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Enzensberger: Vom "fliegenden Robert" zum fuchtelnden "Wüterich"

Arno Widmann hat in der "Frankfurter Rundschau" vom 5.1.2011 in tückisches Lob eingekleidet an die größte Erniedrigung, die tiefste Schande des ehemaligen Dichters Enzensberger erinnert. Enzensberger hat in einem leichtfertig "Meine Lieblings-Flops" genannten Buch an Fehltritte seines Schriftstellerlebens erinnert. Sehr schelmisch. Den größten hat er vergessen: Keinen Flop, sondern ein Verbrechen. Mit Recht beendet Widmann seine Besprechung so:

"Angesichts dieses heiteren Räderwerks einer unablässig kluge, fassliche Sätze produzierenden Schule der Geläufigkeit, erinnert sich der Leser an einen der Texte, mit denen Enzensberger die Position des fliegenden Robert aufgab und sein Publikum moralisch unter Druck setzte.
Die Pathos-Maschine angeworfen
Es war im Februar 1991, als er über Saddam Hussein schrieb: „Er kämpft nicht gegen den einen oder anderen innen- oder außenpolitischen Gegner; sein Feind ist die Welt. Die Entschlossenheit zur Aggression ist der primäre Antrieb; Objekte, Anlässe, Gründe werden gesucht, wo sie sich finden. Wer bei der Vernichtung zuerst an die Reihe kommt, ob Iraner oder Kurden, Saudis oder Palästinenser, Kuweitis oder Israelis, hängt nur von den Gelegenheiten ab, die sich bieten. Auch dem eigenen Volk ist dabei keine Sonderstellung zugedacht; seine Vernichtung ist nur der letzte Akt der Mission, zu der sich Saddam berufen fühlt. Der Todeswunsch ist sein Motiv, sein Modus der Herrschaft ist der Untergang. Diesem Ziel dienen alle seine Handlungen. Der Rest ist Planung und Organisation. Er selbst wünscht sich nur das Privileg, als letzter zu sterben.“ Hier hat Enzensberger die Pathos-Maschine angeworfen. Man sieht, wie er von Satz zu Satz ein immer größeres Rad immer schneller dreht. Es gibt an Saddam Husseins Herrschaft nichts zu beschönigen, aber sehr wohl an diesen Sätzen. Woher kommt dieser Wagnerklang?
Diesen Flop hätte man gerne erklärt. Vom Meister selbst"


Doppeltes Verbrechen Enzensbergers: Am eigenen Intellekt und an der Erkenntnisfähigkeit seiner Leserinnen und Leser. In besseren Tagen wusste er sehr genau, dass Faschismus als herrschendes System nicht auf eine einzelne Person und ihren Einfluss zurückgeführt werden konnte. Wenn er jetzt seinen Auswurf im "SPIEGEL" betitelte mit "Saddam- Hitlers Widergänger" verriet er jede bessere Erkenntnis.

Die Schilderung des Regierungs-Systems von Saddat selbst weicht nur gering ab vom BILD-Niveau: Der Irre von Bagdad. Das Schlimme nur: der angesehene Namen Enzensbergers verführte Heerscharen von bisher nur etwas weichbirnigen Studienräten- vor allem peinlicherweise auch solche mit dem Fach Politik oder Geschichte- zum unterwürfigen Nachlallen. Mit seinem Text hat sich Enzensberger zum gedankenlosen Propagandisten eines kriminellen Kriegs gemacht.

Dass Enzensbergers Verfall schon damals eine lange Vorgeschichte hatte, kann der Aufsatz von Olga Tescho aus dem untergegangenen "stattweb" in Erinnerung rufen.

Tescho, Olga:
Der Hass des Aufklärers auf die Massen - zum 80. von Enzensberger 12.November 2009
Wer achtzig wird, muss leiden. Von WELT, FAZ und SPIEGEL gnadenlos gepriesen. In jungen Jahren hatte Enzensberger sie alle angegriffen. Jetzt nahmen sie Rache. Allesamt lobten sie eines an ihm: dass er vom Abitur weg ein Luftikus gewesen sei. Ein Gedankenspieler. Niemals hätte er was ernst gemeint. Damit wäre er inzwischen wirklich der “Harlekin–, als den ihn Habermas nach dem Anschlag auf Dutschke in der bekannten Ansprache in der besetzten UNI Frankfurt hingestellt hatte. Dabei war er in jungen Jahren mit vollem Hass gegen die zugebunkerte Nachkriegs-BRD vorgegangen. Ganz im Sinne der von ihm Bewunderten - d–™ Alembert und Diderot, den Meistern der Aufklärung.

