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„Der Zug bleibt stehen“ Ein Bericht vom Warnstreik der Lokführer in Stuttgart am 10. Juli

„Kein Eisenbahner im Dienst, auch nicht der, der bei Transnet organisiert ist, hält diesen Abschluss für akzeptabel“. Dessen ist sich der GDL-Bezirksvorsitzende, Volker Drexler, am Tag nach dem Abschluss bei der Bahn sicher. Er rechnet vor, dass der Transnet-Abschluss unterm Strich nur eine tabellenwirksame Erhöhung von 2,8% aufs Jahr gerechnet, bedeute. Die Streikbeteiligung am 10.7. scheint ihm Recht zu geben. Mehr Lokführer und auch Zugbegleiter als letzte Woche treten um 8.00 Uhr am Stuttgarter Hauptbahnhof in den Warnstreik. Aus Unmut über den Abschluss seien gestern sogar Kolleginnen und Kollegen von Transnet in die GDL übergetreten und würden heute bereits mitstreiken. Und das wären keine Einzelfälle, sondern das passiere fortlaufend und würde sich fortsetzen. Und wenn bei den Verhandlungen am Freitag nichts Besseres herauskäme, dann wird es wohl keine weiteren Warnstreiks, sondern Urabstimmung und Streik geben. Das ist die Stimmung unter den ca. 30 neben einem Prellbock des Stuttgarter Kopfbahnhofs versammelten Eisenbahnern und ihres Bezirksvorsitzenden. Der Versuch von Mehdorn, den Streik der GDL per Gerichtsbeschluss zu unterbinden hat die Kampfbereitschaft zusätzlich beflügelt. Niemand glaubt, dass ein richtiger Streik am Ende tatsächlich verboten werden könnte. Sie glauben fest daran, dass sie am Ende einen besseren Tarifvertrag bekommen. „Die Frage ist nur, welchen Hartmut Mehdorn dafür bezahlen möchte“, so Kollege Volker Drexler.

An diesem Morgen sorgen aber Meldungen über eine einstweilige Verfügung für Verunsicherung. Die Pressemeldung vom Streikverbot wird von Fahrdienstleitern genutzt um Lokführer mit der Androhung von arbeitsrechtlichen Konsequenzen zur Arbeit zu zwingen. Laufend klingelt das handy des GDL-Vorsitzenden. Ein Kollege einer Güterzuglok, der vor einem Bahnhof steht, meldet sich. Er bekommt Druck von oben weiterzufahren und ist verunsichert, ob man ihm was anhaben könne. „Der Zug steht am Signal, da bleibt er auch, Ende, aus“ So die Antwort der Streikleitung. Der Kollege am Ende wird beruhigt. Man sagt ihm die drohen immer. Aber damit kämen sie nicht durch. „Und wenn, dann sei er nicht Schuld, sondern die Streikleitung“. Auch eine Zugbegleiterin streikt mit und hat sich unter die Versammelten gemischt. Sie findet dass die GDL die bessere Gewerkschaft sei. Wieder wird Druck ausgeübt auf einen Lokführer. „Der Fahrdienstleiter kann dreißigmal um Deinen Bahnhof rennen, der Zug bleibt stehen wo er ist“. So die unterstützenden Worte an den Kollegen am anderen Ende. Ein anderer anrufender Kollege sagt, er hätte Anweisung zu fahren, weil es ein Notfall sei. „Wenn ein Zug irgendwo steht, ist das kein Notfall, sondern ein Streikfall. Der Zug bleibt stehen“. So die Anweisung vom Streikzentrum am Bahnsteig ins Führerhaus. Ohnehin hätte die Bahn keine Notdienstvereinbarung abgeschlossen, also gäbe es keine Notdienste. Eine aus Transnet ausgetretene Zugbegleiterin kommt auf die Gruppe der Streikposten zu. Sie muss heute arbeiten, aber sie wollte es sich „nicht nehmen lassen vorher meine Kollegen zu begrüßen“: „Das ist wirklich in Ordnung was ihr macht. Ganz toll, dass ihr das durchzieht“, erklärt sie euphorisch. Auch sie ist unzufrieden mit den 4,5%. „Was bleibt denn da am Ende übrig? Nix. Das frisst alles die Steuer wieder auf. So ist es doch“ Man ist sich auch einig, dass es ohne GDL-Streik überhaupt keinen Streik von Transnet gegeben hätte und der Abschluss noch schlechter gewesen wäre. Transnet-Chef Hansen hätte nur im Kopf mitzuhelfen, die Bahn börsenfähig zu machen. Die Lokführer sind gegen die Privatisierung. Nach den Worten des GDL-Bezirksvorsitzenden, Volker Drexler, war die GDL gegen die Umwandlung der Bahn in eine Aktiengesellschaft. Und heute sei man gegen die Privatisierung. Auf die Frage, ob er der Meinung sei, dass die Privatisierung der Bahn Diebstahl sei, antwortet er: „Ganz eindeutig. Wer ein Objekt, das 120 bis 130 Milliarden wert ist, für 10 bis 20 Milliarden verschachern möchte, der betreibt Diebstahl am Volk“ Doch ein politischer Streik zur Verhinderung der Privatisierung kommt für den GDL-Funktionär aus dem Südwesten nicht in Frage: „Wir halten uns streng an die Gesetze. Und politischer Streik ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht zulässig“. Eine der vielen sich auf dem Bahnhof befindenden Journalisten berichtet, das Arbeitsgericht Mainz hätte die Streiks verboten und will wissen, wie die GDL darauf reagiert. Bis zur Minute gäbe es nur Pressemeldungen darüber. Und bis zur Zustellung der einstweiligen Verfügung werde man weiterstreiken.

