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Was mir heute wichtig erscheint #296

Hintertüre: Seit kurzem gibt es gute und weniger gute Werbung. Zumindest für AdBlock+, ein bislang empfehlenswertes BrowserPlugin, mit dem nervige Werbung automatisch abgeschaltet wurde. Vor einigen Tagen entschieden sich die Hersteller des Plugins, bestimmte Werbung durchzulassen, und dies sogar noch zur Standardeinstellung des Plugins zu machen. Ohne den Benutzer explizit zu fragen. Nun ist ja das Abschalten nerviger Werbung der eigentliche Zweck zur Verwendung des Plugins. Für F!XMBR ein Grund, AdBlock+ als Malware zu bezeichnen. Was solls, es gibt brauchbare Alternativen, zum Beispiel Privoxy, das nicht nur auf einzelnen Windosen sondern auch auf Servern läuft und mit anderen sinnvollen Erweiterungen, zum Beispiel TOR verbunden werden kann.

Zutrittsverbot: Der Schlossgarten war ein Geschenk von Königin Katharina und König Willhelm an das Stuttgarter Volk. Genau diesem soll nun verboten werden ihr Geschenk zu betreten: Die Landeshauptstadt Stuttgart verhängt eine Allgemeinverfügung,  die es den Bürgern auf praktisch der ganzen Fläche des mittleren Schlossgartens untersagt diese zu betreten. Die Bürger  “…haben diesen Bereich spätestens ab Beginn/Bekanntgabe der Einsatzmaßnahmen der Polizei im Mittleren Schloßgarten unverzüglich zu verlassen.” Da die Parkzelte bis zum 12.01. um 08 Uhr geräumt sein müssen, ist davon auszugehen dass bald danach die Einzäunung beginnen, und daraufhin mit der Abholzung der Bäume begonnen wird. Mehr bei HighWay2Höll

Verhindert: Am 8.10.2011 dokumentierten Demonstrationsbeobachter des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit eine in Heilbronn stattfindende Demonstration gegen Neonazis. Am Rande dieser Veranstaltung zwangen Heilbronner Polizisten die Demobeobachter unter Androhung der Ingewahrsamnahme, Fotos auf einer Digitalkamera zu löschen. Deswegen erstatten die Betroffenen nun Strafanzeige. Ein Radio Dreyeckland Gespräch mit Alfred Denzinger vom Bündnis für Versammlungsfreiheit. Siehe auch: »Die Polizei zwang uns, gespeicherte Fotos zu löschen«.

Überlänge: Überall bereiten UnterstützerInnen von Mumia Abu-Jamal und Anti-Todesstrafen-AktivistInnen derzeit "Berlins längstes Transparent der Welt" vor, um im kommenden Frühjahr die Freilassung von Mumia Abu-Jamal zu fordern. Alle bemalen und/oder beschreiben ein Stück Stoff: 50 x 50 cm. Falls du auch daran teilnehmen möchtest, melde dich per e-mail bei kontakt@freiheit-fuer-mumia.de

Illusionär: "The illusion of freedom will continue as long as it's profitable to continue the illusion. At the point where the illusion becomes too expensive to maintain, they will just take down the scenery, they will pull back the curtains, they will move the tables and chairs out of the way and you will see the brick wall at the back of the theater." Frank Zappa. Via amazonas-box

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika.

Exportweltmeister: Im Jahresrückblick der Tageszeitung "junge Welt": Überwachungstechnik. Trojaner, IMSI-Catcher und »stille SMS« helfen, den Widerstand klein zu halten. Deutsche Technologie wird weltweit eingesetzt.

Übersicht: Neonazis in der Region Stuttgart. Nach den Rechten schauen. Beitrag in der Stuttgarter Zeitung.

Geschichtsblind: Über Tote soll man nicht schlecht reden, heisst es. Warum eigentlich nicht? Über "Jopi" Heesters liesse sich einiges sagen.Er wird von allen möglichen, von einigen sogar als "linken" vermuteten Medien als großer Künstler gehuldigt, während gleichzeitig die kritische Haltung vieler Menschen in den Niederlanden zu ihm und seinem Wirken unterschwellig als "Spassbremsen" belächelt wird. Wahrscheinlicher ist, dass hierzulande vielen das richtige Geschichtsverständnis fehlt. Auch eine Art der Geschichtsbewältigung.

Sendeschluss: "Nun ist es vor­bei. Fast zwei Jahre waren die „Nach­rich­ten“ des rechts­po­pu­lis­ti­schen, eso­te­ri­schen und ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­schen „Kopp--‹Ver­lags“ zu sehen, die Tag für Tag ins In­ter­net ge­stellt wur­den. Kurz vor Weih­nach­ten wurde das For­mat ein­ge­stellt. Mit den „Kopp--‹Nach­rich­ten“ ver­sorg­ten sich die Ver­schwö­rungs­fans mit ihrer täg­li­chen Ra­ti­on Ver­schwö­rungs­theo­rie. Mo­de­riert wur­den die Nach­rich­ten, die die­sen Namen nicht ver­die­nen, durch die An­ti--‹Fe­mi­nis­tin Eva Her­man. (...)" Mehr bei publikative.org

kritisch-lesen.de Nr. 12 - Wem gehört die Stadt?

Foto: © Jörg Möller
In unserer mittlerweile zwölften Ausgabe geht es im Schwerpunkt um Möglichkeiten emanzipatorischer und widerständiger Stadtpolitiken. Untrennbar damit verbunden ist in der öffentlichen Diskussion seit einigen Jahren der Begriff Gentrifizierung, der den Prozess der Aufwertung von Stadtteilen beschreibt, die sich klischeemäßig an einer wachsenden (oftmals grün-„alternativen“) Infrastruktur von Galerien, Bioläden und übermäßigem Latte Macchiato-Konsum ablesen lässt. Doch was für einige ein honigsüßer (T)raum zu sein scheint, wird für andere zu einer bitteren Realität: Gentrifizierung führt zu einer weitreichenden Verdrängung der bisherigen, meist ärmeren Bewohner_innen zugunsten oder gerade durch ökonomisch, sozial und kulturell Privilegierte. An diesem Punkt knüpfen wir an, um Notwendigkeiten und Potentiale der Raumaneignung sichtbar zu machen.

Zunächst widmet sich Sebastian Friedrich dem Buch Wir bleiben alle von Andrej Holm und streicht die Vielschichtigkeit von Gentrifizierungsprozessen und die Notwendigkeit breiter Bündnisse für effektiven Widerstand heraus. Die Besprechung Häuserkampf ist doch Achtziger von Franziska Plau fokussiert die Dynamiken städtischer Machtverhältnisse am Beispiel des Ungdomshuset in Kopenhagen und hebt insbesondere die internationale Vergleichbarkeit von Verdrängungsprozessen hervor. Ebenfalls für auf andere Städte übertragbar hält Sebastian Kalicha in seiner Rezension zu Wie bleibt der Rand am Rand von Robert Sommer den Umgang mit Obdachlosigkeit in Wien und die erschreckenden bis absurden Versuche, Menschen, die nicht ins Stadtbild passen, aus den konsumorientierten Zentren zu vertreiben. Davon ausgehend widmen sich zwei Autor_innen Publikationen zu Möglichkeiten der widerständigen Raumaneignung. Konkrete Freiraumpolitiken und ihre Aushandlungen schildert Ulrich Peters in seiner Rezension zu Gender und Häuserkampf und macht dabei deutlich, dass auch in linken Zusammenhängen ein Bewusstsein darüber existieren muss, dass Freiräume keine machtfreien Orte sind. Ein Beispiel für individuelle, allnächtliche Raumaneignung betrachtet Jorane Anders in Der erschriebene Aufstand: Graffiti und Street-Art als Rückeroberung der Stadt.

Eine traurige Aktualität erhält der von Tompa Láska rezensierte Sammelband Kaltland und die darin enthaltene Auseinandersetzung mit den Pogromen gegen Migrant_innen in den 1990er Jahren angesichts der erschütternden Morde durch organisierte Nazis und des Umstands, dass in der öffentlichen „Debatte“ mal wieder Rassismus bloß als gesellschaftliches Randphänomen behandelt wird. Einen gelungenen Blick in die Geschichte linker Arbeiter_innenkämpfe leistet nach Ismail Küpeli das Buch Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland: Von den Anfängen bis 1914. Mit welchen Normalisierungsstrategien die Bundeswehr ihre Nachwuchssorgen zu lösen versucht, stellt anschließend Heinz-Jürgen Voß in seiner Rezension zu An der Heimatfront ausführlich dar. Nicht um Krieg, aber dafür um die Frage, wie „Psyche“ und die Erfindung des „Anderen“ zusammengedacht werden könnten, geht es dann in Adi Quartis Rezension Fabelhafte Psyche! zu einem aktuell erschienenen Bändchen von Jacques Derrida. Schließlich denkt mal wieder Gabriel Kuhn allerhand zusammen. In seiner Rezension von Pogo, Punk und Politik stellt er sich gegen die weitverbreitete Annahme, Punk sei unpolitisch.

