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Fortsetzung der Reihe "Grenzgänger in Katalonien 1939 - 1945"

Der angekündigte dritte Teil der Serie "Grenzgänger in Katalonien 1939 - 1945" kann leider erst im Oktober erscheinen.

Bei den ersten beiden Teilen wurden Motive aus den Arbeiten von Serge Barba, Lisa Fittko,Enrique Lister, Michel Morera, Jean Ortiz, Loic Ramirez sowie diverse Internetveröffentlichungen verwandt.
Grenzgänger in Katalonien 1939 - 1945 Teil 1
Grenzgänger in Katalonien 1939 - 1945, Teil 2

Statt einer Rezension - Fragen an Bernhard Schlink

Ermordete Zivilisten in My Lai
Foto: Ronald L. Haeberle via WikiPedia
Bernhard Schlinks Buch "Das Wochenende" ist verfilmt worden und kommt dieser Tage in die Kinos. Aus diesem Anlass drucken wir eine "etwas andere" Rezension seines Buches ab.

Bernhard Schlink hat einen Roman - „Das Wochenende“ - über die 68iger geschrieben. Warum beschreibt ein Roman über die 68iger nicht die Erlebnisse von Ha Thi Quy am Morgen des 16. März 1968:

„Als die Amerikaner kamen, war mein Mann auf dem Reisfeld bei den Kühen, ich war mit meinem Kind zu Hause. Plötzlich schossen sie wild um sich. Ich wurde angeschossen, mein Kind war dabei. Die Kugel steckte in meinem Oberschenkel, und ich verlor für kurze Zeit das Bewußtsein. Sie zerrten mich weiter. Es tat weh. Ich sagte zu meinem Kind, fleh um dein Leben, sonst schießen sie dich tot. Er bettelte um sein Leben, doch ohne Erfolg. Sie erschossen ihn. Es war so grausam.“

Warum erwähnt ein Roman über die 68iger nicht, dass Leutnant William Calley, der Verantwortliche dafür, was Ha Thi Quy und fünfhundert ihrer Landsleute an jenem Morgen angetan wurde, nur drei Tage seiner lebenslangen Freiheitsstrafe im Gefängnis verbrachte und 1974 von Präsident Nixon begnadigt wurde ?

Warum nicht berichten über diese Zeugenbefragung:

Ankläger: Herr Zeuge , wie weit stand ihr Wagen von der Vergasungskammer entfernt?
Zeuge: Der stand auf dem Weg etwa 20 Meter ab.
Ankläger: Und da konnten Sie hören was unten in den Kammern geschah?
Zeuge: Manchmal bin ich ausgestiegen um zu warten.
Ankläger: Was taten Sie da?
Zeuge: Nichts. Ich rauchte eine Zigarette.
Ankläger: Näherten Sie sich den Luken über der Gaskammer?
Zeuge: Ich ging manchmal etwas auf und ab, um mir die Beine zu vertreten.
Ankläger: Was hörten Sie da?
Zeuge: Wenn die Deckel von den Luken abgehoben wurden, hörte ich ein Dröhnen von unten, als ob sich dort viele Menschen unter der Erde befänden.“

Ein Dröhnen: es ist
die Wahrheit selbst
unter die Menschen
getreten
mitten ins
Metapherngestöber.

Warum schweigen darüber,

  • dass die beim Auschwitzprozeß anwesenden Polizisten salutierten, als die Angeklagten SS – Schergen den Gerichtssaal verliessen;
  • dass von 1940 – 1945 8000 SS-Angehörige in Auschwitz Dienst taten, nur etwa ein Zehntel von ihnen abgeurteilt wurde, davon fast 750 von polnischen Gerichten, nur 45 Angeklagte vor deutschen Gerichten standen, 22 davon in Frankfurt;
  • dass fünf Jahre nach Prozessende von diesen 22 Angeklagten nur noch sieben in Haft waren ?

„Es ist als ob ein Meer von Blut im Sand versickert“ schrieb damals Le Monde.

Warum fehlt die Beschreibung jener Szene am Gründonnerstag 1968 vor dem Haus Kurfürstendamm 140, das rostrote Damenfahrrad im Rinnstein, die Aktenmappe noch am Lenker festgeschnallt, die beiden Schuhe auf der Straße, aus denen Rudi Dutschke gerissen wurde, als er von den Schüssen des Attentäters getroffen wurde?

Warum kommt Reverend Kyles nicht zu Wort, der eine Woche vorher mit Martin Luther King auf dem Balkon des Lorraine Motels in Memphis stand, als der von der Kugel eines Attentäters getötet wurde?

Warum nicht den Arbeitsalltag der fünfköpfigen Crew beschreiben, die mit ihrem B 52-Bomber von der Andersen Air Force Base auf Guam Richtung Nordvietnam startet, um aus einer Höhe von 10000 m 27 Tonnen Bomben auf Hanoi und Haiphong zu werfen, 27 Tonnen von insgesamt 15000 Tonnen Bomben, die bei der Operation Linebacker II innerhalb von 11 Tagen abgeworfen wurden und 1300 Vietnamesen töteten?

Warum nicht dem Schicksal von Dean Kahler nachgehen, der seit dem 4. Mai 1970 querschnittsgelähmt ist, als während einer Protestkundgebung an der Kent State University gegen den Vietnamkrieg, die Nationalgarde das Feuer eröffnete auf ihn und seine Kommilitonen und vier Studenten erschoss – bis heute ist dieses Massaker ungesühnt?

Fragen über Fragen.
Bernhard Schlink entledigt sich dieser Fragen mit einem Taschenspielertrick: Er stellt sie, aber er stellt sie als abgedroschene Phrasen, als tote Schlagwörter mit der Absicht, durch diese Form ihren Inhalt zu denunzieren und sie dann samt und sonders als „unzeitgemäß“ erklären zu können.

Unzeitgemäß, Herr Schlink?

Die B 52 fliegen wieder – im Irak, in Afghanistan.

My Lai heißt heute Faludscha.

Die Tigerkäfige stehen heute in Guantanamo.

Antiimperialisten werden heute nicht mehr von aufgehetzten Psychopathen erledigt – im Gazastreifen z.B wird von F16-Jägern der ganze Häuserblock weggebombt, in dem sie leben, samt Familie und Nachbarn.

Schlink als literarisches Pendant zu den publizistischen Wasserträgern der neoliberalen Geschichtsklitterung, vereint durch die tiefsitzende Angst vor einem neuen 68:
Wie traurig.

Anmerkungen:
„Zeugenbefragung“ aus „Die Ermittlung“ von Peter Weiss
Gedicht „Ein Dröhnen“ von Paul Celan

Deutsche Polizei"gewerkschafter" provozieren S21-Gegner

Foto © G. Vomhof
Das rechts abgebildete Transparent wurde von Polizeibeamten der Deutschen Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund auf der Demonstration aus Anlass der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst am 5.3.2013 in Stuttgart getragen.

