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"Hangmen also die!" (Brecht) Oder: Auch die Henkerspräsidenten trifft es einmal...

Ausgegrinst: Zine El Abidine Ben Ali, Expräsident
Foto: WikiPedia / Presidencia de la Nación Argentina Lizensiert unter CC 2.0
Präsident Ali hat - abgewiesen von Frankreich und wahrscheinlich auch Italien - schließlich Saudi-Arabien erreicht, wo er bei den nicht weniger schuldigen Amtsbrüdern Asyl erfleht. Ganz offenbar hatte Sarkozy eine Höllenangst, bei den für morgen angekündigten großen Demonstrationen in Paris könnten ungünstige Ähnlichkeiten zwischen diversen präsidialen Gestalten auf - und angegriffen werden. Er übernahm zwar die family, jagte den vor kurzem noch "confrère " genannten Kollegen zum Teufel.

Die sonstigen Ereignisse werden aus den Tagesnachrichten bekannt sein. Interessant für die inneren Machtverhältnisse, was Le Monde noch erraten zu haben glaubt. Beim Versuch, die Aufständischen zu erledigen, tat sich auf den Straßen vor allem die Polizei hervor. Man konnte den Eindruck bekommen, dass die verhasste Truppe vor allem um das eigene Überleben und den sicheren Besitz der Polizeikasernen als eine Art Festung kämpfte. Wenigstens die sollten gesperrt sein fürs Volk. Die Angst ist wohl nicht unbegründet, dass die Massen, wenn sie zum Sturm antreten, gerechtes Gericht halten würden über Folterer und solche, die im Straßenkampf sich besonders gehässig hervorgetan hätten.

Das Militär dagegen scheint sich schon zu Beginn des Tages aus dem Geschäft der offenen Repression zurückgezogen zu haben. Es wurde mehrfach von Fällen berichtet, in denen Militärs sich auf die Seite der Massen gestellt hätten. Auch ist die Machtübernahme durch den Premierminister des jetzt geflohenen Präsidenten wohl nur durch Unterstützung durch  Offiziere zu erklären. Vermutlich kommt man durch einen zu vermutenden Putsch der Armee auch dem plötzlichen Sinneswandel des Ex-Präsidenten auf die Spur. Morgens röstete er noch laut von Neuwahl und Reform: Um sechs Uhr saß er im Flugzeug.

Sollte ihm das Oberkommando der auf ihn verteidigten Truppen dazwischen nicht ein paar deutliche Worte gesagt haben? Und den Schutz des Präsidentenpalais einfach eingestellt?

Die Aufständischen waren offenbar nicht ganz so unvorbereitet, wie sich die Verehrer der reinen Spontaneität das vorstellen. Jedenfalls - immer nach den französischen Quellen - haben sie über Listen der Häuser verfügt, die alle Alis Frau und seinem ganzen Anhang gehörten. Diese - und nur sie - wurden eins nach dem anderen gewissenhaft geplündert - mis à sac - und möglicherweise auch in Brand  gesetzt.

Der Hauptteil der Präsidentenfamilie wurde in Frankreich aufgenommen. Nur der Schwiegersohn Alis war zu spät dran: Er wurde gefangengenommen. Was immer das im Augenblick einer schwankenden Bürokratie auch heißen mag.

Soweit sich die Lage bis jetzt durchschauen lässt, handelt es sich keineswegs um eine der vom US-Außenministerium inszenierten Revolutionen mit phantasievollen Namen: Die in Tunis wurde von  Schmiermündern schon als "jasmiene" bezeichnet.  Man muss das, was geschehen ist, als Militärputsch ansehen, der aber wohl von den Revolutionären für eine gewisse Zeit als Erleichterung hingenommen werden wird. Es gab ja immerhin selten -wie 1975 in Portugal - auch linksgemeinte Militär -Zugriffe. Lange freilich sollte sich ein Ministerpräsident nicht halten dürfen, der seit Jahren die Geschäfte seines blutigen Herrn offensiv geführt hat.

Was das alles für die wackelnden Nachbarstaaten bedeutet, muss nicht ausgeführt werden. In Algerien erheben sich massenhaft Demonstranten. Marokkos König sitzt lange nicht so sicher auf seinem Thron, wie er sich das vorstellt. In Libanon hat die Hisbollah sich den Zumutungen der Regierung durch Rückzug aller Minister entzogen. Und meint Ägyptens Präsident denn wirklich, ihn als einzigen der alten Potentaten hätten die Leute von Herzen lieb?

Die wirtschaftlichen Herrscher über den Vorderen Orient, die europäischen Imperialisten und die USA, werden sich ziemlich schnell etwas Neues einfallen lassen müssen. Ihre Rechnungen gehen schon eine Zeit lang gar nicht mehr glatt auf.

PS: Wie gesagt, alles auf dürftige Nachrichten gestützt. Die nächsten Tagen müssen zeigen, wer nun in Tunis wirklich die Macht in der Hand hat. Die revolutionären Massen sind es gewiss - noch - nicht.

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