Zum Tode von Georg Kreisler, der in gewissem Sinne sehr politischen Punk machte, möchten wir die Rezension zu seiner vor zwei Jahren erschienenen Autobiographie Letzte Lieder aus unserem Archiv als eine Art Nachruf ans Herz legen.

Viel Spaß beim kritischen Lesen!

Hier gehts zur Ausgabe

Was mir heute wichtig erscheint #295

Erinnerungsarbeit: "Klar, die 68er hatten die bessere Presse. Aber das ist kein Grund, nicht an das Jahr 1980 zu erinnern. Dem Jahr der letzten Jugendrevolte." Beitrag von Stefan Laurin bei den Ruhrbaronen, via publikative.org

Zensurversuch:" Die Deutsche Bank droht mit rechtlichen Schritten und Schadenersatzklage gegen einen Film über Nahrungsmittelspekulationen, sollte nicht eine Passage des Pressesprechers Frank Hartmann herausgenommen werden. Der Pressesprecher wird dahingehend zusammengefasst, dass nicht die Händler von Banken, sondern die Menschen in Somalia für ihre Armut selbst verantwortlich seien. Daraufhin bestätigt Hartmann: „Natürlich sind die selbst schuld!“" Mehr zum Film und dem Ansinnen der Deutschen Bank beim "Zentrum für Politische Schönheit" via DFG/VK.

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika.

Akteneinsicht: Das Thü­rin­ger Lan­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz wurde am Donnerstag für drei Stun­den be­setzt. Ca. 40 Ak­ti­vis­tIn­nen dran­gen angesichts unverschlossener Türen in das Ge­bäu­de der Be­hör­de ein und for­der­ten: „Ich will meine Akten sehen“ oder „Ver­fas­sungs­schutz auf­lö­sen“. Dazu gibt es auch ein Video der Filmpiraten. Nicht zur Besetzung, sondern zur Mahnwache ruft die VVN-BdA Baden-Württemberg für den kommenden Montag 15:30 vor dem Landesamt für Verfassungsschutz auf.

Vorweihnachtsgeschenk: Die Neuseeländische Reggae-Band The Black Seeds verschenkt aktuell einen 8-Track Sampler, via den Kreuzberger Blogrebellen.

Sektenzustand: Das Ergebnis einer Unter­suchungskommission ist erschreckend: In den Niederlanden wurden zwischen 10.000 und 20.000 Kinder in katholischen Einrichtungen mißbraucht. Die Kirche habe zudem versucht, derartige Fälle aus Angst vor Skandalen zu vertuschen. Via Jörg Kantel, der auch viel Solidarität für seine juristische Auseinandersetzung mit der Sekte braucht, die er nicht mit dem bösen Wort mit "F" in Verbindung bringen darf.

Ausstand: Über Streiks in der "Volksrepubilk" China ist zum Teil wenig bekannt, wenn dann werden sie in den bürgerlichen Medien nach dem Motto: "Dort ist es auch nicht besser" im Sinne von T.I.N.A. antikommunistisch gewendet. Zwei Ausnahmen: LabourNet mit diversen Berichten zur Lage und entdinglichung mit einem Verweis auf eine Aufschlüsselung nach Regionen, Branchen, Streikursachen und Forderungen, Anzahl der Beteiligten sowie Unternehmenstyp.

Sylversterdemo: Das Jahr 2011 war ge­prägt von viel­fäl­ti­gen und kämp­fe­ri­schen lin­ken Mo­bi­li­sie­run­gen. Mit dem Wi­der­stand gegen Nazis und Ras­sis­ten, gegen Kriegs­trei­ber und --‹pro­fi­teu­re, sowie mit klas­sen­kämp­fe­ri­schen Ak­tio­nen gegen die Kri­sen­po­li­tik der Herr­schen­den und für die Über­win­dung des Ka­pi­ta­lis­mus, konn­ten Kämp­fe wei­ter­ent­wi­ckelt und linke Be­we­gun­gen ge­stärkt wer­den. Viele der Ak­ti­vi­tä­ten hat­ten je­doch mit einem aus­ufern­den Pro­blem zu kämp­fen: Staat­li­che Re­pres­si­on in ver­schie­dens­ten For­men. Für ein re­vo­lu­tio­nä­res Jahr 2012 gehen wir darum am 31. De­zember 2011 in Stutt­gart auf die Stra­ße. Wei­te­re Infos gibts auf dem De­mo--‹Blog.

Schutzbehauptung: "Seit etwa einem Jahr warnen wir, dass alle Webseiten, die Facebook-Buttons einbinden, ohne weiteres Zutun des Anwenders Informationen an Facebook senden, die der Konzern einer konkreten Person zuordnen kann. (...)" Wir haben zwar keinen Facebook Button aber verweisen trotzdem auf den Beitrag bei heise.security.

Infantil: In der neuen Broschüre "Demokratie stärken – Linksextremismus verhindern" der Anti"extremismus"ministerin Christina Schröder "werden nicht nur Sparmaßnahmen der Regierung zu „Trugbildern“ uminterpretiert, sondern auch jeglicher Protest dagegen in die Nähe einer „extremistischen“ Gefahr gerückt." (Tom Strohschneider / Der Freitag)

Zentralbehörde: "(...) Das Versagen der Sicherheitsbehörden wird damit auf rein technische und administrative Aspekte reduziert, ohne an den politischen Grundmustern der Behörden etwas zu ändern. Das GAR lehnt sich in seiner Grundstruktur an das seit 2004 in Berlin-Treptow bestehende Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) an, das zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus gegründet wurde. Dort befinden sich die Vertreter aller beteiligten 38 Sicherheitsbehörden auf einem gemeinsamen Gelände. Das GAR soll nun ausdrücklich keinen gemeinsamen Standort für alle beteiligten Behörden haben – das wird mit dem Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten begründet, das beim GTAZ offenbar keine Rolle gespielt hat. Allerdings soll die räumliche Trennung dabei ein vernachlässigbarer Umstand sein, der schon durch die gemeinsamen Foren wieder ausgeglichen werde. Der eigentlich entscheidende Verstoß gegen das Trennungsgebot liegt darin, daß die Polizei Zugriff auf geheimdienstlich gewonnene Erkenntnisse bekommt, und andererseits die Geheimdienste die repressiven Maßnahmen der Polizei wesentlich beeinflussen können. Das war schon beim GTAZ und ist nun auch beim GAR möglich. (...)" Ulla Jelpke in der Tageszeitung "junge Welt" zu einer Zusammenlegung zweier Behörden, die nicht zusammengehören dürfen.

Insolvent: Mit einer Lichterkette haben die Beschäftigten des insolventen Druckmaschinenkonzerns Manroland im sächsischen Plauen für den Erhalt des Unternehmens demonstriert. (Neues Deutschland). Die IG Metall Verwaltungsstellen Offenbach, Augsburg und Zwickau rufen dazu auf, sich für die Sicherheit der Arbeitsplätze bei manroland einzusetzen.

Hautnah: Verflechtungen der Globalisierung am Beispiel von Kleidung vor dem Hintergrund aktueller Handelsrouten und Wirtschaftsgefällen untersucht das Essay von Simone Münzer auf IndyMedia.

Krankengeldanspruch: "Lieber krank feiern als gesund schuften" hieß es in bestimmten Kreisen in den 70er Jahren. Inzwischen sind nicht nur die Diagnosemethoden der ÄrztInnen besser geworden und das Risiko, sich damit Betrugsverdacht auszusetzen, sondern hat auch der Leistungsdruck und die -verdichtung zugenommen. Langzeiterkrankten stellt sich oft die Frage, woher das Geld während der Zeit kommt. Die IG Metall Baden Württemberg verweist zu dieser Frage auf ein Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG Urteil vom 21.06.2011 - B 1 KR 15/10 - in AuR 2011, 434)"Krankengeld gibt es im Anschluss an die Entgeltfortzahlung nach § 48 Abs. 1 SGB V grundsätzlich "ohne zeitliche Begrenzung"; längstens für maximal 78 Wochen "innerhalb von je 3 Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der AU an". Was gilt, wenn innerhalb der 3-Jahres-Frist sich eine andere Krankheit, die ebenfalls über den Entgeltfortzahlungszeitraum hinaus andauert, sich anschließt. Das BSG hat entschieden, dass dann, wenn innerhalb der 3-Jahres-Frist ab Beginn der ersten AU und Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit, unmittelbar danach eine andere AU auftritt, die länger als 6 Wochen andauert, wieder den Anspruch auf Krankengeld auslöst. Auch hier besteht dann der Anspruch für längstens 78 Wochen."

