• Bericht der Polizei, veröffentlicht bei Stuttgart Journal und Leserbriefdiskussion bei der "Stuttgarter Zeitung" zum dort ebenfalls veröffentlichten Artikel.
• Fotoserie von Roland Hägele
• Bilderserie bei Southvibes

"Ich vergesse nie ein Gesicht. Aber in Ihrem Fall mache ich gerne eine Ausnahme." Julius Henry "Groucho" Marx
Zur Bilderserie : Menschenkette gegen S21
Offener Brief
Sehr geehrte Verantwortliche und Einsatzkräfte des 21.11.2009,
als friedlicher Demonstrant des Bildungsstreikes 2009, wehre ich mich hiermit gegen das Vorgehen und die Deeskalationstaktiken der eingesetzten Polizeikräfte.
Als freier Bürger dieses Staates berufe ich mich auf allgemein geltendes Grundrecht der Bundesrepublik Deutschland, das körperliche Unversehrtheit, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit garantiert. In den Medien wurde die Demonstration als friedlich und ohne jegliche Zwischenfälle auf beiden Seiten beschrieben.
Jedoch entspricht dies nur der halben Wahrheit – das bewusst harte Durchgreifen der Einsatzleitung zeigte sich bereits mit dem Eintreffen weiterer Einsatzkräfte zum geplanten Ende der landesweiten Aktion – natürlich mit Einsatzhorn, obwohl weder öffentliche Ordnung akut gefährdet, Flüchtige verfolgt oder Menschenleben zu retten gewesen wären. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Demonstrationszug bereits auf dem Rückweg zur Universität und unsere Mitstreiter aus umliegenden Städten zum Bahnhof, um den Heimweg anzutreten. Diesen Weg konnten wir nicht fortsetzen, da massive Einsatzkräfte sowohl zu Pferd als auch zu Fuß den Weg in alle Richtungen blockierten. Im Zuge dieses Polizeieinsatzes wurden wir Demonstranten Richtung Königsstraße geleitet. Als sich ein Teil der Gruppe in Richtung Hauptbahnhof begeben wollte, wurde Reizgas unter anderem auch gegen minderjährige Mädchen und junge Frauen eingesetzt, die sicherlich einen erschreckenden Eindruck auf die Herren mit Helm, Schienbeinschützern, Schlagstöcken und Schusswaffen gemacht haben.
Sowohl die andauernde Blockade unseres Weges, als auch der Einsatz des Reizgases fand ohne jegliche Vorwarnung statt! Im Folgenden zog sich ein Ring aus zwei Reihen voll ausgerüsteter Bereitschaftspolizisten um die Reste der Demonstration weiter zusammen. Auf wiederholtes Nachfragen verschiedener Studenten wurde seitens der Polizei keine klare Aussage gemacht und schließlich eine akute Bedrohungssituation aufgebaut. Die Nicht-Information und sich verschärfende Lage für die Eingekesselten schürten die ohnehin vorhanden Verunsicherung und Angst.
Ohne weitere Informationen oder Warnungen oder sonstige Äußerungen wurde der Kreis weiter zugezogen und dies schien den Einsatzkräften zu gefallen – so konnte ich dies anhand des Grinsens vermuten. Aussagen wie „wird heute wohl nichts mehr mit Abendessen“ heizten die Situation weiter an – dennoch blieben die Demonstranten für freie und gerechtere Bildung weiterhin ruhig, es wurde während der gesamten Zeit kein Polizist angegriffen oder bedroht.
Schließlich wurde uns nach gut 30-minütiger Belagerung durch die Verhandlungen zwischen dem Einsatzleiter und einem Mitglied des Arbeitskreises Bildung, der Abzug in Kleingruppen zu maximal 8 Personen gewährt.
Der Dank des Einsatzleiters für unsere friedliche Demonstration, wurde von anderen Polizisten mit Gelächter zur Kenntnis genommen. Der Abzug selbst ging dann auch nur schleppend voran, da sie auch weiterhin Wege blockierten. So fuhren die Einsatzfahrzeuge – in Kolonne mit Blaulicht – über die Fußgängerampeln, ohne Rücksicht auf Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer zu nehmen.
Die gesamten Aktionen der Polizei schienen allein auf Provokation und Einschüchterung abzuzielen – selbst, als die beschlossene Auflösung ruhig und diszipliniert umgesetzt wurde, wurde diese Linie beibehalten. Zusammenfassend wurden gegen friedliche Demonstranten Reizgas und Polizeireiter eingesetzt. Zur weiteren Einschüchterung versperrten uns Polizisten mit Helm, Schlagstock und Schusswaffen den Weg. Teilweise waren sogar maskierte Kräfte im Einsatz.
Das Auftreten und die Handlungsweise der Polizei haben dem Ansehen der Ordnungshüter unter Demonstranten und Passanten unnötigerweise belastet. Vom finanziellen Aspekt des vollkommen überzogen dimensionierten Polizeieinsatzes ganz zu schweigen.
