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Prozess gegen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit während des NATO Gipfels in Baden-Baden und Strasbourg

Protest gegen den NATO Gipfel am 4. April 2009
Foto © Thomas Trueten - Umbruch Bildarchiv Berlin
Immer mehr soll das elementare Recht auf Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden. Bei jeder Versammlung wird die Liste der polizeilichen Auflagen länger. 10 und mehr -seitige Auflagenbeschlüsse sind keine Seltenheit mehr.

Aus dem Recht auf Versammlungsfreiheit soll offensichtlich das Recht auf ein staatlich kontrolliertes und gelenktes "Event" werden. Unabhängig davon, dass sich Freiheitsrechte - Versammlungsfreiheit und auch Meinungs- und Informationsfreiheit nicht verbieten lassen, soll dieser Tendenz auch juristisch Einhalt geboten werden.

Am Donnerstag, den 30. Juni 2011 geht es vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim um zwei der polizeilichen Auflagen anlässlich der Kundgebung des örtlichen Bündnisses in Baden-Baden am 2.4.2009 zu den "NATO-Feierlichkeiten" Anfang April in Baden-Baden und Strasbourg, Auflagen wie sie bei vielen Versammlungen von der Polizei auferlegt werden. So soll der Polizei eine Liste mit den Namen der OrdnerInnen überreicht werden. Außerdem sollte der Versammlungsleiter und die Ordner verpflichtet werden, der Polizei Verstöße gegen die Auflagen oder mögliche Straftaten der Versammlungsteilnehmenden mitzuteilen.

Aus dem Recht Ordner zu stellen wird so eine Verpflichtung Ordner zu stellen, die sogar noch der Polizei gemeldet werden müssen. Und der Versammlungsleiter und die Ordner sollen sogar noch als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft bzw. der Polizei verpflichtet werden. In dem von der alten baden-württembergischen Landesregierung geplante neuen baden-württembergischen Landes-Versammlungsgesetz sind etliche dieser Auflagen in Gesetzesform enthalten. Nach der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen das bayerische Landesversammlungsgesetz wurde das Landesversammlungsgesetz in Bayern weitgehend wieder zurückgenommen. In Baden-Württemberg werden aber Teile genau dieses Gesetzesentwurfs offensichtlich schon vorweggenommen.

Dazu schreibt der DGB Baden-Württemberg in einer Stellungnahme zum Entwurf für ein neues Versammlungsgesetz in Baden-Württemberg anlässlich eines Hearings von SPD und Grunen im baden-württembergischen Landtag im Dezember 2009 gegen das geplante Landesversammlungsgesetz, solche Auflagen seien eine unzulässige Einschränkung der Versammlungsfreiheit, die staastsfreie und unreglementierte Willensbildung durch Versammlungen werde verletzt. Es sei zu befürchten, dass sich Veranstaltern, wie auch dem DGB nicht genug OrdnerInnen zur Verfügung stellen, weil sie nicht mit ihrem Namen erfasst und gespeichert werden wollen.

Dadurch könne die Abhaltung der Versammlung gefährdet werden.

Der VGH Baden-Württemberg muss nun am 30.6.2011 in Mannheim über die Frage entscheiden, ob de Auflagenverfügung für die o.g. Kundgebung am 2.4.2009 rechtswidrig war, soweit sie

a) den Kläger verpflichten, die Personalien der Ordner bzw. des Verantwortlichen für den Lautsprecherwagen zu erfassen und der Polizei (auf Anfrage) vorzulegen,
b) den Kläger oder die Ordner verpflichten, die Polizei über Verstöße gegen versammlungsrechtliche oder strafrechtliche Bestimmungen, die vom Versammlungsleiter oder den Ordnern nicht unterbunden werden können, zu informieren.

Der Kläger rügt einen versammlungsfeindlichen Charakter der angegriffenen Auflagenverfügung. Diese Auflagen führen zu bürokratischer Gängelei und Kontrolle der Bürger und Bürgerinnen, die von der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit abschrecken.

Bei jeder Versammlung müsste folglich jede/r aktive Teilnehmer/in, der/die sich auch als Ordner zur Verfügung stellt damit rechnen, dass seine/ihre Teilnahme erfasst wird, ohne dass nachvollziehbare Gründe für eine solche Erfassung vorliegen. Der hierin liegende Nachteil erhält dadurch weiteres Gewicht, dass die erfassten Daten gespeichert werden (können).