Genaue Zahlen über die ausfallenden Züge und S-Bahnen gibt es nicht. Die Streikenden schätzen ihren Wirkungsgrad auf 80%. Auch die Anzeigentafeln streiken. Ein Kollege berichtet von Stress am Gleis 3. Dem für den Zug nach Singen eingeplante Lokführer wird Arbeitsverweigerung vorgeworfen und eine Abmahnung angedroht. Die Fahrgäste sind eingestiegen. Der Lokführer befindet sich im Führerhaus. Noch steht der Zug. Der Bezirksvorsitzende spurtet durch den Bahnhof über den Bahnsteig an die Spitze des Zuges. Kurze Zeit später gibt der Lokführer den Fahrgästen bekannt, dass der Zug wegen Streik ausfällt. Seinem Vorgesetzten meldet er: „Die Streikleitung hat gesagt, ich bleib stehen, dann bleib ich stehen“. Die Fahrgäste verlassen den Zug. Ein in Anzug gekleideter Herr aus der Mitte des Zuges kommt in festen Schritten zum Führerhaus. Sieht nach Beschwerde aus. Ist es aber nicht: „Ich finde es richtig, was sie machen. Lassen sie sich nicht verarschen“, sagt er trocken, dreht sich um und geht. Das beeindruckendeste an diesem Streiktag ist, wie die sitzengebliebenen Fahrgäste den Streik aufnehmen. Alle finden es erwartungsgemäß lästig, dass sie ihr Ziel verspätet erreichen. Aber bis auf ganz vereinzelte Ausnahmen herrscht Gelassenheit und viel Verständnis unter den Hunderten, die sich im Bahnhofsgebäude tummeln. Einige kritisieren, dass sie sich nicht darauf einstellen konnten, weil die Meldung kam, der Streik sei verboten. Eine Lehrerin will mit ihrer Schulklasse ins Schullandheim nach Sylt. Ob sie da heute noch ankommen weiss sie nicht. Sie hat für den Streik Verständnis, weil der Lohn der Lokführer in keinem Verhältnis zu der Verantwortung stehe. Andererseits fände sie aber die Forderung unrealistisch. Schiebt dann aber hinterher, dass es wahrscheinlich politisch Sinn mache, so eine hohe Forderung zu stellen. Abspecken könne man dann ja immer noch. Ein Berufstätiger, der auf die S-Bahn angewiesen ist, findet es „lästig“, aber wenn „ich streiken könnte, würde ich es auch tun. Ich verdien viel zu wenig und hab keine Gewerkschaft. Die Geschäftsführung unterdrückt Betriebsrat und Gewerkschaft“. Ein anderer Betroffener erklärt zum Streik: „Was sein muss, muss sein“ Mehr hätte er dazu eigentlich nicht zu sagen. Schon wieder wird ein Kollege mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen beroht. Der GDL-Vorsitzende erklärt über Handy, dass die Vorgesetzten mit ihren Drohungen nicht durchkommen werden. Das hätte sich letzte Woche schon in NRW gezeigt.