Empörte S21-Gegner stellten die Transparentträger zur Rede, die mit dem, aus ihren Einsätzen sattsam bekannten, Verhalten reagierten: Stur schwiegen sie vor sich hin. Nur ein älterer Beamter räumte ein, er fände das Transparent "nicht sehr glücklich". Vor allem das Bild des Polizisten mit Flecken einer roten Flüssigkeit auf Helm und Uniform. Noch dazu sei es gar kein Bild aus dem Schloßgarten, sondern ein älteres Bild von einer Anti-AKW Demo.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund (nicht zu verwechseln mit der Gewerkschaft der Polizei im DGB) ist ein ganz besonderer Verein. Ihr Vorsitzender Rainer Wendt erklärte zum Polizeieinsatz am Schwarzen Donnerstag: "Polizeiliche Einsatzmittel müssen Waffen sein, die weh tun, nur dann wirken sie."

Nur folgerichtig fordert er auch seit 2007 bei allen möglichen Gelegenheiten den Einsatz von Gummigeschossen, Gummiwucht- und Gummischrotgeschossen. Da ist es bis zum Schießbefehl nicht mehr weit.

Besonders gern verschickt dieser Verein auch Schmerzensgeldforderungen von Polizeibeamten an S21-Gegner, z.B. wegen einer "Schwellung am linken Handgelenk" - ohne Nachweis durch ein ärztliches Attest oder eine Dienstunfähigkeitsbescheinigung.

Es gab in diesem Fall noch nicht einmal ein Aktenzeichen für das laufende Ermittlungsverfahren, geschweige denn einen Prozess, geschweige denn eine Verurteilung, die ja eigentlich, wie man das so lernt, Voraussetzung für zivilrechtliche Ansprüche ist.

Was es gab, war eine Forderung von 200 € Schmerzensgeld und der freundliche Hinweis, dass "für Sie die Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Geschädigten im laufenden Strafverfahren sicherlich günstig wäre."

Und dann noch einen Monat später die Drohung, jetzt werde man das gerichtliche Mahnverfahren einleiten.

Das "laufende Strafverfahren" erblickte nie das Licht der Welt, die Staatsanwaltschaft stellte schon das Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung kommentarlos ein, nachdem der Betroffene seinerseits Klage wegen Körperverletzung im Amt gegen die Beamten erhoben hatte. Von der Schmerzensgeldforderung hat man seither auch nichts mehr gehört.

Soviel zum Thema: "Wessen Polizei - unsre Polizei".

Grenzgänger in Katalonien 1939 - 1945, Teil 2

Die Grenze zwischen dem französischen Rousillion und dem spanischen Katalonien ist eine künstliche. Gezogen infolge irgendeines Erbfolgekriegs im 17. Jahrhundert. Zwischen dem Ende des spanischen Bürgerkriegs 1939 und dem Ende des zweiten Weltkriegs 1945 kreuzten sich an dieser Grenze die Schicksale zehntausender Menschen.

Der zweite Teil der folgende historisch-fiktive Reportage handelt von diesen Grenzgängern, die die Grenze in die eine oder die andere Richtung überschritten. Sie handelt von ihrer Not, ihren Hoffnungen, ihren Siegen und Niederlagen und ihrem Willen, den Kampf gegen den Faschismus weiterzuführen. Der erste Teil erschien hier am 16. Januar.

Grenzgänger # 2

Februar 1939, Argeles-sur-mer (Frankreich):


Ein eisiger Wind wirbelt den Sand am Strand von Argeles auf. Ursprünglich für 30.000 Menschen geplant, sind hier 100.000 spanische Republikaner auf 50 Hektar Strand zusammengepfercht. Wie feine Nadeln brennt der Sand auf ihren Gesichtern.

Es gibt hier nichts außer Stacheldraht und ein paar Wachttürmen mit Maschinengewehren. Ungeschützt, unter freiem Himmel sind sie den Naturgewalten ausgesetzt. Die sanitären Umstände sind katastrophal, erst im April werden Latrinen eingerichtet, bis dahin verrichten die Menschen ihre Notdurft im Meer, kaum in der Lage, ihre Blöße zu bedecken.

Um sich vor dem Wind und dem Sand zu schützen, graben die Menschen Löcher und Kuhlen in den Sand, versuchen sich mit aus Treibholz und Schilf gefertigten Unterständen vor dem Wind zu schützen: "Wir sind zu einem Volk vom Höhlenmenschen geworden," sollte Max Aub später über diese Zustände schreiben.

In einem dieser windzerzausten Unterstände, an einem der tausenden von Lagerfeuern, die mehr Qualm als Wärme produzieren, finden die ersten Treffen von Genossen verschiedener Organisationen statt, um den spanischen Widerstand in Frankreich zu organisieren.

September 2012, Saint Marsal (Frankreich):

Saint Marsal ist ein 70-Seelendorf, die Ortsmitte besteht aus der Auberge St. Marsal, einem Restaurant mit von Bäumen beschatteter Terasse, einer Episcerie, in der man vom Ziegenkäse bis zum Waschmittel alle Güter des täglichen Bedarfs kaufen kann, einem Postamt und der Mairie, im Dienstzimmer des Bürgermeisters hängt der ausgestopfte Kopf eines Wildschweins an der Wand.


St. Marsal
Foto: © Gisela Vomhof

Mai 1943, Saint Marsal:

Auf dem Dorfplatz von Saint Marsal treffen sich Ferran und sein Freund Veli. Noch vor Sonnenaufgang machen sie sich schwer bepackt auf den Weg nach Pinatell, einem Versteck am Hang des Canigou. Sie versorgen einmal wöchentlich die Kämpfer des Maquis von Valmanya mit Lebensmitteln. Unter den Kämpfern sind viele Spanier, die Guerilleros Espagnoles: Bürgerkriegsteilnehmer, die jetzt, getarnt als Wald- oder Minenarbeiter, den französischen Maquis im Kampf gegen die Nazi-Besatzung unterstützen. Als Teil des Fluchthelferrings Sainte-Jeanne, dessen Kopf der Grundschullehrer von Valmanya, Rene Holt, ist, schleusen sie auch von den Nazis Verfolgte über die Grenze. Das Gelb der Felder und das Weiß der Narzissen auf den Wiesen kündigen den Frühling an.

Rückblende:
Der Weg von Ferran nach St.-Marsal war lang und steinig. Ferran wird 1915 in Villalonga de Ter im spanischen Teil Kataloniens, keine 20 Kilometer von der französischen Grenze entfernt, geboren. Als er 10 Jahre alt ist, wird sein Vater während einer Schmuggeltour am Col d' Ares von der Polizei erschossen.

