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Erklärung zum 8. Mai | Declaration on May 8

Der diesjährige Jahrestag der Befreiung vom Faschismus und des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa ist überschattet vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der russische Einmarsch ist ein gravierender Bruch des Völkerrechts und eine neue Qualität von Gewaltanwendung in einer seit langem sich aufschaukelnden Konfliktspirale. Wie alle Kriege führt auch er zu schrecklichem Leid und riskiert darüber hinaus einen Kontrollverlust mit unabsehbaren Folgen.

Die Welt sieht sich nun wenige Schritte von einem Weltkrieg entfernt. Denn im Ukraine-Krieg vermischt sich ein aus dem chaotischen Zerfall der Sowjetunion entstandener Regionalkonflikt mit der geopolitischen Konfrontation um die Weltordnung: auf der einen Seite die Protagonisten einer multipolaren Welt, in erster Linie China und Russland, aber auch Indien, Südafrika und andere Länder des globalen Südens - auf der Gegenseite der von den USA angeführte Westen, der an seiner 500-jährigen Hegemonie über den „Rest der Welt“ festhalten will.

Die geopolitische Auseinandersetzung hat bereits vor über 20 Jahren mit der NATO-Osterweiterung und der Aushöhlung des Völkerrechts - insbesondere durch die völkerrechtswidrigen Angriffskriege gegen Jugoslawien, Irak, Afghanistan und Libyen - begonnen. Sie wurde mit Wirtschaftskrieg,Sanktionen und Wettrüsten inzwischen auch auf China ausgeweitet. Die geopolitische Konfrontation ist auch der Grund, warum Indien, Indonesien, Südafrika, Mexiko und viele andere Länder des globalen Südens und selbst Israel es ablehnen, jetzt Kriegspartei zu werden. Denn der Menschheit steht eine sehr gefährliche Epoche bevor. Klimakrise, Hungerkatastrophen und andere globale Probleme können nur durch internationale Kooperation abgewendet werden.

Deshalb ist es gerade jetzt mehr denn je notwendig, die Logik der Waffengewalt und die Spirale aus Morden, Zerstörung und Hass zu durchbrechen!

Deeskalation und Kompromissfrieden statt Eskalation und Abnutzungskrieg

Jeder Tag Krieg bedeutet mehr Hass, mehr Tote, mehr Zerstörung und mehr Kriegsverbrechen. Krieg wird mit Waffen geführt. Waffenlieferungen verlängern jedoch den Krieg. Das ist allerdings die Absicht der USA, die sich von einem langen Abnutzungskrieg die geopolitische Schwächung Russlands versprechen. Die Opfer in der Ukraine spielen in diesem Kalkül ebenso wenig eine Rolle wie das Risiko einer weiteren Eskalation bis hin zur direkten Konfrontation zwischen NATO und Russland. Inzwischen haben sich auch die EU, die Bundesregierung und weite Teile des politischen Spektrums und der medialen Öffentlichkeit bei uns dem angepasst. Deutschland ist de facto Kriegspartei.

Die Ukraine kann diesen Krieg nicht gewinnen, Russland kann diesen Krieg nicht gewinnen. Wem es wirklich um Menschlichkeit und Empathie mit den Kriegsopfern geht, für den kann die einzig vernünftige und moralisch akzeptable Alternative zu Waffenlieferungen und Abnutzungskrieg nur ein Kompromissfrieden sein. Maximalpositionen können keinen Frieden bringen. Jede Seite muss Zugeständnisse machen.

Eckpunkte eines solchen Kompromissfriedens könnten sein: Waffenstillstand, Abzug aller russischen Truppen, entmilitarisierte Zonen in und um den Donbass, von neutralen Truppen überwacht, und nach einiger Zeit ein Referendum unter internationaler Aufsicht, sowie Neutralität der Ukraine statt NATO-Mitgliedschaft, Ende des Wirtschaftskriegs, sowie die Akzeptanz des Prinzips der ungeteilten Sicherheit, d.h. dass keine Seite ihre Sicherheit auf Kosten der anderen erhöht.

Kriege, Elend und Hungerkatastrophe

Eine direkte Folge des Ukrainekrieges ist eine dramatische Hungerkrise, die durch weltweite Verteuerung von Lebensmitteln, den Wegfall kritischer Lebensmittelexporte aus der Ukraine, ausbleibende Düngemittelexporte Russlands und die Sanktionen des Westens drastisch verschärft wird. Weltweit sind viele Menschen auf deren Lebensmittelexporte angewiesen, gerade in Kriegsgebieten wie in Afghanistan und im Jemen.

