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Der gleiche alte Mist: Eckart Conze über die Schatten des Kaiserreichs

Das Bild zeigt das Buchcover: Neben Autor und Titel ist im rechten unteren Bereich ein Foto der Siegessäule in Berlin zu sehen, die ihren Schatten nach links wirftDer 18. Januar 1871, der Tag der Gründung des deutschen Nationalstaates im Spiegelsaal von Versailles, jährt sich zum einhundertundfünzigsten Mal. Einflussreiche Kräfte von rechts deuten die Geschichte des autoritären Kaiserreiches positiv, um ihrer heutigen und zukünftigen deutschnationalen Politik eine Legitimation zu verschaffen.

Gegen den verharmlosenden Erinnerungskult an das Kaiserreich und seine nationalistischen Traditionen setzt der Historiker Eckart Conze sein neues Buch "Schatten des Kaiserreiches – Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe".

Er fragt „Begann 1871, was zwischen 1933 und 1945 so katastrophal endete? War im Kaiserreich das „Dritte Reich“ bereits angelegt?“ und kann zeigen, dass sowohl die Entstehung des Nationalstaates, seine Konstruktion und die vor allem die reaktionären gesellschaftlichen Strukturen in den Ersten Weltkrieg geführt, die Weimarer Republik zerstört und den deutschen Faschismus ermöglicht haben.

Zu Beginn beschreibt Conze den Weg zum Nationalstaat. Die Befreiung von der französischen Besatzung 1813 gehört zur Vorgeschichte der „Reichsgründung“ ebenso wie die „Rheinliedbewegung“ 1840 und die bürgerliche Revolution 1848. Seit der Niederlage der 48er Revolution lenkt Bismarck die Entstehung des Nationalstaates unter der Vorherrschaft von Preußen. Es ist eine der nachdrücklichsten Feststellungen Conzes, dass Bismarck erst mit der Unterstützung der Liberalen seine „Revolution von oben“ und seine Kriege durchsetzen konnte.

Jetzt folgt der entscheidende Teil des Buches, denn Conze benennt offen, was den 1871 im Krieg gegründeten „autoritären Nationalstaat“ strukturell kennzeichnet.

Dieses Kaiserreich war keine Demokratie, denn das Wahlrecht (nur für Männer) war in Preußen, für 60 Prozent der Wähler, eingeschränkt. Es gab auch keine festgeschriebenen Grundrechte wie in der Verfassung von 1848. Entscheidend war, dass das Parlament keine Regierung bilden konnte und auch den Reichskanzler nicht abwählen konnte. Die Stellung von Kaiser und Reichskanzler war institutionell unangreifbar und von Preußen dominiert.

Zu diesen Grenzen der Demokratisierung kommt der ausschließende Nationalismus: „Den äußeren Feinden der Nation, allem voran dem „Erbfeind“ Frankreich, entsprachen als „Reichsfeinde“ im Innern alle Kräfte, die sich im autoritären, kleindeutsch-preußischen und protestantischen Nationalstaat nicht wiederfanden, die ihn ablehnten, weil er im Gegensatz zu ihren politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen stand. Das galt für Katholiken, es galt für die Arbeiterbewegung und für nationale Minderheiten wie Polen, Dänen oder frankophone Elsässer, für die Anhänger der Welfen (…) und sehr bald auch schon für die deutschen Juden. Sie alle verband die Stigmatisierung als Reichsfeinde, als „undeutsch“, der Vorwurf, durch nationale Unzuverlässigkeit die Einheit der Nation zu unterminieren und sie dadurch zu schwächen.“

Die Bedeutung des Antisemitismus in Gesellschaft und Politik hebt Conze hervor, und er weist auf die immer weiter wachsende Rolle der Verbände im Kaiserreich hin. Sie haben den politischen Diskurs nachhaltig nach rechts gedrückt, und auch die Lebenswelt von Millionen Deutschen über mehrere Jahrzehnte bestimmt.

Autoritarismus und Nationalismus gingen einher mit Imperialismus. Schon Mitte der 1880er Jahre annektierte das Kaiserreich den Großteil seiner Kolonien. Deutschland unterwirft die besetzten Gebiete einer drei Jahrzehnte andauernden Ausbeutung und Unterdrückung bis hin zum Völkermord. Die massive Aufrüstung und immer aggressivere Provokationen führen schließlich zur vom Kaiser und den Militärs gewünschten Eskalation. Am Ende steht der Erste Weltkrieg.

Anschließend zeigt Conze, wie Christopher Clarks „Die Schlafwandler“ im Sinne der neurechten Historiker*innen den Diskurs bestimmt und ordnet die aggressiven Entschädigungsforderungen der Hohenzollern kritisch ein.

Eckart Conze hat das wichtigste Buch zum 18. Januar 1871 vorgelegt, seine „geschichtspolitische Intervention“ zielt auf die Gegenwart, und er warnt für die Zukunft vor den neuen Deutschnationalen: „Nation ist in dieser Sichtweise kein demokratisches und kein freiheitliches Konzept individueller Zugehörigkeit und Teilhabe, sondern beruht auf der Unterscheidung von Gemeinschaft und Gemeinschaftsfremden.“ Er macht deutlich: Wer das Kaiserreich idealisiert, wendet sich gegen die Fundamente der Republik.

