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Staatsbesuch der englischen Königin in Irland - Verfrüht und schwer zu ertragen

Das Foto zeigt ein Transparent mit der Forderung an die britische Regierung, die Aufklärung der Anschläge von Dublin und Monaghan nicht länger zu behindern. Das Transparent wurde heute von Sinn Fein am Haus ihres Dubliner Parteibüros im Stadtzentrum angebracht.

Foto: Sinn Fein / nordirland.info
Zum ersten Mal seit 100 Jahren wird ein englischer Monarch in der Republik Irland zu einem offiziellen Staatsbesuch empfangen.

Wenn die englische Königin am Dienstag, den 17. Mai 2011 ihren Staatsbesuch in Dublin beginnt, gedenken zeitgleich Familien der Opfer zweier terroristischer Anschläge in Dublin und Monaghan ihrer ermordeten Angehörigen. Am 17. Mai 1974 um 17.30 Uhr explodierte mitten in der Dubliner Innenstadt eine Autobombe und riss 26 Menschen in den Tod. 90 Minuten später explodierte eine zweite Bombe in der irischen Kleinstadt Monaghan und tötete weitere sieben Menschen. Es gilt als sicher, dass der britische Geheimdienst die beiden Anschläge steuerte. Die britische Regierung verweigert bis heute den Zugang zu Dokumenten in ihren Archiven, die die Hintergründe des Anschlags enthüllen könnten. Im Jahre 2008 forderte das irische Parlament in einer Resolution die britische Regierung auf, diese Informationen nicht länger zurückzuhalten. Bisher ergebnislos.

Abgeordnete der irischen Linkspartei Sinn Féin brachten deshalb einen Antrag in das irische Parlament, den Dáil, ein, mit dem sie den Regierungschef verpflichten will, dieses Thema bei der Zusammenkunft mit der englischen Königin und dem britischen Premierminister David Cameron zu adressieren. Der Antrag wird vom irischen Parlament zeitgleich zum Besuch der englischen Königin diskutiert.

Während die Queen in Dublin den "Garden of Remembrance" besucht, wird Sinn Féin 1000 schwarze Luftballons an vier historischen Punkten Dublins aufsteigen lassen, um an "Großbritanniens brutale und blutige Einmischung in irische Angelegenheiten" zu erinnern. Der "Garten der Erinnerung" erinnert an den irischen Osteraufstand von 1916, den die britische Armee gewaltsam niedergeschlagen hatte. Er ist all denen gewidmet, die im irischen Freiheitskampf starben.

Auch Croke Park ist offiziell bestätigter Teil des Besuchsprogramms von Queen Elisabeth. Croke Park ist das berühmte Dubliner Stadion des Gälischen Sportverbandes (GAA) für die irischen Sportarten Gaelic Football, Hurling und Camogie. Im Jahre 1920 ließ das britische Militär während eines gälischen Fußballspiels Panzer im Stadion auffahren und in die unbewaffnete Menge schießen. Der Terrorakt war Teil der brutalen Gewalt, mit der England auf die Unabhängigkeitsbestrebungen Irlands reagierte.

"Elisabeth Windsor behauptet immer noch, Monarch eines Teils unseres Landes zu sein"
, schreibt Sinn Féin in einer Presseerklärung zum königlichen Staatsbesuch und bezieht sich damit auf Nordirland. Diesen für Großbritannien ehemals wirtschaftlich und militärisch wichtigen nordöstlichen Zipfel Irlands hatte die britische Regierung 1922 per Gesetz von Irland abgespalten und dem "Vereinigten Königreich" eingegliedert, dessen Herrscher der jeweilige englische Monarch ist.

Über Jahrzehnte hinweg wurde die irische Bevölkerung in Nordirland gewaltsam unterdrückt, auch unter Elisabeth II: "In den 60 Jahren der Regentschaft von Elisabeth Windsor wurden etwa 400 Menschen in Irland durch die Streitkräfte getötet, deren oberster Chef sie ist - diese Zahl enthält nicht die vielen Irinnen und Iren, die durch die Zusammenarbeit ihrer Streitkräfte mit loyalistischen (pro-britisch, loyal zum englischen Monarchen) Todesschwadronen ums Leben kamen", heißt es weiter bei Sinn Féin.

Zwar existiert mit dem Karfreitags-Abkommen von 1998 eine Grundlage für eine friedliche und demokratische Lösung des britisch-irischen Konflikts, aber normale Beziehungen kann es aus irisch-republikanischer Sicht erst nach einer Überwindung der erzwungenen Teilung Irlands geben. Der Staatsbesuch sei deshalb "verfrüht und für viele Iren schwer zu ertragen". Sinn Fein hat deshalb parallel zum Besuch der Königin Protestaktionen organisiert. Kleinere linke Organisationen haben ebenfalls Proteste angekündigt.

"Ich möchte ein echtes, inhaltliches, neues und besseres Verhältnis zwischen den Völkern Irlands und Großbritanniens sehen - ein Verhältnis, das sich auf Gleichberechtigung und gegenseitigen Respekt gründet. Wir Republikaner haben an vorderster Front daran gearbeitet und werden das auch weiterhin tun. Der Besuch der englischen Königin ist eine einzigartige Gelegenheit für das britische Establishment, uns deutlich zu machen, dass dies auch ihre Intension ist. In diesem Falle wäre dies ein Grund für erhebliche Freude, nicht nur für ihre Majestät, sondern für uns alle", schreibt der Sinn Féin Präsident und Abgeordnete des irischen Parlaments Gerry Adams am 14. Mai 2011 in der Zeitung Irish Examiner. Seine Partei sieht die jüngsten Wahlerfolge in der Republik Irland und in Nordirland als weiteren Schritt in Richtung ihres Ziels, eines vereinigten Irlands und einer neuen, egalitären und pluralistischen Republik, mit der sie das Erbe britischer Kolonialpolitik in Irland endgültig überwinden wollen.

Quelle: nordirland.info

Kampagne „Für ein fortschrittliches Versammlungsgesetz - sofortige Einstellung der Verfahren gegen S 21 GegnerInnen und Amnestie der bereits Verurteilten“

Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit ruft zu einer Kampagne „Für ein fortschrittliches Versammlungsgesetz - sofortige Einstellung der Verfahren gegen S 21 GegnerInnen und Amnestie der bereits Verurteilten“ auf:

Einstellung aller Verfahren gegen S21 Gegnerinnen und Gegner!
Für ein fortschrittliches Versammlungsgesetz!