Christa Wolf gestorben

Christa Wolf, 9. März 1963
Bundesarchiv, Bild 183-B0509-0010-006 / Eckleben, Irene / CC-BY-SA [CC-BY-SA-3.0-de (http:///www.creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], durch Wikimedia Commons
Christa Wolf ist - im Alter Goethes - dahingegangen. Ad plures ire, wie die Römer sagten. Zur Mehrzahl derer, deren Gedächtnis zugedeckt wurde. Es scheint angemessen, jetzt nach ihrem Tod noch einmal an die maßlosen Angriffe zu erinnern, die nach der Wende gegen die Schriftstellerin vorgebracht wurden. Allen voran seinerzeit Schirrmacher, der nach diesem Bravourstück als würdig befunden wurde, ins Herausgeber-Gremium der FAZ berufen zu werden. Nach allen inzwischen vollzogenen Quer- und Längszügen Schirrmachers darf das doch nie vergessen werden. Aus Anlass ihres Todes hier nochmal mein Beitrag auf stattweb.de zu ihrem 80. Geburtstag am 18.März 2009:

Christa Wolf im Rückblick: Viele verzeihen ihr großmütig, was das Beste an ihr war. Zum achtzigsten.


Arno Widmann, jetzt FRANKFURTER RUNDSCHAU, rühmt in seiner Würdigung ihres Lebenswerks Christa Wolf nach, dass sie gerade das aufgesammelt und zum Thema gemacht habe, was in der realen DDR unter die Räder des gewaltsamen Wegs zum Fortschritt gekommen sei. In sehr schöner und würdiger Form. Nur der, der die Auseinandersetzungen nach 1990 noch im Kopf hat, merkt, dass Widmann hier seine damaligen Vorwürfe weitgehend zurücknimmt. Widmann war damals taz-Redakteur und vom Kampagnen-Führer Schirrmacher in der FAZ ausdrücklich belobt worden, dass er als "Linker" mit ihm unterwegs sei.

Die damaligen Vorwürfe gegen Christa Wolf richteten sich im Wesentlichen auf das angeblich Subjektive, das prompt als deutsche Innerlichkeit verstanden wurde, die sich jetzt so in den Dienst des "stählernen Gehäuses DDR" stelle, wie es einst die Carossas und Miegels und Seidels betrieben hätten, um das Harte und Brutale des Faschismus von innen her auszupolstern, wohnlich zu machen. Von da aus wurde der Versuch Christa Wolfs, in letzter Minute die Selbständigkeit der DDR zu retten, als entprechende Verhaftung an ein -trotz allem- Unrechtssystem verstanden und unisono verurteilt.

Zum achtzigsten gebietet der Anstand Milde. Aber auch Nachdenken über dasjenige, "Was bleibt", um die damals so angegiftete kleine Schrift Christa Wolfs nicht auszulassen, die nach dem Mauerfall erschien, wahrscheinlich aber in großen Teilen schon in den achtziger Jahren entstanden ist.

Die einzige, die schon vor dem Fall der Mauer sich wirklich mit der Krise der DDR befasste, und zwar abzulesen in ihren literarischen Hervorbringungen, war Antonia Grunenberg. Sie brachte 1990 im Verlag Temmen eine Arbeit heraus, die sie nach eigenen Angaben ca. 85 zu Ende geschrieben hatte. "Aufbruch der inneren Mauer - Politik und Kultur der DDR 1971-1990". Darin analysiert sie an vielen Einzelbeispielen der Erziehungstheorie und der Literatur die Krise -eine Art Engführung- in die das gesamte System gekommen war. Und zwar so, dass eine recht erstarrte Form von Marxismus-Leninismus sozusagen als das Gewölbe ewiger Wahrheit über allen am Himmel stand, aber kaum jemand bewegte. Das Erstaunliche war wirklich bei Begegnungen vor und nach 89, wie wenig Marxismus als alltägliches Begriffsbesteck zur Erklärung von Geschehen zur Verfügung stand und herangezogen wurde.

Nach Antonia Grunenbergs Analyse wurde unter dem weiterbestehenden System des sprachlich reproduzierten Leninismus-Marxismus gleichsam eine zweite Ebene eingezogen: Arbeitsmoral. Arbeit und Produktion als höchste Norm. Teilweise kalvinistisch gedacht, teilweise utilitaristisch. Wie erhöhen wir die Gesamtproduktivität unseres Gemeinwesens, damit auch hier sich möglichst viele leisten können, was andere haben- vor allem die Westler?

Es trat genau das Gegenteil des Beabsichtigten ein: Arbeit und Produktivität, wesentlich nur in ihren Messzahlen -Geldwert und Planerfüllung- sichtbar gemacht, rissen niemand vom Hocker. In Loests "Es geht seinen sozialistischen Gang" wird das saturierte kleinbürgerliche Leben beschrieben, das in seinem Desinteresse an Politik und Dingen außerhalb der vier Wände täuschend dem des westlichen spießig gemachten Arbeiters glich.

Grunenberg zeigt dann an vielen Beispielen der Belletristik, wie -vom ZK und der Kulturleitung durchaus hingenommen- die privaten Probleme desjenigen in den Mittelpunkt treten, der mit Arbeitswelt nichts anfangen kann, mit der politischen Begriffswelt noch weniger. Typisches Produkt dieser Problembehandlung: Plenzdorfs: "Die neuen Leiden des jungen W." So sieht sie ebenfalls eines der bekanntesten Bücher Christa Wolfs aus ihrer früheren Zeit "Nachdenken über Christa W". Diese, die sich allen Erklärungsvesuchen entzieht, ist eine, die in kein Erklärungssystem hineinpasst: weder in eines, das sie erklären soll, noch in eines, das sie selbst zur Ordnung ihrer Welt und Umwelt entwerfen könnte.

Ein Grundtatbestand ist also unbestreitbar. Im Gegensatz etwa zu den Romanen der Seghers steht nicht mehr der kämpfende oder versagende Mensch bei Christa Wolf und ihrer mitschreibenden Generation im Mittelpunkt, der für die Durchsetzung und Bewahrung des Sozialismus einträte. Vielmehr wird, wie nebenbei gesagt in der West-Literatur auch, zum großen Teil das Strampeln der Individuen vorgeführt, die allein oder zu zweien sich wenigstens an eine gesicherte Ecke retten wollen. Antonia Grunenberg beschreibt das einfach -als ein Krisenmerkmal der DDR-Gesellschaft.

Die späteren Kritiker nach 89/90 sehen vor allem bei Christa Wolf einen Innerlichkeitskult, der Fluchträume des Seelenlebens eröffnet. Und eben, weil die Dichterin solche anbietet, wird ihr vorgeworfen, billigen Trost zu offerieren in einer Situation, die eigentlich zum Heraustreten aus der Privatheit, zur öffentlichen Auföehnung hätte führen müssen. Christa Wolf hätte als große Beschwichtigerin den schon bröckelnden Laden am Laufen gehalten. Das alles lässt sich aber auch ganz anders verstehen.

Träfe die nachträgliche westliche Deutung völlig zu, wäre die Beunruhigung in ZK und Kulturinstanzen durch Christa Wolf schwer verständlich. Gewiss, sie bekam ihre Preise. Sicher, man war nicht unfroh, schon aus Devisen- mehr noch aus Ansehensgründen, dass all ihre Bücher in Westdeutschland mit großem Erfolg verkauft wurden. Privatisiert wurde in tausend Publikationen. Das hätte am wenigsten gestört.

In Wirklichkeit gab es seit "Nachdenken.." Quengeln bis Streit über: Veröffentlichen - so nicht Veröffentlichen - Ändern. Nicht als gäbe es das im privatisierten Verlagswesen des Westens zwischen Lektor, Verlagsbesitzer und Autor nicht genauso. Es geht hier keineswegs um die beliebte Frage nach der Zensur. Es geht um den unbestreitbaren Tatbestand der Störung, des Gestörtseins der tonangebenden Kreise der DDR, solange diese bestand.

