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Keine Milliarden für die nukleare Aufrüstung

Kampagnenlogo Büchel AtomwaffenfreiDie deutsche Bundesregierung ist fest entschlossen, in den nächsten Jahren mehr als zehn Milliarden Euro für den Erwerb von 35 Flugzeugen des Typs »F-35« auszugeben. Die F-35 soll den Tornado als deutschen Atombomber ablösen.

Bundeskanzler Scholz bestätigte kürzlich, er wolle noch dieses Jahr einen entsprechenden Vertrag mit der Herstellerfirma Lockheed Martin (USA) unterzeichnen. Der Kaufpreis soll aus dem 100 Mrd. Euro umfassenden »Sondervermögen Bundeswehr« bestritten werden, das im Juni 2022 vom Bundestag genehmigt wurde. Das entsprechende Gesetz 1 sieht vor, dass für Verträge, die 25 Mio. Euro überschreiten, die Zustimmung des Haushaltsausschusses erforderlich ist. Dieser soll am Mittwoch, 14. Dezember 2022, die erste Tranche des F-35-Deals absegnen. In jüngsten Medienberichten wurde festgestellt, dass die Anschaffung „offenbar mit erheblichen zeitlichen und finanziellen Risiken behaftet“ sei 2 und im Verteidigungsministerium und dem Haushaltsausschuss deshalb hektisch getagt werde.

Die wirklichen Risiken des F-35-Kaufs liegen aber weder in einer zeitlichen Verzögerung noch in einer möglichen Kostenexplosion, sondern im geplanten Einsatz als Atombomber.

• Im Ernstfall werden die Kampfjets geflogen von Pilot*innen der Bundeswehr Atombomben ins Ziel tragen. Im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Bundesrepublik werden auf dem Fliegerhorst Büchel etwa 15 Bomben des Typs B61 für solche Einsätze vorgehalten; ab kommendem Jahr werden dies lenkbare und damit zielgenaue Bomben des Typs B61-12 sein. Deren Sprengkraft beträgt 0,3-50 Kilotonnen –“ und damit bis zum fast Vierfachen der Hiroshimabombe. Ein völkerrechtskonformer Einsatz einer solchen Waffe (z.B. keine Gefährdung von Zivilist*innen und keine langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt) ist ausgeschlossen. Vielmehr würden die Bomben katastrophale humanitäre Auswirkungen haben.
• Bei der F-35 handelt es sich um einen Tarnkappenbomber der neuesten Generation. Das unbemerkte Eindringen eines Tarnkappenjets in den gegnerischen Luftraum erhöht nicht nur die Erst- und Zweitschlagfähigkeit, sondern führt beim Gegner in Krisenzeiten zu einer deutlich erhöhten Bedrohungswahrnehmung, da er –“ anders als beim Anflug einer mit Frühwarnsystemen deutlich erkennbaren ballistischen Rakete –“ über einen bevorstehenden Angriff im Unklaren ist. Damit erhöht sich auch das Risiko einer nuklearen Eskalation.

Die Kampagne »Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt« fordert den Haushaltsausschuss dringend auf, dem Kauf der F-35-Atombomber nicht zuzustimmen. Anstatt die nukleare Teilhabe - die gegen den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag verstößt - auf Jahrzehnte hinaus zu zementieren, sollte sich die deutsche Regierung auf die völkerrechtliche Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung besinnen und dem »Vertrag über das Verbot von Kernwaffen» beitreten.

Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ und zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung, in Kraft getreten am 1. Juli 2022; BGBl. I S. 1030; dort in §4, Absatz 3.
Krisensitzung im Verteidigungsministerium wegen Anschaffung von US-Tarnkappenjets

Quelle: Pressemitteilung 12.12.2022

Keine Einzelfälle. Wie der Staat mit rechten Soldat:*innen und ihren Netzwerken umgeht

Cover der Broschüre mit einem Bundeswehrsoldaten von hintenSpätestens seit der Rede von der Zeitenwende und der grassierenden Aufrüstungsstimmung schien das Thema der rechten Netzwerke in der Bundeswehr in Vergessenheit geraten zu sein. Wir sind dran geblieben.
Die aktuellen Razzien gegen zum Staatsstreich bereite Reichsbürger zeigen jetzt erneut, dass wir gar nicht genau genug hinschauen können.
Die Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI) veröffentlichte heute eine Broschüre VON Martin Kirsch, Luca Heyer und Alexander Kleiß unter dem Titel "Keine Einzelfälle! Wie der Staat mit rechten Soldat*innen und ihren Netzwerken umgeht". Interessierte können die Broschüre bei der IMI bestellen oder kostenlos hier als PDF herunterladen.