Über 1200 Strafverfahren sind die Kriminalisierungsbilanz der jungen Bewegung gegen Stuttgart 21. Sitzblockaden, Spontandemonstrationen, Baumbesetzungen und vieles mehr sollen nun vor Gericht verhandelt werden. Doch die Proteste gegen Stuttgart 21 sind nur eine von vielen Bewegung die immer wieder mit dem Vorwurf des „Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz“ konfrontiert werden. Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit beobachtet eine seit Jahren zunehmende Tendenz der städtischen und staatlichen Behörden bereits aufgrund von Lappalien oder durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eindeutig gedeckte demokratische Protestformen Bußgelder und Strafbefehle zu verhängen oder Gerichtsverfahren einzuleiten.

Mit der Kampagne: „Für ein fortschrittliches Versammlungsgesetz - sofortige Einstellung der Verfahren gegen S 21 GegnerInnen und Amnestie der bereits Verurteilten“

möchten wir über diese Tendenz aufklären, Tipps im Umgang damit geben und nicht zuletzt den Widerstand hiergegen organisieren.

Repression bei Demonstrationen

Tausende Menschen mussten am 30.9.2010 im Stuttgarter Schlossgarten erfahren, was Polizeigewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten bedeutet. Entgegen der staatlichen Darstellung der Ereignisse handelte es sich nicht um eine besondere „Eskalation der Ereignisse“, sondern um eine transformierte Form der üblichen Polizeitaktiken. Das neue an den Geschehnissen war, dass die Repression „die Mitte der Gesellschaft“ erreichte. Nicht einmal die Medien, die sonst häufig unkritisch die Darstellung der Polizei übernehmen, konnten den breiten, bunten und vielfältigen Protest „linksextremen Chaoten“ in die Schuhe schieben.

Es wäre falsch der staatlichen Rechtfertigung des Vorfalls als „einmaliges Ereignis“ Beachtung zu schenken. Vielmehr ist es notwendig eine grundsätzliche Kritik an dem Vorgehen der Polizei zu formulieren. Ob gegen CastorgegnerInnen im Wendland oder AntifaschistInnen in Dresden. Angriffe mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen demokratische Versammlungen sind durch nichts zu legitimieren!

Wir fordern daher:
  • Wasserwerfer abwracken, Pfefferspray verbieten.
  • Für ein Recht auf körperliche Unversehrtheit von Demonstrantinnen und Demonstranten!

Kriminalisierung von Demoanmeldern

Insbesondere die Anmelder von Demonstrationen sehen sich häufig mit Einschränkungen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit konfrontiert. So wurden alleine im Rahmen der Aktivitäten gegen das öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr am 30. Juli 2010 sieben (?) Versammlungsanmelder als „ungeeignet“ abgelehnt –“ obwohl sie größtenteils noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Neben den Kriminalisierungen im Vorhinein wird oft während der Veranstaltung Druck auf die Anmelder ausgeübt. Nicht selten werden die Anmelder auch im Nachhinein juristisch belangt. Der Prozess gegen den Anmelder der Montagsdemonstrationen gegen Stuttgart 21 zeigt, mit was für kleinlichen Vorwürfen bereits Verfahren angestrengt werden und wie versammlungsfeindlich Stuttgarter Gerichte hierbei ihre Urteile fällen.

Wir fordern:
  • Schluss mit der Kriminalisierung von Versammlungsanmeldern
  • Gegen die willkürliche Ablehnung von Anmelderinnen und Anmeldern: Versammlungsfreiheit muss für alle gelten
  • Vorrang des demokratischen Rechts auf die Meinungsfreiheit und öffentliche Information gegenüber kommerziellen Interessen
Filmen bei Demonstrationen
Während Demonstrationen fertigt die Polizei immer häufiger Videoaufnahmen an, obwohl das Filmen friedlicher Demonstrationen immer wieder gerichtlich untersagt wird. Besonders bedenklich sind diese „Einsatzdokumentationen“ vor dem Hintergrund schwammig formulierter Regelungen der Löschfristen und einer unklaren Form der Verwendung des Materials.

Blockieren

Häufig behaupten Politiker und Polizisten Blockaden würden den Straftatbestand der „Nötigung“ erfüllen. De facto besteht hierzu ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes seit 1995. In seiner jüngsten Entscheidung hat das BVerfG am 30.03.2011 festgelegt, dass Art. 8 Abs. 1 des GG auch Sitzblockaden mit einschließt. „Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden.“
Friedliche Sitzblockaden sind folglich durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt!

Seit Beginn der 1980er Jahre wurde eine sogenannte „Wegtragegebühr“ eingeführt. Blockierer die durch die Polizei weggetragen werden begehen demnach eine Ordnungswidrigkeit und müssen ein Bußgeld über 40 Euro pro Beamter/in bezahlen.

Das Stuttgarter Bündnis fordert:
  • Abschaffung der Wegtragegebühr!
  • Stoppt die Kriminalisierung von BlockiererInnen!
Versammlungsfreiheit als Grundrecht
Die Zielsetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit Demonstrationen und Kundgebungen einen besonderen Schutz zu verleihen, wird in der aktuellen Behördenpraxis ausgehebelt. Schon das in Baden-Württemberg geltende Bundesversammlungsgesetz schränkt dieses Grundrecht in massiver Weise ein. Im Rahmen der Föderalismusreform sollte unter der CDU-FDP geführten Landesregierung ein zusätzlich verschärftes Landesversammlungsgesetz eingeführt werden.

Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit sagt klar:
  • Nein zur Verschärfung des Versammlungsgesetzes!
  • Für ein fortschrittliches Versammlungsgesetz auf antifaschistischer Grundlage!
Für ein Versammlungsgesetz das Protest ermöglicht
Als Bündnis stellen wir klare Forderungen an ein fortschrittliches Versammlungsgesetz: Sitzblockaden, Streikposten und Spontandemonstrationen müssen hierbei ohne Einschränkungen gewährleistet werden. Spürbarer Protest und kreative Aktionsformen müssen möglich bleiben und vor Kategorisierungsversuchen geschützt werden. Nicht zuletzt muss es behördlicher Willkür und polizeilichen Schikanen einen rechtlichen Riegel vorschieben.

