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kritisch-lesen.de Nr. 14 Kapitalismus, Märkte, Krisen

Foto: © Jörg Möller
Krisenzeiten sind Zeiten der Veränderung. Veränderung, nicht notwendig hin zum Guten und zur Linken. Wenn Bundeskanzlerin Merkel für ihre Politik weithin Zustimmung erntet, und wenn die SPD von Austeritätspolitik nicht lassen will, dann ist die Frage durchaus berechtigt, ob die Menschen in diesem Land die Tragweite der aktuellen Ereignisse wirklich erkannt haben. Und doch zeichnet sich ein Wandel ab, zwar nur sehr sanft und sicher nicht weitreichend genug, aber doch deutlich: Das neoliberale und marktradikale Konzept des Kapitalismus ist gescheitert. Liberale, die Steuersenkungen fordern, werden nicht mehr ernst genommen, Teile der SPD gefallen sich in exzessiver Selbstbezichtigung und selbst Merkel und Sarkozy sprechen sich für eine Finanztransaktionssteuer aus. Der Beispiele gäbe es noch sehr viel mehr. Zeit also, über Krise, Kapitalismus und Neoliberalismus nachzudenken. Diese Ausgabe von kritisch-lesen.de hat einen wirtschaftspolitischen, einen polit-ökonomischen Schwerpunkt. Er setzt an der aktuellen Krise an, geht aber auch darüber hinaus und stellt grundsätzlicher die Frage nach vermeintlichen polit-ökonomischen Wahrheiten und deren Entzauberung.

Das Scheitern des Neoliberalismus stellt Patrick Schreiner in seiner Rezension von John Cassidys How Markets Fail in den Mittelpunkt. Dabei macht er deutlich, dass selbst ohne eine klare linke Positionierung des Autors diese Analyse des modernen Kapitalismus mit Gewinn gelesen werden kann – und dies gerade auch vor dem Hintergrund der bis weit ins bürgerliche Feuilleton reichenden Debatte um das Scheitern bestimmter Schulen der Wirtschaftswissenschaften. In ähnlicher Weise zeigt Martin Koch in seiner Besprechung von Elmar Altvaters Krisenanalyse Der große Krach auf, dass und wie der Neoliberalismus gescheitert ist. Altvaters Buch zeigt detailliert die Ursachen und den Verlauf der aktuellen Finanzkrise auf. Ein Vergleich beider Rezensionen macht dabei das fruchtbare Spannungsverhältnis deutlich, das zwischen der Analyse des linksliberalen US-Journalisten Cassidy und des linken deutschen Politikwissenschaftlers Altvater besteht. Kai Eicker-Wolf stellt anschließend in seiner Rezension von Georg Fülberths kleinem Bändchen Das Kapital kompakt einen Versuch vor, das Marxsche Denken in einführender Form als Alternative zu gängigen Kapitalismusanalysen wie auch zum wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream (wieder) in Stellung zu bringen. Auch Fritz Güde zeigt in seiner Besprechung von David Harveys Der neue Imperialismus auf, dass ältere Begriffe und Theorien linker Kapitalismusanalyse keineswegs eingemottet gehören. Gerade der Imperialismusbegriff, von Harvey neu und in erfrischender Weise reaktiviert, zeige sich als erklärungsstarkes Instrument. Der Schwerpunkt schließt mit zwei Rezensionen, die spezifische Erscheinungsformen eines vermeintlich alternativen Wirtschaftens unter die Lupe nehmen – und bei denen von einer Krisenanalyse im engeren Sinne nicht mehr gesprochen werden kann. Ismail Küpeli zeigt anhand von Gerhard Klas kritischer Analyse der Mikrofinanz-Industrie, dass Kleinkredite keineswegs ein gelungenes Instrument zur Armutsbekämpfung darstellen. Patrick Schreiner setzt sich in seiner Rezension von Irmi Seidls und Angelika Zahrnts Postwachstumsgesellschaft kritisch mit den aktuellen wachstumskritischen Debatten auseinander. Er versteht diese als „gefährlichen Wolf im (manchmal antikapitalistischen) Schafspelz“, was auch Seidls/Zahrnts Sammelband einmal mehr deutlich mache.

Außerhalb des Schwerpunkts rezensiert Gabriel Kuhn Und wir bewegen uns noch von Robert Foltin zu jüngeren sozialen Bewegungen in Österreich. Das Buch sei eine „Fundgrube an Information zu linken Diskussionen und linkem Widerstand“. Sebastian Friedrich stellt anschließend das Buch Rassismus von Wulf D. Hund vor, das zwar hervorragend die historischen Zusammenhänge und Kontinuitäten bei der Konstruktion von Stereotypen darstelle, aber in der vorgeschlagenen Rassismustheorie zu kritisieren sei. Sebastian Kalicha nimmt abschließend die Darstellung von Rebellionen von Heugabel bis Kalaschnikow in dem Buch „Der große Traum von Freiheit“ genauer unter die Lupe.

(Pro)feministischen Leserinnen wird nicht entgangen sein, dass in dieser Ausgabe weiblich sozialisierte oder identifizierte Autorinnen nicht vertreten sind. Selbstkritisch müssen wir dazu anmerken, dass dies nur die Zuspitzung einer Tendenz zu unausgewogenen Geschlechterverhältnissen unter den Rezensent_innen von kritisch-lesen darstellt – eine Tendenz, die wir in Zukunft ändern wollen und verstärkt berücksichtigen werden.

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