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Il servo padrone.


Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964
Foto: Jeremy J. Shapiro
Lizenz: CC BY-SA 3.0

Zu den stumpfsinnigen Leistungen, welche die herrschaftliche Kultur von den Unterklassen verlangt, werden diese fähig allein durch permanente Regression. Gerade das Ungeformte an ihnen ist Produkt der gesellschaftlichen Form. Die Erzeugung von Barbaren durch die Kultur ist aber stets von dieser dazu ausgenutzt worden, ihr eigenes barbarisches Wesen am Leben zu erhalten. Herrschaft delegiert die physische Gewalt, auf der sie beruht, an Beherrschte. Während diesen die Genugtuung zuteil wird, ihre verbogenen Instinkte als das kollektiv Rechte und Billige auszutoben, lernen sie zu verüben, wessen die Edlen bedürfen, damit sie es sich leisten können, edel zu bleiben. Die Selbsterziehung der herrschenden Clique mit allem, was sie an Disziplin, Abdrosselung jeder unmittelbaren Regung, zynischer Skepsis und blinder Kommandolust erheischt, käme nicht zustande, wenn nicht die Unterdrücker durch gedungene Unterdrückte sich selber ein Stück der Unterdrückung bereiteten, die sie den anderen bereiten. Daher wohl sind die psychologischen Differenzen zwischen den Klassen so viel geringer als die objektiv-ökonomischen. Die Harmonie des Unversöhnlichen kommt dem Fortbestand der schlechten Totalität zugute. Die Gemeinheit des Vorgesetzten und die Schneidigkeit des Gemeinen verstehen sich. Von den Dienstboten und Gouvernanten, die Kinder aus guten Häusern dem Ernst des Lebens zuliebe schikanieren, über die Lehrer aus dem Westerwald, die ihnen wie den Gebrauch der Fremdwörter so die Lust an aller Sprache austreiben, über die Beamten und Angestellten, die sie Schlange stehen lassen, die Unteroffiziere, die sie treten, geht es schnurstracks zu den Folterknechten der Gestapo und den Bürokraten der Gaskammern. Auf die Delegierung der Gewalt an die Unteren sprechen früh die Regungen der Oberen selber an. Wem es bei der Wohlerzogenheit der Eltern graut, flüchtet in die Küche und wärmt sich an den Kraftausdrücken der Köchin, die insgeheim das Prinzip der elterlichen Wohlerzogenheit abgeben. Die feinen Leute zieht es zu den unfeinen, deren Roheit trügend ihnen verheißt, worum die eigene Kultur sie bringt. Sie wissen nicht, daß das Unfeine, das ihnen anarchische Natur dünkt, nichts ist als der Reflex auf den Zwang, gegen den sie sich sträuben. Zwischen der Klassensolidarität der Oberen und ihrer Anbiederung an die Abgesandten der Unterklasse vermittelt ihr berechtigtes Schuldgefühl den Armen gegenüber. Wer aber den Ungefügen sich fügen lernte, wem das »So wird das hier gemacht« bis ins Innerste drang, der ist schließlich selbst so einer geworden. Bettelheims Beobachtung von der Identifikation der Opfer mit den Henkern der Nazilager enthält das Urteil über die gehobenen Pflanzstätten der Kultur, die englische Public School, die deutsche Kadettenanstalt. Der Widersinn wird durch sich selbst perpetuiert: Herrschaft erbt sich fort durch die Beherrschten hindurch.

Theodor W. Adorno, Minima Moralia –“ Reflexionen aus dem beschädigten Leben hier als PDF - 513 kB

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