Es geht uns um nicht mehr und nicht weniger als „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“ (Brockdorfurteil, BVG). Das ist der Kerngedanke des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Jedes Gesetz, dass diesen Kerngedanken der Versammlungsfreiheit zunichte machen soll, lehnen wir kategorisch ab!

Aktiv werden
Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass Versammlungsfreiheit nichts ist, was uns geschenkt wird. Es kommt vielmehr darauf an, dass wir uns unser Recht nehmen und aktiv dafür Kämpfen.
Beteiligt euch an Demonstrationen, Solidarisiert euch mit den Opfern der Repression und engagiert euch für Versammlungsfreiheit!
Die Unterschriftensammlung und das Forum für Versammlungsfreiheit am 30.9. können nur der Auftakt sein!

Wir bleiben dabei:
  • Ja zur Versammlungsfreiheit!
  • Nein zur Verschärfung des Versammlungsgesetzes!
  • Für ein fortschrittliches Versammlungsgesetz auf antifaschistischer Grundlage
Für die Einstellung aller Verfahren
Der Forderung nach Einstellung aller Verfahren wird oft entgegen gehalten, sie sei unrealistisch. Tatsächlich kennt die jüngere deutsche Geschichte Beispiele, wo das gelungen ist :
Mit dem Straffreiheitsgesetz von 1970 wurden ca. 5000 Strafverfahren hinfällig, hauptsächlich Demonstrationsdelikte im Zuge der 68er-Revolte.

1976 wurde zwischen den Bürgerinitiativen , die den Bau des Atomkraftwerks Whyl bekämpften und der Landesregierung (Ministerpräsident war Filbinger!) das Offenburger Abkommen (auch eine Art Schlichtung) abgeschlossen, dass u.a. die Einstellung aller Strafverfahren beinhaltete.

An diese Erfolge möchten wir mit der Kampagne anknüpfen. Unterstützt die Forderung –“ sammelt Unterschriften - beteiligt euch an Aktionen!


"You are now entering Free Derry"

Sommer 1981: Im Westen erheben sich die Gipfel der Twelve Bens, die Straßenschilder auf dem Weg von Maam Cross nach Leenane sind in gälischer Sprache. Es ist eine gottverlassene Gegend. Trotzdem flattert an jedem Telefon-oder Strommasten eine kleine schwarze Fahne im Wind, oft hängt noch ein Plakat mit dem Bild von Margret Thatcher darunter: "Wanted for murder".
In Leenane eine Plakatwand: "Don`t let them die!" und die Zahl der Tage, die der Hungerstreik schon dauert.

Derry, Bogside: Eine einsame Hausmauer mit der Aufschrift "You are now entering Free Derry", Erinnerung an die Kämpfe der Bürgerrechtsbewegung Ende der 1960er Jahre, auf dem freien Platz, der die Mauer umgibt, standen früher Häuserzeilen, niedergebrannt durch den loyalistischen Mob, dann abgerissen.

Heute stehen ausgebrannte Wracks von städtischen Bussen auf dem Platz, Überreste der Unruhen, die nach dem Tod von Bobby Sands und der anderen Hungerstreikenden ausbrachen.

Creggan Estate, Rathceeldrive, die Straße, in der die meisten Kinder Derrys leben - sagt "Mum".

"Mum" sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer und erzählt von einer Hausdurchsuchung durch die britische Armee ("the brits"), bei der sie zusehen musste, wie ihr Wohnzimmer komplett demoliert wurde, "sogar den offenen Kamin haben sie eingerissen", aber sie bewegte sich keinen Millimeter von ihrem Sofa, obwohl sie fast einen Herzinfarkt bekam. Aus gutem Grund: In ihrem Sofa waren Gewehre der IRA versteckt. Sie lacht, während sie das erzählt.

Ausflug mit Viviane, Sinn-Fein Aktivistin und Tochter des Hauses nach Muff, einem Küstenstädtchen auf der anderen Seite der Grenze, in der Republik Irland.

Am ersten Roundabout eine britische Patrouille. Zwei Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag, ein dritter leuchtet mit der Taschenlampe ins Auto. Er erkennt Viviane und beginnt sie zu beschimpfen: "IRA-Flittchen" und schlimmeres. Erst die deutschen Pässe bremsen ihn.

In einem Pub in Muff erzählt Viviane von ihrem letzten Aufenthalt im Verhörzentrum Castlereagh, zwei Finger haben sie ihr während des "Verhörs" gebrochen. Und wie froh sie ist, wenigstens einen Abend ohne den Dauerstress der britischen Besatzung verbringen zu können.

Stuttgart 21: Aufruf zur Prozessbeobachtung am 27.05.2011

Am 25.10.2010 kam es nach einer Montagsdemo gegen Stuttgart 21 zu einer Spontandemo die vor dem Bauzaun des Grundwassermanagements im Park endete. Am Bauzaun rüttelten Teilnehmer an diesem. Es zog eine Hundertschaft der Polizei auf und verteidigte den Bauzaun und nahm zwei oder drei Personen fest und führte diese durch den Park und durchsuchte nebenbei Zelte. Dem Greiftrupp folgten mit lautem Protest ca. 40 –“ 50 Teilnehmer der Spontandemo. Am Rande des Parks (Betonplattform gegenüber dem Südeingang des Bahnhofs) stellte sich eine Reihe Polizisten auf und verhinderte die weitere Verfolgung. Gegenüber einem Demoteilnehmer wurde vom Einsatzleiter Herr F.  die Behauptung aufgestellt, dass er bereits vor 10 Minuten einen Platzverweis erhalten und diesen nicht befolgt hätte. Aus diesem Grunde würde er jetzt eine Anzeige wegen Nichtbefolgen des Platzverweises erhalten. Der vor Ort vom Angezeigten benannte Zeuge erhielt ebenfalls eine Anzeige wegen angeblichem Nichtbefolgen eines Platzverweises.

Am Montag, 09.05. fand nun der erste Verhandlungstag gegen einen der Beschuldigten in dieser Sache statt und der Einsatzleiter F. stand im Zeugenstand. Herr F. behauptet, dass der Angeklagte und dessen Zeuge sich der Hundertschaft in den Weg gestellt hätten und somit versuchten, die Arbeit der Polizei zu be- und den Abtransport der Festgenommenen zu verhindern. Aus diesem Grunde erhielten die Beschuldigten einen Platzverweis und in der Folge eine Anzeige wegen Nichtbefolgen. Der Vorwurf wird von beiden Beschuldigten energisch zurückgewiesen.