Viele Beamte sind auf dem Bahnhof anzutreffen. Einige sind in ihrer Freizeit gekommen, um ihre Streikenden Kollegen zu unterstützen. Andere kommen kurz vor oder nach Dienstschluss vorbei. Sie dürfen nicht streiken. Und daran wollen sie sich genauso halten wie an den Fahrplan. Eigentlich dürften sie sich zum Streik gar nicht äußern, meinen sie. Doch der angestaute Unmut ist zu groß, um das durchzuhalten. Und so platzt es bald aus ihnen heraus, was ihnen nicht passt. „Die da oben stecken die fetten Prämien ein. Da ist es doch höchste Zeit, dass die jungen Kollegen sich mal zu Wort melden“ Und die 30%-Forderung? Die wäre nicht von der Gewerkschaft gekommen. Das hätte die Presse so aufgebauscht. Man müsse so rangehen, dass man den Betrag einfordert, den man brauche, um eine Familie zu ernähren. „Wenn das dann auf 30% mehr kommt, dann sind es halt 30%. Dann ist es trotzdem in Ordnung“. Andere ergänzen, dass es gut wäre, dass durch den Streik in die Öffentlichkeit gekommen wäre, unter welchen Bedingungen die Lokführer heute arbeiten. Aber da müsste noch viel mehr bekannt gemacht werden. Dazu gehöre, dass die Lokführer nur noch eine kurze Ausbildung bekämen und dann gucken müssten, wie sie mit der Technik klar kämen. Hinzu käme, dass begonnen werde, die Zugbegleiter ganz abzuschaffen. In den Regionalzügen nach Ulm und Heilbronn wäre das schon so. Die nächste Strecke sei Ulm. Und so gehe das immer weiter. Der Lokführer sei dann das einzige Personal im Zug. Dadurch würde der Druck noch mal enorm steigen. Ein anderer Beamter fügt hinzu: „Das sind unsere Kollegen, und sie haben recht. Und deshalb stehen wir hinter ihnen“. Sich selbst sehen die Beamten als „Auslaufmodell“ bei der Bahn. Aber das hätte die Bahn jetzt davon, dass sie die Beamten abschaffe, jetzt würde halt gestreikt. Die formal an die Bahn ausgeliehenen Staatsdiener verdienen zwar noch mehr als die angestellten Lokführer. Aber sie finden es nicht richtig, dass sie immer länger und härter arbeiten müssen und dafür immer weniger Geld bekommen. Seit 10 Jahren hätten sie keine Besoldungserhöhung mehr bekommen. Man habe ihnen das Urlaubsgeld ganz gestrichen, das Weihnachtsgeld auf 30% gekürzt und die Wochenarbeitszeit auf 41 Stunden hochgesetzt. Und wenn jetzt noch privatisiert würde, dann würde alles noch schlimmer. „Dann kriegen wir englische Verhältnisse“.

Ein Rentner mischt sich unter die Streikposten. Er war 40 Jahre lang bei der Stuttgarter Straßenbahn beschäftigt, war Mitglied in der ÖTV und jetzt in ver.di und an vielen Lohnkämpfen beteiligt. Nein, er wolle heute nicht mit dem Zug fahren. Er sei extra hierher gekommen, um zu sehen, ob die Lokführer tatsächlich Ernst machen und zeigt sich sichtlich erfreut über den Streik. Es könne ja wohl so nicht weitergehen, dass die Preise immer mehr den Löhnen davonrennen. Er habe auch kein Verständnis dafür, dass die anderen Gewerkschaften, auf den Lokführern herumhacken, statt sie zu unterstützen. Er ist fest davon überzeugt, dass alle Arbeiter was davon haben, wenn die Lokführer was rausholen. Und er betont, dass jede Lohnerhöhung auch mehr Geld in die Renten- und Krankenkassen bringen würde.

10.15 Uhr. Die einstweilige Verfügung ist bei der GDL eingegangen. Der Warnstreik wird abgebrochen. Aber alle sind sich einig. Das ist nicht das Ende. Der Bezirksvorsitzende geht davon aus, dass es nach kommenden Freitag auch eine Rechtslage geben wird, die den Streik legal macht.

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