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Rezension: Die Kommunen vor der Kommune 1870/71: Lyon - Le Creusot - Marseille - Paris

Rechtzeitig zum 150. Jahrestag der Pariser Commune haben es sich die Autoren zur Aufgabe gemacht, die im Vorfeld und im Zusammenhang mit der Pariser Commune entstandenen sozialen Aufstandsbewegungen in der französischen Provinz in das historische Gedächtnis zurückzurufen.

Zu den beschriebenen Kommunen in Lyon, Marseilles, Le Creusot, Toulouse und Narbonne finden sich schon Berichte bei Prosper Lissagaray, auch bei Marx finden sie Erwähnung.

Weitgehend unbekannt sind die Aufstandsbewegungen in den Kolonien, namentlich die Mokrani-Revolte in Algerien, die am 14. März 1871 offen ausbrach.

Diese Revolte war ein Aufstand der arabischen und Berber Bevölkerung gegen die französische Kolonialherrschaft .

„Zusätzlich löste die zeitgleiche Ausrufung der Pariser Kommune nach dem 18.März 1871 einen neuen Aufschwung der revolutionären Bewegung in Algerien aus“ (S.93).

Es waren nicht alle französischen Kolonialisten klassische Kolonialherren, schließlich waren nach dem Juliaufstand 1848 und dem Staatsstreich Napoleons 1851 an die 30.000 Aufständische als Folge der Repression nach Algerien verbannt worden.

Tragischerweise „verblieben die französischen Revolutionäre in einem nationalistischen Korsett gefangen.“

„Denn der Sieg Mokranis hätte in letzter Konsequenz die materiellen Grundlagen der französischen Kolonist*innen in Algerien zerstört.“ (S.94)

So kam es, dass die gleichen Truppen, die bereits die Pariser Kommune niedergeschlagen hatten, nun auch in Algerien zum Einsatz kamen und den Mokrani- Aufstand blutig niederschlugen.

Diese Darstellung von vom Vergessen bedrohten sozialen Bewegungen ist verdienstvoll und absolut lesenswert.

Allein die an einigen Stellen etwas aufdringliche anarchistische Interpretation des Geschehens wirkt störend.

Detlef Hartmann / Christopher Wimmer
Die Kommunen vor der Kommune 1870/71
Lyon –“ Le Creusot –“ Marseille –“ Paris
ISBN 978-3-86241-483-3
erschienen 02/2021
Verlag Assoziation A
144 Seiten
14,00 €

Lyon: La Rafle de Bellecour - Die Razzia von Bellecour

Lyon, 21.10.2010 Foto: biloud43
Zur Vorgeschichte: Wie in ganz Frankreich kämpft ein großer Teil der Bevölkerung gegen die Erhöhung des Rentenalters, auch die Jugendlichen sind dabei. Das Rentenalter ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, aber längst nicht der einzige Grund. Sarkozy bezeichnete die unzufriedenen Jugendlichen, denen eine Zukunftsperspektive vorenthalten wird, als „Abschaum, den man mit dem Hochdruckreiniger wegsäubern muss“. Der Hauptschlag am 21.10.10 ging gegen Migrantenkinder.

In Lyon wird die Stimmung systematisch gegen die Migranten aufgeheizt; sie werden wegen ihrer Hautfarbe als Randalierer registriert, ganz gleich, wie die Wirklichkeit aussieht. Die rechte Szene fühlt sich bestens unterstützt. In Lyon wurden seit dem 12. Oktober 2556 Menschen wegen „Randalierens“ vorübergehend festgenommen. Anscheinend werden dabei Menschen ohne gültige Papiere gleich für die Abschiebung festgehalten.

Die Kämpfe gehen jedoch täglich weiter. Lyoner Demonstranten blockierten heute u. a. den Rhône-Express und die Tram T3.

E.S. / Solidarität International.

Die Razzia von Bellecour Lyon, 21. Oktober 2010

„Was da am 21. Oktober 2010 auf der Place Bellecour in Lyon geschehen ist, kann nicht einfach nur von einem Präfekten entschieden worden sein. Die Regierung ist in Bedrängnis, und wie jedes Monster in seinen letzten Zügen kann sie sehr gefährlich werden. Diese Leute, die uns regieren, sind krank, sie sind nicht sehr kultiviert und intelligent, aber mit zugespitztem Überlebensreflex und der Macht zur Bosheit. Die Regierung hat nun beschlossen, dass am 21. Oktober 2010 in Lyon, place Bellecour die große Lektion erteilt wird. Also lernen wir diese Lektion, entdecken wir diese so genannte Regierung der Öffnung, die die Jugendlichen einen ganzen Nachmittag einsperrt, um sie mit Gas und Schlagstöcken zu bearbeiten und ihnen Angst und Schrecken einzujagen.