Man kann sich nun fragen, warum der Einsatzleiter Andreas F. von ca. 40 - 50 Teilnehmern ausgerechnet diese beiden Teilnehmer ausgesucht hat, um diese mit dem abwegigen Vorwurf zu konfrontieren. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der Einsatzleiter F. kein Unbekannter in der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 ist. Herr F. war der direkt verantwortliche Einsatzleiter beim Wasserwerfereinsatz am 30.09.2010.

Kommt zahlreich zur solidarischen Prozessbeobachtung am Freitag, 27.05.2011 im Saal 104 des Amtsgerichtes in Stuttgart, Hauffstr. 5, ab 8.00 Uhr.

The peoples own MP

Am 16.3. 1981 stirbt Frank Maguire, der Parlamentsabgeordnete von Fermanagh-South Tyrone, an einem Herzinfarkt. Bei den fälligen Nachwahlen kandidiert Bobby Sands für das Anti-H-Block Komitee gegen Harry West, den Kandidaten der loyalistischen Ulster Unionist Party.

Es bleiben nur neun Tage für die Wahlkampane. Aber aus allen Teilen Irlands strömen Republikaner nach Fermanagh-South Tyrone, um zu helfen. Die Loyalisten halten dagegen. So berichten Wahlhelfer, die bis morgens um vier Plakate aufgehängt hatten, dass sie auf dem Rückweg feststellen mussten, das alle ihre Plakate weg waren. Sie gehen zum Wahlkampfbüro, beladen ihren Lieferwagen aufs Neue und fangen wieder von vorne an.

Am 9.April, dem Wahltag, bilden sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. Abends werden die Wahlurnen verschlossen und mit einem Armeehubschrauber nach Enniskillen zur Auszählung geflogen. Dort, im College for Further Education, wird bis in den Nachmittag ausgezählt.

Dann tritt der Wahlleiter ans Mikropone und verkündet in die gespannte Stille hinein: "West, Harry Ulster Unionist Party 29.046 Stimmen. Sands, Bobby Anti-H-Block Komitee, politischer Gefangener 30.492 Stimmen".

Das Wahlprogramm von Bobby Sands waren die fünf Forderungen der Gefangenen:

1. Das Recht, jederzeit eigene Kleidung tragen zu dürfen.
2. Keine Zwangsarbeit im Gefängnis.
3. Das Recht, während der Freistunden die anderen politischen Gefangenen treffen zu dürfen.
4. Das Recht auf einen Besuch, einen Brief oder ein Paket pro Woche; ebenso das Recht, Unterrichtung und Freizeitgestaltung eigenständig zu organisieren.
5. Das Recht auf Haftverkürzung, das normalerweise allen Häftlingen zusteht



The People´s Own M.P. (Anonymous)

How many of us must die now
How many men must we loose
Before the Irish people
Their own destiny can use
From Tone or Robert Emmet
To Bobby Sands M.P.
And we gave him 30 000 votes
While in activity

Well no more will he remark sweet notes
Upon hte Ulster issue
All day across the snow flakes poured
The camp is deeply bare
For before he went on Hunger Strike
Young Bobby did compose
The Rythm of Time, The Weeping Wind
And The Sleeping Rose

(Refrain)
He was a poet and a soldier
He died courageously
And we gave him 30 000 votes
While in captivity

Thomas Ashe he gave everything in 1917
The Lord Mayor of Cork McSwiney died
His freedom to obtain
But never one of all our fallen
Died more courageously
Than young Bobby Sands from Twinbrook
The people´s own M.P.

(Refrain)

Oh forever we will remember him
That lad who died in pin
That his country north and south might be
United once again
For to mourn him is to organize
And build a movement strong
With Armalits and bullet bombs
And his music and his songs

(Refrain)

Bobby Sands über sich selbst

"Ein Tag in meinem Leben" - schrieb Bobby Sands in den H-Blocks von Long Kesh auf Toilettenpapier, mit einem Stift, den er in seinem Körper versteckt hielt.
(In einem Kassiber an den Armeerat der IRA vom 31.1.1981, aus den H-Blocks herausgeschmuggelt):

"Ich werde am 9. März siebenundzwanzig, also 9.3.54 geboren. Die Stella Primary School besucht und die Secondary in Rathcool. 9 Monate am Newtonabbey Tech. Dann als Lehrling bei einem Karosserieschlosser für 3 Jahre oder so. Ich war auch ein fantastischer Sportler. Als ich noch jung war, hab ich Fußball, Leichtathletik, Schwimmen und noch etwa zehntausend andere Sportarten gemacht. Aber ich war nie in einem Gaelic-football Verein. Übrigens habe ich für Willowfield Temperance Harriers (sehr protestantisch!) an allen wichtigen Laufwettbewerben im Norden für Jungs teilgenommen, nur zweimal war ich zu langsam und da haben sie mich geschnappt.

Das erste Mal wurde ich in Lisburn geschnappt. Ich war damals 18 und sehr naiv. Ich hatte eine "schlechte Zeit" in der Polizeikaserne und unterschrieb ein erzwungenes Geständnis. Verurteilt wurde ich Ende März, Anfang April 73 von Richter Higgins zu fünf Jahren wegen Besitz von 4 Pistolen, die dort versteckt waren, wo ich mich aufhielt (sie waren in keinem guten Zustand, deshalb kam ich so glimpflich davon). Die Dame des Hauses verkaufte ihre Seele für 300 Pfd. und haute ab nach England, vorher ließ sie die Briten ins Haus, um mir aufzulauern. (...)

Also, ich kam am 13.4.76 raus und lebte in Twinbrook mit Frau und Kind und wurde am 14.10.76 wieder geschnappt. (...) Ich wurde ins Verhörzentrum Castlereagh gebracht, wurde dort sehr schlecht behandelt, habe diesmal aber nur meinen Namen, Adresse und dass ich Arbeit suche , angegeben, ich habe nichts unterschrieben und nach 11 Monaten Untersuchungshaft (4 davon im H-Block) wurde ich zu 14 Jahren wegen vorsätzlichem Waffenbesitz verurteilt. Ich erkannte das Gericht nicht an. (...)