Ein kennzeichnendes, schon fast rührendes Beispiel bot der alte Girnus in einem Rückzugsgefecht, nachdem "Kassandra" erschienen war. Girnus, selbst langjähriger Herausgeber von "Sinn und Form", in der Frühzeit sogar Wolfs Unterstützer, klagte vor allem um die Herabwürdigung der Götter. Apollo zum Beispiel, werde da "Mäusejäger" genannt. (Smintheus- wir bekamen es beim Homer in der Schule auch nicht anders übersetzt). Bei Girnus ging ein Klageton durch seinen ganzen Essay: man hatte das Gefühl, dieser Apollo säße im Politbüro und würde von Wolf erniedrigt, nicht nur als Gott, sondern auch als Mann. Die Bedrohung des Maskulinen durch den stellenweisen Rückgriff ins Mutterrecht in "Kassandra" war kläglich zu spüren. Dies alles - schon ganz am Ende, und doch ein Zeichen, wie nah die angeblich ins Unpolitische abtauchende Christa Wolf der ganzen alten Politikergarde der DDR ging.

Wie war das möglich? Nehmen wir ein unverdächtiges kleines Prosastück "Störfall", in welchem synchron die Nachrichten aus Tschernobyl und die Hirnoperation eines Bruders behandelt werden. Dies ganz Private- der blühende Frühjahrsgarten, die Sorge um den Bruder- können nicht durchgehalten werden als nur private Regung. Das politische Versäumnis, die Katastrophe Tschernobyl für alle machen den gewünschten Rückzug in die Isolation des geretteten Ich unmöglich. Unmöglich aber auch ein Aussschreiten, eine Abwehr der gemeinsamen Gefahr. Hier setzt Christa Wolfs in den spätern Werken immer deutlichere Kritik der offiziellen Sprache als Herrschaftsmittel ein. Aus dem Radio dringen immer neue Deckwörter, verbale Hüllungen, die ungreifbar machen, was uns im nächsten Augenblick angreifen wird. Rückzug ins Private allein hätte den sozialistischen Seelsorgern in der DDR nichts ausgemacht. Aber der Nachweis der Unmöglichkeit eines solchen Rückzugs, auf den die Oberen die DDR-Bewohner doch gerade verwiesen hatten, musste beunruhigen. Die Abwanderungswilligen drängten drohend zurück.

Damit stoßen wir auf den Kern des Problems. Sozialismus ist ja nicht vom Himmel gefallen. Kann sich selbst auch niemals so darstellen. Der offiziellen Linie nach, ist er notwendige Folge der Aufklärung und damit der bürgerlichen Revolution. Er nimmt deren Fortschritte in seine eigene Bewegung auf und führt sie zu Ende. Innerhalb des überlieferten Fortschrittsglaubens ist Sozialismus die Krönung der Bestrebungen des ganzen Menschengeschlechts, und zwar so, dass alle Konflikte, die von altersher zerreißen und entzweien, in der neuen Gesellschaft im Prinzip als lösber erscheinen.

Brecht zum Beispiel hatte im "Kaukasischen Kreidekreis" die Uralt-Situation der zwei Frauen, die um ein Kind streiten, aus der Salomolegende der Bibel aufgegriffen. Der Streit wird so gelöst, dass nicht diejenige, die nur die natürliche Tat der Geburt beigetragen hat, das Kind erhält, sondern diejenige, die es in Sorgen und Gefahren Jahre lang aufgezogen hat und bewahrte. Das verknüpft sich mit dem gesellschaftlichen Streit zweier Kolchosen um ein Grundstück. Brechts optimistische These: so wie die zwei Kolchosen sich vernünftig einigen können im Sinne einer gemeinsamen höheren Produktion, so können in einer -vernünftigen- sozialistischen Welt die Menschen auch solche Konflikte lösen, die gar nicht primär okonomische Ursachen haben.
Das lässt sich freilich leicht auch als Anspruch an den Sozialismus lesen: wenn unser Sozialismus ein wirklicher ist, muss er ein solches Licht in die Welt werfen, dass er auch die Streitigkeiten weghebt, auflöst, die aus Zeiten stammen, lang vor dem Privateigentum und planmäßiger Produktion. So urtümliche wie die des Verlangens nach dem eigenen Kind, der Suche nach der verlorenen Liebe.

Genau die Frage stellt Christa Wolf in ihren späteren Büchern immer wieder. Schon in "Kein Ort nirgends" wird es zum Problem, wieso gerade Kleist und Günderode, die doch die Tendenzen des Jahrhunderts am schärfsten und deutlichsten ausfochten, von eben diesem Jahrhundert so begraben und erstickt wurden, dass sie sich beide den Tod gaben. Noch entschiedener in "Kassandra". Christa Wolf greift bis in die Urzeit zurück, ins Verhältnis von Frau und Mann, aber auch ins Überleben des ganzen Menschengeschlechts im Weiterführen des Kriegsbetriebs- von den verschollensten Zeiten her.

Ulbricht und Honecker waren ehrlichen Herzens nie müde geworden, als Humanisten als Erben aller fortschrittlichen Bewegungen der Menschheit aufzutreten. Genau das machte ihnen Christa Wolf streitig. Sie brach die Fortschrittslinie an der Spitze ab. Wie wenn, so fragt sie, die von Grunenberg richtig beschriebene Produktivitätskultur in Ost und West nicht genau dazu führte, dass nicht nur alles Erreichte zerfällt, sondern sogar die Grundlagen des Menschseins, auf denen alles aufbaut, einschließlich eines möglichen Sozialismus. Wenn die uns bekannte bebaute und bearbeitere Umwelt einfach wegsänke durch Fortschrittsbefangenheit und Krieg? Dann verschwände mit den Fragenden auch die Frage nach der richtigen Ordnung des menschlichen Produzierens samt der nach dem Eigentum.

Christa Wolf gräbt gleichsam unter den Fundamenten des als System verstandenen Sozialismus und zwar so tief, dass die Grundlagen auch des angestrebten Sozialismus als bedroht erfahren werden. Daher die Erschütterung im Osten. In Wirklichkeit war die im Westen nicht geringer. Vordergründig konnte man die Angriffe Schirrmachers und der seinigen nach 1890 verstehen als Abwehr des Aufrufs "Für unser Land", der damals mit allen Mitteln totgeschwiegen wurde, in Wirklichkeit eine Million Unterschriften bekommen hatte. Das kam erst heraus, als alles vorbei war. Auch wenn an Sozialismus im eigentlichen Sinn in diesem Augenblick nicht mehr zu denken war: Was wäre falsch gewesen an einer Verhinderung neuer deutscher Großmacht? Zumindest der Überfall auf Jugoslawien hätte ohne den Anschluss der DDR und der Hegemonie auf andere Staaten des Ostens schwer bewerkstelligt werden können.

Widmanns Text lässt aber noch einen weiteren Grund vermuten der großen Wutangst, die damals kultiviert wurde. Und damit der Abwehr einer nur vermuteten Forderung, die von Christa Wolf ausging. Widmann schreibt: "Die Zeit des Einverständnisses ist vorbei. Es ist wieder Zeit für Christa Wolf. Der Einzelne, der sich verraten hat, in den Jahren der großen gesellschaftlichen Versöhnung, als er den Genossen der Bosse wählte, als er glaubte, selbst für freedom and democracy in die Welt ziehen zu müssen, der wird jetzt wohl zu den Büchern der Christa Wolf greifen, die sich auch vertan hatte, als sie glaubte, vernünftig sein zu müssen im Dienste der Sache. Er wird das tun nicht auf der Suche nach jemandem, der immer schon wusste, was richtig und falsch ist. Ihn interessieren die Irrtümer der Christa Wolf, weil er gelernt hat, dass es ohne Irrtümer nicht geht und darum interessiert ihn, wie es mit ihnen geht."
An anderer Stelle noch ausführlicher und sinngemäß: wir waren fest entschlossen, uns die Rosinen aus dem Kopf zu picken, uns einzuordnen und die Welt zu nehmen, wie sie ist.

Jetzt aber erkennen wir, dass dasjenige, in dem wir Unterschlupf suchen wollten nicht weniger brüchig ist als damals die DDR. Und dass es -mit Christa Wolf- gilt, nach der Erschütterung des Fortschrittsglaubens, die Grundlagen zu sichern. Die Ausgangspunkte. Was heißt da schon sichern? Wenigstens die Fähigkeit bewahren, nach diesen Grundlagen zu fragen.