Per Zufall hatten wir uns mit einigen Kollegen in einem Restaurant auf der place Bellecour verabredet. Um 20 Uhr war der Platz noch blockiert, aber ruhig und verlassen. Nachdem wir mit den Robocops verhandelt hatten, die den Zugang untersagten und anscheinend nicht viel verstanden - Ja, nein, geht außen herum, da ist es auch blockiert - , begleitete einer von ihnen uns beide, einen Kollegen und mich zum Restaurant, vor dem ein Polizeibus mit weiteren Robocops parkte. Die Kollegen waren schon da, wir prosteten uns zu, und hinter der Glasscheibe des Restaurants, da prostete uns auch ein Robocops, der gerade seine Rüstung auszog, symbolisch zu, eine fast leere Weinflasche schwenkend - er war glücklich.“


jmw


Zur Aktion der Ordnungskräfte auf der Place Bellecour 21/10/10 Aussage von 5 mit eingekesselten Studenten


„Was wir an diesem 21. Oktober auf dem Bellecour-Platz in Lyon erlebten, war so etwas wie eine Sicherheitshaft unter freiem Himmel.

Alles beginnt am frühen Nachmittag. Wir wissen, dass von der UNL (nationale Schülergewerkschaft) und der CGT (Richtungsgewerkschaft für die Beschäftigten) in ihrem kleinen weißen Kombi auf dem Antonin Poncet-Platz eine friedliche Versammlung organisiert wird. Als Bürger und Betroffen von der Gleichung Jugendlicher=Randalierer erscheint es uns wichtig, mit den Jugendlichen und den Gewerkschaftern in Ruhe demonstrieren zu gehen.

Das Aufgebot der Polizei ist beeindruckend, und schon in der Victor Hugo–“Straße erleben wir Straßensperren-Filter. Die CRS (Bereitschaftspolizei) lassen uns zu unserem großen Erstaunen ohne Kontrolle passieren. Wir sind also auf dem Bellecour-Platz.

Eine große Zahl von Menschen versucht auf den Antonin Poncet-Platz zu gelangen, wir haben die Begleiter im Auge: Die Interventionsgruppe der Staatspolizei GIPN ist anwesend und schwer bewaffnet. In einer Reihe aufgestellt CRS blockieren von allen Seiten den Platz, auf dem die Demonstration beginnen soll. Wir denken, es handele sich nur um eine vorübergehende Maßnahme.

Wir versuchen den Platz über die Straße de la Barre zu erreichen. Dort entdecken wir zwei Aufstandsbekämpfungs-Panzer mit Wasserwerfern, die am Eingang der Président Édouard Herriot-Straße und der Gasparin-Straße aufgestellt sind. Dort, wo die CRS den Zugang zur Demonstration absperren, heizt sich die Stimmung auf: erste Tränengasbomben werden auf die dicht zusammen stehenden Menschen auf dem Antonin Poncet-Platz und auf der anderen Seite der Demarkationslinie abgefeuert

Wir fragen daraufhin die CRS, die in eine Reihe in der Barre-Straße stehen, ob wir von diesem Platz weggehen dürfen. „Wir wollen keine Steine abkriegen, und auch kein Gas, wir wollen doch nur friedlich auf der anderen Seite der Straße demonstrieren.“ Die Antwort ist trocken: Der Sektor ist sowieso abgeriegelt, die Anweisungen sind klar: Niemand kommt raus. Uns wird dann noch gesagt, wir sollten ganz an das Ende des Platzes Richtung Saône-Fluss gehen, um weniger Gas abzubekommen; dort könnten wir „vielleicht“ hinaus.

Das gab es noch nie. Wir umrunden den Platz, alle Zugangsstraßen sind abgeriegelt, an jeder Sperre, wo wir bitten hinaus gelassen zu werden, ist die Antwort: Unmöglich. Aber wir sehen doch Menschen, die ohne Probleme durch die Sperren der CRS gehen. Das sind Leute über 25-30 Jahre; sie verlassen den Platz ohne Probleme. Es ist klar, dass die Anweisung besteht, die Jugendlichen zwar auf den Platz gehen, aber für unbestimmte Zeit nicht wieder hinaus zu lassen. Unsere Besorgnis wird von einem CRS bestärkt, der uns sagt: Auf jeden Fall „geht Ihr Jungen nicht vor 20 Uhr oder vor 21 Uhr hier weg, wenn das nötig ist“.