Die Verhandlung war eine Farce. Es gab einen Krawall, nachdem wir verurteilt worden waren, wir hatten nicht angefangen, die Wärter schlugen uns zusammen und drei von uns kamen in die Strafabteilung und ihnen wurden 6 Monate Haftverkürzung gestrichen.

Die ersten 22 Tage war ich in der Strafabteilung im Crumlin Road Jail, 15 Tage davon vollkommen nackt vor hunderten von Kriminellen. (...)

Mein Geburtstag wird wahrscheinlich in die spätere Stufe des Hungerstreiks fallen.

Was meine Familie anbetrifft: Meine Mutter und mein Vater sind wie alle Eltern, sehr verletztbar (...)

Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass ich sterben werde, ich spiele nicht den Draufgänger oder Egomanen. Ich bin sicher, ihr versteht mich (...)."

Stammheim: Zellen abhören - na und? Aus damals: Legitim soll heute: Legal werden

Ulrike Meinhof 1964
Quelle: Privates Foto, aus der Sammlung Bettina Röhls, der Tochter Ulrike Meinhofs
Recycled aus gegebenem Anlass zum 36. Todestag Ulrike Meinhofs.

Aust hat wieder zugeschlagen. Am Sonntag-und Montagabend bei ARD,gleich nachher bei Beckmann noch mal, alles flankiert vom SPIEGEL am Montag. Jetzt endlich Bader-Meinhof-Ensslin in die Kiste bekommen und datumsgerecht abgeliefert.

Austs Urbuch “Bader-Meinhof-Komplex– hatte vor Jahren immerhin das Verdienst einer ersten Datenerfassung.

Der danach gedrehte Film, der jetzt auch noch mal aufgekocht werden soll, wurde zwar von vielen Linken kritisiert. Wie Inge Viett aber vor einiger Zeit schon feststellte, hatte er immerhin in der Beschränkung auf den Gerichtssaal die ganze unversöhnliche Dramatik herausgeholt. Auf der einen Seite Prinzing und der Justizapparat- nicht persönlich bösartig, aber in ihrem Mechanismus, der eigentlich auf Sachaufklärung abstellt, als unbarmherziges Mahlwerk erkannt. Das Eigentliche kann da nie zur rechten Zeit am rechten Platz gesagt werden. Auf der andern Seite die Vorkämpferinnen und Vorkämpfer- bleich, verbissen, und doch immer auf die Sekunde lauernd, wo sie ihre Wahrheit auf die Tribüne bringen könnten.Der nie kam. Die ganze Strafbegründung der Aufklärung: Besserung, Abschreckung, Sühne lief ins Leere. Gebessert kann der nicht werden, der das angebotene Bessere nicht als solches anerkennt. Und Abschreckung nahm in jenen Tagen tatsächlich den Charakter des blinden Umsichschlagens auf Verdacht hin an.

Das war damals: Buch und Film.

In den verflossenen dreißig Jahren ist Aust beim SPIEGEL zunehmend Staatsträger und Reichspropagandist geworden.

Nicht in der schreihalsigen Weise, die 1977 gang und gäbe war. Nein: auf der einen Seite entwickelt er tatsächlich immer noch journalistisches Interesse und deckt Neues auf. So vor allem die Anwesenheit eines speziellen Geheimdienstes, ohne jede parlamentarische Kontrolle,die Gruppe F- Fernmeldewesen. Erst 1994 legalisiert, seither aus der öffentlichen Diskussion wieder weitgehend herausgehalten.

Aust macht nur allzu glaubhaft, dass per Verwanzung in Stammheim fleißig abgehört wurde. Ein früherer Fall hatte zum Rücktritt von Minister Bender geführt hatte, war also aktenkundig.Was einmal passierte, konnte wiederholt werden. Zur Verwanung tritt hinzu die Möglichkeit, dass die angenommene oder wirkliche Draht-Verbindung zwischen den Gefangenen einfach angezapft wurde.

Damit macht Aust dankenswerterweise glaubhaft, dass die Lauscher und Mithörer die ganze Zeit auf dem Laufenden gewesen sein müssen, also auch die Pläne der Inhaftierten kannten. Wenn es sich um Selbstmordpläne gehandelt haben sollte, WENN!, dann ist anzunehmen, dass sämtliche Beamte, die das mitbekamen, sich des Verbrechens der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machten. Hinzukommt, dass nach Aust- die Plattenspieler und sonstigen Verstecke für die Pistolen- von ausgewiesenen Technikern untersucht worden waren, ohne etwas Auffälliges zu finden. Nachträglich stellte selbst der um Waschungen aller Art bemühte Untersuchungsausschuss Baden-Württemberg fest, dass die “plumpen Lötungen– usw. jedem hätten auffallen müssen. Zwei Schlüsse sind möglich: Entweder in dem Plattenspieler war zum Zeitpunkt der Untersuchung wirklich keine Pistole, (und wurde erst nachträglich eingefügt, um die Schmuggel-Legende der Waffen zu stützen) - oder - noch bedenklicher - der Beamte wusste, dass er nichts finden durfte und beließ die Waffe dort, wo er sie gefunden hätte, wenn er gründlicher nachzuschauen den Mut gefunden hätte. (Um den Gefangenen nicht die Möglichkeit der billigend in Kauf genommenen “finalen Lösung– zu entziehen.)

Dass das Baden-Württembergische Ministerium heute im Jahre 2007 keinerlei Hinweise auf Lauschangriffe und Überwachungsmaßnahmen finden konnte, versteht sich, hat aber für die Frage der Ergründung der wirklichen Sachverhalte nichts weiter zu sagen.

Soweit die Recherche Austs also ausgezeichnet. Er hat die jahrelangen Vertuschungen der Obrigkeit aufgedeckt.

Nur mit welcher Absicht? Bei Beckmann am Abend wiederholte Aust wörtlich, was er im SPIEGEL schon geschrieben hatte: er halte solche Abhörmaßnahmen unter den gegebenen Umständen für völlig legitim. Legitim, nicht legal, immer vorsichtig in der Wortwahl. Warum: Eben Staatsnotstand, rechtfertigender Notstand oder was auch immer.

Damit folgt einer, dessen SPIEGEL in der Frankfurter Rundschau vor einigen Tagen als das Veröffentlichungsorgan der Dienste bezeichnet wurde, genau der Linie Schäubles. Immer wieder verweist der heutige Innenminister auf seinen Amtvorgänger Schily, der heimlich vor nichts zurückschreckte, ob gesetzlich und grundgesetzlich erlaubt oder nicht.