Ab 1930 arbeitet Ferran in einer Keksfabrik. Im August 1936, nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs, schließt er sich einer Gruppe der POUM an, geht nach Barcelona und tritt in die Kolonne Durruti ein. Im Oktober 1936 wird er in Farlete verwundet und geht zur Genesung zurück nach Villalonga de Ter. Danach wird er Ausbilder in der Garnison von Lleida.

Nach der verlorenen Schlacht am Ebro zieht sich Ferrans Ausbildungseinheit nach Mauresa zurück. Er flieht schließlich nach Villalonga de Ter und von dort weiter nach Le Perthus, wo er die Grenze nach Frankreich überquert. Dort wird sein Bruder erschossen, als er sich weigert, seine Waffe abzugeben.

Ferran wird am Strand von Argeles-sur-mer interniert, wo er nach 50 Tagen frei kommt. Er findet Unterschlupf auf dem Hof eines Freundes in Maureillas. Von dort gibt es eine Straße , auf der man in wenigen Stunden Fußweg Saint Marsal erreicht - die heutige D 10.

Sommer 1943, Valmanya:

Unter den Stiefeltritten der SS springt krachend die Tür auf. Rene Horte hat sie kommen sehen, er ist schon am Waldrand und klettert den Abhang hinauf. Statt seiner verhaftet die SS seine Frau, in derselben Nacht werden noch Mitglieder der Familie Bartoli verhaftet.

In der Folge entwickelt sich der Fluchthelferring Sainte Jeannne unter der Führung von Rene Horte zu einer schlagkräftigen Gruppe des Maquis, die die deutschen Besatzer immer wieder in blutige Hinterhalte lockt.

6. Juni 1944: Landung der Allierten in der Normandie

8. Juli 1944, Mine von Pinosa:


Schon eine Weile beobachten Rene Hortes Männer die bewaffnete Gruppe, die sich mit schleppenden Schritten auf die Ruinen der stillgelegten Mine von Pinosa zu bewegt: Einige bluten aus notdürftig verbundenen Wunden, sie sind abgerissen, hohlwangig, am Ende ihrer Kräfte.

Als sie aus ihrer Deckung treten und sich zu erkennen geben, folgt dem ersten Erschrecken große Erleichterung: Es sind unsere Leute, vom Maquis.

Mit Brot und einem Schluck Rotwein gestärkt, erzählen sie: Sie gehören zum maquis Henri Barbusse und sind beim Dorf Fillols auf der anderen Seite des Canigou von den Besatzern angegriffen worden. Sie mußten ihren Stützpunkt aufgeben und bis hierher flüchten, um ihre Verfolger abzuschütteln. Kommandiert werden sie von Julien Panchot, einem Kommunisten aus dem Roussillion, der im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat.

20. Juli 1944, Mine von Pinosa:

Ca. 200 Männer haben sich vor den Ruinen der Mine von Pinosa versammelt, bewaffnet mit Karabinern, englischen Sten-Maschinenpistolen, aber auch Jagdgewehren und Schrotflinten. Heute schließen sie sich zusammen: der maquis Henri Barbusse, die Gruppe von Rene Horte und einige Gruppen bisher unabhängig agierender guerilleros espagnoles.
Und ab heute stellen sie für die deutschen Besatzer eine ernste Bedrohung dar.

1. August 1944, Valmanya:
Das Tal ist erfüllt vom Dröhnen der Lastwagenmotoren der deutschen Wehrmacht. 500 Soldaten und an die 100 französische Milizsoldaten werden damit nach Valmanya gefahren. Dort angekommen hört man die Kommandos "Absitzen !", "Los, los Flammenwerfer in Position!".

Haus für Haus wird angezündet, nur rußgeschwärzte Ruinen bleiben zurück. Das Dorf wird vollständig niedergebrannt.

Der Zusammenschluß von Maquis und Guerilleros Espagnoles hat die Bevölkerung rechtzeitig vor dem Racheakt der Nazis gewarnt, 100 guerilleros decken die Flucht der Zivilisten in die Wälder. Nur vier Zivilisten schaffen es nicht und werden von den Nazis an Ort und Stelle erschoßen.

Auf dem Bergkamm haben Julien Panchot und seine Männer die Aufgabe, weitere Einheiten, die aus dem Vallespir anrücken, aufzuhalten. Das Rattern der Maschinenpistolen und die Schüsse aus ihren Karabinern hallen im Tal wieder. Julien wird getroffen, seine Kameraden müssen sich zurückziehen, er wird von den Nazis gefangen genommen und in den Ruinen von Pinosa gefoltert und grausam ermordet.


Valmanya
Foto: © Gisela Vomhof

September 2012, Valmanya:

In einer kleinen Grotte sind drei Gedenktafeln angebracht: Die erste für Julien Panchot, die Einheit Henri Barbusse und die Guerilleros Espagnoles, die zweite für die zivilen Opfer der Nazibarbarei in Valmanya, die dritte für die Deportierten. Vor den Gedenktafeln liegen vertrocknete Kränze mit von der Sonne ausgebleichten Schleifen: von der Veteranenorganisation der Resistance, dem Departement, der Gemeinde.


Gedenkstätte Valmanya
Foto: © Gisela Vomhof

3. August 1944, Saint Marsal

Erst heute erfahren Ferran und seine Freunde von den Geschehnissen in Valmanya.

Der Maquis muß sich neu formieren: Eine Gruppe unabhäniger Guerilleros wechselt ins Departement Aude, der Maquis Henri Barbusse sammelt sich in der Gemeinde Estoher und auch die Gruppe Rene Horte hat sich wieder zusammengefunden.

Der nationale Aufstand des Maquis ist in vollem Gange : Am 9. August wird als erste Gemeinde Nordkataloniens das Dorf Rabouillet befreit, am 20. August verlassen die Besatzer ganz Nordkatalonien.

Bei der Befreiung von Foix (Departement Ariege) spielt ein einzelner Maschinengewehrschütze eine entscheidende Rolle: Unberührt vom heftigen Feuer der Deutschen hält er seine Stellung und überzieht den Feind mit einem Kugelhagel. Ein Kampfgefährte erinnert sich: "Er feuerte wie ein Verrückter" und fügt als eine Art Erklärung hinzu, "aber klar, er war Spanier, ein Guerillero!"

Beim Rückzug der Deutschen nach dem Fall von Marseille attackiert eine Gruppe des maquis bestehend aus 32 Spaniern und vier Franzosen eine 1300 Mann starke Wehrmachtseinheit. Straßen und Eisenbahnbrücken werden gesprengt, die Schlacht tobt einen Tag und eine Nacht, die Deutschen werden vernichtend geschlagen. Der deutsche Kommandeur begeht Selbstmord.