Eine solche anlasslose Datenbevorratung, die allein an die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit und damit an das Gebrauchmachen von einem für die demokratische Meinungsbildung elementaren Grundrecht anknüpft, führt zu durchgreifenden Nachteilen. So auch in ständiger Rechtsprechung das Bundesverfassungs-gericht, zuletzt in seiner Eilentscheidung - 1 BvR 2492/08 - vom 17.2.2009.

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat in seiner Entscheidung vom 22.3.2010 die Auflagen als rechtmäßig bestätigt und die Zulassung der Berufung abgelehnt. Der VGH Baden-Württemberg hat die Berufung aber zugelassen, da sich erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des erstinstanzlichen Urteils ergeben.

Der rechtswidrigen Praxis der Versammlungsbehörden soll mit dem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim nunmehr möglichst der Boden entzogen werden. Insofern ist es hilfreich, wenn sich möglichst viele kurzfristig trotz des zeitlich ungünstigen Termins entschließen könnten, an der öffentlichen Verhandlung teilzunehmen.

Keine Einschränkung des elementaren Rechts auf Versammlungsfreiheit!

Donnerstag, 30.Juni 2011, 10.00 Uhr - Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim, Schubertstr.11, 1.OG, Sitzungssaal II

Quelle: Aktionskreis Internationalismus (AKI Karlsruhe) Kontakt: info@aki-karlsruhe.de

Siehe auch:
Versammlungsrecht –“ ein Jahr nach dem NATO Gipfel in Straßburg
2. April Strasbourg - Ruhe vor dem PolizeiSturm - "Bombenwetter in Strasbourg"
3. April Auf dem Weg zum Camp - Von wegen "ich bin mal eben auf dem Camp"
4. April Großdemonstration in Strasbourg - "Vor wem hatten die NATO Verteter eigentlich Fracksausen?"

Versammlungsgesetz: "... umfassendes Instrument zur willkürlichen Steuerung von Protesten unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen und ihrer Organisationen"

Ich dokumentiere hier meinen Einleitungsbeitrag zum Thema Versammlungsrecht in Baden- Württemberg, gehalten bei der Versammlung am 28.10.2008 im Stuttgarter Gewerkschaftshaus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,
seit Wochen bestimmt vor allem ein Thema die Medienwelt: Die internationale Finanzkrise. Eine halbe Billion Euro wurde mal kurz von der Bundesregierung bereitgestellt, um die Finanzkrise in den Griff zu bekommen. Und das,

• obwohl angeblich „kein Geld da ist“ und die Menschen in Deutschland es seit Jahren mit einem Sozialkahlschlag ohne Gleichen zu tun haben,
• obwohl oder besser gesagt, weil in Deutschland laut offiziellem Armutsbericht in Folge dessen inzwischen jeder 4. als „Arm“ gilt,
• obwohl die Gewinne der Unternehmen laut Daten des Statistischen Bundesamtes vom 22.02.2007 im Jahr 2007 um 13,96% auf offiziell 585,49 Milliarden € gegenüber einem Zuwachs von 0,71% auf Seiten der Löhne und Gehälter angestiegen sind. 1995 –“ 2004 kam es so zu einem Reallohnverlust von 0.9 % in Deutschland, was übrigens im Gegensatz zur Entwicklung in den meisten anderen europäischen Ländern steht. (Quelle)

Was passiert, wenn die Maßnahmen der Bundesregierung zur Regulierung der Finanzkrise nicht greifen? Was, wenn sich die Erkenntnis Bahn bricht, dass der Traum von einer Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung und die gegenwärtige realkapitalistischen Zustände sich nicht vereinbaren lassen und es keinen Ausweg aus der Misere für Einzelne gibt? Dass die Beteiligung an Kleinspekulationen kein Ausweg, keine Alternative für die früheren sozialen Errungenschaften ist? Was, wenn die Millionen Menschen, die im Vertrauen auf die Werbeversprechen ihr Erspartes auf die Bank getragen haben, erkennen, dass dies nicht ihre Krise ist, sie dieses Vertrauen endgültig verlieren und vor die Banken ziehen, um ihr Geld zurückzufordern?

Dann werden noch mehr Menschen als bisher Bekanntschaft mit dem nach den Plänen der Landesregierung ab 1.1.2009 geltenden Versammlungsrecht machen.

Bisher galt in allen Bundesländern ein einheitliches Versammlungsgesetz, doch durch die Föderalismusreform 2006 wurde das Gesetzgebungsrecht für Versammlungen vom Bund auf die Länder übertragen.

Nach Bayern und Baden –“ Württemberg hat bekanntlich kürzlich Niedersachsen als ein weiteres Bundesland angekündigt, sein Versammlungsrecht „anpassen“ zu wollen.