Nur er, Schäuble, will es eben legal. Wahrscheinlich nicht aus Gesetzesfetischismus. Er will die Massenmobilisierung, den Propagandaeffekt, das breite brüllende Ja zum Staat, der alles darf und dem alle Bürger zuarbeiten. Er ist nicht der erste, der gemerkt hat, dass staatliches Tun allein heute zu wenig bewirkt, wenn nicht Massendruck von unten eingesetzt wird.

Genau so- ohne es so laut auszusprechen - AUST. Haben wir 1977 heimlich, aber gerechtfertigt, so gehandelt, warum nicht jetzt mit der Sprache herausrücken und offen -drohend- das durchführen, was heimlich ja ohnehin schon immer getrieben wurde.

Aust wird damit sicher auf Zustimmung stoßen. Wie Neumann (aus dem amerikanischen Exil 1941) in seinem BEHEMOTH schon meinte,hatte die Ablehnung der Nazis von Parlament, Völkerbund und Justizförmigkeit zumindest den Charme der Ehrlichkeit. “Endlich sagt einer, wie die Dinge laufen- mit Gewalt, Staatsgewalt, und bekennt sich dazu. Was soll das Gesäusel von Menschenrecht und demokratischer Transparenz–.

Soviel zu Austs Hauptabsicht. Daneben ging es wieder darum, die Toten noch einmal zu erschlagen- und -über alle Details hinweg- den Bogen zu schlagen vom Terror 1977 zum Terror 2007. Bei Beckmann ganz offen: RAF - fast religiöser Fanatismus, Neigung zum Selbstmord, elitärer Wahn. Passgenau die Islamisten aus Neu-Ulm!

Sonst Sammlung der Zeugnisse all derer, die immer schon darüber standen. Etwa der überall als bescheiden, zurückhaltend, selbstkritisch bekannte Cohn-Bendit: –Mahler- das arrogante Arschloch–.

Dann der von Aust zum Evangelisten erhobene Boock, der freilich auch schon Breloer in seinem “Todesspiel– zu Willen war und eigentlich jedem, der seiner pathologischen Geltungssucht fünf Minuten lang Auftrieb verschafft. Aust legte ausdrücklich Zeugnis für ihn ab. Der Treueste der Treuen. Beim Nachlesen all seiner Aussagen muss man Austs Leichtgläubigkeit bedauern oder die Bedenkenlosigkeit im Gebrauch des für ihn Nützlichen bewundern.

Nur zwei Details zu Boocks Auskünften: Im Prozess gegen die als Waffenüberbringerin verdächtigte Frau Haas im Zusammenhang mit der Entführung der LANDSHUT machte er nacheinander Aussagen über die deutlich sichtbare Schwangerschaft der Frau Haas, die weder mit den realen Daten der Geburt des zu erwartenden Kindes noch unter sich zusammenpassten. Das Gericht musste auf Verwertung bedauernd verzichten.

Taz vom letzten Samstag stellte ein kleines Experiment an. So nebenbei, weil die anderen Unternehmungen der RAF nicht reichten, erwähnte Boock auch eine geplante Entführung von Helmut Schmidt. Er selbst habe von einem schräg gegenüberliegenden Haus den Bungalow des damaligen Kanzlers oberviert. Ergebnis der Nachforschung: man kann von keinem der in Frage kommenden Standorte her vom Haus mehr als das Dach wahrnehmen.

Boock dient vor allem dazu, die Selbstmordthese zu unterstützen. Die Sache mit den eingeschmuggelten Pistolen hat er inzwischen ausgebaut. In den Früherzählungen, als die versammelte RAF im Hotelzimmer weit vom Schuss vom Tod der Stammheimer erfuhr, hätten alle - naheliegend - an eine Ermordung durch die Dienste geglaubt. Da sei Mohnhaupt- “wie eine Furie– dazwischengefahren und habe die anderen gefragt, ob sie sich nicht vorstellen wollten, dass die Gefangenen ihr Schicksal bis zuletzt in die eigene Hand genommen hätten.

In der Fernsehfassung kommt Mohnhaupt früh zu Boock und erzählt von den Waffen, zu verschieden denkbarem Gebrauch, zuletzt vielleicht auch, um ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. ( Zusatzproblem: Boock will doch beim Waffenschmuggel, wie bei allem anderen, hauptamtlich beteiligt gewesen sein. Was konnte ihm Mohnhaupt da Neues erzählen?)Das alles lange vor dem Oktober 77. Dann geht die Geschichte in der obigen Fassung weiter.

Nur: wenn Boock das alles schon vorher wusste, woher überhaupt der Gedanke an Ermordung statt Selbstmord? Boocks Glättungen machen die darunter liegenden Risse nur noch deutlicher.

Wie es wirklich war - Breloer und jetzt Aust tun so, als sei alles sonnenklar - wie die Schlacht von Austerlitz oder der Hergang des 20.Juli.

Ich weiß nichts. Ich weiß gar nichts- und behalte mir das Recht vor, auf diesem Nichtwissen bis auf weiteres zu verharren. Die Sachlage ist genau die selbe wie vor dreißig Jahren. Was damals unerklärlich war, ist bis heute nicht zu erklären. In einem Artikel in der taz schreibt ein Gast, wie es nach ihm wirklich war. Anmerkung der Redaktion: er hatte lange an Mord geglaubt. Aber was ihn jetzt dazu bewog, nicht mehr daran zu glauben, wird nicht deutlich.

Die Wahrheit ist: wir alle scheuen den Gedanken, in einem Staat zu leben, wo heimliche Ermordung von staatswegen möglich ist. Wir möchten gerne im einzigen Staat leben, wo - im Gegensatz zu England, Italien, Frankreich, USA- gezielte Tötungen undenkbar sein sollen. Deshalb die im Lauf der Jahre gewachsene Unlust weiterzufragen.

Uns in dieser Sicherheit festzuhalten, es werden nur noch wenige überhaupt danach fragen, dienen Breloers und Austs Darstellungen der Hauptsache nach.

Beweis: Eine umfassende Untersuchung müsste endlich einmal Irmgard Möller zu Wort kommen lassen. Ihre Darstellung der berühmten Nacht,die sie als einzige überlebte, gegenüber Tolmein ist in sich mindestens so glaubhaft und widerspruchsfrei wie alles, was Boock aufzutischen hat. Und warum nicht Brigitte Mohnhaupt selbst einmal fragen, was sie wirklich zu Allem gesagt hat?

