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Zur Diskussion um den "Aktionskonsens 2.0"

Vor einigen Tagen wurde ein Vorschlag für einen "Aktionskonsens 2.0" an die "Stuttgart 21" Bewegung von uns veröffentlicht und mittlerweile kontrovers in der Bewegung diskutiert. Im Blog "Bei Abriss Aufstand", einem Projekt der Parkschützer, wurde eine Antwort des Friedensforschers Dr. Wolfgang Sternstein auf diesen Beitrag veröffentlicht, die wir hier 1 nochmal dokumentieren. Dazu unsere Antwort:

Lieber Wolfgang Sternstein,

Mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, dass du in deiner bewegten Vergangenheit auch schon Zäune durchgeschnitten und den Hammer gegen Raketentransporter geschwungen hast.

Um so unverständlicher ist uns, dass du in der Auseinandersetzung mit dem "Vorschlag Aktionskonsens 2.0" nicht mit Argumenten antwortest, sondern nur mit einem "müden Lächeln".

Das ist - mit Verlaub - ein bisschen dürftig und der eine oder andere könnte es auch schlicht als Arroganz verstehen.

Du hast z.B. die Platzbesetzung in Wyhl doch in deinem Buch beschrieben. Dann kannst du doch sagen, ob du die Ausführungen dazu in dem "Vorschlag..." richtig findest oder nicht, und wenn nein, warum nicht.

Oder du kannst doch sagen, wie du die Rolle der Polizei siehst und warum du sie so siehst und nicht anders - und so weiter.

Kurz: Einen Diskurs führen, Argumente austauschen - ist das denn so schwierig ?

Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Hänisch und Thomas Trüten

Die Anmerkung von Wolfgang Sternstein, auf die wir uns beziehen

"Liebe zivile Ungehorsame,
es ist immer das Gleiche: Die einen lehnen den zivilen Ungehorsam (ZU) ab, weil sie ihn wegen der Gesetzesübertretung für kriminell halten. Das ist, von Ausnahmen abgesehen, die Position des Aktionsbündnisses. Die anderen lehnen ihn ab, weil sie ihn für einen Akt der Unterwerfung und der Unterwürfigkeit gegenüber dem Staat und der Bahn halten. Das ist die Position mancher Parkschützer und der Romanfigur im Roman von Steinfest "Wo die Löwen weinen", vielleicht sogar die Position von Steinfest selbst. Zitat: "Denn der so diszipliniert gelebte Protest, dieser geradezu devot vorgetragene Verzicht auf Gewalt, stieß ihn immer mehr ab..." (Heinrich Steinfest: Wo die Löwen weinen, S.93)

Die Vertreter dieser beiden Positionen haben meines Erachtens keine Ahnung, welche Kraft der ZU entfalten kann, wenn er aus einem tieferen Verständnis der Gewaltfreiheit kommt. Ein solches Verständnis gibt es in Deutschland nur sehr selten. Unsere Gewaltgeschichte hat unsere Gesellschaft bis ins Mark vergiftet. Wer glaubt, Geschichte sei etwas Geschehenes und deshalb vergangen, irrt. Geschichte ist immer auch Gegenwart, denn das, was geschehen ist, wirkt weiter. Das gilt für das Positive wie für das Negative gleichermaßen. Die Folge der Weltkriege, des Kalten Krieges und der Krisen im 20. Jahrhunderts ist, dass unsere Gesellschaft von struktureller, personeller und kultureller Gewalt zerfressen und vergiftet ist. Es fehlt der Humus, in dem die Saat der Gewaltfreiheit und des ZU keimen und aufgehen kann. Ich habe in der Widerstandsbewegung gegen S21 (und auch in anderen Widerstandsbewegungen) nur eine Handvoll Leute getroffen, die imstande waren zu begreifen, welche Kraft der ZU entfalten kann, wenn man bereit ist, die Sanktion hinzunehmen, ohne zurückzuweichen oder zurückzuschlagen. Wer so handelt, verliert die Angst vor der "Staatsgewalt". Er oder sie wird wirklich frei (gewaltfrei). Ich wage zu behaupten, dass, wenn wir scheitern, wir in erster Linie an uns selbst scheitern, weil wir uns in die Falle "Volksabstimmung" haben locken lassen und weil wir kaum eine Ahnung von gewaltfreier Aktion haben, geschweige sie anwenden können.