Quellen:
• Frankfurter Rundschau, 18.3.2009 Feuilleton: "Das richtige Leben"
• Antonia Grunenberg: Aufbruch der inneren Mauer/ Politik und Kultur in der DDR/ Edition Temmen, 1990

Was mir heute wichtig erscheint #294

Zusammenhänge: Die späteren Mitglieder des Nationalistischen Untergrund/NSU waren jahrelang in neonazistischen ›Freien Kameradschaften‹ organisiert. Thesen von Wolf Wetzel "Über Synergien zwischen neonazistischem Terror und Staatsterrorismus". Siehe auch: „Die Ermittler werden es wohl nicht leichter haben“. Dossier der Reihe Antifaschistische Politik (RAP) der edition assemblage. Sowie: "Neue Hinweise auf V-Leute im unmittelbaren Umfeld der Neonazi-Terrorgruppe NSU" (german-foreign-policy.com)

Umtriebig: "In letzter Zeit macht der Esslinger Staatsschutz wieder auf sich aufmerksam. Wie schon in der Vergangenheit kam es im November 2011 erneut zu mehreren Hausbesuchen und einem "Schulbesuch" inklusive ED-Behandlung." Eine Dokumentation bei Linksunten.

GPG4Browsers: Nach einer heise Meldung ist ein erster Prototyp von GPG4Browsers erschienen. Das vorerst für den Chrome Browser erhältliche Plugin ermöglicht die Verschlüsselung von Mails zum Beispiel bei googlemail.

Durchgeboxt: Nach massiven Protesten hat der Castor-Transport heute Morgen fünf Tage nach Abfahrt in Frankreich Dannenberg erreicht. Beitrag von Wolfgang Pomrehn bei telepolis. Ausrüstung beschlagnahmt, Berichterstattung unerwünscht. Gedanken dazu von Vera.

Wellenbewegungen: Nach den Massenprotesten im März 2011 mit 200.000 Menschen, die zum Sturz der sozialdemokratischen Regierung beigetragen haben, bildeten sich Vernetzungen, um weiter gegen die Verschlechterung der Lebensumstände zu kämpfen. Ebenso gab es viele kleinere Proteste, etwa gegen Preiserhöhungen im Nahverkehr oder gegen die Stilllegung von Bahnstrecken. Allerdings ist aus diesen kleineren lokalen Initiativen nicht sofort eine Massenmobilisierung gewachsen. Ein Bericht der FAU zum Generalstreik in Portugal gegen die neoliberale "Krisenbewältigung".  Siehe dazu auch: Die Sonderseite "Greve Geral" der beiden Gewerkschaftsföderationen CGTP und UGT mit zahlreichen lokalen Berichten und Zusammenfassungen, sowie mit diversen Fotostrecken. Und: "Tag des Zorns", Peter Steiniger in der "junge Welt" zu den Hintergründen. Zur Vervollständigung hier noch die Solidaritätserklärung des DGB mit dem portugiesischen Streik vom 23. November 2011. (Via LabourNet)

Sonderbehandlung: Eine Großdemonstration am 7. Januar 2012 in Bilbo (spanisch: Bilbao) soll der Forderung nach einem Ende der repressiven spanischen und französischen Politik gegenüber den baskischen politischen Gefangenen Nachdruck verleihen. Die Initiative “Egin Dezagun Bideak (lasst uns den Weg bereiten)” ruft Organisationen und Einzelpersonen dazu auf, die Demonstration zu unterstützen. Das ist auch online möglich. Bei den Freunden des Baskenlandes ist der Aufruf zur Demonstration in einer deutschen Übersetzung erschienen.

Kriegskonferenz: Am 5. Dezember lädt die Bundesregierung zur zweiten Afghanistankonferenz nach Bonn auf den Petersberg und in den alten Bundestag ein. Vor 10 Jahren wurde auf der Petersberger Konferenz der Regimewechsel von den reaktionären Taliban zum korrupten failed state unter Hamid Karzai in Afghanistan beschlossen. Das [3A]-Bündnis organisiert gemeinsam mit der Interventionistischen Linken (IL) einen internationalistischen Block auf der bundesweiten Demonstration am 3. Dezember. Der Aufruf dazu bei der Marxistischen Aktion Tübingen.

Eskalationen: "In Berlin ist es am 26.11.2011 bei einer gemeinsamen Protestdemonstration von linken und kurdischen Gruppen mit über 4.000 Menschen zu teilweise heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Nachdem Einsatzkräfte der Polizei immer wieder den Demonstrationszug angriffen haben, warfen Demonstranten mit Steinen und anderen Wurfgeschossen, wobei die Polizei wiederum im Gegenzug Pfefferspray einsetzten. Die Polizei sprach am frühen Abend von mehr als hundert Festnahmen. (...)" Bericht, Fotos und Videos bei der Karawane.

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika.

Libyen: Der GRÜNE Krieg

Von der Friedens- zur Kriegspartei (Hintergrund)

Gaben BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Fall des sog. Kosovo-Krieges erst durch massiven Druck der Parteiführung und allerlei mediale Manipulationen auf dem Bielefelder Parteitag 1999 ihre Zustimmung, so trugen sie 2011 im Gegensatz dazu aktiv zur Befeuerung und Eskalation des Libyen-Konflikts zu einem NATO-Krieg bei. Mit dem Konstrukt der "humanitären Verantwortung" schufen sie gleichzeitig die gesellschaftliche Akzeptanz, wie sie für einen völkerrechtswidrigen Krieg offenbar notwendig ist.

Sofern man ein argloser Zeitgenosse und sehr wohlwollend ist, dann kann man den GRÜNEN im Jahre 1999 vielleicht noch zugutehalten, dass sie von Joseph Fischer und dem grünen Bundesvorstand ebenso hinters Licht geführt wurden wie der Rest der Bevölkerung. Vielleicht haben manche ihrer Parteiführung wirklich geglaubt, dass bei der medial inszenierten Diplomatenposse in Rambouillet tatsächlich ernsthaft unterhandelt worden sei, so wie es Joseph Fischer verkündet hatte, und den Serben nicht nur ein Siegfrieden ohne Krieg mit völligem Gesichtsverlust angeboten wurde. Des Weiteren mag man ihnen geglaubt haben, dass ein Völkermord und die Vertreibung der Kosovo-Albaner anstünde, die Rudolf Scharping als serbischen Hufeisenplan ankündigte und dessen Vorhandensein nie wirklich bewiesen wurde. Man hätte schon damals wohlbegründete Zweifel hegen können, so man nicht blind den Fischer-Chören Gehör schenken wollte. Gut dokumentiert ist das ganze Geschehen in der WDR-Dokumentation Es begann mit einer Lüge (auf: Google Videos). Vielleicht gaben manche ihre Zustimmung zu diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ohne UN-Mandat auch deshalb, weil sie noch auf Errungenschaften wie die Homo-Ehe, die "grüne Zapfsäule" mit dem segensreichen Bio-Sprit[1], ein paar Quadratzentimeter mehr für Hennen in ihren Legebatterien oder auf den stets reversiblen Atom-Ausstieg einer rot-grünen Regierung hofften.

Kurzum: DIE GRÜNEN ließen sich zu diesem Krieg mehr zwingen, als dass sie ihm selbst das Wort redeten – zumindest wenn man von traditionellen Bellizisten wie Ralf Fücks, Daniel Cohn-Bendit und Joseph Fischer absieht, die schon jahrelang von einer "humanitären Verantwortung" sprachen und nicht nur für Kriegseinsätze votierten, sondern auch eine deutsche Beteiligung daran verlangten. Um die grünen Pazifisten weich zu kochen, und zur weiteren (allgemeinen) Kriegsvorbereitung dienten historische Analogiesetzungen zwecks Dämonisierung des Gegners ("Schlächter von Belgrad"). So sprach Fischer davon, "Ich sehe eine Parallele zu jenem primitiven Faschismus. Offensichtlich sind die 1930er Jahre zurückgekehrt."[2] In seiner Rede auf dem Bielefelder Parteitag meinte Fischer, er habe aus der Geschichte nicht nur "nie wieder Krieg!" gelernt, sondern auch "nie wieder Auschwitz!" Selbst Jahre später hielt Fischer an diesen historisch völlig unpassenden Vergleichen fest[3]. Solche inflationären Auschwitz-Gleichsetzungen, wie Fischer sie anstellt, führen im Übrigen dazu, dass die singulären Verbrechen in NS-Deutschland in Form industrialisierter Menschenvernichtung schlussendlich sogar verharmlost werden. Es gelang Fischer mit einer Mehrheit von 60 zu 40 Prozent der Parteitagsdelegierten, die antifaschistisch geprägten und vermeintlich geschichtsverpflichteten Akteure von einer Gegnerschaft zum Kosovo-Krieg abzubringen und in Verantwortung für den Bombenkrieg zu nehmen.

