Strasbourg, 04.04.2009: Vor wem hatten die NATO Verteter eigentlich Fracksausen?
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Aber ich will nicht vorgreifen. Wie bereits vorab befürchtet, war die Strasbourger Altstadt für potentielle Demoteilnehmer egal welchen Alters suspekt aussehende Menschen gesperrt. Um zur Europabrücke zu kommen, war so für viele Auswärtige stundenlanges Pflastertreten angesagt gewesen, d.h. um die Altstadt herum, der kostenlose öffentliche Nahverkehr war wie gestern eingestellt. Demonstrationen und Proteste sollten offenbar wiederum erschwert werden, während bei den Berichten gestern im Fernsehen reihenweise handverlesene TeilnehmerInnen der Obamajubelfeiern öffentlich bekunden durften, daß sie beim Überflug seines Hubschraubers feuchte Höschen bekommen hatten.
Obama durften dann ja auch heute 1000de SchülerInnen im Strasbourger Münster lauschen. Propaganda oder menschlicher Schutzschild?
Wie auch immer. Nach mehrstündige Anreise zum Abmarschort fanden wir diesen von starken Polizeikräften abgeriegelt. Der Marsch zur Europabrücke, um sich wie geplant mit den Ostermarschierern aus Baden - Württemberg zu vereinen, wurde von der Polizei vereitelt.
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Nachdem der Marsch Richtung Europabrücke erst durch stundenlange Proteste und Aktionen von zahlreichen Teilnehmern der Demonstrationen, darunter einigen aus dem "schwarzen Block", von Migrantenorganisationen uvm. gegen die Polizei ermöglicht wurde, war ein Zusammenkommen mit den Ostermarschierern nicht möglich. Die Polizei argumentierte mit einer angeblichen "Gefahr für die Demoteilnehmer" durch eine brennende ehemalige Grenzstation die jedoch einges neben der Demoroute lag.
Zur Bilderserie Bestimmt kilometer weit zu sehen und morgen ein Topfoto der Heuchelpresse
Trotz Engagement der Koordinatoren der Demonstration und der Delegation des Ostermarsches blieb die Polizeiführung stur, der Ostermarsch darf nicht nach Strasbourg rüber...
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Ein Teil der Demoteilnehmer hatte sich auf den Kundgebungsplatz, der ebenfalls in der Hafenregion lag, zurückgezogen, die Polizei nahm Angriffe auf eine Tankstelle, ein IBIS Hotel und eine TGV Infostation zum Anlaß, den Kundgebungsplatz anzugreifen.
Daraufhin wurde versucht, in die Innenstadt zu gelangen. Während viele Menschen einfach nur noch weg wollten, fuhr deutsche Polizei mitten durch die zurückstömende Menge. Einige Bekloppte meinten, die zwischen der Menge durchfahrenden Polizeifahrzeuge mit Steinen attackieren zu müssen und brachten dadurch Teilnehmer der Demonstration in Gefahr.
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Der Versuch, über eine andere Brücke Richtung Innenstadt zu kommen wurde von der Polizei, die sich hinter Stahlschutzwänden auf der Brücke postiert hatte und von dort geschützt auf die Masse der Demonstranten mit Schockgranaten, Tränengas und Gummigeschossen feuerte, vereitelt.
Der einzige scheinbare Ausweg, eine Schleife zurück in die Nähe des inzwischen lichterloh brennenden Hotels wurde knapp davor von der Polizei versperrt. Von hinten wurde der Demonstrationszug von nachrückender Polizei mit Schockgranaten und Tränengas bedrängt.
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Vorne, Richtung des Hotels, dessen Flammen inzwischen auf ein Wohnhaus übergegriffen hatte, verweigerte die Polizei den Abzug der Demonstration. Viele Teilnehmer wollten inzwischen nur noch weg, zumal es keine Einigkeit zwischen pazifistischen Teilnehmern, einigen Militanten und anderen sowie Kollegen der CGT über das weitere Vorgehen gab. Die Polizei jedenfalls ließ nicht die Demonstration abziehen oder sich auflösen sondern behielt den Kessel bei.
Zu dem Zeitpunkt war ein koordiniertes Vorgehen nicht mehr möglich, was von der Polizei genutzt wurde, die Demonstration vor der Bahnunterführung in mehrere kleinere Gruppen zu spalten. Methode: Gas- und Schockgranaten mitten unter die einheitlich betroffenen Demonstranten zu ballern. Dabei gab es mehrere Verletzte unter den Demoteilnehmern.
Nach stundenlanger Odyssee im "autonomen" Strasbourger Hafen standen die Demoteilnehmer wieder vor den abgeriegelten Brücken. Die Polizei hielt dicht, gab weder denen, die ins Camp zurückwollten, die Möglichkeit abzuziehen, noch denen, die in Strasbourg wohnten.
Wir konnten uns dann mit Hilfe freundlicher Anwohner durch eine Kleingartenanlage mit einer größeren Anzahl anderer verdrücken. Gegen 19 Uhr wurden dann die Brückenblockaden durch die Polizei nach und nach abgebaut.
Mein persönliches Fazit: Es gelang einer großen Menge Menschen - ich würde die Zahl auf weit über 10.000 schätzen, mit den unterschiedlichsten politischen Vorstellungen und Richtungen gegen die NATO Selbstfeiern auf die Straße zu gehen und einen bunten Protest zu organisieren. Die NATO ließ diesen Protest nicht zu und hat ihn auf taktisch komplizierten Gelände mit äußerst repressiven Maßnahmen zerschlagen. Das Konzept der französischen Polizei, die ihre deutschen Kollegen zur Unterstützung und Erfahrungsaustausch dabei hatte, hat ein Konzept gefahren, das der Aufstandsbekämpfung gleichkommt. Aus der Ferne und rigoros wurde jede Regung zusammengeschossen. Daß es meiner Kenntnis nach dabei keine Toten gab, grenzt für mich an ein Wunder. Die Bilder sind vergleichbar gewesen mit denen, die man aus Palästina, Kurdistan oder dem früheren Irland kennt.