In Südfrankreich kämpften ca. 10.000 Spanier im Maquis, teils in gemischten, teils in eigenen Einheiten. Sie befreiten siebzehn Städte. Die Effektivität der Guerrilla-Aktionen bewog Eisenhower zu dem Kommentar, dass die Unterstützung durch die Resistance bei der allierten Landung 15 reguläre Divisionen aufgewogen habe.

Fortsetzung folgt.

Grenzgänger in Katalonien 1939 - 1945

Die Grenze zwischen dem französischen Rousillion und dem spanischen Katalonien ist eine künstliche. Gezogen infolge irgendeines Erbfolgekriegs im 17. Jahrhundert. Zwischen dem Ende des spanischen Bürgerkriegs 1939 und dem Ende des zweiten Weltkriegs 1945 kreuzten sich an dieser Grenze die Schicksale zehntausender Menschen.

Die folgende historisch-fiktive Reportage handelt von diesen Grenzgängern, die die Grenze in die eine oder die andere Richtung überschritten. Sie handelt von ihrer Not, ihren Hoffnungen, ihren Siegen und Niederlagen und ihrem Willen, den Kampf gegen den Faschismus weiterzuführen.

Grenzgänger # 1
8.Februar 1939:

Die spanische Republik ist geschlagen, die Franco-Faschisten haben gesiegt. Ein ungeheurer Flüchtlingsstrom wälzt sich über die Pyrenäen nach Frankreich. Unter ihnen Einheiten des besiegten spanischen Volksheeres.

An jenem 8.Februar überqueren Einheiten der Brigade Lister, des 5., kommunistischen Regiments, benannt nach ihrem General, die französische Grenze über die Berge nahe Banyul. Dieser Weg über die Pyrenäen sollte als Route Lister bekannt werden. Lister selbst überquert die Grenze mit seiner 11.Division bei Perthus. Lister begibt sich sofort nach Banyul zum Gros seines Regiments und stellt sich Bürgermeister Azema (Ihm werden wir später noch begegnen).

Die reaktionäre französische Presse schürt Angst und hetzt gerade gegen diese "Kommunisten, Anarchisten, Sozialisten".

Ein Beispiel: 80 Angehörige der Brigade Lister werden unter der Anklage, "Schmuggelware (Schmuck und Gold) durch mehr als sechs Individuen zu Fuß eingeschleust zu haben "(Staatsanwalt laut "Courrier de Ceret") vor Gericht gestellt. Sie werden auf Antrag der Verteidigung freigesprochen. Aber egal - die Schlagzeile im "Courrier de Ceret" steht und wirkt.

Die Ironie der Geschichte wollte es, dass genau diese "gefährlichen" spanischen Linken, die in höchstem Maße unwillkommen waren, eine wesentliche Rolle bei der Befreiung Südfrankreichs vom Hitlerfaschismus spielen sollten.

September 1940:
Lisa Fittko sitzt im Büro des Bürgermeisters von Banyul, Monsieur Azema : Ein kleiner, breitschultriger Mann, mit dunklen Haaren, scharfen Zügen und klugen, dunklen Augen.

Sie organisiert seit einiger Zeit die Flucht von Nazigegnern aus Frankreich nach Spanien, wo sie mit einem Transitvisum ausgestattet, versuchen nach Portugal zu kommen, um von dort aus das sichere Exil in Übersee zu erreichen.

Der bisherige Fluchtweg über den Grenzort Cerberes war zu unsicher geworden, er wurde von der gardes mobiles inzwischen scharf bewacht. Monsieur Azema schlägt Lisa Fittko einen sicheren, geheimen Schmugglerweg vor, eben jene route lister. So wird die route lister zur F- route (F für Fittko).




Monsieur Azema gibt auch noch einige Tips: morgens früh vor Sonnenaufgang mit den Weinbauern losziehen, kein Gepäck - "et surtout pas de rucksack" (Und auf jeden Fall keinen Rucksack). Der Rucksack ist das sprichwörtliche Kennzeichen der Deutschen.

30.November 1940:

Lisa Fittko notiert in ihrem Tagebuch: "Monsieur Azema, unser gewählter Bürgermeister, ist in aller Stille seines Amtes enthoben und durch einen Mann der Petain-Regierung ersetzt worden. Der neue maire ist irgendein collabo-Beamter (Die reaktionäre Vichy-Regierung des General Petain kollaborierte mit den Nazis), der nicht einmal aus dieser Gegend ist. Überall wird jetzt ausgewechselt, vor allem die sozialistischen Bürgermeister, von Kommunisten ganz zu schweigen.
Azema ist seitdem nicht gesehen worden. Er ist nicht mehr wie vorher am Strand und am Hafen, wo er Leute gegrüßt und sich ab und zu mit jemandem unterhalten hat.
Jetzt erinnere ich mich, wie er am Anfang gesagt hat:" Eines Tages bin ich vielleicht nicht mehr hier"

Nach dem Ende des Krieges, als Lisa und Hans Fittko in Cuba waren und sich um die Einreiseerlaubnis in die USA bemühten, stellte der Bürgermeister Azema, nun wieder im Amt und rehabilitiert, ihr ein Leumundszeugnis aus, in dem er ihre clandestine Flüchtlingshilfe bestätigte

September 2012:
Puig del Mas ist ein ehemaliges Winzerdorf. Die großen Kellereien sind inzwischen alle unten in Banyul, in Touristennähe.
Puig del Mas war der Ausgangspunkt für Lisa Fittkos Rettungsaktionen und auch der gefährlichste Punkt ihres Grenzgangs: Hier war die Überwachung und Kontrolle durch die Grenzpolizei am intensivsten.

In Puig del Mas findet sich ein Gedenkort an Lisa Fittko, ein Wegstück aus rostigem Stahl, als Abschluss eine Metalltafel mit einer Inschrift in französisch und deutsch: "Es war das Selbstverständliche. Dem Andenken von Lisa und Hans Fittko und der vielen anderen. Von September 1940 bis April 1941 führten sie - selbst bedroht - Verfolgte des Naziregimes über die Pyrenäen. Ihre tapfere Tat rettete vielen Menschen das Leben." 



Nachempfunden der Installation "Passagen" zu Ehren von Walter Benjamin, ihres berühmtesten Schützlings, in Port-Bou.



Fortsetzung folgt.

Die Bombadierung Guernikas: "Es war ein wunderbarer klarer Tag, der Himmel war weich und klar"

Das nach dem Angriff zerstörte Guernica
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-H25224 / CC-BY-SA
Vor 75 Jahren, am 26.April 1937 wurde das baskische Städtchen Guernika von Bombern der deutschen Legion Condor in Schutt und Asche gelegt.