Dieser Tag hat mir, als jungem Bürger unserer Republik, eindrucksvoll gezeigt, inwiefern Redeund Versammlungsfreiheit geachtet werden. „Recht und Freiheit“, zwei der Grundsätze unseres freiheitlich demokratischen Landes, sollten nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern auch offen gelebt werden dürfen.
Bastian Lüttig und Mathias Engelfried, Studenten an der Universität Stuttgart
Im Juni 2009 gingen 270.000 Menschen auf die Straße um gegen die unzumutbaren Zustände im Bildungssystem zu demonstrieren. Unter ihnen waren nicht nur Studierende, sondern auch Lehrende, SchülerInnen, Azubis und ErzieherInnen.
Die Forderungen dieser ersten Demonstrationswelle wurden bislang in keinster Weise erfüllt. Lediglich Pseudo-Zugeständnisse und Lippenbekenntnisse wurden ausgesprochen. Im Moment sind bereits deutschlandweit in über 60 Universitäten und Fachhochschulen Hörsäle besetzt. Bundesweit sind fast wöchentlich Demonstrationen an der Tagesordnung. Im Zuge dessen fand am vergangenen Samstag, den 21.11.2009 eine Demonstration in Stuttgart statt, an der sich über 8000 Demonstranten beteiligten, darunter auch viele Studierende der Hochschule Esslingen.
Diese Demonstration richtete sich in erster Linie gegen die katastrophale Notlage des bundesweiten Bildungssystems. Die Auswirkungen dessen sind an der Hochschule Esslingen bereits deutlich spürbar und nicht länger hinnehmbar. Diese desolaten Zustände, hervorgerufen durch die verfehlte Landespolitik, manifestieren sich bspw. in der akuten Raumnot, vor allem am Hochschulzentrum in der Flandernstraße. Außerdem bereiten fehlende Mitbestimmung und fehlende Wahlmöglichkeiten den Studierenden zunehmend Schwierigkeiten. Es kann nur noch nach einem stur festgelegten Schema gelernt und gelehrt werden. Eigene persönliche Interessen und Fähigkeiten können nicht mehr angemessen eingebracht und gefördert werden. Selbstverwirklichung ausgeschlossen! Durch die Einführung des Bachelor-/Mastersystems entstand zusätzlich ein viel zu hoher Workload, der von den Studierenden nicht mehr bewältigt werden kann. Viele Studierende sind überlastet, da sie zusätzlich arbeiten müssen um ihr Studium zu finanzieren.
Doch nicht nur die Bedingungen für die Studierenden, sondern auch die Verhältnisse, unter denen Lehrende sowie Verwaltungskräfte leiden, müssen schnellstmöglich verbessert werden. Durch den ernormen Zeitdruck, den der Bologna-Prozess mit sich bringt, mutiert die eigentlich freie, kritische Lehre zu einem Fließbandprodukt ohne Entfaltungsspielraum für Dozierende und Studierende. Den Lehrenden muss die Möglichkeit gegeben werden, aus ihrem Beruf wieder eine Berufung zu machen.
Bei den Studierenden besteht das Bewusstsein, dass die Hochschule Esslingen, durch das Land Baden-Württemberg, zu diesen Sparmaßnahmen und durch den Bologna-Prozess zu den Bildungskürzungen gezwungen wird. Gerade deshalb sehen wir in unserem, sowie im Interesse aller Mitarbeitenden der Hochschule Esslingen, eine Besetzung als einziges probates Mittel unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Aus diesem Grunde hat die heutige außerordentliche Studierendenvollversammlung beschlossen:
Der Hörsaal H4 am HZE ist ab sofort besetzt!
Vorläufige Forderungen:
1. Abschaffung aller Bildungsgebühren vom Kindergarten bis zur Hochschule, sowie die Unterstützung/Förderung eines/r jeden Studierenden durch elternunabhängiges BaföG!
2. Mehr Demokratie und Mitbestimmung der Lehrinhalte durch ein Kräftegleichgewicht in Gremien sowie mehr Wahlfreiheiten im Studium!
3. Uneingeschränkter und notenunabhängiger Zugang zu Masterstudienplätzen für alle BachelorabsolventInnen!
4. Eine überarbeitete Umsetzung des Bologna-Prozesses
5. Die Einführung eines Studieneignungstests ab 2011 verhindern!
6. Eine Entlastung der ProfessorInnen, Lehrbeauftragten und MitarbeiterInnen der Hochschulen durch mehr bezahlte Vor- / Nachbereitungs- und Betreuungszeit der Lehrbeauftragten, und deren höhere Vergütung. Darüber hinaus die Anstellung von mehr ProffessorInnen und MitarbeiterInnen, um diese Entlastung zu gewährleisten!
Wir haben unseren Rektor aufgefordert diese basisdemokratische studentische Entscheidung zu respektieren und mit uns in Dialog zu treten um gemeinsam gegen die Bildungspolitik zu kämpfen.
Wir bitten Sie in Ihrer Aufgabe als Informationsmedium, die Bürgerinnen und Bürger über unser Anliegen durch Veröffentlichung zu informieren.
Mit freundlichen Grüßen,
das Referat Öffentlichleit
im Auftrag des AK Bildungsstreik Esslingen