Sie haben damit eine demokratische Regung niedergekämpft, die aus dieser Erfahrung schöpfen muss für weitere Proteste, die kommen werden und müssen. Ein wesentliches Moment liegt darin, zukünftig gerade die Menschen vor Ort in den den armen Vororten, den Banlieus zu mobilisieren, die bei den heutigen Protesten zwar beteiligt, aber unterrepräsentiert waren. Politisch muss mehr der Zusammenhang zwischen der aggresiven Kriegspolitik der NATO im Ausland, die damit zusammenhängende Repression im Inland sowie die zugrundeliegende Erhaltung der Herrschaft des kapitalistischen Ausbeutersystems betont werden.
Ob aus der Demonstration heute eine Stärkung der Protestbewegung gegen die NATO und den imperialistischen Krieg oder sie eher zu einer Schwächung führt, wird wesentlich vor deren Verarbeitung abhängen. Die NATO hat heute nicht ihre Stärke demonstriert, sondern ihre Furcht vor der Ablehnung durch immer mehr Menschen, die von der durch den Krieg am Hindukusch und sonstwo die Nase voll haben. Die strahlenden Gesichter der Politiker können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die NATO weder für die Interessen der Mehrheit der Menschen hier noch in den Ländern kämpft, in denen sie in unserem Namen Krieg führt.
Tausende Menschen machten heute ihre ganz persönliche Erfahrung mit dem Staatsapparat. Eine Viertelmillion Strasburger erlebte die Belagerung ihrer Stadt durch NATO und Polizei. Tausende Osterurlauber in der Region wurden ungefragt behindert.
Die Koordination der Demonstration war dem repressiven Konzept der Polizei nicht gewachsen. Aber wer denkt auch an so was, wo wir doch in einer Demokratie leben...
Comments
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KleinAlex on :
Ernesto on :
Thomas Trueten on :
Ernesto on :
Franz on :
wie diese "Strategie" spalten muß, siehe (alles noch vor dem Samstag!): http://linksunten.indymedia.org/de/node/2571
Bestimmte Figuren die ich erlebte, erschienen mir alles andere als spontan, sondern organisiert gewaltsam ohne die geringste Rücksicht auf andere Teilnehmer. Die Polizei kann genüsslich alle in einen Topf werfen und verwurschten.
Das wird leider die Bündnisarbeit nicht leichter machen - ohne eine klare Aussage dazu möchte ich in Zukunft nicht agieren - und viele drücken sich davor oder wie man das nennen soll.
Marsupio on :
die Krawalle und das Vorgehen der Polizei mit Irland oder Palästina zu vergleichen ist ja wohl hanebüchen. Dort wurde scharf geschossen es war Militär im Einsatz und es gab Tote...
Ich war den ganzen Samstag ab Mittag bis 18 Uhr vor Ort, die Polizei hat schon wahllos Tränengas und Schockgranaten in dei Menge geschossen, ich will deren Verhalten nicht entschuldigen, aber sie hat keine Schusswaffen oder Scharfschützen eingesetzt
Also bitte vergleichen, was vergleichbar ist!!!
Marsupio
So
Thomas Trueten on :
ich gebe zu, der Vergleich ist provokativ. Das war durchaus beabichtigt. Jedoch nicht, um die Situation in die Situation in Nordirland oder Palästina zu verharmlosen oder zu relativieren.
Die Demonstration in Strasbourg läßt sich durchaus mit Demonstrationen in Nordirland oder Palästina vergleichen, bei denen es nicht jedesmal Tote gab.
In Strasbourg handelte es sich unbestreitbar um Bürgerkriegszustände, es gab mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizei sowie Militär im Einsatz. Bei der ersten Kontrolle, in die ich am 3.4. geriet wurde ich mit dem Gesicht voraus und den Händen nach oben an die Wand gestellt. Und das, obwohl ich weder vom Alter noch vom Outfit her wie ein Autonomer / Islamistischer Straftäter aussah und mich mit Presseausweis auswies.
Kannst Du Dich noch an die "BILD" Schlagzeile zu Heiligendamm erinnern?
Es stellt sich die Frage, ob es erst Tote geben muss, was ich angesichts des Aufgebots der Polizei und deren rücksichtslosen Attacken auf zum größten Teil wehrlose und friedliche Demonstranten für durchaus nicht abwegig halte.
Du warst ja wie wir an der Eisenbahnunterführung an der Rue Coleaux. Als die Polizei dort in die Menge mit CS Gas / Schogranaten schoss rannte die Menge in Panik beispielsweise den Zaun des Hauses ein. Zuvor kam es dort bereits zum Zusammenbruch einer Frau mittleren Alters. Dieser Fall war einer von mehreren Verletzen, die wir in den Tagen sahen.
Die Taktik der Polizei wird in dem Beitrag als die der Aufstandsbekämpfung gekennzeichnet, nichts anderes ist es, wenn schwer bewaffnete Polizisten Demonstranten gegenüberstehen und Militär ausdrücklich bereit steht.
Die kolportierte "Terrorgefahr" hätte wohl kaum einen Durchbruch an einer der Brücken versucht, als vielmehr sich monatelang im Voraus irgendwo einquartiert und dann in der Innenstadt auf den für sie "richtigen Moment" zu warten.