimmt, als von juristischen Finessen. Aber natürlich führen wir auch Beratungsarbeit durch, vermitteln linke und solidarische AnwältInnen und überlegen uns gemeinsam Prozessstrategien.

kritisch-lesen.de: Was empfiehlst du Menschen, die in Kontakt mit Repressionsinstitutionen kommen? Wie kann man unangenehmen Erfahrungen vorbeugen; wie verteidigt man sich am besten, wenn es doch soweit kommt?

Michael Csaszkoczy: Das Wichtigste: Einen kühlen Kopf bewahren und bei Polizei und Staatsanwaltschaft keine Aussagen machen. Niemand ist dazu verpflichtet und selbst eine Aussage vor Gericht sollte mit GenossInnen und einem Rechtsbeistand vorher gut überlegt werden. Dazu ist später genügend Zeit, und häufig ist es ohnehin das Beste, auch vor Gericht gar keine Aussagen zur Sache zu machen. Auch wenn man Fehler gemacht hat (zum Beispiel Aussagen gemacht oder sich bei einer Hausdurchsuchung blöd verhalten) ist es wichtig, das nicht verschämt mit sich alleine abzumachen. In jedem Fall ist es sinnvoll, nach einem Vorfall so bald wie möglich mit FreundInnen und GenossInnen zu sprechen und die nächstgelegene Rote-Hilfe-Ortsgruppe zu kontaktieren. Und natürlich ist es gut, seine Rechte zu kennen. Dazu geben wir schon seit Jahrzehnten die immer wieder aktualisierte Broschüre „Was tun, wenn es brennt?“ heraus.

kritisch-lesen.de: Wie schätzt du die Chancen ein, aus dem bürgerlichen Recht ein Werkzeug für Unterdrückte zu machen? Inwieweit ist Verteidigen gegen Repression innerhalb des Rahmens des bürgerlichen Justizsystems, das Einfordern der Durchsetzung des gültigen Rechts auch für Marginalisierte, beziehungsweise das Erkämpfen neuer Gesetzte (beispielsweise im Bereich Datenschutz) möglich und sinnvoll?

Michael Csaszkoczy: Das bürgerliche Recht markiert immer erreichte und erkämpfte Standards. Das macht es in einer kapitalistischen Gesellschaft noch lange nicht generell zu einem Werkzeug der Unterdrückten. Neue Gesetze spiegeln gesellschaftliche Machtkämpfe allenfalls wider, sie können sie gewiss nicht ersetzen. Niemand sollte darauf bauen „sein Recht“ zu bekommen, nur, weil er oder sie vor Gericht zieht.

Die Rote Hilfe rät deshalb in der Regel auch von Klagen gegen staatliche Organe ab, es sei denn, damit wird ein besonderes Ziel verfolgt (zum Beispiel, wenn es gute Aussichten auf ein Präzedenzurteil gibt) und auch dann nur, wenn der Prozess von einer öffentlichen Kampagne begleitet wird. Aber wenn es darum geht, sich vor Gericht gegen staatliche Repression zu wehren, dann können und werden wir auf erkämpfte rechtliche Standards ganz gewiss nicht verzichten. Auch wenn wir uns mehr erträumen: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es die politische Linke, die erkämpfte Grundrechte gegen die verteidigt, die sie schleifen wollen.

kritisch-lesen.de: Wird über Repression geredet, geht es schnell und oft ausschließlich um Staat und Polizei. Gerade das Thema Überwachung macht jedoch deutlich, dass Repression zunehmend von „privaten“ Akteuren aus der Wirtschaft übernommen wird. Backgroundchecks und Überwachung von ArbeitnehmerInnen und -suchenden ist längst gang und gäbe. Polizeiliche und militärische Aufgaben werden zunehmend von privaten Sicherheitsfirmen ausgeübt. Ist ein Fokus auf staatliche Repression haltbar?

Michael Csaszkoczy: Ein Fokus auf staatliche Repression als alleiniger politischer Standpunkt ist natürlich nicht haltbar. Repression bedeutet zunächst einmal ja einfach „Unterdrückung“. Der Kampf gegen Unterdrückung ist das Projekt der politischen Linken in ihrer Gesamtheit und ihrer Vielfalt. Diesen Kampf kann und will die Rote Hilfe der Linken nicht abnehmen, sondern sie dabei unterstützen. Wir tun das, indem wir den Kampf gegen staatliche Repression organisieren. Dabei sind wir noch lange nicht so erfolgreich, wie wir es gerne wären.

Aber ihr habt natürlich recht: Es gibt Bereiche, in denen Repression sich außerhalb des Rahmens strafrechtlicher Verfolgung abspielt. Wir machen uns beispielsweise schon länger Gedanken über Betriebsrepression und leisten in diesem Bereich auch Unterstützung, wo Gewerkschaften sie versagen. Aber solche Repression landet letztlich ja auch wieder vor Gerichten. Wir können Klassensolidarität unterstützen, nicht aber organisieren oder gar ersetzen.

Die angesprochene Broschüre „Was tun, wenn–˜s brennt“ gibt es als Download auf der Webseite der Roten Hilfe .


Zuerst erschienen in Ausgabe 42, „Repression und Überwachung– vom 03. Januar 2017
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