Am Dienstag, 13.12.2022, findet um 19:00 ein Online-Vortrag statt, bei dem die Broschüre von den Autoren vorgestellt wird.

Nachts schlafen die Ratten doch

Wolfgang Borchert, letztes Foto als Zivilist im Sommer 1941
Wolfgang Borchert, letztes Foto als Zivilist im Sommer 1941
Das hohle Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte blaurot voll früher Abendsonne. Staubgewölke flimmerten zwischen den steilgereckten Schornsteinresten. Die Schuttwüste döste.

Er hatte die Augen zu. Mit einmal wurde es noch dunkler. Er merkte, daß jemand gekommen war und nun vor ihm stand, dunkel, leise. Jetzt haben sie mich! Dachte er. Aber als er ein bißchen blinzelte, sah er nur zwei etwas ärmlich behoste Beine. Die standen ziemlich krumm vor ihm, daß er zwischen ihnen hindurchsehen konnte. Er riskierte ein kleines Geblinzel an den Hosenbeinen hoch und erkannte einen älteren Mann. Der hatte ein Messer und einen Korb in der Hand. Und etwas Erde an den Fingerspitzen.

"Du schläfst hier wohl, was?" fragte der Mann und sah von oben auf das Haargestrüpp herunter. Jürgen blinzelte zwischen den Beinen des Mannes hindurch in die Sonne und sagte: "Nein, ich schlafe nicht. Ich muß hier aufpassen." Der Mann nickte: "So, dafür hast du wohl den großen Stock da? Ja," antwortete Jürgen mutig und hielt den Stock fest.

"Worauf paßt du denn auf?"

"Das kann ich nicht sagen. Er hielt die Hände fest um den Stock. Wohl auf Geld, was?" Der Mann setzte den Korb ab und wischte das Messer an seinem Hosenboden hin und her.

"Nein, auf Geld überhaupt nicht," sagte Jürgen verächtlich.

"Auf ganz etwas anderes."

"Na, was denn?"

"Ich kann es nicht sagen. Was anderes eben."

"Na, denn nicht. Dann sage ich dir natürlich auch nicht, was ich hier im Korb habe." Der Mann stieß mit dem Fuß an den Korb und klappte das Messer zu.

"Pah, kann mir denken, was in dem Korb ist," meinte Jürgen geringschätzig; "Kaninchenfutter."

"Donnerwetter, ja!" sagte der Mann verwundert; "bist ja ein fixer Kerl. Wie alt bist du denn?"

"Neun."

"Oha, denk mal an, neun also. Dann weißt du ja auch, wieviel drei mal neun sind, wie?"

"Klar," sagte Jürgen, und um Zeit zu gewinnen, sagte er noch: "Das ist ja ganz leicht." Und er sah durch die Beine des Mannes hindurch. "Dreimal neun, nicht?" fragte er noch mal, "siebenundzwanzig. Das wußte ich gleich."

"Stimmt", sagte der Mann, "und genau soviel Kaninchen habe ich."

Jürgen machte einen runden Mund: "Siebenundzwanzig?"

"Du kannst sie sehen. Viele sind noch ganz jung. Willst du?"

"Ich kann doch nicht. Ich muß doch aufpassen", sagte Jürgen unsicher.

"Immerzu?" fragte der Mann, "Nachts auch?"

"Nachts auch. Immerzu. Immer. "Jürgen sah an den krummen Beinen hoch. "Seit Sonnabend schon", flüsterte er.

"Aber gehst du denn gar nicht nach Hause? Du mußt doch essen."

Jürgen hob einen Stein hoch. Da lag ein halbes Brot. Und eine Blechschachtel.