Jetzt warten wir schon seit 1 ½ Stunden. Keine Bewegung, als ob die Zeit angehalten wäre. Es scheint als sei das zentrale Kommando stumm, die CRS in einer kleinen Gruppe mitten auf dem Platz sind völlig entspannt, nehmen ihre Helme ab, rauchen und reden sogar mit den Jugendlichen. Der Hubschrauber der Gendarmerie (Einheit der Armee mit Polizeifunktion) kreist ständig mit einer Kamera über uns, fährt wieder und wieder über die Jugendlichen. Das Klima ist fast entspannt. Aber so wird das nicht lange bleiben: CRS-Gruppen drehen die Runde, gehen vorbei, überqueren den Bellecour-Platz, um die Jugendlichen „aufzuwecken“ –“ sind sie vielleicht zu ruhig? Zwei Polizisten der Kriminalitätsbekämpfungsbrigade BAC fahren seit einer guten halben Stunde mit dem Motorrad auf dem Platz herum.
Wir warten immer noch. Nach drei Stunden beginnt die polizeiliche Belästigung Früchte zu tragen. Die Jugendlichen, die zu Beginn ganz verstreut und ruhig waren, beginnen sich zu sammeln und fordern hinaus gehen zu können.

Die Jungen werden erwischt, als sie in der Menge in Bewegung sind; die Polizei, die weiter den Platz blockiert, schießt Tränengasgranaten auf die frisch formierte Gruppe. Vom Gas Getroffene werden mit Schlagstöcken malträtiert. Es ist unmöglich heraus zu kommen.

Und da verbreiten die Ordnungskräfte von den gepanzerten Aufruhrbekämpfungswagen eine irrwitzige Botschaft: „Achtung, Achtung! Wenn sie jetzt nicht auseinander gehen, müssen wir Gewalt anwenden.“ Wie sollen die Jugendlichen denn auseinandergehen, wenn alles blockiert ist?

Im gleichen Augenblick wurden wir an einer Sperre eingekeilt, wo wir zum vielleicht 10. Mal versuchten herauszukommen. Die Sicherheitskräfte geben das Signal zum Angriff und gießen die Soße auf unbewaffnete, völlig eingekreiste Jugendliche ohne jeden Schutz: Wasserwerfer, Tränengas in allen seinen Formen, Polizeiknüppel, Nebelgranaten, Knaller...

Nach dieser irrwitzigen Attacke wird uns befohlen, an einem –“ endlich! geöffneten –“ Ausgang Richtung Saône-Uferstraße zu begeben. Die Erniedrigung geht weiter: Ausweiskontrolle mit Polizisten, die alle Informationen über jede anwesende Person erfassen, Leibesvisitation, Photo. Außerdem ist die Presse da, um die Tagesaufnahme zu filmen. Wir werden geduzt, es fallen die unerlässlichen kleinen rassistischen Witze. Alle „Araber“ werden zum Photographen der RG, des zentralen Nachrichtendienstes geschickt. Wer keinen Ausweis bei sich hat (das ist in Frankreich keine Pflicht! –“ Anm. des Übersetzers), wird systematisch in Sicherheitsverwahrung genommen und in die Busse, die wir in der Ferne auf der Bonaparte-Brücke sehen, gesteckt.

So behandelt der französische Staat seine Jugend, er löst mit keinem Deut die Probleme der Unsicherheit in Frankreich. Dazu ist zu sagen, dass nur die Sender FR 3 Rhône Alpes und TLM von dem Ereignis wenn auch halbherzig berichtet haben. FR2, der öffentliche Sender erdreistete sich zu sagen, dass der Bellecour-Platz „den ganzen Nachmittag von Randalierern“ eingenommen war.

Ich glaube ich sehe nicht recht, von den Randalierern gab es nur ein paar wenige, der Rest wurde unter den Augen der laufenden Kameras blockiert, die mit ihren Bilder zur Desinformation der Regierung beitragen konnten.
Solche Methoden sind eines faschistischen Regimes würdig.

• Erniedrigung
• Willkürliche Gewalt
• Verletzung des Grundrechts auf Bewegungsfreiheit

Quelle: Übersetzung des Beitrages "La Rafle de Bellecour - Lyon, 21 octobre 2010" durch E.S.

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