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Neoliberalismus, Staat und organisiertes Verbrechen in Mexiko. Lesung und anschließende Diskussion mit Timo Dorsch und Wolf-Dieter Vogel.

Verschwundene, Drogenkrieg, Hippietourismus, Wirtschaftsmacht, Transitzone, 100 Jahre Demokratie, 30 Jahre Zapatistas, Narcos auf Netflix. Von Mexiko kursieren viele Bilder. Viele davon haben es aufgrund ihrer grausamen Realität in die Nachrichtenkanäle der Welt geschafft. Die horrende Ausbreitung von organisiertem Verbrechen und Gewalt unter den Bedingungen einer staatlichen Demokratie im 21. Jahrhundert ist nicht leicht zu begreifen. Timo Dorsch untersucht in Nekropolitik diese "neue Epoche der Gewalt" als ein politisch-ökonomisches System. Sein Ansatz gewinnt analytische Schärfe gerade daraus, dass er klassische Kategorien von Rechtsstaat vs. Gesetzlosigkeit, Normal- vs. Ausnahmezustand, Gewaltmonopol vs. organisiertem Verbrechen verwirft und sich selbst politisch involviert. Dorsch hat viele Betroffene und Protagonist*innen der gegenwärtigen sozialen und politischen Kämpfe in Mexiko kennengelernt, befragt, gelesen und mit ihnen zusammengearbeitet. Somit ist das Buch auch eine Einladung in eine Zone kollektiver Verständigung über die herrschenden Verhältnisse, deren Stimmen hierzulande erst neuerdings gehört und übersetzt werden.

Eingeladen zur Lesung und anschließenden Diskussion am 31.01.2021 ware neben Timo Dorsch auch Wolf-Dieter Vogel. Er ist langjähriger Print- und Radiojournalist und ausgezeichneter Kenner der mexikanischen politischen Verhältnisse. Auch dank seiner taz-Recherchen zum illegalen Heckler&Koch-Waffenhandel, wurde in Deutschland ein Strafprozess eingeleitet, der etwas Licht in jene dunklen Machenschaften warf. Er lebt in Mexiko und arbeitet im unabhängigen Jounalist:innennetzwerk Periodistas de a Pie mit..

Moderation: Mia Neuhaus

VEranstalter waren: medico international, Buchladen zur schwankenden Weltkugel, Mandelbaum Verlag und Rosa Luxemburg Stiftung



kritisch-lesen.de Nr. 44: Autoritär, elitär, reaktionär − die Neue Rechte

Foto: Johanna Brösel
Jahrelang befassten sich nur Wissenschaftler_innen, Fachjournalist_innen und Antifa-Nerds mit ihnen, heute kennen sie alle, die einigermaßen das Tagesgeschehen verfolgen: die Neue Rechte. Damit sind nicht einfach Rechte gemeint, die jetzt erst politisch aktiv werden, also „neu“ dabei sind. Die Neue Rechte machte sich von Frankreich ausgehend in den 1960er Jahren daran, rechtes Denken − zumindest in Westeuropa − zu erneuern. Sie orientiert sich ideologisch an der „Konservativen Revolution“ beziehungsweise dem Jungkonservatismus der 1920er Jahre. In Anlehnung an Konzepte der Neuen Linken fokussiert die Neue Rechte auf „kulturelle Hegemonie“; ihr Ziel ist die Hoheit über die herrschenden Diskurse, um so ein antiliberales und antiegalitäres Programm gesellschaftlich durchsetzbar zu machen.

Nachdem die Neue Rechte in Deutschland jahrzehntelang kaum sichtbar war, befindet sie sich seit dem Aufstieg der AfD im Aufwind − wenngleich die inhaltlichen Differenzen deutlich werden: Ihr Realo-Flügel setzt auf Parlamentarismus, will breite Schichten der Bevölkerung ansprechen, ihr Fundi-Flügel setzt hingegen auf Fundamentalopposition gegen diesen Staat. Diese Ausgabe sieht sich die Neue Rechte sehr genau an, ihre Entwicklungen, ihre Programmatik, ihre Verknüpfungen, ihre Differenzen.

Die nächste Ausgabe (Nr. 45) erscheint am 10. Oktober und wird sich im Schwerpunkt mit Selbst- beziehungsweise Basisorganisierung beschäftigen. Parallel denken wir schon über unsere 46. Ausgabe nach. Wir sind uns noch nicht sicher, aber Themen gibt es genügend: Linkspopulismus, 50 Jahre 1968, 100 Jahre Novemberrevolution, 200 Jahre Marx − und nicht zu vergessen 25 Jahre GZSZ.

Außerdem beachtet bitte: Wir suchen neue Leute für die Redaktion. Wer Interesse hat, unentgeltlich in der Redaktion des tollsten Rezensionsmagazins weit und breit mitzumachen, schaut sich unsere Ausschreibung an.

Und noch etwas: Gut ein halbes Jahr ist es her, dass wir unseren Spendenaufruf das erste Mal in den Äther geschickt haben. Und wir freuen uns, dass wir tatsächlich ein paar bereitwillige Spender_innen gefunden haben. Sei es mit einmaligen Zahlungen oder mit kleinen Daueraufträgen. Und was uns vor allem berührt hat, waren die vielen Komplimente, die uns zugesendet wurden. Ein riesiges Dankeschön!

Zum Schluss noch eine traurige Nachricht: Am 05. Juli 2017 ist unser langjähriger Genosse, Freund und Mitbegründer von kritisch-lesen.de, Fritz Güde, im Alter von 81 Jahren gestorben. Sebastian Friedrich hat einen Nachruf verfasst, den ihr im Folgenden lesen könnt. Seine Spuren weisen uns den Weg. Adieu, Genosse!

