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Was mir heute wichtig erscheint #387

Jahrestag: Dieses Wochenende vor 50 Jahren fand der Marsch von Selma nach Montgomery statt. "Die Selma-nach-Montgomery-Märsche waren drei Märsche im Jahr 1965, die den politischen und gefühlsmäßigen Höhepunkt der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung (Civil rights movement) markierten. Sie waren die Zuspitzung im Kampf für Wahlrechte nach dem Civil Rights Act von 1964 in Selma, Alabama, der von Amelia Boynton und ihrem Ehemann gestartet wurde. Boynton brachte viele Führer des „African-American Civil Rights Movement“ nach Selma, darunter James Bevel, der als Erster zum Marsch aufrief, Martin Luther King Jr. und Hosea Williams. (...)" (WikiPedia) Aus dem Anlass hat DemocracyNow! einige Interviews mit Rep. John Lewis, einem der damaligen Organisatoren und Ava DuVernay, der Regisseurin des Oscar nominierten Films "Selma" veröffentlicht.

Beleidigung: "(...) Rene Vissè (77), ein französischer kommunistischer Politiker aus den Ardennen, ist empört: „Der Name beleidigt die Toten“, zitierte ihn die regionale Tageszeitung L–˜Union am 22. August 2014. Und René Vissé schrieb an den französischen Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian, denn „der Skandal dauert schon viel zu lange.“ (...) Der Deutsche Bundeswehrverband DBwV betreibt seit über 25 Jahren die Karl-Theodor-Molinari-Stiftung als Bildungswerk. Über den Namensgeber teilt der DBwV mit, dass er Generalmajor der Bundeswehr und der erste Bundesvorsitzende des Verbandes war. Dass Molinari im Juni 1944 als Kommandeur eines Panzerregiments in einem Wald nahe Les Hauts Buttés in den Ardennen 106 französische Resistance-Kämpfer erschießen ließ und deswegen 1951 in Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde, erwähnt beim DBwV niemand. (...)" Mehr bei der VVN-BdA NRW

Aufpoliert: "Die deutsche Militärpolitik leidet an zwei Problemen: Ihr fehlt es an Rückhalt in der Bevölkerung und an jungen Leuten in der Bundeswehr. Letzteres scheint sich gerade geändert zu haben. Denn es war ein großer Erfolg, den Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Ende Januar verkündete: Es gebe aktuell rund 11.000 freiwillig Wehrdienstleistende - dies sei laut der Ministerin "der höchste Stand seit Jahren". Die Tagesschau titelte auf ihrer Website dementsprechend einen Freiwilligenrekord bei der Bundeswehr - auch andere Medien griffen die Meldung positiv auf. (...)" Michael von Schulze Glaßer über das Bemühen der Bundeswehr, aus ihrer in großen Teilen der Bevölkerung doch relativ isolierten Position herauszukommen.

Essenziell: "Wir leben alle zusammen in einer Gesellschaft. Die Grundlage eines guten Zusammenlebens können aber nur gleiche Rechte für alle sein. Das sind die Menschenrechte. BürgerInnen haben diese Rechte aber wir Non-citizens (NichtbürgerInnen, Geflüchtete) haben sie nicht. (...)" Erklärung der Flüchtlinge vom Theaterplatz in Dresden.

Tagwerk: "Eine neue Protestgeneration ist erwacht. Es ist der alte Kampf David gegen Goliath, aber die Methoden haben sich gewandelt: Moderne Aktivisten organisieren sich weltweit in sozialen Netzwerken. Ihre Aktionen sind unkonventionell –“ aber vor allem gewaltfrei und überraschend kreativ. Mit: Occupy, Femen, The Yes Men, Indignados 15-M, Everything is OK und vielen anderen mehr." Doku auf arte.

Zweifelhaft: "Fast eineinhalb Jahre lang war der Tod eines wichtigen Zeugen im NSU-VS-Komplex, der sich acht Stunden vor seiner polizeilichen Befragung selbst verbrannt haben soll, kaum eine überregionale Meldung wert.(...)" Wolf Wetzel in der Tageszeitung Junge Welt über eine fragwürdige Polizeiversion zu den Hintergründen des Todes eines Zeugen im NSU Verfahren.

Nutztiere: "Man darf Tiere laut Tierschutzgesetz nicht betäubungslos verstümmeln, kastrieren oder manipulieren –“ außer in all jenen Fällen, wo dies in der Landwirtschaft üblich ist. Einem Hund oder einer Katze dürfte man so etwas nicht antun, „landwirtschaftlichen Nutztieren“ aber sehr wohl: nicht weil es diesen weniger Schmerzen bereitet, sondern eben aus rein wirtschaftlichen Gründen." Kolumne von Hilal Sezgin in der taz .

Schlaglichter: "Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung haben die niedersächsischen Gedenkstätten einen Internet-Blog erarbeitet, der seit dem 27. Februar täglich bis zum 8. Mai Ereignisse vorstellt, die sich vor genau 70 Jahren in Nordwestdeutschland ereignet haben. Mit prägnanten Texten und vielen historischen Quellen aus in- und ausländischen Archiven werfen die Beiträge exemplarisch Schlaglichter auf Verbrechen, die Angehörige von SS, Gestapo, Polizei, Wehrmacht und Volkssturm, aber auch Zivilisten in den letzten Tagen des Krieges begangen. Zudem schildern sie die Situation der Häftlinge und Gefangenen in den Lagern und anderen Haftstätten kurz vor und nach ihrer Befreiung." Zum Blog der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

Harmlos: Was war das für ein Theater, als die GDL für ihre Forderung streikte. Manche wähnten sich mitten im Untergang des Abendlandes. Das geht völlig an den Tatsachen vorbei, denn die Zahl der Streiktage in Deutschland sank erneut.