Libyen: Cohn-Bendit gießt Öl ins Feuer

Ganz anders 12 Jahre später, als im März dieses Jahres die Diskussion über die Flugverbotszone in Libyen begann, die schließlich in ein siebenmonatiges, systematisches Bombardement des Landes durch die NATO mündete. Während die USA sich zunächst eher skeptisch zeigten, befeuerten grüne Akteure den Konflikt. So meinte etwa Bill Daley, Stabschef im Weißen Haus, am 6. März: "Eine Menge Leute reden über eine Flugverbotszone, als wäre es (...) ein Videospiel oder so etwas"[4]. Daley verwies genauso wie der damalige Verteidigungsminister Robert Gates darauf, dass eine Flugverbotszone selbstredend mit Bombardierungen in Libyen verbunden sei. Daniel Cohn-Bendit hingegen, Fraktionsvorsitzender der GRÜNEN im Europäischen Parlament, sprach sich drei Tage später vehement für eine sog. Flugverbotszone über Libyen aus, leugnete im ZDF-Interview, dass dies Krieg bedeute und nahm gleichzeitig eine Zustimmung der GRÜNEN zum NATO-Krieg gegen Libyen vorweg. Die Beweise hingegen für die angebliche "systematische Bombardierung von Zivilisten" in Tripolis, so wie Cohn-Bendit und andere sie unterstellten und welche die Rechtfertigung für die am 18. März gefasste UNO-Resolution 1973 darstellte, wurden nie vorgelegt. Dies gestand selbst die Bundesregierung in der Parlamentarischen Anfrage 17/5666 der Abgeordneten Sevim Dagdelen (DIE LINKE) ein, ebenso wie eine britische Delegation aus Menschenrechtsaktivisten diese angeblichen Bombardierungen in Tripolis nach einer Libyen-Reise bestritt[5].

GRÜNE: Wenn das Völkerrecht zum Kollateralschaden wird

Doch solche Fragen stellten DIE GRÜNEN erst gar nicht. Nicht nur, dass sich gegen Cohn-Bendits offenkundige Kriegstreiberei keinerlei Widerstand regte, nein, das "beschlusshöchste" Gremium zwischen den Parteitagen, der Länderrat, hieß die UNO-Resolution 1973 am 19. März auf seiner Tagung in Mainz gut. In der Folgezeit wurde unter dem Deckmantel einer "Schutzverantwortung für die Bevölkerung" massiv zugunsten der Rebellen eingegriffen, um einen völkerrechtswidrigen Regierungswechsel zu bewerkstelligen. Der grüne Länderrat beschloss indes politische Lyrik: "Militärische Kriegsgewalt ist immer ein Übel. In diesem Dilemma gibt es keine einfache Entscheidung."[6] Solche Einlassungen verwenden GRÜNE stets, um nach ach so schmerzhaften Abwägungen trotz heftigster innerer Widerstände sich am Ende doch für NATO-Bomben zu entscheiden. Nun konnten führende GRÜNEN-Politiker noch weiter vorpreschen. Unisono geißelte Rot-Grün etwa in einer Bundestagsdebatte die Enthaltung Deutschlands im Sicherheitsrat. Damit wurde deutlich, dass – sofern dieses Land zu dieser Zeit von Rot-Grün regiert worden wäre – Deutschland abermals reflexartig und reflexionslos in einen Krieg hineingeschlittert wäre. Dass dem nicht so ist, ja dafür muss man selbst als Linker im Nachhinein der schwarzgelben Regierung fast dankbar sein – gleichgültig aus welchen Erwägungen heraus die Enthaltung im UN-Sicherheitsrat letztlich erfolgte.

Claudia Roth: "bewaffnete Hilfskonvois" der Bundeswehr

Bereits am 11. April äußerte sich die GRÜNEN-Vorsitzende Claudia Roth, die zur sog. Parteilinken gehört, wie folgt: "Dass wir dort einen humanitären Hilfseinsatz brauchen, ist unstrittig. Und so ein Einsatz braucht eben Schutz, auch mit militärischen Mitteln".[7] Dass niemand zu der Zeit solche Militärkonvois angefordert hatte, focht Claudia Roth nicht weiter an. Lästige Fragen, etwa danach, wie eine Abgrenzung des Einsatzes erfolgen sollte, wenn ein sog. Hilfskonvoi, der von der Bundeswehr geschützt wird, von Gaddafi- oder Rebellentruppen angegriffen werden würde, stellte sich die Emo-Politikerin erst gar nicht. Die Antwort darauf, ob in solch einem Fall dann die Deutschen wie in Kunduz die Luftwaffe der westlichen Kriegsparteien herbeirufen würden, um die Angreifer oder wen auch immer zu bombardieren, blieb Claudia Roth schuldig.

Cohn-Bendit: Waffen für die Rebellen

Das Völkerrecht und die rechtlich problematische Resolution 1973 des Sicherheitsrates[8] selbst bekümmerte DIE GRÜNEN in der Folgezeit nicht weiter. So forderte Daniel Cohn-Bendit in einseitiger Parteinahme für die Rebellen, welche DIE GRÜNEN in ihrer Länderratsresolution als "Demokraten" bezeichnen[9], sogar unter Verletzung des in der Resolution 1973 festgesetzten Waffenembargos, "den Weg für Waffenlieferungen an die libyschen Rebellen freizumachen."[10] Insofern ist es im Nachhinein nur schlüssig, dass DIE GRÜNEN in ihrer Regierungszeit nicht nur nichts in Richtung einer zivilen Umstellung der Rüstungsindustrie unternahmen, sondern den Waffenexport sogar noch forcierten. So stieg Deutschland unter Rot-Grün zum drittgrößten Waffenexporteur[11] weltweit auf. Dieser traurige Rekord wurde im Jahr 2000 das erste Mal erreicht, dann wieder 2003 und durchgängig ab 2005. Dabei hatten DIE GRÜNEN noch in dem Wahlprogramm vor ihrer Regierungsbeteiligung versprochen, sich "insbesondere für das Verbot jeder Militär- und Ausstattungshilfe an Staaten, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind"[12] einzusetzen. Das schiere Gegenteil war der Fall.

Özdemir: Mehr Soldaten für Auslandseinsätze

Wie das Beispiel Libyen zeigt, würden DIE GRÜNEN gerne, so es nach ihnen ginge, die derzeit laufenden elf Auslandseinsätze der Bundeswehr, zu denen die ehemalige Friedenspartei überwiegend ihre Zustimmung[13] gab, weiter ausdehnen. Insofern ist es fast folgerichtig, dass die Partei, welche einst den Austritt aus der NATO und die Auflösung der Bundeswehr gefordert hatte, heutzutage für eine massive Aufstockung entsprechender Einheiten plädiert. Abermals ohne jeden Widerspruch aus der Partei verlangte daher der Parteivorsitzende Cem Özdemir am 20. Mai die Zahl der für solche Einsätze vorgehaltenen Soldaten von derzeit 7.000 auf 10.000 zu erhöhen. Dabei meinte Özdemir: "Es kann nicht um die Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen mit militärischen Mitteln gehen. Das muss klar sein."[14] Özdemir weiß allerdings genau, dass die Sicherung "weltweiter Interessen", insbesondere die sog. Energiesicherheit, bereits 1992 Eingang in die verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr gefunden hat. Seitdem wurden diese "weltweiten Interessen" auch in den Weißbüchern der Bundeswehr kontinuierlich fortgeschrieben. Auf diese Weise trägt Özdemir dazu bei, Interventionen mit eindeutig neoimperialistischem Charakter den Anstrich zu geben, als würden damit Menschenrechte durchgesetzt. Auch daher erklärt sich die verschreckte Reaktion des rot-grünen Personals, als der damalige Bundespräsident Horst Köhler nach einem Afghanistan-Besuch im Mai 2010 öffentlich klarstellte, dass es bei Auslandseinsätzen um wirtschaftliche Interessen geht, denn damit strafte er Rot-Grün letztlich der Lüge. Wer offen ausspricht, was längst Usus ist, scheint damit immer noch ein Tabu zu brechen.