Zur Ausgabe 42

Warum Menschen sowas mitmachen - Neoliberales Denken und Handeln

Der Neoliberalismus macht auch vor dem Banalen und scheinbar Nebensächlichen, dem »Kleinen« und scheinbar Unpolitischen nicht halt. Der nachfolgende Text fragt nach den Formen, die der Neoliberalismus im Denken und Handeln der Menschen angenommen hat. Dabei stehen lebensweltliche und alltägliche Aspekte im Mittelpunkt. Der Text ist dem jüngst erschienenen Buch „Warum Menschen sowas mitmachen –“ Achtzehn Sichtweisen auf das Leben im Neoliberalismus“ entnommen.

Im Zeitalter des Privatfernsehens gibt es kaum etwas, das zu bizarr wäre, als dass es nicht in unsere Wohnzimmer flimmern könnte. So nahm der Sender Sat.1 im Jahr 2012 »The Biggest Loser« ins Programm, eine Art Castingshow. Dort treten schwergewichtige Kandidatinnen und Kandidaten mit dem Ziel gegeneinander an, möglichst viel abzunehmen. Durch körperliche Trainings, Motivationsgespräche, Kontrolle der Kalorienzufuhr, sozialen Druck und regelmäßige Wettkämpfe versuchen sie, dieses Ziel zu erreichen.

In der Ausgabe vom 18. Februar 2015 wurde ein 29-jähriger Kandidat namens Mark von seinem Trainer nach den eigentlichen Übungen zu einem Zusatztraining aufgefordert –“ nichts Besonderes. Der Grund: Mark habe in der Vorwoche zu wenig Gewicht verloren. Im Anschluss an das Zusatztraining erklärte der Kandidat in die Kamera: »[Der Trainer] betont immer, in mir steckt so viel Ehrgeiz, und ich soll auf jeden Fall meine Disziplin nicht hierlassen, wenn ich nach Hause muss. Daher bin ich natürlich froh, dass er mit mir –˜ne Extraeinheit gemacht hat. Es war anstrengend, hat aber Spaß gemacht.« In dem Moment, in dem Mark von seiner »Disziplin« sprach, blendete die Regie die Information ein, dass Mark ein »Arbeitssuchender aus Wuppertal« sei.

Hier versucht jemand, gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden: Mark will abspecken –“ sicher nicht nur, um attraktiver zu werden, sondern auch, um seine gesellschaftliche Position und seine Chancen auf Erfolg und Glück in Beruf und Privatleben zu verbessern. Er unterwirft sich den Vorgaben seines Trainers und der Sendung. Er zeigt Selbstdisziplin, Ehrgeiz, Veränderungswillen, Engagement. Er strengt sich an. Er behauptet, »Spaß« bei alldem zu haben. Mit der Einblendung unterstellt die Sendungs-Regie zugleich einen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und bisher angeblich mangelnder Disziplin. Dass sie »Wuppertal« als Herkunftsort nennt, dürfen wir wohl als Anspielung verstehen: Strukturwandel! Soziale Brennpunkte! Verlotterte Städte!

Arbeitswelt und Privatleben, Politik und Persönlichkeit fließen hier ineinander über. Das Millionenpublikum an den Bildschirmen lernt: Wenn Du etwas erreichen willst, musst Du Dich anstrengen. Du musst gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen. Dabei kannst und sollst Du Spaß und Freude haben. Nur wenn Du etwas erreichst, wirst Du Anerkennung und Wertschätzung finden. Und zwar im Alltag und im Privatleben genauso wie im Beruf.

Deshalb hat schon diese banale Szene viel mit Neoliberalismus zu tun.

Neoliberalismus, das ist mehr als »nur« Politik, mehr als »nur« Wirtschaftstheorie und mehr als »nur« Ideologie. Er verändert Menschen, und Menschen verändern sich selbst, wenn sie im Neoliberalismus leben. Sie verinnerlichen und verkörpern dessen Regeln und dessen Anforderungen. Sie machen sich neoliberale Hoffnungen sowie Vorstellungen von »Gut« und »Schlecht« zu eigen. Ihr Weltbild, ihr Bild von sich selbst, ihre Auffassung von der eigenen Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft wird neoliberal –“ oftmals, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Wenngleich das jeweilige Ausmaß unterschiedlich sein mag: Der Neoliberalismus prägt jeden einzelnen Menschen –“ seine Überzeugungen, sein Denken, sein Wollen, sein Handeln. So etwa auch in der eingangs beschriebenen TV-Sendung »The Biggest Loser« und ähnlichen Formaten.

Neoliberalismus ist längst zur unhinterfragten Normalität geworden, ja sogar zur Grundlage von Lebensstilen. Der einzelne Mensch rückt dabei in einer sehr eigenartigen Weise in den Mittelpunkt: Er soll an Märkten und in der Gesellschaft eigenständig zurechtkommen –“ anstatt sich auf den Staat oder auf Mechanismen solidarischer Absicherung zu verlassen. Hier treffen eine marktextremistische Politik und marktextremistisches Denken und Handeln aufeinander. Eine häufig gebrauchte Floskel ist in diesem Zusammenhang die der »Selbstverantwortung«: »Verlass–™ Dich nicht auf andere!« »Komm–™ selber klar!« »Mach–™ was aus Dir!« »Nutz–™ Deine Chancen!« »Glaub–™ an Dich!« »Lebe Deine Träume!« »Streng Dich an!« »Steh–™ grade für Dein Versagen!« Einige dieser Sprüche mag sicherlich auch »The Biggest Loser«-Kandidat Mark im Kopf gehabt haben –“ und angesichts der gedanklichen Verknüpfung seiner angeblich mangelnden Disziplin mit seiner Arbeitslosigkeit augenscheinlich auch die Regie der Sendung.