Was war die Legion Condor?
Am 17.Juli 1936 hatte die spanische Afrika-Armee unter Führung von General Franco gegen die rechtmäßige Regierung in Madrid geputscht. In Spanien selber konnte der Putsch in den meisten Städten von den bewaffneten Arbeitermilizen der Gewerkschaften und Arbeiterparteien nieder geworfen werden.

Die Flotte weigerte sich, Francos Afrika-Armee aufs Festland über zusetzen. Franco wandte sich an die deutschen Hitlerfaschisten um Hilfe:
Am 28.Juli 1936 landeten 20 Passagiermaschinen vom Typ Ju52 im marrokanischen Tetuan, innerhalb von 10 Tagen wurden 14.000 Soldaten aufs spanische Festland geflogen. Damit war der Putsch gerettet und aus dem Putsch wurde der Krieg.

Das war die Geburtsstunde der Legion Condor. In ihr wurden alle Wehrmachtseinheiten, die in Spanien operierten, zusammengefaßt, darunter auch die Luftwaffeneinheit mit bis zu 700 Flugzeugen.

Was war der Zweck des Angriffs auf Guernika?
Hermann Göring erklärte dazu im Nürnberger Prozess, er habe in Spanien seine "junge Luftwaffe in dieser oder jener Hinsicht erproben" wollen. Tatsächlich waren rotierend fast 20.000 Piloten dort eingesetzt worden, um "praktische Erfahrungen" zu sammeln.
Auch Flugzeuge, Kampfformationen und Bomben wurden getestet: Bei einer Abwurfmenge von 31.000 kg wurde eine "Zerstörungsquote von 75%" erzielt.

Aber der Krieg als Experimentierfeld und die dadurch verursachten Zerstörungen waren nicht das Entscheidende: Bei der Bombadierung Guernikas ging es nicht um militärische Objekte, noch darum möglichst viele Menschen zu töten, sondern es ging um "das,was mit denen passiert, die überleben. Es geht nicht um Zerstörung, sondern um das Erzeugen von Panik."
Das Ziel Guernika wurde entsprechend diesem Ziel der Demoralisierung ausgesucht: Es war das politische Zentrum der Basken, hier fanden seit Jahrhunderten die Volksversammlungen der Basken statt, unter einer großen Eiche,die zum Symbol der Unabhängigkeit der Basken wurde.
Die Zivilbevölkerung war ein militärisches Ziel geworden.

Im folgenden eigene Eindrücke von einem Besuch des Museo de la paz in Guernika:
"Nach dem ersten Teil der Ausstellung gelangt man an eine Tür mit dem Hinweis, dass gerade eine Videoinstallation läuft und man warten soll, bis sich die Tür öffnet. Nach einiger Zeit öffnet sich die Tür - und wir stehen in einem Wohnzimmer aus den 30iger Jahren in Guernika: Ein Tisch mit Nähzeug und geflickten Espandrillos, eine Holzbank, eine Wanduhr, ein Kalender mit dem Datum 26. April. Der Raum wird durch einen Spiegel gedoppelt. Eine weibliche Stimme beginnt vom Leben in Guernika zu erzählen, von Alltagssorgen und Alltagsfreuden. Das Brummen von Flugzeugmotoren ist zu hören, nicht bedrohlich, die Einwohner von Guernika haben sich daran gewöhnt, dass immer mal wieder Flugzeuge ihre Stadt überfliegen. Heute ist Markttag, sagt die Stimme, das Brummen der Flugzeugmotoren wird zum Dröhnen, Detonationen kommen näher, vor dem Fenster Feuerschein, die Wohnzimmerlampe flackert, dann der ohrenbetäubende Knall des Volltreffers - Dunkelheit. Der Spiegel wird durchsichtig, man sieht zuerst nur die zersplitterte Wanduhr und dann einen immer größer werdenden Trümmerberg. Wir verlassen wie betäubt die Installation und betreten den nächsten Teil der Ausstellung: Der Boden ist durchsichtig und unter unseren Füßen sehen wir Trümmerteile der Häuser von Guernika."

In Guernika fanden etwa 1000 Menschen den Tod, 800 wurden verletzt, 71% der Häuser vollständig zerstört.

(Quelle: Hannes Heer: Guernica oder der Beginn des Zweiten Weltkriegs, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 57 (2009), 7/8 und 9, S. 581-612 und S. 677-701)

Zur Diskussion um den "Aktionskonsens 2.0"

Vor einigen Tagen wurde ein Vorschlag für einen "Aktionskonsens 2.0" an die "Stuttgart 21" Bewegung von uns veröffentlicht und mittlerweile kontrovers in der Bewegung diskutiert. Im Blog "Bei Abriss Aufstand", einem Projekt der Parkschützer, wurde eine Antwort des Friedensforschers Dr. Wolfgang Sternstein auf diesen Beitrag veröffentlicht, die wir hier 1 nochmal dokumentieren. Dazu unsere Antwort:

Lieber Wolfgang Sternstein,

Mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, dass du in deiner bewegten Vergangenheit auch schon Zäune durchgeschnitten und den Hammer gegen Raketentransporter geschwungen hast.

Um so unverständlicher ist uns, dass du in der Auseinandersetzung mit dem "Vorschlag Aktionskonsens 2.0" nicht mit Argumenten antwortest, sondern nur mit einem "müden Lächeln".

Das ist - mit Verlaub - ein bisschen dürftig und der eine oder andere könnte es auch schlicht als Arroganz verstehen.

Du hast z.B. die Platzbesetzung in Wyhl doch in deinem Buch beschrieben. Dann kannst du doch sagen, ob du die Ausführungen dazu in dem "Vorschlag..." richtig findest oder nicht, und wenn nein, warum nicht.

Oder du kannst doch sagen, wie du die Rolle der Polizei siehst und warum du sie so siehst und nicht anders - und so weiter.

Kurz: Einen Diskurs führen, Argumente austauschen - ist das denn so schwierig ?

Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Hänisch und Thomas Trüten

Die Anmerkung von Wolfgang Sternstein, auf die wir uns beziehen

"Liebe zivile Ungehorsame,
es ist immer das Gleiche: Die einen lehnen den zivilen Ungehorsam (ZU) ab, weil sie ihn wegen der Gesetzesübertretung für kriminell halten. Das ist, von Ausnahmen abgesehen, die Position des Aktionsbündnisses. Die anderen lehnen ihn ab, weil sie ihn für einen Akt der Unterwerfung und der Unterwürfigkeit gegenüber dem Staat und der Bahn halten. Das ist die Position mancher Parkschützer und der Romanfigur im Roman von Steinfest "Wo die Löwen weinen", vielleicht sogar die Position von Steinfest selbst. Zitat: "Denn der so diszipliniert gelebte Protest, dieser geradezu devot vorgetragene Verzicht auf Gewalt, stieß ihn immer mehr ab..." (Heinrich Steinfest: Wo die Löwen weinen, S.93)

Die Vertreter dieser beiden Positionen haben meines Erachtens keine Ahnung, welche Kraft der ZU entfalten kann, wenn er aus einem tieferen Verständnis der Gewaltfreiheit kommt. Ein solches Verständnis gibt es in Deutschland nur sehr selten. Unsere Gewaltgeschichte hat unsere Gesellschaft bis ins Mark vergiftet. Wer glaubt, Geschichte sei etwas Geschehenes und deshalb vergangen, irrt. Geschichte ist immer auch Gegenwart, denn das, was geschehen ist, wirkt weiter. Das gilt für das Positive wie für das Negative gleichermaßen. Die Folge der Weltkriege, des Kalten Krieges und der Krisen im 20. Jahrhunderts ist, dass unsere Gesellschaft von struktureller, personeller und kultureller Gewalt zerfressen und vergiftet ist. Es fehlt der Humus, in dem die Saat der Gewaltfreiheit und des ZU keimen und aufgehen kann. Ich habe in der Widerstandsbewegung gegen S21 (und auch in anderen Widerstandsbewegungen) nur eine Handvoll Leute getroffen, die imstande waren zu begreifen, welche Kraft der ZU entfalten kann, wenn man bereit ist, die Sanktion hinzunehmen, ohne zurückzuweichen oder zurückzuschlagen. Wer so handelt, verliert die Angst vor der "Staatsgewalt". Er oder sie wird wirklich frei (gewaltfrei). Ich wage zu behaupten, dass, wenn wir scheitern, wir in erster Linie an uns selbst scheitern, weil wir uns in die Falle "Volksabstimmung" haben locken lassen und weil wir kaum eine Ahnung von gewaltfreier Aktion haben, geschweige sie anwenden können.

Wer mehr darüber wissen will, sei auf meine Autobiografie verwiesen "Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit" (kann bei mir für 20 € bezogen werden der Ladenpreis ist 28 €).

Mein persönlicher Kommentar zu Hänisch und Trüten: Als einer, der an mehreren Dutzend gewaltfreien Aktionen beteiligt war, der zweimal zum Hammer gegriffen hat, um mit jeweils drei Mitstreitern zusammen einen Pershing-II-Raketentransporter abzurüsten, als einer, der ein halbes dutzend Mal mit anderen zusammen Zäune in Büchel und am EUCOM durchgeschnitten hat und auf das Gelände gegangen ist, um gegen Atomwaffen zu protestieren, als einer, der ein dutzend Mal vor Gericht stand, 12 Mal verurteilt wurde, neunmal wegen ZU im Gefängnis war, insgesamt 14 Monate, kann ich über deren Kritik am Aktionskonsens und der Harmlosigkeit unseres ZU nur müde lächeln.
Wolfgang"


Aktionskonsens 2.0 - Ein Vorschlag an die S21 Bewegung

Blockade des TGV am "Tag X" ,Mittwoch, 25. August 2010
Diskussionsbeitrag von Wolfgang Hänisch, aktiv im Bündnis für Versammlungsfreiheit und AK S21 ist überall!

"Denn der so diszipliniert gelebte Protest, dieser geradezu devot vorgetragene Verzicht auf Gewalt, stieß ihn immer mehr ab..." (Heinrich Steinfest: Wo die Löwen weinen, S.93)

Nicht nur Steinfests Romanfigur Tobik hat so seine Schwierigkeiten mit der "unbedingten Gewaltlosigkeit" (Hannes Rockenbauch), die doch schon sehr nach "unbedingtem Gehorsam" klingt.

Die, die damit Schwierigkeiten haben, halten nichts davon, mit Steinen zu schmeißen oder mit Züfles geschickt platzierten Molotow-Cocktails herum zu zündeln.

Sie fragen sich aber, ob es nicht von einem sehr eingeschränkten Verständnis des zivilen Ungehorsams zeugt, wenn die Besetzung von Baustellen ,sei es am Nordflügel oder am GWM, regelmäßig zu wahren Distanzierungsorgien der "Häuptlinge" der Bewegung führt. Das "Fußvolk" denkt anders darüber: von "Befreiungsschlag" war die Rede, davon, dass die "Würde des Widerstands" wieder hergestellt wurde.

Die Besetzung des Bauplatzes oder der Versuch dazu, ist die ultima ratio jeder Protestbewegung, die sich gegen unnütze Großprojekte richtet:
• Von Wyhl bis Brokdorf, von Wackersdorf bis zur Startbahn West, vom Susatal bis zum Baskenland (Widerstand gegen Hochgeschwindigkeitstrassen) - überall war und ist diese Form des zivilen Ungehorsams als völlig legitim anerkannt.
• In Stuttgart scheinen sich die "Häuptlinge" nicht entscheiden zu können, was sie eigentlich wollen: Das Projekt stoppen oder eine gute Presse. Nach dem 14./15.2. hatten wir eine tolle Presse, von Züfle bis Kretschmann gab es Schulterklopfen und Lobeshymnen auf die Friedlichkeit der S21-Gegner.

Aber leider sind jetzt eben die Bäume weg. "Wenn der Gegner uns lobt, haben wir einen Fehler gemacht !?"

Um diese längst fällige Diskussion zu führen, ist es vielleicht sinnvoll, den schon in die Jahre gekommenen Aktionskonsens der aktiven Parkschützer im Lichte der gemachten Erfahrungen auf seine Tauglichkeit zu überprüfen.

Deshalb hier ein Vorschlag, wie ein Aktionskonsens aussehen kann, der versucht, diese Erfahrungen zu verarbeiten: (Die fett gedruckten Passagen sind jeweils die Änderungen bzw. Ergänzungen)

Aktionskonsens 2.0
Stuttgart21 steht dem Willen und dem Interesse der Bevölkerung entgegen. Deshalb sehen wir uns in der Pflicht, alle gewaltfreien Mittel zu nützen, um dieses Projekt zu stoppen.
Gesetze und Vorschriften, die nur den reibungslosen Projektablauf schützen, werden wir nicht beachten.
Durch Einschüchterungsversuche , mögliche Demonstrationsverbote und juristische Verfolgungen lassen wir uns nicht abschrecken.
Wir werden offensiv politisch und juristisch dagegen vorgehen.
Bei unseren Aktionen des Zivilen Ungehorsams sind wir gewaltfrei und achten auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel.
Diese Mittel werden wir gegen alle Einrichtungen, die nur den ungehinderten Projektablauf schützen, entschlossen zum Einsatz bringen.
Unabhängig von Meinung und Funktion respektieren wir unser Gegenüber und erwarten selbstverständlich denselben Respekt gegenüber uns. Insbesondere ist der einzelne Polizeibeamte nicht unser Gegner. Wir verkennen aber nicht, dass die Polizei als Institution des Staates den einzelnen Polizeibeamten durch vielerlei Abhängigkeiten als Werkzeug seiner Machtausübung missbraucht und wir uns dieser Machtausübung erwehren müssen.
Bei polizeilichen Maßnahmen werden wir besonnen und ohne Gewalt handeln.
Wir werden entschlossen unter Einsatz unsrer physischen Präsenz diesen Maßnahmen entgegentreten und durch geeignete Vorkehrungen unsere körperliche Unversehrtheit verteidigen.
Bei Einstellung des Bauvorhabens Stuttgart21 werden wir unsere Blockade- und Behinderungsaktionen sofort beenden.

