Skip to content

Wozu noch wählen?

Der allgemeine Abscheu scheint einen anzugreifen. Den neugewählten Chef der griechischen Regierung - und seinen Finanzminister. Erst haben sie sich gegen ihre Wohltäter gewandt - und das wie frech - und dann haben sie sich eigensinnig auch noch der Einheitsfront entzogen. Die EU- weit sich für weitere Sanktionen gegen Russland ausgesprochen hätte. So etwas Selbstverständliches nicht einfach mittragen.

Die Serie der Ankläger Griechenlands vergisst bei ihren Angriffen nur eines. Sie geht von der Einheit des Kapitals aus. Verträge sind heilig. Ganz egal, wer sie einmal abgeschlossen hat. Einmal gefangen - immer verlässlich. Wie könnte sonst das Prinzip des Kapitalismus funktionieren. Ewige Verlässlichkeit. Allerdings nur für die Ausleiher.

Eines bleibt dabei freilich übersehen. Demokratie.

Deren Prinzip heißt schließlich: Die Meinungen können sich ändern. Wenn eine Menschenmenge erkennt, dass sie sich in Fesseln gelegt hat, wie auch immer begründet, dann muss sie sich die Freiheit erlauben, sich zu ändern. Sich zu erheben gegen die bisherigen Klammern. Dasselbe - und noch deutlicher - gilt von der Fortsetzung einer bisherigen Politik. War es bisher schon schwachsinnig, sich an den Stößen gegen Russland zu beteiligen, wieso sollte eine neue Regierung sich dann nicht erlauben dürfen, den Blödsinn zu beenden.

Bleibt es also bei einer Alternative: Bleibt es bei künftigen Abstimmungen beim Grundprinzip des Kapitals, dann wird es in Zukunft immer weniger Gründe geben, überhaupt zum Wählen zu gehen. Es muss dann doch auf jeden Fall beim immer schon Vereinbarten bleiben.

Oder wir bleiben beim bisherigen Begriff von Demokatie stehen. Dann muss man auch mit der Veränderlichkeit der Meinungen der Menschen leben können. Und diese beherzigen.

Wonach sieht es im Augenblick in Deutschland aus?

Georg Heym: Der Krieg

Georg Heym
Georg Heym
Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.

In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit,
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.

In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
In der Ferne <wimmert> ein Geläute dünn
Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.

Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an
Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an.
Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,
Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.

Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.
Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.

Über runder Mauern blauem Flammenschwall
Steht er, über schwarzer Gassen Waffenschall.
Über Toren, wo die Wächter liegen quer,
Über Brücken, die von Bergen Toter schwer.

In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein
Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.

Und mit tausend roten Zipfelmützen weit
Sind die finstren Ebnen flackend überstreut,
Und was unten auf den Straßen wimmelt hin und her,
Fegt er in die Feuerhaufen, daß die Flamme brenne mehr.

Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,
Gelbe Fledermäuse zackig in das Laub gekrallt.
Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht
In die Bäume, daß das Feuer brause recht.

Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
Aber riesig über glühnden Trümmern steht
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht,

Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
In des toten Dunkels kalten Wüstenein,
Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.

Georg Heym, 1911

Text und Interpretation via antikoerperchen.de, siehe auch Rezitation von Fritz Stavenhagen
cronjob