Dabei war bereits 2020 etwa eine Milliarde Menschen von Hunger bedroht. Gerade im Jemen spitzt sich die durch den Krieg ausgelöste „größte humanitäre Katastrophe“ weiter zu, wie es UNOGeneralsekretär Guterres formulierte; 19 Millionen Menschen droht der Hungertod. Die Kriegsparteien Katar und Saudi-Arabien haben die Rückendeckung der USA und werden mit deutschen Waffen beliefert.

Das NATO-Mitglied Türkei verstärkt seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die kurdischen Gebiete im Irak und in Syrien, mit schweren deutschen Waffen, Rückendeckung Deutschlands, der USA und NATO, Russlands und lokaler Schirmherren.

Wohin Kriege führen zeigt sich auch einmal mehr in Afghanistan. Die radikalisierten Taliban nehmen systematisch Razzien u.a. an ehemaligen Ortskräften vor. Die Lebensmittelversorgung des Landes ist hochgradig von Importen abhängig. Durch Dürren und Trockenheit, aber auch durch Einfrieren der afghanischen Währungsreserven durch IWF und USA, können sich die meisten Menschen die verteuerten Lebensmittel nicht mehr leisten.

Gegen die Aufrüstungspläne und das 100 Mrd. Programm

Im Eiltempo wurden nun 100 Milliarden "Soforthilfe" für Waffen und ein Vorstoß unternommen, 2% des BIP für Rüstung zu verschwenden. Damit werden vor allem Rüstungsprojekte durchgedrückt, die schon weit vor dem Ukrainekrieg in den Startlöchern standen und das Geschäft mit dem Morden vorantreiben. So kassiert die Waffenindustrie Rekordgewinne und der Rüstungswettlauf wird angeheizt.

Dabei brauchen wir dringender denn je Investition in Gesundheit und Soziales, Katastrophenschutz, Bildung, bezahlbaren Wohnraum, Unterkünfte für Obdachlose und Geflüchtete, Energiewende und Agrarwende, Kampf gegen den Welthunger. Der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zufolge sind jedes Jahr 14 Milliarden Euro zusätzlich an Spenden nötig, um den weltweiten Hunger bis 2030 wirkungsvoll eindämmen zu können.

Krieg ist keine Lösung, im Gegenteil, er ruft diese Krisen erst hervor bzw. verschlimmert sie durch Leid, Tod und Zerstörung. Es gibt 100 Milliarden bessere Ideen, als Hochrüstung und Militarisierung!

Wir erleben auch, wie am Gedenktag des 8. Mai die Kriegspropaganda auf allen Seiten gravierende Geschichtsklitterung betreibt: die Ukraine stilisiert NS-Kollaborateure und Kriegsverbrecher des 2. Weltkrieges zu Nationalhelden, während Russland seinen Angriffskrieg mit der Befreiung vom Nationalsozialismus gleichsetzt.

Wir leben in sehr gefährlichen und chaotischen Zeiten. Wenn der Weg der Waffengewalt nicht verlassen wird, wird die Welt in eine dramatische Situation geraten.

Daher besteht die Hauptaufgabe emanzipatorischer Friedenspolitik darin, Verhandlungen zu beginnen, Kompromisse zu finden und durch Entspannung, friedliche Koexistenz und Abrüstung die wirklichen Probleme der Menschheit anzupacken.

Quelle: attac AG Globalisierung und Krieg, Erklärung zum 8. Mai 2022 (pdf)


english Version:

This year's anniversary of the liberation from fascism and the end of World War II in Europe is overshadowed by the Russian war of aggression against Ukraine. The Russian invasion is a serious breach of international law and a new quality in the use of force in what has been a long-running spiral of conflict. As in all wars, this one too has lead to immense suffering and also bares the risk of running out of control with unpredictable consequences.

The world now finds itself just a few short steps away from a world war. For in the war in Ukraine, a regional conflict arising out of the chaotic disintegration of the Soviet Union, is being mingled with the geopolitical confrontation over the world order: on the one side, there are the protagonists of a multipolar world, primarily China and Russia, but also India, South Africa and other countries of the global South - and on the opposite side, the U.S.-led West, which wants to maintain its 500-year hegemony over the "rest of the world."