Und warum den Gefängnisbeamten Bubeck immer noch als Zeugen ernst nehmen, der die BILD-würdige story in die Welt setzte, Bader hätte mit einer Rechtsanwältin im Vernehmungszimmer ein Kind gezeugt. Nachforschungen ergaben, dass die einzige in Frage kommende Rechtsanwältin ein einziges Kind hat, das aber keineswegs zu diesem Zeitpunkt entstanden sein kann.Wir alle können schließlich normalerweise seit der dritten Klasse auf neun zählen. Da es nicht unendlich viele in Frage kommende Rechtsanwältinnen gibt, ist damit Bubecks Erfindung eindeutig als böswillige Verleumdung zu erkennen, mit dem Zweck, dem nachträglich entrüsteten und zugleich leicht aufgegeilten Publikum unter die Nase zu streichen, was für eine lustige Baracke doch Stammheim gewesen war. Nein, auch Bubeck wird weiterhin als ehrenwerter Zeuge - selbst beim betont wissenschaftlich vorgehenden - Koenen- geführt.

Besonders unangenehm die Ausmalung des Psychodramas von Ulrike Meinhof.

Nicht ohne begeisterte Mitwirkung ihres ersten Ehemanns Röhl. (Die Jahre der Ehe mit ihm hätten unter allen Umständen auf die spätere Haft angerechnet werden müssen. Ein Jahr Röhl - fünf Jahre Stammheim - so ungefähr).

Da Ulrike Meinhof im allgemeinen Bewusstsein die größte Rolle spielt, kommt es darauf an, nicht so sehr sie selbst zu diskreditieren als die Gruppe. Die - so auch die Darstellung Austs - hätten sie systematisch fertiggemacht - und Tage vor ihrem Tod - sich formell von ihr losgesagt durch Ensslins Prozesserklärung, in der die Verantwortung für den Anschlag auf das Springerhaus nicht übernommen wurde.Das- mitgedacht- hätte Ulrike den Rest gegeben. In Wirklichkeit liegt von Meinhof fast textgleich eine Veröffentlichung unmittelbar nach dem Anschlag vor, in welchem sie fast mit gleichen Worten den Fehler kritisiert. Das reicht dann freilich zum Todesstoß nicht aus.

Deshalb zum Nachladen bei Aust die Kassiberzitate, in denen Meinhof sich selbst als die “bürgerliche– Kreatur verurteilt, die erst- als Kolumnistin und Party-Gast- der Bourgeoisie “in den Arsch gekrochen sei–, jetzt aber “der RAF–.

Gewiss: das war der wunde Punkt. Das was die massenhafte Zustimmung zu Meinhofs Abgang in den Untergrund genau so bedingte wie ihre spätere Zerrissenheit. Das totale Ungenügen am bloßen Reden, bloßen Schreiben, bloßen Schlautun, die Widerlichkeit des kommentierenden Danebenstehens- zernagte damals Hunderte. “Die Welt ist bisher immer nur anders interpretiert worden, es kömmt aber darauf an, sie zu ändern–. (Marx) Wer hätte damals dem nicht erschüttert nachgestammelt! Mit einem kleinen Lesefehler: wir lasen alle “handeln–, ließen die Nuancen des “Änderns– weg. Verändern setzt den Knick in der Bahn voraus, die Richtungsverschiebung. Das - zur Not - ließe sich - auch - durch Reden mitbewirken. Das Ausweglose bestand dann für Ulrike darin, den letzten Teil ihres Lebens aufs Schreiben zurückgeworfen zu verbringen, aber eines, das nicht einmal mehr die früheren Adressaten erreichte. Verschärfend kam dann hinzu, dieses Versagen als das bürgerliche Erbe zu verstehen und - vergeblich - aus sich ausreißen zu wollen. Wie der Wolf, den die Wackersteine des Vergangenen in die Tiefe zogen- der einfach nicht zum - angeblich tatbereiten - Proletariat durchstoßen konnte, mochte sich so mancher auch außerhalb der Mauern vorkommen. Mit einer weiteren Fehlinterpretation: sich ein Proletariat aus Lenins Zeiten als geschlossenen Marschkörper immer noch ausdenken zu müssen! Real ist nicht nur die Arbeiterklasse aus der Fabrik herausgetreten, sondern hat sich undeutlich vermischt mit allen möglichen Existenzen, die allesamt ein starkes Unbehagen empfinden an den bestehenden Zuständen, ohne auf den Hebel zu stoßen, der das alles umwirft, und ohne den starken Arm gegen die sausenden Räder.

Das das Überindividuelle am Schicksal der Ulrike Meinhof! Das zu Erinnernde!

Aust hat das erkannt, versucht aber geschickt, den Widerspruch nach rückwärts aufzulösen. Genauer: ihn nur als Scheinwiderspruch erkennen und anerkennen zu wollen.

Schon der Titel “Aufstand der Bürgerkinder– verrät die Absicht. Es soll gezeigt werden, wie Leute - wie wir - solche, die eigentlich keine Sorgen zu haben bräuchten - eben Bürger - sich aus Überdruss und Langeweile aus der Normallinie entfernen: eben der der Bürger.

Bürgertum soll aufs Neue die anerkannte Lebensform sein, nach der die sich zu drängeln haben, die noch nicht dazugehören.Aufsteiger, Modernisierungsgewinnler. Wer schon dazu gehört, hat keinen Grund sich aufzuregen, schon gar nicht über das Geschick anderer Leute, die nicht dazugehören. Wie erklären, dass jemand sich doch aufregt? -Ganz einfach: der hat Rosinen im arroganten Kopf wie Bader, der ist neurotisch (oder doch verhirntumort?) wie Meinhof, der ist missionarische sendungsbewusste Pfarrerstochter wie Ensslin - oder - speziell bei Koenen - Nazisohn unter Wiederholungszwang wie Vesper. Das alles gesehen vom Allgemeinmenschen her, vom Super-Normalo, der sich beglückwünscht, von solchen Sonderlichkeiten verschont zu sein. Dass es diesen symptomlosen Normalo ohne Macken gar nicht gibt, verschweigen Koenen und Aust. Ihr Ziel: uns einverstanden machen mit unserer Lage, wie beschissen sie sein mag, und mit den Maßnahmen unseres Staates, der den Laden, so gut es geht, zusammenhält.