Dabei fungiert die seit zehn Jahren kontinuierlich weiterentwickelte "Schutzverantwortung" ("Responsibility to Protect"), die im Völkerrecht verankert werden soll, als Lockmittel: Mit ihr soll der menschenrechtsbewegte Teil der Akteure für Interventionen, denen in Wahrheit imperialistische Motive zugrunde liegen, gewonnen werden. Es liegt jedoch in der Natur des Krieges begründet, dass mit den ganz "normalen" und stets zu "erwartenden" Kriegshandlungen, wie etwa die Bombardierung der Tanklaster in Kunduz mit über 140 Opfern (mehrheitlich Zivilisten) oder dem Bundeswehr-Massaker in Talokan im Mai dieses Jahres mit 12 toten Zivilisten, eben jene Menschenrechte nicht nur nicht geschützt, sondern im Gegenteil massiv verletzt werden: Schließlich ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit das wichtigste aller Menschenrechte, ohne das alle anderen wertlos sind.

Fazit: Pro NATO-Krieg gegen Libyen, für "bewaffnete Hilfskonvois" der Bundeswehr, für Waffenlieferungen an die Rebellen und für die Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr – das waren Forderungen der GRÜNEN in den vergangenen Monaten. Damit haben DIE GRÜNEN die letzte Häutung auf dem Weg von der Friedens- zur Kriegspartei abgeschlossen. Doch eine kritische Selbstreflexion ist auf ihrem Parteitag vom 25.-27. November 2011 erst gar nicht vorgesehen. Kann so eine Partei Bündnispartner für eine antimilitaristische LINKE sein?

Extraseite zum Krieg in Libyen

Anmerkungen

[1] Matthias Berninger, der frühere GRÜNE Staatssekretär im Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerium, sprach 2005 in Bezug auf Agrardiesel von der "grünen Zapfsäule", 09.09.2005 (Berliner Zeitung). Aus vielerlei Gründen versuchen GRÜNE heute darüber hinwegzutäuschen, dass sie nicht nur auf Bundesebene, sondern auch im Europäischen Parlament diejenigen waren, die mittels verschiedener gesetzlicher Regelungen dieser nicht nur in ökologischer Hinsicht schädlichen Technik zum Durchbruch verhalfen.
[2] Übersetzt nach: "We have to Win This", Interview, 19.04.1999 (Newsweek).
[3] Fischer: "Ich habe gelernt: Nie wieder Auschwitz", 24.01.2005 (Süddeutsche Zeitung) und kontextualisierte damit abermals das stärkste Symbol für die industrialisierte Menschenvernichtung der Nazis mit dem Bürgerkrieg in Jugoslawien.
[4] Übersetzt nach: Bill Daley on NBC's "Meet the Press", Transcript, 06.03.2011 (Chicago Sun-Times).
[5] Vgl. a.: Amtlich bestätigt: Die Kriegslügen über Libyen (Zur erwähnten Anfrage und inkl. des Interviews mit dem Sprecher der Menschenrechtsaktivisten) und vgl. a.: Unser Blut (Zu Daniel Cohn-Bendit und dem ZDF-Interview).
[6] Revolutionäre Veränderungen in Nordafrika und im Nahen Osten, Beschluss Länderrat von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, 19. März 2011, Mainz. S. 6.
[7] Roth: Zustimmung für humanitären Libyen-Hilfseinsatz, 11.04.2011 (Focus Online).
[8] Vgl.a.: Schleichende Eskalation jenseits der Legalität.
[9] Zum Thema Rebellen vgl.a.: Libyen - Verbindungen der Rebellen zu al-Qaida: Züchtet sich der Westen neue "Taliban" heran? Vgl. dazu auch: Neues System: Rebellen wollen die Scharia in Libyen einführen, 13.09.2011 (Welt Online).
[10] Cohn-Bendit fordert Waffenlieferungen an Rebellen, 18.05.2011 (Focus Online).
[11] Zahlen nach: Stockholm International Peace Research Institute. Als Zeitraum wurde 1998 – 2010 in die Maske eingeben und abgefragt.
[12] BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN: Bundestagswahlprogramm. Bonn 1998. S. 136.
[13] Lediglich bei der letzten ISAF-Mandatsverlängerung im Januar diesen Jahres enthielt sich zum ersten Mal die GRÜNE Fraktion mehrheitlich, während sie in den Jahren zuvor stets überwiegend zugestimmt hatte. Auch bei den meisten anderen Auslandseinsätzen der Bundeswehr stimmten DIE GRÜNEN zu, eine Ausnahme bildet die EU-Mission Atalanta.
[14] Özdemir: Mehr Soldaten für Auslandseinsätze richtig, 20.05.2011, (Neue Osnabrücker Zeitung).

Erstveröffentlichung bei http://uweness.eu/libyen-gruener-krieg.html

Was mir heute wichtig erscheint #293

Schlicht: An dieser Stelle zum letzten Mal: Die sog. "Volksabstimmung" ist eine Abstimmung über den Finanzierungsanteil der Landes und eben NICHT über "Stuttgart 21". Siehe dazu auch: "Das Spiel mit dem Feuer" von Arno Luik

Unverantwortlich: „…Die Freie Arbeiter- und Arbeiterinnen Union lehnt es entschieden ab, sich in irgendeiner Form an promilitaristischen Demonstration wie dieser zu beteiligen. Wir empfinden die Anbiederung ver.di's an das Militär im Namen angeblich aller Gewerkschaften in Kiel als unfassbare Anmaßung und hoffen, dass sich viele GewerkschafterInnen dem Aufruf zur Demonstration entzogen haben. Ver.di und die anderen Gewerkschaften, die sich an den Protesten beteiligen offenbaren einen grundsätzlichen Widerspruch, wenn sie ArbeiterInnen in der Kriegswirtschaft organisiert: Auf der einen Seite werden Kriege vorbereitet, auf der anderen Seite wird die internationale Solidarität der Arbeitnehmerschaft eingefordert, auf deren Grundlage sich Gewerkschaften einst gründeten…“ Presseerklärung der fau kiel vom 15.11.11 zu einer von ver.di Nord organisierten Demontration: „Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di Nord) fordert, die geplante Schließung des Kieler Marinearsenals zu stoppen, eine, nach Auffassung der Gewerkschaft, politisch wie wirtschaftliche Fehlentscheidung des Bundesverteidigungsministers. (…) ver.di und alle Kieler Gewerkschafter rufen am 11. November 2011 zu einer Demonstration für den Erhalt des Arsenalbetriebs in Kiel auf…“ Pressemitteilung von ver.di Nord (ohne Datum, via LabourNet)

Wahnhaft: Die „Protokolle der Weisen von Zion“ regen bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Fantasie der antisemitischen Verschwörungstheoretikerinnen an. Entstanden unter nicht vollends geklärten Umständen diente das Buch dem Antisemitismus, indem es Belege für eine jüdische Weltverschwörung erfand. Schon in den 1920er Jahren wurde akribisch gezeigt, dass es sich bei dem Machwerk um eine Fälschung handelt. Weil sich moderner Antisemitismus aber nicht aus den Tun von Jüdinnen und Juden speist, sondern aus dem Wunsch der Antisemitinnen, eine Erklärung für die Verwerfungen und Zumutungen von Kapitalismus und bürgerlichem Staat zu finden, reichen Vernunft und Verstand eben nicht aus, ihn zu erledigen: Noch heute beziehen sich Verschwörungstheoretiker_innen in aller Welt auf die „Protokolle“, um ihre kruden Vorstellungen von einer jüdisch gesteuerten „Neuen Weltordnung“ zu belegen. Mehr zur Veranstaltungsreihe zur Kritik des Antisemitismus am 23.11. und 7.12. 2011, 19.30 Uhr Erfurt, Kleine Synagoge bei Lahnix. Download des Veranstaltungsflyers.

Gestammel: Hallo, Frau Ministerin Schröder, was ist eigentlich Rassismus? 

Unbeeinflusst: Nicht ganz neu, das Thema, trotzdem hier der Hinweis auf den Beitrag im "Freitag" von Andreas Förster: "Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm das Bundesamt für Verfassungsschutz hochrangige Nazis in seinen Dienst. Erst jetzt lässt die Behörde ihre Geschichte aufarbeiten."