Seine Vorschläge für Atomwaffen-Gegner aus dem Jahr 1958 wirken heute fast rührend: Anzeigen in Zeitungen aufgeben! Versammlungen von Atomfreaks verstören durch schlaue Einwände! usw. Als hätte es auch damals noch viele gegeben, die nichts vom Atom gewusst hätten. Dass trotz alledem so wenige sich durch die Erkenntnis aufschrecken ließen, übersah Enzensberger im Eifer. Solange der Eifer ihn obenhielt und trug. Bei den Demos der 68er war er noch voll dabei. Nach Kuba zweigte er ab - von einer Vortragsgastreise in den USA. Selbst seine Enttäuschung angesichts der dortigen Verhältnisse führte noch nicht zu dem inneren Gebrochensein, das ihm heute manche nachsagen. Die Gesänge “Der Untergang der TITANIC–, die er danach verfasste, enthalten noch in der Wut, im Impuls der Abstoßung, dem verstörten “NEIN– ein festhaltendes “JA– - an der Hoffnung, der eigenen, gehabten und der einstigen der Menschen in Kuba.

Inzwischen muss aber der Zorn des Aufklärers sich in ihm gesammelt haben: der auf die Gleichgültigkeit der Massen. Mehr und mehr ergab sich Enzensberger den üblichen massenpsychologischen Hass-Ergüssen in SPIEGEL-Artikeln “Sie denken nicht! Sie denken nicht!– wie der König Peter aufschreit in Büchners “Leonce und Lena–. Aus dem Willen zur gemeinsamen Erkenntnis “mit allen– wird die immer dicker kochende Wut auf die Reglosigkeit der Vielen.

Nur aus der Erbitterung gegen die, die die Samenkörner des Aufklärers steinig verweigern, lässt sich Enzensbergers tiefster und verächtlichster Fall erklären. Verächtlich nicht etwa nur die Gutheißung der Verbrechen von Bush Senior! Geistiger Selbstmord dabei die Schnapsidee, Saddam, einer der gewöhnlichsten Militärdiktatoren, sei Hitlers Widergänger. Enzensberger beliebte das Bad in der Jauche - mit den entsetzlichsten Wesen tummelte er sich als Kriegshetzer. Man muss erlebt haben, wie in jedem gymnasialen Lehrerzimmer ein ergrauter Kollege den SPIEGEL mit - dieses Mal begeistertem! - Rotstift markierte und mehr und mehr vergaß, wie der Erzschleimschütter selbst, was beide jemals über Entstehung und Fortbestand von Faschismus gehört hatten. Man war wieder in die sechziger Jahre zurückgesunken. Faschist war einfach ein anderes Wort für “Arschloch– geworden. Zwanzig Jahre Analyse dahin...

Seither ging es mit Enzensberger bergab. Wenn er gerade mal Geld brauchte, setzte er beim SPIEGEL was Verzerrtes ab - “voller Hass gegen die Niedrigen–. Was hat er - der wirklich große Geist - falsch gemacht, dass er jetzt das volle Lob all derer über die Ohren geschüttet bekommt, die er einst angriff?

Vermutung: Er nahm Aufklärung zeitlebens als Flug des Wissenden - über die Köpfe der Unwissenden weg. Er weigerte sich am Ende, sich auch am Irrtum der Massen zu beteiligen, aus dem vielleicht Stücke von Mehrwissen, ein wenig genauerer Erkenntnis sich entwickeln. Seine Stelle wurde die des “Fliegenden Robert–, des ewigen Drüberfliegers

–Drun sollt ihr Menschen nicht in Zorn verfallen/ Denn jede Kreatur braucht Mitleid von uns allen– - frei nach Villon. Die Leiden aller Kreatur auch an sich selber zu entdecken - dazu war er zu unberührbar. Auch zu eitel. Und versank im Massenhass in dem Schlamm, aus dem ihn die Anbeter jetzt ausgegraben und aufgebahrt haben.

Quellen: Enzensberger: Verhör von Havana (1970) / Enzensberger: Untergang der Titanic (1978)
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