Die Basis des S21 Widerstands erweitern!

Besetzung des Nordflügels am "Tag X", Mittwoch, 25. August 2010
Diskussionsbeitrag von Wolfgang Hänisch, aktiv im Bündnis für Versammlungsfreiheit und AK S21 ist überall!

Die OB-Wahl zu einer "Oben-Bleiber Wahl" machen will Hannes Rockenbauch, mit einem "Bürgerkandidaten" zu "neuen Mehrheiten" kommen.

Was aber macht der "Bürgerkandidat" im zweiten Wahlgang? Zurückziehen zu Gunsten des grünen Kandidaten, um einen CDU-OB zu verhindern?

Dann wäre der S21-Widerstand wieder dort gelandet, wo er bei der Landtagswahl war - als Wahlhelfer der Grünen. Diesmal mit dem "Umweg" über einen Bürgerkandidaten.

Und was sollte ein grüner OB bezüglich S21 anders machen als ein grüner Ministerpräsident ?

Seien wir realistisch: "Es ist keine etablierte politische Kraft in Sicht, die Willens und in der Lage wäre, diese gefährlichen Prozesse ( Stadtzerstörung, Demokratieabbau) zu stoppen. Die Bürger, die citoyens, werden es wohl selbst richten müßen." (mcmac in freitag vom 23.11.2011)

Der S21-Widerstand sollte sich als das verstehen, was er tatsächlich ist: eine außerparlamentarische Protestbewegung. Auch in anderer Hinsicht ist eine Weiterentwicklung des Selbstverständnisses von Nöten:

Die soziale Frage muss stärker herausgearbeitet werden: S21 ist ein gigantisches Umverteilungsprojekt, bei dem es kurz gesagt darum geht, wie 10 Milliarden € oder mehr Steuergelder in den Taschen von Großkonzernen und Immobilienhaien landen. Das Geld wird also nicht einfach "vergraben", sondern von unten nach oben umverteilt.

Die Vernachlässigung dieser Frage hat zu der grotesken Situation geführt, dass diejenigen, die von steigenden Steuern und Abgaben im Zuge von S21 in besonderem Maße betroffen sind, die auf kommunale Dienstleistungen, die dann wahrscheinlich gestrichen werden,z.T. existenziell angewiesen sind, nämlich ArbeiterInnen, Erwerbslose, MigrantInnen, noch gar nicht von der S21-Bewegung erfasst worden sind bzw. leichte Beute der Projektbetreiber bzw. ihres politischen und medialen Anhangs geworden sind.

Die Stadtgesellschaft ist eben nicht nur deutsch, wohlhabend und kreativ tätig, sondern auch türkischer Herkunft, arm und Fließbandarbeiter.

Weiter gilt es die Bewegung gegen S21 zu verbinden mit dem Widerstand gegen alle anderen Formen der Stadtzerstörung, für das Recht auf Stadt,für die Befreiung der Daseinsfürsorge aus den Fängen der neoliberalen Privatisierung.

Auf der einen Seite wird mit dem gesamten Repertoire polizeilicher und gerichtlicher Repression gegen die S21-Bewegung vorgegangen, auf der anderen Seite erleben wir, wie die Projektbetreiber quasi diktatorisch unter Mißachtung geltenden Rechts, geschützt durch eine willfährige Justiz, schalten und walten können, wie es ihnen beliebt.

"Etwas scheint hier in Richtung eines neuen Totalitarismus mit benutzerfreundlicher, bunter I-Pad-Oberfläche zu driften, nicht sicht-und greifbar das Darunter, kopflos und anonym auf den ersten Blick, ohne aber ( und das scheint der Trick zu sein) das Auge zu beleidigen. Am Ende könnte eine Art schwer durchschaubarer, netzwerkartiger Designer-Faschismus in hellen Pastelltönen stehen (...)" (mcmac s.o.)

Diese Entwicklung läuft auf vielen Ebenen, denken wir nur an die aktive und passive Förderung neonazistischer Aktivitäten durch den Verfassungsschutz, was nicht etwa zur Trockenlegung dieses Sumpfes geführt hat, sondern zu Verbotsdrohungen gegen die Linkspartei(!). Orwell lässt grüßen.

Diese Entwicklung muss stärker thematisiert werden, insbesondere die Repression gegen S21-Gegner muss politisch und juristisch offensiv bekämpft werden. Eine - wen auch gut gemeinte - "Märtyrer-Haltung" oder der bloße Verweis auf den Rechtshilfe-Fonds verkennt die Brisanz der Entwicklung.

Den Blick über den Tellerrand des Stuttgarter Talkessels weiten:

Ob in München oder Frankfurt, in der Bretagne, im italienischen Susatal oder im Baskenland - überall leisten Menschen Widerstand gegen unnütze Großprojekte. Die gegenseitige Hilfe und Unterstützung, der Erfahrungsaustausch, die Organisierung landes - und europaweiter Aktionen, erweitert den Horizont und stärkt den Widerstand insgesamt.

Die organisatorische Struktur , die bisher hauptsächlich nach Berufsgruppen und aktionsbezogenen Bezugsgruppen stattfindet, sollte ergänzt werden durch Gruppen, die nach Stadtteilen organisiert sind. Diese existieren z.T. schon (Vaihingen, Cannstatt etc.) , in anderen Stadtteilen gibt es Schwabenstreich - Stammtische und ähnliches.

Die Vorteile dieser Struktur liegen auf der Hand:

- der Widerstand kann in der Masse der Bevölkerung geerdet werden
- sie bietet die Möglichkeit, neue Schichten der Bevölkerung ( im Sinne der oben angesprochenen inhaltlichen Schwerpunktsetzung) für den Widerstand zu erschliessen
- mehr Menschen können sich aktiv einbringen, die "Hemmschwelle" ist niedriger, die Aufgaben übersichtlicher
- die Möglichkeit dezentraler Aktionen wird verbessert
- die basisdemokratischen Strukturen innerhalb der Bewegung können weiterentwickelt werden.