Wer mehr darüber wissen will, sei auf meine Autobiografie verwiesen "Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit" (kann bei mir für 20 € bezogen werden der Ladenpreis ist 28 €).

Mein persönlicher Kommentar zu Hänisch und Trüten: Als einer, der an mehreren Dutzend gewaltfreien Aktionen beteiligt war, der zweimal zum Hammer gegriffen hat, um mit jeweils drei Mitstreitern zusammen einen Pershing-II-Raketentransporter abzurüsten, als einer, der ein halbes dutzend Mal mit anderen zusammen Zäune in Büchel und am EUCOM durchgeschnitten hat und auf das Gelände gegangen ist, um gegen Atomwaffen zu protestieren, als einer, der ein dutzend Mal vor Gericht stand, 12 Mal verurteilt wurde, neunmal wegen ZU im Gefängnis war, insgesamt 14 Monate, kann ich über deren Kritik am Aktionskonsens und der Harmlosigkeit unseres ZU nur müde lächeln.
Wolfgang"


Sonderausgabe der Roten Hilfe zum 18.3.2012

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Leserinnen und Leser,

auch in diesem Jahr nimmt die linke Anti-Repressionsorganisation Rote Hilfe e.V. den 18. März, ein Datum mit vielen Bezügen zur Geschichte des Klassenkampfes, zum Anlass, wieder eine Sonderausgabe zum damit verbundenen „Tag der politischen Gefangenen“ zu edieren.

Der 18. März als Kampftag für die Freilassung aller politischen Gefangenen knüpft an eine lange Tradition der revolutionären Arbeiter_innenbewegung an.

Am 18.3.1848 stand das sich gerade entwickelnde Proletariat auf den Barrikaden, 23 Jahre später, am 18.3.1871, kam es zum ersten Mal zu einer breit in der verarmten Bevölkerung verankerten Zerschlagung parlamentarisch-monarchistischer Machtstrukturen durch die proletarische Klasse. An diesem Tag griffen die Pariser Arbeiterinnen und Arbeiter zu den Waffen und schufen für einen kurzen Zeitraum eine selbstverwaltete Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, die als Pariser Commune bekannt wurde. Nach nur 71 Tagen wurde der Versuch, sich von den Fesseln der Herrschaft zu befreien, brutal niedergeschlagen.
Die militärisch hochgerüstete Reaktion übte nach ihrem Sieg über die Kommunard_innen blutige Rache. Mehr als 20.000 Männer und Frauen wurden getötet, über 13.000 Menschen zu meist lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt. Doch im kollektiven Gedächtnis der sozialistischen, kommunistischen und anarchistischen Bewegungen blieb die Commune nicht in erster Linie als Niederlage haften, sondern als die Geschichte eines gemeinsamen Aufbruchs. Bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein galt der 18. März als „Tag der Commune“.
1923 erklärte die ein Jahr zuvor gegründete Internationale Rote Hilfe (RHI) den Tag zum „Internationalen Tag der Hilfe für die politischen Gefangenen“. Der Faschismus jedoch sollte dieser Tradition ein Ende setzen.

1996 initiierte der „Förderverein Libertad! für internationale Kommunikation und Solidarität“ zusammen mit der Roten Hilfe e.V. zum ersten Mal wieder einen Aktionstag für die Freiheit der politischen Gefangenen. Seitdem werden an diesem Tag vielfältige Aktionen und Veranstaltungen durchgeführt; die Rote Hilfe versucht mit der jährlichen Sonderausgabe zum 18. März, den politischen Gefangenen eine Stimme zu verleihen sowie den verschiedenen Solidaritäts- und Antirepressionsinitiativen eine Plattform zu bieten, um die Themen „Staatliche Repression“ und „Politische Gefangene“ ins Bewusstsein zu rufen.