Die vorige Woche vom DGB vorgestellte Synopse, in der das bisher geltende Versammlungsrecht den geplanten Verschärfungen gegenübergestellt wird beweist, dass sich die Pläne der Regierung vor allem gegen zur erwartende Massenkämpfe richten. In unserem Einladungsbrief hatten wir dazu ein Beispiel aus München zitiert:

„Dort traten Angestellte eines Modegeschäftes in Streik. Um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen, wurden vor dem Geschäft sog. Streikposten aufgestellt, die in Flugblättern und mit selbst gefertigten Transparenten die Passanten über ihr Anliegen informierten. Nach den Feststellungen der Polizei, die vor Ort ermittelte und Fotos fertigte, nahmen ca. 15 Personen an der von ver.di organisierten Aktion teil. Zu Zwischenfällen kam es nicht. Der anwesende Staatsschutz bewertete die Streikposten als Versammlung im Sinne des VersG. Gegen den verantwortlichen Funktionär von ver.di wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung gem. § 26 Nr.2 VersG eingeleitet (113 Js 11159/08).
Nach den Vorschriften des BayVersG müsste die gewerkschaftliche Aktion 72 Stunden vorher angezeigt werden mit allen Einzelheiten, die neuerdings nach Art.13 erforderlich sind und ungeachtet der Tatsache, dass keinerlei Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von ihr ausgingen. Der vorgesehene Leiter müsste sich unter Abgabe seiner persönlichen Daten auf seine 'Geeignetheit' und 'Zuverlässigkeit' überprüfen lassen. Angesichts der Fülle der zu beachtenden Hürden - neuerdings auch schon bei bloß zwei Streikposten - ist voraussehbar, dass die Beschäftigten von der geplanten Aktion Abstand nehmen würden.
In der Gesamtheit der Neuregelungen ist nicht mehr abschätzbar, welchen Belastungen und Risiken sich derjenige aussetzt, der sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen will.“


Nun war dies ja eine kleinere Aktion. Sie macht neben den praktischen Folgen auch eines klar: In der europäischen Sozialcharta (Art.6 Ziff. 4) ist eine umfassende Streikgarantie festgelegt. Bereits im Februar 1998 hat das Ministerkomittee des Europarechts festgestellt, dass die Beschränkung von Streiks auf tarifliche Ziele nicht mit der europäischen Sozialcharta zu vereinbaren ist. Deutschland wurde wegen dieser Beschränkung gerügt. Das hierzulande ohnehin fehlende Recht auf politische Streiks wird durch die Pläne für das neue Versammlungsrecht weiter in Frage gestellt. Der §15 Absatz 3 behandelt das Thema der „Eilversammlungen“. Darunter fallen beispielsweise solche Versammlungen im Zusammenhang mit gewerkschaftlichen Streiks.

Wie sieht das zukünftig bei größeren Versammlungen in Baden –“ Württemberg aus?

Bei der der Demonstration anlässlich des europäischen Aktionstages gegen Sozialabbau am 3. April 2004 in Stuttgart waren dort 2.000 Ordnerinnen und Ordner aus Baden- Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Bayern und dem Saarland im Einsatz.

Ordner sind Bestandteil der Versammlung. Die Funktion von Ordnern ist, die Versammlungsleitung bei der Organisierung der Versammlung zu unterstützen. Die Entscheidung über ihren Einsatz darf daher nur bei der Versammlungsleitung liegen.

Der § 15 Absatz 6 verpflichtet den Veranstalter zur Nennung aller persönlichen Daten für die von ihm eingesetzten Ordnerinnen und Ordner. Die Behörden können Ordner ablehnen, die aus ihrer Sicht ungeeignet sind.

So wird bereits in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit eingegriffen. Bisherige Erfahrungen mit behördlichen Auflagen geben Grund zu der Befürchtung, dass damit Versammlungen unmöglich gemacht werden können. Das Kriterium der "Eignung" von Ordnern ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und bietet Raum für unzulässige Interpretationen.

Insbesondere bei Großdemonstrationen ist es darüber hinaus unmöglich, die persönlichen Daten aller Ordner zu erfassen und den Behörden mitzuteilen. Diese Daten dürfen behördlich gespeichert werden und so können Veranstalter durchaus in die Situation dass sich niemand als Ordner zur Verfügung stellt, weil niemand mit seinem Namen in Verbindung mit der Teilnahme der Versammlung gebracht werden will bzw.man den Versprechungen, ihre Daten würden wieder gelöscht, egal ob zu Recht oder zu Unrecht, keinen Glauben schenkt.