Die hier durchscheinenden Normen und Ansprüche sind die Kehrseite von Sozialabbau und wegbrechender gesellschaftlicher Solidarität. Man kann durchaus von einer »neoliberalen Moral« sprechen. Deren Handlungsanweisungen und Werturteile beziehen sich direkt auf die Rolle des einzelnen Menschen am Markt, ohne sich aber darauf zu beschränken. So sollen sich die Menschen in neoliberalen Gesellschaften rundherum marktkonform verhalten. Sie sollen sich also gegenüber den Erwartungen des Marktes (aber auch der Gesellschaft) als anpassungsbereit erweisen. Auch gilt es, sich unterwürfig zu zeigen: Die durch den Markt generierte Verteilung von Einkommen und Vermögen ist nicht zu hinterfragen oder zu kritisieren, sondern als »natürlich« und »gerecht« zu akzeptieren. Um Erfolg und Anerkennung zu erlangen, sollen sich die Menschen als aktiv und selbstdiszipliniert erweisen und dabei unternehmerisch und egoistisch denken und handeln. Um gegenüber seinen KonkurrentInnen die Nase vorn zu haben, gilt es, wettbewerbsfähig und innovativ zu sein oder zu werden.

Je schwächer soziale Bindungen werden und je geringer die soziale Sicherheit, desto wichtiger wird es für Menschen, der neoliberalen Moral zu folgen. Einerseits treibt sie dabei die Angst vor sozialem Abstieg, vor Missbilligung durch andere, bisweilen auch vor staatlichen oder gesellschaftlichen Sanktionen und Strafen. Andererseits treibt sie ein innerer Wille: das Streben nach Glück, das Bedürfnis nach Anerkennung und der Wunsch, Erfolg und Wohlstand zu erlangen und zu genießen. Beides geht oft Hand in Hand.

Die neoliberale Moral geht gleichwohl noch hierüber hinaus: Der Neoliberalismus und seine negativen Folgen brauchen Erklärung und Rechtfertigung –“ und Menschen, die an diese Erklärung und Rechtfertigung glauben. Missstände wie Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und Verelendung sind immer zugleich gesellschaftliche Übel und persönliche Miseren. Sie haben eine gesellschaftliche und individuelle Seite. Im Neoliberalismus aber werden sie begründet und gerechtfertigt, indem die jeweiligen (positiven oder negativen) Lebenslagen auf selbstverantwortetes Denken und Handeln zurückgeführt werden. Gründe für Erfolg und Elend, für Teilhabe und Ausgrenzung liegen aus dieser Sicht stets beim einzelnen Menschen. Die neoliberale Moral vermittelt hierdurch zwischen dem Menschen und der Gesellschaft: Sie liefert Erklärungen und Rechtfertigungen, verknüpft Lebenslagen und soziale Gegebenheiten, verbreitet Denk- und Verhaltensweisen, weist soziale Rollen und Aufgaben zu.

Als zentraler Wert neoliberaler Moral gilt »Leistung«. Dabei wird stillschweigend unterstellt, dass »Leistung sich lohnt«. Je mehr Zeit, Kraft, Gedanken, Wissen, Fertigkeiten, Gefühle oder Konzentration jemand aufwende, desto höher falle am Ende die Belohnung dafür aus. Nun funktionieren allerdings weder Märkte noch Gesellschaften nach diesem simplen Muster. Auch die Neoliberalen wissen das. Der neoliberale Sozialphilosoph und Ökonom Friedrich August von Hayek etwa räumt ein, dass Anstrengungen in Marktwirtschaften oft genug nicht belohnt werden. Die Wirksamkeit von Märkten setze genau dies sogar voraus: Märkte geben durch Preise und Löhne den Menschen lediglich »Handlungsanweisungen«, nähmen aber auf »Bedürfnisse und Verdienste« keinerlei Rücksicht. Eine Entsprechung zwischen Aufwand und Ertrag, zwischen Anstrengung und Belohnung gebe es folglich nicht und könne es nicht geben.

Dass es in diesem Sinne unverdienten Erfolg ebenso gibt wie unverdientes Scheitern, bleibt allerdings fernab theoretischer Überlegungen à la Hayek üblicherweise unausgesprochen. Stattdessen wird wieder und wieder die Falschbehauptung wiederholt, dass »Leistung sich lohnt«. Verstärkt wird dies, indem jedem einzelnen Menschen die Verantwortung für seine Probleme zugewiesen wird: So gilt Arbeitslosigkeit als Schuld und Verantwortung der Arbeitslosen. So gilt Obdachlosigkeit als Schuld der Obdachlosen. Und nach dem gleichen Muster wird Kranken zunehmend die Schuld an ihrer Krankheit zugeschrieben, Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen die Schuld an ebendiesen, schlecht bezahlten ArbeitnehmerInnen die Schuld an ihren Niedriglöhnen, Übergewichtigen die Schuld an ihrem Übergewicht usw.