Denn auch heute, oft weit ab vom wahrnehmbaren Geschehen, über das in den großen Medien täglich berichtet wird, befinden sich weltweit etliche tausend Menschen in Gefängnissen, weil sie gegen die bestehenden Verhältnisse kämpften und kämpfen.

Das bürgerlich-kapitalistische Akkumulationsregime kann nur durch die mit Verwertungslogik unterfütterte, nationalstaatlich regulierte Ausbeutung der Arbeitskräfte und Rohstoffe bestehen. Das weltweite Elend, die Armut und die Kriege, die deswegen entstehen, rufen den Widerstand der Ausgebeuteten und Unterdrückten hervor. Dabei muss Repression letztendlich als ein mit aller Macht durchgesetztes Mittel des autoritären Polizeirechtsstaats zur Herrschafts- und Eigentumssicherung verstanden werden.

Das wohl wichtigste staatliche Repressionsinstrument, das oftmals den Schlusspunkt systematischer Attacken gegen linke Oppositionelle bildet, ist nach wie vor der Knast (nach ihm kommen nur noch Folter und Todesstrafe). Er soll abschrecken, soll einschüchtern und ist immer noch der augenfälligste Höhepunkt staatlich legitimierter Unterdrückungspolitik. Das Gefängnis soll - Realität geworden - durch dauerhafte räumliche und kommunikative Isolation die Betroffenen und ihr soziales Umfeld in ihren Lebensentwürfen ebenso wie in den Möglichkeiten ihrer politischen Arbeit treffen. Die bekannteren politischen Gefangenen, die sich teilweise seit Jahrzehnten in Knästen befinden, stehen dabei beispielhaft für die unzähligen eingesperrten namenlosen politischen Aktivist_innen.
Erwähnt seien in diesem Zusammenhang die inzwischen fast 9000 politischen Gefangenen in der Türkei, die mehr als 9500 politischen Gefangenen in Kolumbien oder die ca. 750 politischen Gefangenen in Spanien.
Doch auch hierzulande wurden und werden in verschiedenen deutschen Städten Genossinnen und Genossen aufgrund ihres politischen Engagements mit Repression und Knast überzogen, weil sie sich z. B. gegen Atomtransporte stellten, sich gegen Neonazis wehrten oder gegen die deutsche Kriegspolitik aktiv wurden.
Dass das Thema Knast jede und jeden treffen kann, die/der sich politisch engagiert, sollten uns einige in dieser Sonderausgabe vorgestellte Fälle mal wieder mehr als verdeutlichen. Themen dieser Ausgabe sind neben den oben bereits angesprochenen politischen Gefangenen in der Türkei und in Spanien die staatsrepressiven Verhältnisse in den USA (Cuban5, Leonard Peltier und Mumia Abu-Jamal), in Weißrussland, in der Schweiz, auf den Philippinen sowie in der BRD (Sonja Suder und Christian Gauger, Christa Eckes, Thomas Meyer-Falk usw.).

Im Hinblick auf diese global zu beobachtenden Zustände sind nach wie vor starke, strömungsübergreifende und transnational agierende Bündnisse und Netzwerke wichtig, die sich solidarisch aufeinander beziehen - und so bleibt die Solidarität mit Menschen, die aufgrund ihrer politischen Überzeugungen und Aktivitäten weggesperrt werden, weiterhin ein zentrales Anliegen der Roten Hilfe.

Unterstützen wir die Genoss_innen im Knast, machen wir ihre Situation durch Prozessbesuche, Kundgebungen, Veranstaltungen und Demonstrationen öffentlich. Setzen wir den Angriffen des Systems auf unsere Genoss_innen und Strukturen unseren entschlossenen Widerstand entgegen!

Getroffen werden einige - Gemeint sind wir alle!

Lasst uns weiter gemeinsam daran arbeiten, den Stimmen der Gefangenen und Verfolgten Gehör zu verschaffen und für ihre Freiheit zu kämpfen!

Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Der Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V. im März 2012

Via 18Maerz.de
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