Ohne Ordner keine Versammlung, und so würde der Veranstalter, sofern er keine Ordner stellt, zumindest eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 15 Absatz 6 begehen. Wer setzt sich diesem Risiko aus? Schon alleine damit wird deutlich, dass es in dem Gesetz nicht darum geht, Menschen zur Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte zu ermuntern, sondern im Gegenteil alle bürokratischen Register gezogen werden, um sie daran zu hindern.

Der neu eingeführte Begriff Militanzverbot und das Verbot des Tragens gleichartiger Kleidungsstücke geben der Polizei die Handhabe, gegen Versammlungen vorzugehen, wenn diese den Eindruck der Gewaltbereitschaft vermitteln. Die Vermittlung des Eindrucks der Gewaltbereitschaft und Einschüchterung sind allerdings subjektive Begriffe, die einer willkürlichen Auslegung Tür und Tor öffnen.

In der Gesetzesbegründung ist aufgeführt, dass entsprechende Kleidung unzulässig ist, auch wenn sie keine paramilitärische Merkmale aufweist, aber einen einschüchternden, den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelnden und den öffentlichen Frieden störende Wirkung haben kann.

Die DGB Synopse stellt zu Recht fest, daß es schwerfällt, einen Begriff im Gesetz zu akzeptieren, der von der Auslegung und der jeweiligen politischen Vorprägung der im Einsatz befindlichen Beamten anheim gegeben ist:

(...) Die im Zusammenhang mit Streiks eingesetzten Streikposten sind dem Sinne nach zwar keine gewalttätigen Maßnahmen, können aber durchaus eine einschüchternde Wirkung haben. Zum Beispiel auf Streikbrecher, oder bestreikte Unternehmer ... Das Tragen roter Kappen oder Helme, Streikwesten oder T-Shirts kann unter das Militanzverbot fallen.“

Nun behauptet die Regierung weiter, dass die geplanten Maßnahmen zum Zwecke der Eindämmung faschistischer Aufmärsche dienen sollen.

Gerade in Baden –“ Württemberg hinterlässt das allerdings schon mehr als ein „Gschmäckle“, wurden hier doch bis vor kurzem Jugendliche, die ein durchgestrichenes Hakenkreuz als Zeichen der Ablehnung des Faschismus getragen haben, kriminalisiert.

Ich frage mich, warum - wenn dies wirklich beabsichtigt wäre - dann nicht über ein generelles Verbot von Versammlungen mit rassistischem, diskriminierendem, kriegsbefürwortendem, faschistischem Inhalt diskutiert wird. In dem Falle könnte auch der neue Paragraph 130 Strafgesetzbuch angewendet werden, nachdem schwer bestraft wird, "wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt."

Darum geht es jedoch in dem Entwurf nicht, der statt dessen die "Störung von Versammlungen", deren Behinderung oder den Aufruf dazu verbietet. Die kürzlich von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, VVN erstellte Stellungnahme resümiert daher:

Dieser Entwurf eines Versammlungsgesetzes wird weder dem Anliegen gerecht, faschistische Betätigung zu begrenzen, noch modernisiert, verbessert oder erleichtert er Versammlungen im Sinne des Grundgesetzes.

Im Gegenteil: Dieses Versammlungsgesetz schränkt ein ohnehin schon beschränktes Grundrecht weiter ein, belegt Veranstalter mit bürokratischen Schikanen, unterwirft VersammlungsteilnehmerInnen zusätzlicher polizeilicher Kontrolle und Sanktionsmöglichkeiten. Er behindert Protest gegen Naziaufmärsche.

Statt demokratische Betätigung, Diskussion und Meinungsbildung zu unterstützen stellt dieses Gesetz jeden Bürger, der bereit ist sich öffentlich an den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu beteiligen unter den misstrauischen Verdacht, ein Störer der öffentlichen Ordnung zu sein. Mit diesem Gesetz kann Demokratie nicht gelebt werden. Es erstickt sie!“


Im kommenden Frühjahr steht Baden –“ Württemberg im Vorfeld des in Baden-Baden und Straßburg stattfindenen NATO Gipfels 2009 der in der Geschichte des Landes bislang größte Polizeieinsatz bevor: 15.000 Polizisten werden angekarrt, angeblich um die Gipfelteilnehmer gegen 600 angeblich gewaltbereite schwäbische „Linksradikale“, die –“ wie unser Innenminister schon weiss - durch 6.300 weitere bundesweit bekannte sowie von 3500 internationalen „Extremisten“ unterstützt werden, zu "schützen".