Unterwerfung.

Den Suggestionen Austs und der Seinigen nicht zu unterliegen ist anstrengend. Vielleicht aber doch lohnender als die Langeweile des Immergleichen und Unveränderlichen, welche die Tröstungen von SPIEGEL und ARD uns versprechen.

Quelle: SPIEGEL 10.9/ARD zwei Sendungen; Junge Welt

Zuerst veröffentlicht in: stattweb.de: Stattzeitung für Südbaden im Internet

Wie alles anfing

16. September 1976

Der Gefangene, ein stiernackiger Rotschopf namens Ciceran Nugent, war zu drei Jahren wegen Entführung eines Lieferwagens verurteilt worden und war zufällig der erste wegen Terrorismus-Vergehens verurteilte IRA-Mann nach dem Stichtag für das Ende des special category status.

Nach der Kleidergröße für seine Gefängnisuniform gefragt, sagte er: "Ihr wollt mich wohl verarschen!" Das war der Moment, der Ereignisse in Gang setzte, die erst vier Jahre später zu einem außergewöhnlichen Abschluß kommen sollten.

Nugent wurde ohne jedes Kleidungsstück in eine Zelle gesperrt, er war gezwungen, sich mit einer Decke zu bekleiden.

Die Gefängnisregeln verlangten, dass ein Insasse bekleidet sein mußte, wenn er seine Zelle verlassen wollte. So kam Nugent und die IRA-Männer , die nach ihm eingesperrt wurden, in die Situation, dass sie vierundzwanzig Stunden am Tag eingesperrt waren.

Der Bruch der Gefängnisdisziplin durch ihre Weigerung, mit der Gefängnisverwaltung zusammen zu  arbeiten, zog weitere Bestrafung nach sich: Unter dem nordirischen System der bedingten Haftentlassung hatten die Gefangenen Anrecht auf 50% Straferlass bei guter Führung. Nichtzusammenarbeit hatte deshalb die Auswirkung, dass sich ihre Strafen faktisch verdoppelten.

"Zusammenarbeit" hätte sie berechtigt, vier Besuche von Familie und Freunden im Monat zu empfangen.

"Nichtzusammenarbeit"
kostete sie die drei "privilegierten" Besuche, und die Vorschrift, Gefängniskleidung tragen zu müssen, wenn sie den Besucherraum betreten wollten, kostete sie den vierten "vorgeschriebenen" Besuch.

Das isolierte sie praktisch komplett von der Außenwelt, ihr Kontakt wurde reduziert auf einen Brief im Monat hinaus und hinein.

Nachdem das Mobiliar ihrer Zellen bei Auseinandersetzungen mit den Wärtern zertrümmert worden war, liess man sie mit ihren Träumen und Erinnerungen und der harten Wirklichkeit eines 2,50 mal 3m großen Steinsargs allein, mit nichts außer einer Bibel, einer Matratze, drei Decken und einem Zellengenossen als Gesellschaft.

Der Decken-Protest hatte begonnen.

Irische Begräbnisse ...

Trauerzug für Bobby Sands
Foto - mit freundlicher Genehmigung: Bobby Sands Trust
Ein einsamer Dudelsackspieler geht die Stewardtownroad in Belfast hinunter.

Seine Melodie schwebt über den Köpfen der hunderttausendköpfigen Menge, die dem Sarg folgt und die Straßen säumt. Nur das Scharren ihrer Füße ist zu hören.

Im Sarg liegen die sterblichen Überreste von Bobby Sands, gestorben nach 66 Tagen im Hungerstreik. Auf dem Sarg die irische Trikolore, ein Paar schwarze Lederhandschuhe und eine weiße Rose.

Es regnet in Belfast an diesem 7.Mai 1981 und der rote Sand zwischen den Grabsteinen des Milltown-Friedhofs, mit ihren hängenden Christusfiguren und ihren marmornen Mariastatuen, wird von abertausend Füßen zerfurcht.

Owen Carron hält die Trauerrede: "Bobby Sands, dein Opfer wird nicht umsonst gewesen sein."

Dublin, 1. August 1915
O`Donovan Rossa ist in seine Heimat zurückgekehrt: Mitglied der Irish Republican Brotherhood, der Fenier. Wegen seines Kampfs gegen die britische Kolonialherrschaft 1865 zu lebenslanger Haft verurteilt, kommt er 1871 frei und geht in die USA. Dort stirbt er am 29. Juni 1915.

Jetzt ist sein Leichnam in der City Hall von Dublin aufgebahrt, aus ganz Irland sind tausende angereist, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Den Friedhof von Glasnevin überragt ein irischer Rundturm, seine Steine spiegeln an diesem Tag das Sonnenlicht, die Luft duftet nach trocknender Erde.

Padraig Pearse
hält die Trauerrede:

"Sie glauben, sie haben Irland befriedet.
Sie glauben, sie haben die Hälfte von uns gekauft und die andere Hälfte eingeschüchtert.
Sie meinen, sie hätten alles vorhergesehen und für alles vorgesorgt, aber sie sind Narren, Narren, Narren !
Sie haben uns unsre toten Fenier gelassen und solange Irland diese Gräber in sich trägt, wird ein unfreies Irland niemals befriedet sein."

Acht Monate später ist Padraig Pearse einer der Anführer des Osteraufstands gegen die englische Herrschaft.

31.Oktober 1921
Gezogen von zwei Pferden mit schwarzen Federbüschen, begleitet von Bischöfen im vollen Ornat, einer Abteilung von IRA-Freiwilligen in Uniform (was verboten ist), wird der Sarg von Terence Mac Swiney durch die Strassen von  London geleitet.

Mac Swiney kehrt aus dem Gefängnis in Brixton nach Cork in Irland zurück: Dort war er Bürgermeister und Offizier der örtlichen Einheit der IRA. Bei seiner Einführungsrede als Bürgermeister sagte er:
"Es sind nicht die, die am meisten Schaden zufügen können, sondern die, die am meisten leiden können, die siegreich sein werden."

Er wird von den Briten wegen des Besitzes verbotener Dokumente verhaftet und angeklagt. Am 12. August beginnt Mac Swiney einen Hungerstreik gegen seine Inhaftierung und stirbt nach 74 Tagen.   
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