"Du rauchst?" fragte der Mann, "hast du denn eine Pfeife?"

Jürgen faßte seinen Stock fest an und sagte zaghaft: "Ich drehe. Pfeife mag ich nicht."

"Schade", der Mann bückte sich zu seinem Korb, "die Kaninchen hättest du ruhig mal ansehen können. Vor allem die Jungen. Vielleicht hättest du dir eines ausgesucht. Aber du kannst hier ja nicht weg."

"Nein", sagte Jürgen traurig, "nein nein."

Der Mann nahm den Korb hoch und richtete sich auf. "Na ja, wenn du hierbleiben mußt - schade." Und er drehte sich um. "Wenn du mich nicht verrätst", sagte Jürgen da schnell, "es ist wegen der Ratten."

Die krummen Beine kamen einen Schritt zurück: "Wegen der Ratten?"

"Ja, die essen doch von den Toten. Von Menschen. Da leben sie doch von."

"Wer sagt das?"

"Unser Lehrer."

"Und du passt nun auf die Ratten auf?" fragte der Mann.

"Auf die doch nicht!" Und dann sagte er ganz leise. "Mein Bruder, der liegt nämlich da unten. Da." Jürgen zeigte mit dem Stock auf die zusammengesackten Mauern. "Unser Haus kriegte eine Bombe. Mit einmal war das Licht weg im Keller. Und er auch. Wir haben noch gerufen. Er war viel kleiner als ich. Erst vier. Es muß hier ja noch sein. Er ist doch viel kleiner als ich."

Der Mann sah von oben auf das Haargestrüpp. Aber dann sagte er plötzlich: "Ja, hat euer Lehrer euch denn nicht gesagt daß die Ratten nachts schlafen?"

"Nein," flüsterte Jürgen und sah mit einmal ganz müde aus, "das hat er nicht gesagt."

"Na," sagte der Mann, "das ist aber ein Lehrer, wenn er das nicht mal weiß. Nachts schlafen die Ratten doch. Nachts kannst du ruhig nach Hause gehen. Nachts schlafen sie immer. Wenn es dunkel wird, schon."

Jürgen machte mit seinem Stock kleine Kuhlen in den Schutt. Lauter kleine Betten sind das, dachte er, alles kleine Betten. Da sagte der mann (und seine krummen Beine waren ganz unruhig dabei): "Weißt du was? Jetzt füttere ich schnell meine Kaninchen, und wenn es dunkel wird, hole ich dich ab. Vielleicht kann ich eins mitbringen. Ein kleines oder, was meinst du?"

Jürgen machte kleine Kuhlen in den Schutt. Lauter kleine Kaninchen. Weiße, graue, weißgraue. "Ich weiß nicht", sagte er leise und sah auf die krummen Beine, wenn sie wirklich nachts schlafen.

Der Mann stieg über die Mauerreste weg auf die Straße. "Natürlich", sagte er von da, "euer Lehrer soll einpacken, wenn er das nicht mal weiß."

Da stand Jürgen auf und fragte: "Wenn ich eins kriegen kann? Ein weißes vielleicht?"

"Ich will mal versuchen", rief der Mann schon im Weggehen, "aber du mußt hier so lange warten. Ich gehe dann mit dir nach Hause, weißt du? Ich muß deinem Vater doch sagen, wie so ein Kaninchenstall gebaut wird. Denn das müßt ihr ja wissen."

"Ja", rief Jürgen, "ich warte. Ich muß ja noch aufpassen, bis es dunkel wird. Ich warte bestimmt." Und er rief: "Wir haben auch noch Bretter zu Hause Kistenbretter", rief er.

Aber das hörte der Mann schon nicht mehr. Er lief mit seinen krummen Beinen auf die Sonne zu. Die war schon rot vom Abend und Jürgen konnte sehen, wie sie durch die Beine hindurch schien, so krumm waren sie. Und der Korb schwankte aufgeregt hin und her. Kaninchenfutter war da drin. Grünes Kaninchenfutter, das war etwas grau vom Schutt.

Wolfgang Borchert, * 20. Mai 1921 in Hamburg; –  20. November 1947 in Basel
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