Die eingangs beschriebene Szene aus »The Biggest Loser« zeigt dies beispielhaft: Dort wird schlicht unterstellt, dass mangelnde Disziplin, fehlende sportliche Aktivität und eine zu hohe Kalorienzufuhr die Gründe für Marks Übergewicht seien. Nicht gefragt wird hingegen, ob Mark nicht eigentlich noch sehr viel tiefer liegende Probleme hat und ob dahinter nicht möglicherweise auch soziale Ursachen stehen. Dabei wären solche Fragen zuallererst zu stellen. Übrigens auch, weil Studien immer wieder zeigen, dass die zunehmende soziale Ungleichheit und weit verbreitete Armut mit immer häufigerem Übergewicht in der Bevölkerung einhergeht. Für seine Probleme aber wird einzig Mark verantwortlich gemacht; sie zu lösen gilt einzig als seine Aufgabe. Und er hat dies offenbar längst verinnerlicht.

Als Folge der neoliberalen Moral und um gesellschaftlichen Leistungsanforderungen gerecht zu werden, setzen sich die Menschen einer Art alltäglichem Dreischritt aus: Erstens thematisieren sie sich permanent –“ sie prüfen sich also ständig selbst im Hinblick auf eigene Defizite, Schwächen, Verbesserungsmöglichkeiten. Zweitens optimieren sie sich permanent –“ sie bemühen sich also, sich zu verbessern und Defizite sowie Schwächen zu überwinden. Drittens wird es ihnen zur permanenten Aufgabe, sich darzustellen –“ und damit andere auf sich und die eigenen neuen und alten »Stärken« aufmerksam zu machen.

Auch der »The Biggest Loser«-Kandidat Mark vollzieht den Dreischritt aus Selbstthematisierung, Selbstoptimierung und Selbstdarstellung: In der eingangs wiedergegebenen Szene thematisiert er sich. Er meint, neben seinem Übergewicht auch seine mangelnde Disziplin als Problem festgestellt zu haben. Zugleich unterstreicht er, dass er diese Probleme angehe, sich also optimiere, sich anpasse: Er betont Ehrgeiz und Disziplin, er strengt sich an. Der Wille, sein Gewicht zu reduzieren, ist deutlich erkennbar. Auch »Spaß« behauptet er zu haben. Und all dies präsentiert er der Kamera und einem Millionenpublikum –“ er betreibt Selbstdarstellung.

Neoliberale Moral, neoliberale Ideen von »Leistung« und der neoliberale Dreischritt aus Selbstthematisierung, Selbstoptimierung und Selbstdarstellung prägen sogar unseren scheinbar nebensächlichsten Alltag. Sie bestimmen unser Leben, manchmal bewusst, oft aber unbewusst. Sie zeigen sich, wenn wir Beziehungen und Kontakte vor allem deshalb pflegen, weil diese uns für andere Zwecke nutzen könnten. Sie zeigen sich, wenn Menschen über die angebliche »Unterschicht« schimpfen. Sie zeigen sich im Bildungswesen, das zunehmend auf Kompetenzen ausgerichtet wird, die sich bezahlt machen sollen, und das immer weniger Wissen vermittelt, mit dem wir uns die Welt erschließen. Sie zeigen sich, wenn Eltern ihre Kinder auf eine der immer zahlreicheren Privatschulen schicken, damit die Kleinen einen Startvorteil im Leben haben. Sie zeigen sich in Ratgeberliteratur und in esoterischen Angeboten, die den Menschen auf vielfältige Weise erklären, wie sie ein noch neoliberaleres Leben führen und ertragen können. Sie zeigen sich in unseren Vorstellungen von Fitness, Sport und Stars. Sie zeigen sich, wenn wir unseren Körper und unsere Persönlichkeit »verbessern« wollen. Sie zeigen sich, wenn deutschsprachige Rapmusiker sich als Beweis dafür inszenieren, dass Leistung sich lohne. Sie zeigen sich, wenn wir immer mehr Aspekte unseres Lebens elektronisch vermessen und dokumentieren. Sie zeigen sich in Sozialen Netzwerken wie »Facebook« oder »XING«, die längst zu Plattformen der Selbstdarstellung und des Vergleichs mit anderen geworden sind. Sie zeigen sich im Fernsehen –“ von Castingshows über Seifenopern und Talkshows bis hin zum so genannten Reality-TV, in denen etwa Konkurrenzverhalten und »Selbstverantwortung« gepriesen werden. Und sie zeigen sich in der Art und Weise, wie wir kaufen und konsumieren. Diese Liste ist bei weitem noch nicht zu Ende.

Wie aber konnte sich der Neoliberalismus zu einem System aus Verhaltensregeln und Wertvorstellungen auswachsen, das die meisten Menschen unwidersprochen akzeptieren und verinnerlichen? Dieses Buch soll darauf Antworten geben. Es stellt kritisch die Frage, wie neoliberale Gesellschaften zu dem geworden sind, was sie sind. Es fragt nach den geschichtlichen Entwicklungen und gesellschaftlichen Mechanismen, durch die sich neoliberale Ideologien im Bewusstsein der Menschen verankern konnten. Es interessiert sich für die sozialen Gründe dafür, dass Menschen zu neoliberalen Subjekten geworden sind. Warum sie also zu Menschen geworden sind, die etwa marktkonform, wettbewerbsfähig, selbstdiszipliniert, anpassungsbereit, flexibel, egoistisch, aktiv, innovativ und unternehmerisch sind, sein wollen oder sein sollen; zu Menschen, für die Selbstthematisierung, Selbstoptimierung und Selbstdarstellung eine selbstverständliche und alltägliche Freude sind oder zumindest sein sollen. Und schließlich fragt es nach den ideologischen Zusammenhängen, die hinter der Erklärung und Rechtfertigung gesellschaftlicher Missstände im Neoliberalismus stehen.