Abgesehen davon, daß allein durch die Wortwahl von vorne herein jeder, der sich für Frieden und die Machenschaften der NATO einsetzt, verteufelt wird, sollen die Veranstalter der Proteste in Zukunft verpflichtet werden „geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass aus der Versammlung heraus Gewalttätigkeiten begangen werden. Geeignete Maßnahmen können insbesondere der Aufruf zu Gewaltfreiheit und die Distanzierung von gewaltbereiten Anhängern sein. Vermag die Person, die die Versammlung leitet, sich nicht durchzusetzen, ist sie verpflichtet, die Versammlung für beendet zu erklären.“ So sollen Versammlungsleiter in die Rolle von Hilfspolizisten gezwungen und eine Spaltung entlang der Frage der Protestformen vorangetrieben werden.

Darüber hinaus ist es damit zukünftig einfach, eine Versammlung zu beenden, indem beispielsweise Störer in den Reihen der Demonstranten platziert werden. Diese Praxis machte bekanntlich nicht nur in Heiligendamm von sich reden...

Zusammenfassend: Bei den Gesetzesvorhaben handelt es sich also offensichtlich darum, angesichts der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ein umfassendes Instrument zur willkürlichen Steuerung von Protesten unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen und ihrer Organisationen zu schaffen. Rolf Gössner, Vize-Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte fasst das zusammen: „Wir erleben eine fatale Entgrenzung staatlicher Gewalten. Wir befinden uns auf dem Weg in einen präventiven und autoritären Sicherheitsstaat.“ An dieser Stelle fehlt leider die Zeit, auf weitere Angriffe auf bürgerlich demokratische Rechte und Freiheiten einzugehen, die in Zusammenhang mit dem Kampf gegen den „Terrorismus“ ins Feld geführt werden, als da wären: Vorratsdatenspeicherung, BKA-Gesetz, die gegenwärtigen Prozesse auf Grundlage der Paragraphen 129, 129a und 129b in Stuttgart - Stammheim, die Diskussion um den Bundeswehreinsatz im Inneren, biometrische Ausweise,  usw. usf..

Wir sollten uns jedoch nicht der Illusion hingeben, die aktuellen Gesetzesvorhaben seien das Ende der Wunschliste.

Im November 2009 wollen die europäischen Innenminister den neuen 5-Jahresplan für die "Innere Sicherheit" der EU beschließen. Zum dritten Mal (nach dem "Tampere-Programm 1999 und dem "Haager Programm" 2004) wird damit eine derartige Richtlinie europäischer Innenpolitik verabschiedet.


In den letzten Programmen wurden genau die eben erwähnten Maßnahmen standardisiert, mit den wir es aktuell zu tun haben. Aber auch neue, gemeinsame Verschärfungen wurden dort verabredet; etwa die Einrichtung der "Grenzschutzagentur" Frontex, gemeinsame Forschungsprogramme zum Einsatz von Drohnen und Satelliten, Systeme zur "Interoperabilität" (Zusammenarbeit) von Datenbanken etc.
In einer Wunschliste für den neuen 5-Jahresplan haben die Innenminister nachgelegt und fordern vor allem im Bereich Migrationsabwehr/ Border Management sowie der extensiven Nutzung von Datenbeständen ("Daten-Tsunami") einschneidende Veränderungen. Ebenfalls auf Agenda steht die fortschreitende Verzahnung von Polizei und Militär, wie sie z.B. in der Sicherheitsforschung, aber auch Auslandseinsätzen der Polizeitruppe EUROGENDFOR praktiziert wird.

Dadurch steht im Grunde nicht nur der Kampf für den Erhalt des bisherigen Versammlungsrechtes auf der Tagesordnung –“ was für sich genommen bereits ein Erfolg wäre –“ sondern auch für die Aufhebung der zahlreichen Verschärfungen, die in den letzten Jahren bereits eingeleitet bzw. vorgenommen wurden und die Erweiterung der politischen Rechte der Bevölkerung. Welch breite Kreise sich betroffen sehen, zeigt sich an dem Zuspruch, den wir für unser heutiges Treffen bekommen haben, sei es per Mail, Anruf oder durch Teilnahme: Von Vertretern der Arbeitsgemeinschaft katholischer Organisationen und Verbände Diözese Rottenburg-Stuttgart, von Attac, der Humanistischen Union, Gewerkschaftern, Vertretern linker Parteien, AK Vorratsdatenspeicherung und mehr. Es steht an uns alle die Herausforderung und die Möglichkeit, trotz der kurzen Zeit einen breiten Protest auf die Beine zu stellen.


Es gilt das gesprochene Wort.

Siehe auch:
Interview mit der "jungen Welt"
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