Marcuse über die Freiheit zu arbeiten oder zu verhungern
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„Von AnÂbeÂginn war die FreiÂheit des UnÂterÂnehÂmens keiÂnesÂwegs ein Segen. Als die FreiÂheit zu arÂbeiÂten oder zu verÂhunÂgern beÂdeuÂteÂte sie für die überÂwieÂgenÂde MehrÂheit der BeÂvölÂkeÂrung PlaÂckeÂrei, UnÂsiÂcherÂheit und Angst. Wäre das InÂdiÂviÂduÂum nicht mehr geÂzwunÂgen, sich auf dem Markt als freiÂes ökoÂnoÂmiÂsches SubÂjekt zu beÂwähÂren, so wäre das VerÂschwinÂden dieÂser Art von FreiÂheit eine der größÂten ErÂrunÂgenÂschafÂten der ZiÂviÂliÂsaÂtiÂon. Die techÂnoÂloÂgiÂschen ProÂzesÂse der MeÂchaÂniÂsieÂrung und StanÂdarÂdiÂsieÂrung könnÂten inÂdiÂviÂduÂelÂle EnÂerÂgie für ein noch unÂbeÂkannÂtes Reich der FreiÂheit jenÂseits der NotÂwenÂdigÂkeit freiÂgeÂben. Die inÂneÂre StrukÂtur des menschÂliÂchen DaÂseinsÂwürÂde geÂänÂdert; das InÂdiÂviÂduÂum würde von den fremÂden BeÂdürfÂnisÂsen und MögÂlichÂkeiÂten beÂfreit, die die ArÂbeitsÂwelt ihm aufÂerÂlegt. Das InÂdiÂviÂduÂum wäre frei, AuÂtoÂnoÂmie über ein Leben ausÂzuÂüben, das sein eiÂgeÂnes wäre. KönnÂte der ProÂdukÂtiÂonsÂapÂpaÂrat im HinÂblick auf die BeÂfrieÂdiÂgung der notÂwenÂdiÂgen BeÂdürfÂnisÂse orÂgaÂniÂsiert und diÂriÂgiert werÂden, so könnÂte er durchÂaus zenÂtraÂliÂsiert sein; eine derÂarÂtiÂge KonÂtrolÂle würde inÂdiÂviÂduÂelÂle AuÂtoÂnoÂmie nicht verÂhinÂdern, sonÂdern erÂmögÂliÂchen.
Das ist ein Ziel im RahÂmen desÂsen, wozu die fortÂgeÂschritÂteÂne inÂdusÂtriÂelÂle ZiÂviÂliÂsaÂtiÂon imÂstanÂde ist, der "Zweck" techÂnoÂloÂgiÂscher RaÂtioÂnaÂliÂtät. TatÂsächÂlich jeÂdoch macht sichÂdie entÂgeÂgenÂgeÂsetzÂte TenÂdenz gelÂtend: der ApÂpaÂrat erÂlegt der ArÂbeitsÂzeit und der FreiÂzeit, der maÂteÂriÂelÂlen und der geisÂtiÂgen KulÂtur die ökoÂnoÂmiÂschen wie poÂliÂtiÂschen ErÂforÂderÂnisÂse seiÂner VerÂteiÂdiÂgung und ExÂpanÂsiÂon auf. InÂfolÂge der Art, wie sie ihre techÂniÂsche Basis orÂgaÂniÂsiert hat, tenÂdiert die geÂgenÂwärÂtiÂge InÂdustrieÂgeÂsellÂschaft zum ToÂtaÂliÂtäÂren. Denn "toÂtaÂliÂtär" ist nicht nur eine terÂroÂrisÂtiÂsche poÂliÂtiÂsche GleichÂschalÂtung der GeÂsellÂschaft, sonÂdern auch eine nicht terÂroÂrisÂtiÂsche ökoÂnoÂmisch-techÂniÂsche GleichÂschalÂtung, die sich in der MaÂniÂpuÂlaÂtiÂon von BeÂdürfÂnisÂsen durch altÂherÂgeÂbrachÂte InÂterÂesÂsen gelÂtend macht. Sie beugt so dem AufÂkomÂmen einer wirkÂsaÂmen OpÂpoÂsiÂtiÂon geÂgen das Ganze vor. Nicht nur eine beÂsonÂdeÂre ReÂgieÂrungsÂforÂm oÂder ParÂteiÂherrÂschaft beÂwirkt ToÂtaÂliÂtaÂrisÂmus, sonÂdern auch ein beÂsonÂdeÂres ProÂdukÂtiÂons- und VerÂteiÂlungsÂsysÂtem, das sich mit einem "PluÂraÂlisÂmus" von ParÂteiÂen, ZeiÂtunÂgen, "ausÂgleiÂchenÂden MächÂten" etc. durchÂaus verÂträgt.“
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