Auf diese Fragen gibt es nicht nur eine einzige richtige Antwort. Es gibt nicht die eine angemessene und umfassende Theorie, die uns über alle Aspekte des alltäglichen Neoliberalismus aufklärt. Eine solche wird hier auch keineswegs entwickelt. Stattdessen führt dieses Buch in das Denken einiger AutorInnen ein, in deren Arbeiten sich interessante Hinweise und ungewohnte Sichtweisen finden lassen, um wichtige Aspekte des Lebens im Neoliberalismus besser zu verstehen. Es führt ein in Überlegungen von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, Richard Barbrook und Andy Cameron, Luc Boltanski und Ève Chiapello, Wendy Brown, Gilles Deleuze, Norbert Elias, Michel Foucault, Antonio Gramsci, Stuart Hall, David Harvey, Friedrich August von Hayek, Arlie Russell Hochschild, Eva Illouz, Naomi Klein, Karl Marx, Karl Polanyi, Andreas Reckwitz sowie Max Weber.

Quelle: Gekürzte und leicht ergänzte Fassung des zweiten Kapitels aus: Patrick Schreiner: Warum Menschen sowas mitmachen. Achtzehn Sichtweisen auf das Leben im Neoliberalismus. Köln: PapyRossa 2017. ISBN 978-3894386320, Euro 13,90.

kritisch-lesen.de Nr. 38: Asylpolitik: Wider die Bewegungsfreiheit

Refugee Schul- und Unistreik gegen Rassismus in Berlin
Foto: Christina Palitzsch, Umbruch-Bildarchiv, Berlin
„Wie viele Flüchtlinge kann Deutschland noch tragen?“ So lautet wohl eine der häufigsten Fragen, die aktuell durch Medien, Politik und Gesellschaft geistern. Bilder von „Flüchtlingsströmen“, die die Grenzen Europas überschreiten und nach Deutschland einreisen wollen, sind überall präsent. Das Boot ist mal wieder voll. Unterteilt werden Flüchtlinge nach denen, die „asylwürdig“ sind, und denen, die angeblich das Recht auf Asyl missbrauchen. Hinzu kommt: Seit den Anschlägen im November in Paris ist die Debatte (mal wieder) von antimuslimischen Stereotypen geprägt, schließlich könnte jeder eingereiste Syrer auch ein Terrorist sein. Grund genug eine europäische Abschottungspolitik zu legitimieren und auszubauen. Gleichzeitig machen Bilder von engagierten Bürgern die Runde, die ehrenamtlich die zahlreichen „wirklichen“ Flüchtlinge mit Bonbons und Blumen willkommen heißen. Das Dilemma ist offensichtlich: Angesichts der aktuellen Verhältnisse ist - auch individuelle, vermeintlich unpolitische - Unterstützung notwendig. Gleichzeitig können staatliche Stellen die Unterstützung nutzen, um öffentliche Aufgaben an Privatpersonen zu delegieren und Willkommenspatriotismus zu propagieren. Brennende Wohnheime, menschenunwürdige Lebensbedingungen, institutioneller Rassismus und alltägliche Hetze gegen Geflüchtete werden nur zu oft unter den schwarz-rot-goldenen Teppich der Menschlichkeit gekehrt. Von Lagerunterbringung, Kriminalisierung und Übergriffen durch Bürgerwehren spricht kaum jemand. Zwar berichten Medien über Zusammenschlüsse wie Pegida, jedoch nur als ein Problem abseits von der Mitte der Gesellschaft: Das hat doch nichts mit uns zu tun!

Auch die jüngsten repressiven Gesetzesänderungen wie das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz und das Entlastungsbeschleunigungsgesetz, die die Lebenssituation von Geflüchteten noch einmal stark verschlechtert haben, sind nur partiell bekannt. Für die Lebenssituation derjenigen, die aus vermeintlich „sicheren Herkunftsstaaten“ nach Deutschland kommen, interessiert sich kaum jemand. Schließlich sind hier oft Sinti und Roma betroffen, die in Anbetracht des nicht neuen Antiziganismus ohnehin wenig Lobby haben. Und schließlich bleibt ein Thema weitgehend ausgeblendet: Fluchtursachen. Waffenexporte, Kriegsbeteiligung - Deutschland und Europa sind direkt involviert in Kriege und Konflikte. Verantwortlich werden sie jedoch nicht gemacht. Die Opferrolle mimen diese Akteure aber mit voller Inbrunst.

Aus einer linken Perspektive ist es vor diesem Hintergrund wichtig, das Thema der deutschen Asylpolitik wieder mehr in den Fokus der Auseinandersetzung zu rücken. Es geht darum die rassistische Unterteilung zwischen nützlichen und nicht asylwürdigen Menschen zu benennen. Während auf der einen Seite die erleichterte Erteilung einer Arbeitserlaubnis gefordert wird, ermöglichen die aktuellen Verschärfungen schnellere Abschiebungen. Auch die Widersprüche zwischen einer Kritik an individueller Unterstützung bei gleichzeitiger Notwendigkeit werfen alltäglich neue Fragen an Linke auf. Deutsche Asylpolitik ist zuletzt erst dann zu fassen, wenn innereuropäische Grenz- und Abschottungspolitiken in eine Analyse miteinbezogen und angegriffen werden. Ein Blick über den nationalstaatlichen Tellerrand ist notwendig, um deutsche Asylpolitik zu erklären.