Conze ist allerdings naiv bei der Beurteilung der Kräfte, die die Restauration beharrlich vorantreiben. Es gibt eben nicht erst seit der Gründung der AfD – als Partei der Deutschnationalen – reaktionäre Vorstöße. Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses mit dem Humboldt-Forum wird seit 2000 geplant, der Wiederaufbau der Garnisonskirche seit 2004. 1999 führte Deutschland Krieg gegen Rest-Jugoslawien, und es vergeht keine Woche ohne Naziskandale in Bundeswehr, Polizei und Geheimdiensten. Darauf gibt das Buch keine Antwort.

EUR 22,00
ISBN: 978-3-423-28256-7
2. Auflage
288 Seiten

Erstveröffentlichung am 22. Dezember 2020.

Fight by night

Das Foto von © Kinkalitzken zeigt die Demo mit drei Seitentransparenten mit der Auschrift "Patriarchat vertreiben!" und eines zur Freiheit für alle politischen Gefangenen
Foto: © Kinkalitzken via Umbruch Bildarchiv
Rund 3.000 Menschen nahmen sich am 8. März 2024 unter dem Motto „Fight by night“ mit einem FLINTA*-Frontblock zum feministischen Kampftag die Straßen von Berlin-Kreuzberg. Die queer-feministische Demonstration hatte das Ziel – wie bereits bei ihrem Debüt im Vorjahr – Wut auf das Patriarchat lautstark und kämpferisch auf die Straße zu tragen, Solidarität auszudrücken mit allen feministischen Kämpfen und vom Patriarchat betroffenen Menschen weltweit.

Zu den Fotos beim Umbruch Bildarchiv.

Im Gegensatz zur Demo im letzten Jahr verhielt sich die Polizei zurückhaltend.

„Wir denken aber, dass es auch eine Möglichkeit geben sollte, an diesem Tag kollektiv dem patriarchalen Systemen all den Schmerz und die Wut zu zeigen, die wir in uns tragen. Wir möchten diesen 8. März wieder laut und wütend auf die Straße gehen.“ (aus dem Aufruf)

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Internationaler Frauentag: "Das Ziel ist Frauenrecht als Menschenrecht."

Wir wünschen allen Freundinnen, Kolleginnen, Müttern, Töchtern, Schwestern, Großmüttern, Liebhaberinnen, Nachbarinnen, Gegnerinnen, Revolutionärinnen, Mädchen, ... einen kämpferischen internationalen Frauentag!

In Europa beschloß die II. Internationale Sozialistische Frauenkonferenz (100 Delegierte aus 17 Ländern) auf Initiative von Clara Zetkin am 27. August 1910 in Kopenhagen (übrigens im Ungdomshuset) die Einführung eines jährlichen Internationalen Frauentages für die Interessen der Frauen gegen mehrfache Ausbeutung und Unterdrückung. Themen waren vor allem die Gleichberechtigung der Frauen, ihr Wahl- und Stimmrecht, sowie der Kampf gegen den imperialistischen Krieg.

Der erste Frauentag wurde am 19. März 1911 in Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz sowie den USA begangen. Allein in Berlin kamen etwa 45.000 Frauen zusammen, um sich für ihre Rechte stark zu machen. In den folgenden Jahren versammelten sich Millionen von Frauen zu den jeweils im Frühjahr organisierten Demonstrationen, Veranstaltungen und Aktionen. Schon 1912 kamen Schweden, Frankreich und Holland, 1913 Russland und die Tschechoslowakei dazu. Neben dem Wahlrecht forderten die Frauen bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, Mutter- und Kinderschutz und protestierten gegen den imperialistischen Krieg. Das aktive und passive Wahlrecht wurde den Frauen in Deutschland im Zuge der Novemberrevolution 1918 durch den Rat der Volksbeauftragten zuerkannt.

1921 wurde auf der zweiten kommunistischen Frauenkonferenz, wiederum auf Initiative von Clara Zetkin, der internationale Frauentag auf den 8. März festgelegt. Dieses Datum war eng mit den proletarischen Frauenkämpfen verbunden:

• Am 8. März 1857 streikten in New York Textilarbeiterinnen, gefolgt von einer Streikwelle in der Textil- und Tabakindustrie.
• Am 8. März 1908 kamen 129 streikende Arbeiterinnen der Textilfabrik "Cotton" in New York bei einem Brand ums Leben. Vom Fabrikbesitzer und den Aufsehern wurden die Frauen in der Fabrik eingesperrt, um zu verhindern, daß sie Kontakt zu ihrer Gewerkschaft aufnehmen. Sie hatten für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen gekämpft.
• Am 8. März 1917 (russ. Kalender: 23. Februar) fand St. Petersburg ein massiver Streik der Textilarbeiterinnen gegen Krieg, Hunger und Zar statt. Nachdem weitere Sektoren ergriffen waren, kam es zum Generalstreik, der als Auslöser der Februarrevolution gilt.



Bildquelle: Bildercache.de

"Das Ziel ist Frauenrecht als Menschenrecht." Clara Zetkin (1857 - 1933), Initiatorin des ersten Internationalen Frauentages stellte klar, dass eine wirkliche Befreiung der Frau untrennbar verbunden ist mit der Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung. Sie wendete sich aber auch gegen diejenigen, die meinten, diesen Kampf auf den St. Nimmerleins Tag verschieben zu können.

In diesem Sinne fordern wir dazu auf, an den Aktionen an diesem Tag teilzunehmen. Möglichkeiten dazu finden sich zum Beispiel bei LabourNet.


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