The geopolitical confrontation began more than 20 years ago with NATO's eastward expansion and the undermining of international law - especially through the wars of aggression against Yugoslavia, Iraq, Afghanistan and Libya, which violated international law. It has since been extended to China by way of economic warfare, sanctions and an arms race. Geopolitical confrontation is also the reason why India, Indonesia, South Africa, Mexico and many other countries of the global South and even Israel refuse to become warring parties now. Humanity is presently in an epoch of imminent danger. The climate crisis, famine and other global problems can only be averted through international cooperation.

For that reason, it is precisely now more than ever necessary to break with the logic of armed violence and the spiral of murder, destruction and hatred!

De-escalation and compromise peace instead of escalation and war of attrition

Each day of war means more hatred, more deaths, more destruction and more war crimes. War is waged with weapons. This is why, arms deliveries prolong war. This, however, is the intention of the U.S., which calculates that a long war of attrition will weaken Russia geopolitically. The victims in Ukraine play no role in this calculation, nor does the risk of further escalation to the point of direct confrontation between NATO and Russia. In the meantime, the EU, the German government and large parts of the political spectrum and the media in Germany have likewise adapted this position. Germany is de facto party to the war.

Ukraine cannot win this war, Russia cannot win this war. For those who are really concerned about humanity and empathy with the war victims, the only sensible and morally acceptable alternative to arms deliveries and a war of attrition can only be a compromise peace. Maximum positions cannot bring peace. Each side must make concessions.

The cornerstones of such a compromise peace could be: A ceasefire and the withdrawal of all Russian troops, the establishment of demilitarized zones in and around Donbass supervised by neutral troops, and after a certain period of time a referendum under international supervision plus the neutrality of Ukraine rather than NATO membership, the end of the economic war, and acceptance of the principle of undivided security, i.e. that neither side increases its security at the expense of the other.

Wars, suffering and famine.

A direct result of the Ukraine war is a dramatic hunger crisis which has been dramatically exacerbated by global food price increases and the loss of essential food exports from Ukraine, plus the discontinuation of Russian fertilizer exports, and sanctions imposed by the West. Around the world, many people are reliant on these food exports, especially in war zones such as in Afghanistan and Yemen.

It is worth pointing out that about one billion people were already under threat of hunger in 2020. In Yemen, in particular, as put by UN Secretary-General Guterres, " the greatest humanitarian catastrophe" triggered by the war there continues to escalate. In fact, 19 million people are threatened with starvation in Yemen. The warring parties Qatar and Saudi Arabia have the backing of the USA and are supplied with German weapons.

In breach of international law, the NATO member Turkey is stepping up its war of aggression against the Kurdish regions of Iraq and Syria using heavy German weapons and this also includes backing from Germany, the USA and NATO, Russia and other local sponsors.

Where wars lead to is once again evident in Afghanistan. The radicalized Taliban are systematically raiding, amongst others, former local forces. The country's food supply is highly dependent on imports. Due to droughts, but also due to the freezing of Afghan currency reserves by the IMF and the U.S., most people cannot afford the more expensive food.

No to the rearmament plans and the 100 billion program.

100 billion in "emergency aid" for weapons and a attempt to squander 2% of GDP on armaments has now been launched at a rapid tempo. This is mainly to push through arms projects that were already in the pipeline well before the Ukraine war started and are, in any case, promoting the business of murder. Thereby, the arms industry collects record profits and the arms race is further fueled.

More urgently than ever, we need to invest in health and social services, disaster prevention, education, affordable housing, shelter for the homeless and refugees, energy transition and agricultural transition, as well as the fight against world hunger. According to the United Nations Food and Agriculture Organization, an additional 14 billion euros in donations are needed each year to effectively curb global hunger by 2030.

War is not a solution; on the contrary, it creates all these crises or further aggravates them through suffering, death and destruction. There are 100 billion better ideas than increasing armaments and militarization!

We also observe how on the commemoration day of May 8 the war propaganda on all sides entails serious historical distortions: Ukraine stylizes Nazi collaborators and war criminals of World War II as national heroes, while Russia equates its war of aggression with the liberation from Nazism.

We are living in very dangerous and chaotic times. Should the path of armed force not be abandoned, the world will enter a dramatic situation.

Thus, the main task of emancipatory peace politics consists of commencing negotiations, find compromises and tackle the real problems of mankind through détente, peaceful coexistence and disarmament.

Source: Working group of Attac Germany on Globalization & War, Declaration on May 8 (pdf)

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