Zur aktuellen Ausgabe

„Es ist das größte Verbrechen, die Menschen zu überschätzen“ - „Es ist die einzige Möglichkeit überhaupt zu leben.“ (Friedrich Wolf, „Der Unbedingte“, 1919)

„Es ist das größte Verbrechen, die Menschen zu überschätzen“ - „Es ist die einzige Möglichkeit überhaupt zu leben.“ (Friedrich Wolf, „Der Unbedingte“, 1919)

Am 1. Dezember 2015 gibt es wieder einen Themenabend vom KOMMA Jugend und Kultur und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes –“ Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA) Esslingen zu Friedrich Wolf.

Friedrich Wolf war ein vielseitiger Mann. Er wurde 1888 in Neuwied geboren. Er promovierte 1912 zum Arzt. Im ersten Weltkrieg war er Truppenarzt an der Westfront. Nach mehreren Verwundungen wurde er ein überzeugter Kriegsgegner. 1918 weigerte er sich weiter an der Front als Arzt zu arbeiten. Nach dem Ende des ersten Weltkriegs schloss er sich dem Arbeiter- und Soldatenrat in Dresden an.

Während der Weimarer Republik war er Autor von Theaterstücken, die in ganz Deutschland gespielt wurden. Er war Stadtarzt in Remscheid und zog 1921 nach Hechingen auf der Schwäbischen Alb. Hier lernte er das Elend der schwäbischen Bauern kennen.

Neben seiner literarischen Tätigkeit hat er das wegweisende medizinische Buch „Die Natur als Arzt und Helfer“ geschrieben. Von 1928 bis zu seiner Flucht aus dem Nazideutschland 1933 hat Friedrich Wolf in Stuttgart gelebt und gearbeitet. Im selben Jahr wurde er Mitglied der KPD und des „Revolutionären Schriftstellerverbunds“ Als die Stuttgarter Ärztin Else Kienle wegen illegaler Schwangerschaftsabbrüche verhaftet wurde hat sich Friedrich Wolf mit ihr solidarisiert und das berühmte Theaterstück „Cyankali“ geschrieben.

Auch im Exil war Friedrich Wolf als Autor tätig. So schrieb er bereits 1933 das Theaterstück „Professor Mamlock“, das bis heute als eines der wichtigsten antifaschistischen Bühnenwerke gilt.

1945 ging Friedrich Wolf in die SBZ und baute die DDR mit auf. Er wurde Kulturfunktionär und war erster Botschafter der DDR in Polen.

Im Oktober 1953 starb Friedrich Wolf an einem Herzinfarkt. Sein Leben ist heute leider in Vergessenheit geraten.

Janka Kluge erinnert an den Schriftsteller, Arzt und Antifaschisten.

KOMMA Jugend und Kultur
Dienstag, 1. Dezember 2015, 19 Uhr

Neuerscheinung: Umwälzungen

Endlich ist es fertig und kann vorbestellt werden: Umwälzungen. Ein Buch mit Beiträgen unseres Autors Fritz Güde, das von Sebastian Friedrich, Patrick Schreiner und mir redaktionell zusammengestellt und bearbeitet wurde und nun in Kürze bei der edition assemblage erscheint.

Umwälzungen

Dieses Buch versammelt eine Auswahl an Artikeln, die der Lehrer und Publizist Fritz Güde seit den frühen 1980er Jahren verfasst hat. Es dokumentiert damit mehrere Jahrzehnte linker publizistischer Tätigkeit zu vielfältigen Themen wie etwa Neonazismus und Marxismus, Heimat und Rapmusik, Expressionismus und Geschichte; zu Autoren wie Walter Benjamin und Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht und Gottfried Benn. –“ Mit einem Beitrag von Georg Fülberth zur Geschichte der politischen Linken in Deutschland.

»Es muss im Bewusstsein der Niederlagen der Kampf angetreten werden, im schärfsten Blick auf die Entstellungen, die bisherige Revolutionäre sich antaten, um ein Jahr oder fünf Jahre oder gar zehn weitermachen zu können. In der Gewissheit, dass unsere Züge nicht weniger entstellt, unsere Hände nicht weniger schmutzig sein werden als die jener, die uns vorangegangen. Aber mit dem kleinen Unterschied, dass wir aufeinander achten wollen, aufpassen, wann es mit uns so weit ist, dann die Narben und Wunden nicht verstecken und zudecken, sondern offen ins Licht halten. Licht der Diskussion, der Überlegung, unter Umständen sogar in der Konsequenz der Notwendigkeit des Rückzugs, ja des Aufhörens.« (Fritz Güde)

Fritz Güde
Umwälzungen
Schriften zu Politik und Kultur
Broschur, 140×205 mm
220 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-942885-97-3 | WG 973
Neuerscheinung Oktober 2015

Umwälzungen: Schriften zu Politik und Kultur

Bukowski 1978 in Hamburg

Charles Bukowski Interview in Englisch mit deutschen Untertiteln, leider mit einiger Werbung im Vorspann. Auf dieses Filmaterial haben Fans des Dirty Old Man lange gewartet. Zusätzlich enthält diesr Film exklusive Privataufnahmen, die anlässlich Bukowskis 70. Geburtstag bei ihm zu Hause entstanden. Näher dran als Thomas Schmitt war nur Bukowski selbst