Tabubruch: Wenn im Baltikum und der Ukraine Nazi-Kollaborateure verehrt werden, mischt sich die Bundesregierung nicht ein. Das Neue Deutschland über Die Freiheitshelden von der Waffen-SS

Wahlrechtsentscheid: Dalli, Dalli, Deckelschnecke...

Stimmabgabe an der Wahlurne
Foto: Alexander Hauk / WikiPedia
Der Koalition in Berlin ist es gelungen, die Verfassungsrichter in Karlsruhe mal richtig wütend zu machen. Bisher war das Gericht zwar oft unzufrieden. Begnügte sich aber in der Regel mit Besserungsvorschlägen und Übergangsfristen. Dieses Mal hat das Gericht etwas Seltenes und recht Neues getan. Es hat das von CDU und FDP im Doppel durchgeboxte "verbesserte" Wahlrecht strikt zerrissen. Für ungültig erklärt. Demnach darf zwischen heute und Herbst 2013 nichts mehr Entscheidendes passieren. Zum Beispiel kein endgültiger Hinauswurf von Rösler und seinesgleichen aus der Regierung. Weil dann nämlich kein Neustart möglich wäre. Kein gültiges Wahlrecht mehr zur Verfügung.

Viele Kommentare haben wieder einmal das Wort von der Ohrfeige für die Koalition gebraucht. Das leitet irre. Es handelt sich genaugenommen um einen mächtigen Arschtritt - Richtung vorwärts - für eine verstockte Gruppe von Wesen, die sich in einem Schneckenhaus verkrochen. Nur um nicht aufgeschreckt zu werden. Nur um ihre geliebten Überhangmandate nicht zu gefährden. Was man hat, das hat man. Nicht wahr.

Das Peinliche: Alles was das Gericht jetzt geäußert hat, sagte es schon 2008. Beim letzten Mal. Schon damals war ungefähr allen außerhalb der CDU und FDP aufgefallen, dass die Einrichtung der Überhangmandate zu Verschiebungen in der Zusammensetzung des Bundestags führen musste, die kein Wähler mehr als von ihm gewollt auch nur einschätzen konnte.

Damit war auch damals schon sicher, dass die Abkapselung der herrschenden Partei von allem, was es außerhalb ihrer gab, unmittelbar wählerfeindlich - und demnach demokratiefeindlich war.

Wir haben bekanntlich ein gemischtes Wahlsystem. Das reine Prinzip - wie zum Beispiel in England: Ein Wahlkreis - Eine Stimme - Ein einziger Abgeordneter wurde schon nach der alten Tradition in Deutschland als ungerecht abgelehnt. Weil damit kleine Parteien keine Chancen bekommen. Nicht einmal solche des Einstiegs zu späterem Wachstum.

Andererseits wurde 1949 und danach viel Schrecken verbreitet über die Folgen eines reinen Verhältniswahlrechts wie in der Weimarer Republik. Angeblich soll Hitler hochgekommen sein, weil es so viel kleine Parteien und entsprechend viel Meinungen im Reichstag gab. Dass die Schreckenslegende nicht stimmt, ist längst bekannt. Änderte aber nichts an mehreren Vorsichtsmaßnahmen gegen die Kleinen, um "Regierungsfähigkeit" zu garantieren. Also wurde nachträglich die Fünf-Prozent-Klausel eingeführt - zur Mutlosmachung der Wählerinnen und Wähler von "Radikalen". Und die großen Parteien wurden offen begünstigt.

Immerhin war mit diesen Regelungen noch relative Klarheit geschaffen über die Auswirkungen jeder einzelnen Stimmabgabe bei der Wahl. Die Einzelheiten der Aussage des Gerichts müssen nun nicht so sehr interessieren - warum zum Beispiel wurden immer noch 15 Überhangmandate zugelassen, statt diese Monster endgültig abzuräumen? Wichtig ist nur das augenscheinliche Beispiel des zunehmenden Zerfalls des Zusammenspiels der verschiedenen staatlichen Einrichtungen, wie das Modell der wechselseitigen Kontrolle von Montesquieu sie vorgesehen hatte. Es klappt nichts mehr. Sind wir noch weit vom rumänischen Modell, in dem der aktuelle Regierungschef von einem Tag zum andern dem Verfassungsgericht seine Eingreifmöglichkeiten entzieht? Und doch wirkt auch dort alles so "normal". Es ist nirgends Militär eingerückt, die Parlamentarier entäußern sich im gewöhnlichen Geräusch - nur: von Demokratie im herkömmlichen Sinn kann keine Rede mehr sein.

Dürfen alle gespannt sein, wie die herrschenden Parteien die Zeit bis zu den Herbstwahlen 2013 nutzen, um wenigstens nach außen den Glanz der Vorbild-Demokratie Europas zu retten.

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