Rassismus in der Filmindustrie - Das Beispiel "Panther"

Plakat zur Solidaritätsdemonstration für Mumia Abu-Jamal am 11. Dezember in Berlin
Aus Anlass der Aufhebung der Todesstrafe gegen Mumia Abu Jamal am 30. Jahrestag seiner Verhaftung die Besprechung eines Kinofilms über die "Black Panther Party", deren Mitglied Mumia Abu-Jamal in seiner Jugend war, und die Entstehungsgeschichte des Films:

Rassismus in der Filmindustrie - Das Beispiel "Panther"

Mumia Abu-Jamal, damals noch Wesley Cook, war von der Zeitung der Panther begeistert. Den Ausschlag dafür, Mitglied zu werden, gab eine persönliche Erfahrung: Bei einer Kundgebung des rechtsradikalen Präsidentschaftskandidaten George Wallace protestierte er mit seinen Freunden. Sie wurden von Wallace-Anhängern angegriffen und Wesley war froh, als er einen Polizisten sah. In "...aus der todeszelle" erzählt Mumia über diese Begegnung: "Der Cop sah, wie ich am Boden lag und zu Brei geschlagen wurde, kam zügig zu mir herüber - und trat mich ins Gesicht. Ich bin diesem anonymen Polizisten seither immer dankbar gewesen, denn er hat mich in die Black Panther Party getreten."

Wer war die "Black Panther Party for Selfdefence" (so der vollständige Name)?


Gegründet wurde sie 1966 in Oakland/Kalifornien von Huey P. Newton und Bobby Seale zu einem Zeitpunkt, als die Forderungen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zu einer regelrechten Explosion weißer, rassistischer Gewalt führten. Martin Luther King und Malcom X waren ihre prominentesten Opfer, zahllose namenlose Aktivisten teilten ihr Schicksal und wurden, wie sie, ermordet.

Die weiße Polizei bewegte sich in den schwarzen Ghettos wie Besatzungstruppen, die Schwarzen waren Freiwild. Dieser rassistischen Gewalt traten die Panther in einem Akt der Notwehr bewaffnet entgegen. Ihre eigentliche Gefährlichkeit für das rassistische System bekamen sie aber dadurch, dass sie es verstanden, tiefe Wurzeln unter den Bewohnern der schwarzen Ghettos zu schlagen, so führten sie Frühstücksprogramme für Kinder durch, ein Bu s-Service Programm für die Angehörigen von Gefängnisinsassen etc.

Sie waren antirassistisch, sie setzten nicht schwarzen Rassismus gegen weißen Rassismus, sondern schlossen Bündnisse mit weißen Gruppen, mit dem Ziel, alle Unterdrückten, gleich welcher Hautfarbe, gegen das kapitalistische System zusammenzuschließen.

Sie waren antikapitalistisch, sie wollten nicht weißen durch schwarzen Kapitalismus ersetzen (das war das Konzept der Bürgerrechtsbewegung), sondern der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein Ende machen.

Diese Faktoren bewogen Edgar Hoover, den damaligen Chef des FBI, die "Black Panther Party" (BPP) zum Staatsfeind Nr.1 zu erklären und alle Hebel in Bewegung zu setzen, einschließlich des politischen Mordes, um sie zu vernichten.
An die 50 Mitglieder der BPP wurden von der Polizei ermordet, von ihren 5000 Mitgliedern waren über 3000 wegen ihrer Aktivitäten schon einmal verhaftet worden.

Der Film:

Durch die Figur des Vietnam-Veteranen Judge als Erzähler wird die Geschichte der BPP von 1966 bis 1969 dargestellt. Ausgehend von der Alltagswelt in den Ghettos, dem täglichen Rassismus und der Brutalität der weißen Polizei, beschreibt Judge seinen persönlichen Weg zu den Panthers und verwebt so seine Geschichte mit der der BPP.

Die Versuche des FBI, die Panthers physisch zu liquidieren, sie durch gezielte Provokationen zu kriminalisieren und schließlich der Einsatz von Drogen als ökonomische und soziale Waffe gegen die Basis der Panther in den schwarzen Ghettos, werden in einer Mischung von Dokumentation und dokumentarisch inszenierten Bildern gezeigt. Das verleiht dem Film einen hohen Grad an Authenzität.

Die Geschichte des Films:

Das Buch schrieb Melvin Van Peebles und sein Sohn Mario führte Regie. Er berichtete über die Schwierigkeiten, diesen Film überhaupt in den USA zu produzieren:

"Der Produzent fragte uns, ob wir tatsächlich glaubten, die Rechte der eingeborenen Amerikaner hätten irgendjemand interessiert, wenn nicht Kevin Costner in "Der mit dem Wolf tanzt" die Hauptrolle gespielt hätte." (...) "Um ehrlich zu sein," sagte er "das weiße Publikum ist interessiert, wenn weiße Helden im Mittelpunkt stehen. Politik ist schwer zu verkaufen, ethnische Politik noch schwerer, aber ethnische Politik ohne einen weißen Kassenmagneten ist schier unmöglich zu verkaufen."

Er schlug allen Ernstes vor,wir könnten einen typischen Berkeley-Studenten erfinden, so eine Mario-Savio-Typ (weißer Studentenführer in den 1960iger Jahren), der dann von Tom Cruise gespielt werden könnte.
"Dieser Student könnte dann die Panther lehren, für ihre Rechte einzustehen, an sich selbst zu glauben." (...) "Ich wusste, mein Dad war drauf und dran zu explodieren, aber die Unterhaltung war so unwirklich geworden, dass ich sehen musste, wie weit wir es noch treiben konnten."

"Dann wäre der weiße Schauspieler so eine Art Trainer und die Panther so was wie eine schwarze, militante Basketballmannschaft, die sich mit den Mächten der Unterdrückung herumschlägt?"
"Genau"
, erwiderte er "und ihre Fähigkeit, seiner Führung zu folgen, beweist, dass sie keine Rassisten sind." ("Panther", a pictorial history of the Black Panther Party and the story behind the film, S.136).

Nach diesem Gespräch dauerte es noch weitere vier Jahre bis schließlich ein Produzent für den Film gefunden war.

Das wechselvolle Schicksals des Films in der BRD:
Zweimal stand er 1996 auf der Starterliste für neue Filme: am 1. Februar und am 11. April 1996. Im April wurde er dann schließlich in Berlin gezeigt und im Raum Düsseldorf/Köln, im Rest der Republik Fehlanzeige. Der CI-Verleih hatte so wenig Kopien des Films in Umlauf gebracht, dass für die Aufführung des Films in Stuttgart die Kopie aus Berlin eingeflogen werden musste.

Dann verschwand der Film in der Versenkung. Inzwischen gibt es ihn auf DVD bei amazon für 14,88€.
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