Charles Bukowski in Hamburg

kritisch-lesen.de Nr. 36: Neue Bürgerlichkeit

Quelle: WikiMedia
Lizenz: Gemeinfrei
„Bionade-Biedermeier“, „LOHAS“ (Lifestyle of health and sustainability), „Latte-Macchiato-Mamas“ –“ Bezeichnungen, die im allgemeinen deutschen Mundwerk nun schon ein paar Jahre durchgekaut werden und irgendwie einen Lebensstil benennen. Doch die Phänomene, die sich dahinter verbergen, sind mehr als das. Sie sind Ausdruck einer Neuen Bürgerlichkeit − mit Hang zum Ökobewusstsein, zur Nachhaltigkeit und zur Konsumverantwortung. JedeR, so die Idee, die dahinter steckt, ist für das Wohlergehen des Planeten verantwortlich, jeder ökologische Fußabdruck zählt. Entsprechend wird Fahrrad gefahren, auf dem Markt Gemüse aus der Region gekauft und Grün gewählt. Worum es jedoch bei genauerem Hinsehen geht, ist eine individualisierte, „bewusstere“ Form des Konsums, in dem Glauben, dass damit die Welt zu retten wäre und dass jedeR dafür verantwortlich sein müsse. Letztlich retten jene, die sich diesen luxuriösen Lebensstil leisten können, jedoch nichts anderes als den Kapitalismus. Was auffällt, sind die konservativen Einstellungen dieser gesellschaftlichen Schicht. In der Debatte um die Neue Bürgerlichkeit in den 1990er Jahren, die unter anderem von konservativen Feuilletonisten wie Frank Schirrmacher oder Paul Nolte geführt wurde, beschworen diese die Notwendigkeit einer Neuen Bürgerlichkeit. Diese solle sich wieder auf „bewährte Werte“ besinnen, auf Eigentum, Familie, Tradition et cetera. Den 68ern und den Linken, deren Öko-Lifestyle vorherrschend geworden sei, gelte es, althergebrachte Werte entgegen zu setzen. Doch hier lohnt sich ein genaues Hinsehen. Denn die Neuen Bürgerlichen erfüllen trotz des nachhaltigen Lebensstils, den sie vertreten, erschreckend viele dieser konservativen Forderungen.

Viele derjenigen, die sich in den 1970er Jahren als Teil einer antibürgerlichen Alternativbewegung mit mehr oder weniger linkem Einschlag sahen, bilden heute das neue Bürgertum. Die Prämissen der 68er, Autonomie der Einzelnen und Selbstverwirklichung gegen die Gleichmacherei der Fabrik, haben in einen Individualismus geführt, den der neoliberale Kapitalismus nicht dankbarer annehmen könnte. Statt Kollektivität und Solidarität herrschen Individualismus und Konkurrenz.

Wozu diese Neue Bürgerlichkeit dient, und gerade da ist sie ihren Vorgängern sehr ähnlich, ist die klassenbezogene Abgrenzung. Mit einem Lebensstil, der Luxusprodukte als must-have propagiert, die für einen Großteil der Gesellschaft unerreichbar sind, wird vor allem Abgrenzung nach unten betrieben. Man kauft sich hier schließlich nicht nur den gesunden Lebensstil, sondern auch noch die Möglichkeit, das eigene Verhalten als moralisch richtig und das der anderen, die beispielsweise nicht so nachhaltig konsumieren (können), als moralisch verwerflich zu bezeichnen.

Den Trugschluss, mit nachhaltigem Konsum und ökologischem Lebensstil die Welt verändern zu können, während genau dieses Verhalten eher Marktsegmente öffnet und neue Ausbeutungsstrukturen schafft, gilt es aktiv zu kritisieren. Einen Beitrag wollen wir mit dieser Ausgabe leisten.

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Was mir heute wichtig erscheint #354

Herzbluten: Am 8. April wurde der Heartbleed Bug bekannt, ein schwerwiegender Programmierfehler in der OpenSSL-Bibliothek. Diese ist für die Erschlüsselung der Anmeldeprozesse bei vielen Webdiensten oder auf verschlüsselten Webseiten (httpS://www... ) zuständig. Betroffen waren wohl auch google, yahoo, FlickR, Facebook usw. Deren Benutzer sollten dringend ihre Passwörter ändern. Damit lässt sich allerdings nicht der bereits stattgefundene Datenklau rückgängig machen. So soll beispielsweise die NSA die Lücke bereits zwei Jahre ausnutzen. IndyMedia linksunten hat schnell reagiert und alle wichtigen Upgrades installiert.

Aufmarsch: "Politik ohne Populismus –“ das ist eine Illusion. Schon die großen Redner im antiken Griechenland versuchten rhetorisch geschickt das Volk für sich einzunehmen. Populismus kann aber auch gefährlich sein. In der EU hat die Krise radikalen Bewegungen Auftrieb verliehen. Die Dokumentation erforscht Strategien der euroskeptischen und rechtspopulistischen Parteien Europas." arte.tv: "Aufmarsch der Populisten"

Totschuften: "(...) 61 Prozent der Beschäftigten in Deutschland müssen mehr Arbeit in der gleichen Zeit leisten als im Vorjahr. 56 Prozent der Beschäftigten arbeiten sehr häufig oder oft gehetzt, und nur 45 Prozent gehen davon aus, unter diesen Bedingungen bis zum gesetzlichen Rentenalter durchhalten zu können. Gleichzeitig hat sich die Einkommenssituation nicht wesentlich verbessert: Für 43 Prozent der Beschäftigten reicht das Einkommen nicht oder gerade so aus. 17 Prozent arbeiten sogar sehr häufig oder oft außerhalb der normalen Arbeitszeit unbezahlt für den Betrieb. Dies sind die wesentlichen Befunde der jährlichen Repräsentativbefragung von 5.800 abhängig Beschäftigten im Rahmen des DGB-Index Gute Arbeit des Jahres 2013, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.(...)" Zur Pressemitteilung und hier zum Report.

Druckbar: "Die Verleger bezeichnen sich noch heute als Anarchisten –“ sie sind nicht verbürgerlicht wie die 68er-Generation. 40 Jahre ist die Edition Nautilus nun alt, aber kein bisschen verstaubt. Junge Autoren gesellen sich gerne zu den Alt-Anarchisten, erklärt Verlagschefin Hanna Mittelstädt." Interview von Deutschlandradio Kultur mit den Machern des Nautilus Verlages, verlinkt bei syndikalismus.tk.

Laut: "Bei der gestrigen Demonstration unter dem Motto „Laut gegen rechte Gewalt!“ der Initiative >Rems-Murr nazifrei!< zogen über 200 Menschen lautstark durch die Schorndorfer Innenstadt. Sie erinnerten damit an den Neonazi-Brandanschlag von Winterbach im Jahr 2011. Mit Redebeiträgen von Parteien, Gewerkschaften, Initiativen, Bündnissen und einem Grußwort des Winterbacher Bürgermeisters Albrecht Ulrich setzte die Initiative ein deutliches Zeichen für eine antifaschistische Kultur im Landkreis. (...)" Bericht bei den BeobachterNews

Unbelehrbar: Trotz Fukushima fährt Japan seine Atomanlagen zum Teil wieder hoch. Bleibt zu hoffen, dass die mittlerweise mehrheitlich gegen Atomenergie eingestellte Bevölkerung die notwendige kritische Masse bildet und das doch noch verhindert.

Schräg: "Mancher hat es sicher mitbekommen, es gibt mal wieder Montagsdemos in Deutschland. Diesmal für Frieden. Klingt ja an und für sich erst mal toll, aber was steckt dahinter? (...)" Josef A. Preiselbauer hat sich so ein paar Gedanken gemacht. Siehe auch: telepolis. Immer Montags gegen FED und für den Frieden

Skandalgemindert: "In Zukunft wird es weniger Lebensmittelskandale geben! Wir werden von ihnen nämlich erst gar nicht erfahren, jedenfalls, wenn sich die EU-Kommission mit einem Gesetzentwurf durchsetzt. Sie plant eine umfassende "Geheimhaltungspflicht" für Lebensmittelkontrollbehörden, die Informationen dann noch seltener als bislang an die Öffentlichkeit weiter geben könnten. Zum Beispiel dann nicht, wenn wenn dies „den Schutz der geschäftlichen Interessen“ von Unternehmen „beeinträchtigen“ würde, so dass das öffentliche Interesse hinten an steht (...) Am Montag wird das EU-Parlament darüber debattieren." Mehr bei foodwatch.

Buchbesprechung: „Ihr seid Träumer - sagte der Traum“ von Manfred Jansen

Die Welt der Warenproduktion ist das große Mysterium der bürgerlichen Gesellschaft. Gebirge von Waren begraben die Konsumenten unter sich –“ die Produzenten dieser Waren und die Umstände, unter denen sie leben und arbeiten, bleiben aber praktisch unsichtbar.

Medial und gesellschaftlich sind sie nicht präsent.

Manfred Jansen reißt mit seinem Buch „Ihr seid Träumer –“ sagte der Traum“ diesen Schleier des Schweigens weg und macht den Blick frei auf die Lebenswirklichkeit der Menschen, die mit der Profitproduktion den Lebensnerv der kapitalistischen Gesellschaft ausmachen.

Er beschreibt über zehn Jahre hinweg den Kampf der dreihundertköpfigen Belegschaft eines Metallbetriebs in Stuttgart: Gegen Massenentlassungen, die Zerschlagung bzw. Schließung des Betriebs, gegen den Angriff auf tarifliche Rechte.
Die Arbeiterklasse nicht als leidende, sondern als aktiv kämpfende Klasse.

Die große Stärke seines Berichts ist die detailgenaue Schilderung der Bewusstseinsentwicklung in Belegschaft, Betriebsrat und Vertrauenskörper, der über die Jahre zu einer großen Entschlossenheit, Kampfbereitschaft und Selbstvertrauen der Belegschaft führt.

Die Kampfaktionen der Belegschaft, die in ihrer Intensität und Massenhaftigkeit für hiesige Verhältnisse überaus ungewöhnlich sind, fallen eben nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis dieser jahrelangen systematischen Kleinarbeit und Auseinandersetzung –“ das wird bei der Lektüre überdeutlich.

Diese Auseinandersetzungen verlaufen auch nicht geradlinig, sondern schwankend, zwischen Konfrontation und (Beinahe) Kapitulation.

Manfred Jansen gelingt damit ein wichtiger Beitrag zur Beschreibung des Bewusstseinsstands der Arbeiterklasse.

Das „Geheimnis“ des Erfolgs ist, so der Autor, die Frage „des Standpunkts, der Weltanschauung“, die die „Führung“ hat, „es ist eine politische Frage.“ (S. 566) : Standortkonkurrenz oder solidarische Auseinandersetzung und Zusammenarbeit mit den Belegschaften konkurrierender Betriebe, Ehrfurcht vor der „unternehmerischen Entscheidung“ und den wohlfeilen Konzepten ( Interessensausgleich, Sozialplan, Beschäftigungsgesellschaft) der Co-Manager oder Mobilisierung der Belegschaft zur eigenständigen Vertretung ihrer Interessen –“ je nachdem, welche Antworten auf diese Fragen gegeben werden und wie die Auseinandersetzung darum in der Belegschaft organisiert wird, ist ein Erfolg möglich oder führt der Weg in die Niederlage.

Das Buch kann unter der e-mail Adresse buchmj@t-online.de bestellt werden und kostet 16 € + 2,40 € Versandkosten.

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