Pleite: "Die Staatsverschuldung der USA ist auf mehr als 15 Billionen Dollar angestiegen. Wie das Finanzministerium in Washington mitteilte, lag das Haushaltsdefizit am Dienstag bei gut 15'033 Milliarden Dollar und damit um 55,8 Milliarden Dollar höher als noch am Vortag." Mehr bei der Neuen Zürcher Zeitung und bei WikiNews

Aufhebung: Am 26. No­vem­ber 2011 fin­det in Ber­lin eine bun­des­wei­te Groß­de­mo für die Auf­he­bung des so­ge­nann­ten „Be­tä­ti­gungs­ver­bots“ der Ar­bei­ter­par­tei Kur­dis­tans (PKK) sowie die Strei­chung der PKK aus der EU--‹Ter­ror­lis­te statt. Vor 18 Jah­ren, am 26. No­vem­ber 1993, wurde das PKK--‹Ver­bot in Deutsch­land zum ers­ten Mal an­ge­wandt. Ver­bo­ten wur­den da­mals unter an­de­rem die Fö­de­ra­ti­on kur­di­scher Ver­ei­ne (FEYKA Kur­dis­tan) und 29 ört­li­che Ver­ei­ne, ein Ver­lag und eine Nach­rich­ten­agen­tur. Tau­sen­de Men­schen wur­den seit­dem wegen Ver­sto­ßes gegen das Ver­eins­ge­setz zu Geld- oder Haft­stra­fen ver­ur­teilt, hun­der­te un­ter­schied­li­che In­sti­tu­tio­nen, Ver­ei­ne, Ver­samm­lun­gen und Fes­ti­vals ver­bo­ten und über 100 kur­di­sche Po­li­ti­ker nach dem § 129 oder §129a als an­geb­li­che Mit­glie­der einer „kri­mi­nel­len“ oder „ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung“ ver­ur­teilt. Seit rund einem Jahr wer­den kur­di­sche Po­li­ti­ker in Deutsch­land als Mit­glie­der einer „ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung im Aus­land“ nach § 129b StGB ver­folgt. (Via ALFR)

Liste: "Im Zuge der Ermittlungen zu der Zwickauer Neonazi-Zelle in Deutschland sind einem Zeitungsbericht zufolge in Zwickau erneut Unterlagen mit Daten gefunden worden. Wie die "Passauer Neuen Presse" unter Berufung auf deutsche Sicherheitsbehörden berichtete, handelte es sich um "schriftliche und elektronische Daten", die "tausende Namen und Adressen beinhalten". Darunter seien auch Angaben zu weiteren Politikern sowie zu ausländischen Einrichtungen in Deutschland. Der Zeitung zufolge wurden die Daten von den zuständigen Sicherheitsbehörden der Länder ausgewertet. (...)" (Der Standard)

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika.

Unverhüllt: Am vergangenen „Volkstrauertag“ verhüllte die Gruppe „Geschichtswerkstatt“ das Erwin-Rommel-Denkmal auf dem Zanger Berg in Heidenheim. Weltendenzwischen dokumentiert die Erklärung der autonomen Antifa Heidenheim.

Pläne: "Das Bündnis “Dresden Nazifrei” hat auch im kommenden Jahr vor, den Nazigroßaufmarsch mit Blockaden zu verhindern. Dazu trafen sich etwa 70 Vertreterinnen und Vertreter des Bündnisses in den Räumen von ver.di um ein im Oktober an der Universität abgesagtes Blockadetraining nachzuholen. In dem etwa zweistündigen Training ging es neben praktischen Tipps zum Verhalten und Organisieren von Bezugsgruppen auf Demonstrationen und Blockaden, auch um juristische Hinweise. Das Bündnis betonte erneut, dass von ihnen “keine Eskalation ausgehen wird” und bekräftigte das erklärte Ziel, “den Naziaufmarsch durch Menschenblockaden [zu] verhindern”. Zuvor hatte die Hausverwaltung vergeblich versucht, dass Training in der ver.di-Geschäftsstelle auf der Cottaer Straße zu unterbinden. (...)" Mehr bei den "alternativen Dresden News".

Was mir heute wichtig erscheint #292

Tragisch: Öfter mal auf ein saftiges Steak oder eine Pizza verzichten oder das Auto stehen lassen reicht angesichts der dramatischen Entwicklung des Bevölkerungswachstums alleine nicht mehr aus. Was bedeutet es im globalen Maßstab, wenn für die Herstellung einer einzigen Kalorie 1 Liter Wasser benötigt wird - umgerechnet auf ein Kilo Schweinefleisch immerhin 10.000 Liter? Jason Clay, Wirtschaftsexperte der Umweltorganisation WWF sieht die größte Bedrohung weniger in einem drohenden Atomkrieg, eine Superseuche oder der drohenden Klimakatastrophe sondern in der Landwirtschaft."Wir könnten sogar neun, zehn, elf Milliarden Menschen satt machen", sagt Joel Cohen von der New Yorker Rockefeller University. "Das Getreide ist da, schon heute." Aber nur 46 Prozent würden gegessen. "34 Prozent werden an Tiere verfüttert, der Rest ist Biosprit und Schmierstoff." Eine Milliarde Menschen habe ständig Hunger. "Kein Wunder, wenn wir mehr als die Hälfte unserer Nahrungsmittel lieber an Vieh und Maschinen als an Menschen verfüttern". Bis die Erkenntnis um sich greift , dass es so nicht geht und es Alternativen - nicht nur ernährungs- und verkehrspolitischer Art gibt, sollte allerdings nicht gewartet werden. (Via SPON) Siehe dazu auch den Artikel "Fremdes Land für deutsches Fleisch" in der taz, via konsumpf. Übrigens: Am 1. November ist Weltvegantag.

Verknackt: Im November 2008 hielten AktivistIinnen den Castor-Zug in’s wendländische Gorleben für über zwölf Stunden auf. Wegen angeblicher Nötigung wurden die drei zu jeweils 80 Tagessätzen à 10,00 Euro, also jeweils 800,00 Euro Geldstrafe bzw. 80 Tage Haft verurteilt. Zwei der Geldstrafen wurden bezahlt, die dritte Aktivistin, Franziska wird ihre Haft absitzen. Aus dem Anlass wird zur Solidarität aufgerufen. Mehr dazu im Knastblog, via Robin Wood. Ende November steht übrigens der nächste Castor-Transport nach Gorleben an. Voraussichtlich am 24.11. wird der Zug in Frankreich starten und einige Tage später im Wendland eintreffen. Dagegen machen Anti-AKW-Gruppen mobil, auch die vom letzten Atommülltransport nach Gorleben bekannte Kampagne »Castro schottern«. Deren Pressesprecherin Hanna Spiegel warnt: »Allein in Sellafield warten bereits jetzt 21 Castoren auf ihren Abtransport. Und sogenannte 'moderne' AKWs sollen noch 14 weitere Jahre am Netz bleiben, dadurch jährlich hunderte Tonnen hochgiftigen Atommüll produzieren.« Fest stehe, dass ab Anfang 2012 in NRW 152 Castor-Behälter von Jülich nach Ahaus transportiert werden sollen. Für die Vorbereitung auf das »Schottern« im Wendland finden in den nächsten Wochen zudem im gesamten Bundesgebiet zahlreiche Veranstaltungen und Trainings statt.

Unbezahlt: "(...) Die Arbeitsagentur im Kreis Unna vermitteln derzeit Hartz IV und Arbeitslosengeld I Bezieher an den Internetgiganten Amazon. Nach Auskunft der Arge sucht das Unternehmen „saisonbedingt“ hunderte, wenn nicht tausende Aushilfskräfte für die Auslieferung der Waren in der Vorweihnachtszeit. Daher finden derzeit sogenannte „Informationsveranstaltungen für Versandmitarbeiter“ mit je 80 bis 90 Teilnehmern pro Veranstaltung direkt bei "Amazon Werne" statt. Nach Informationen eines Betroffenen müssen die Vermittelten zunächst ein nicht-vergütetes Praktikum absolvieren und damit auf eine normale Bezahlung verzichten. Stattdessen werden in dieser Zeit die Hartz IV Leistungen sowie Fahrtkostenzuschüsse vom Jobcenter bezahlt. Wer das „Praktikum“ ablehnt, muss mit Sanktionen in Form von massiven Leistungskürzungen rechnen. An den Veranstaltungen nehmen als „Vermittler“ auch die Mitarbeiter der Arbeitsagentur teil. (...) Die Betroffene müssen die unentgeltliche Probearbeit annehmen, obwohl ihnen für diese Zeit keine Vergütung von Amazon gezahlt wird. Weigert sich ein „Vermittelter“, so muss dieser mit rigerosen Hartz IV Leistungskürzungen zwischen 30 oder sogar 100 Prozent rechnen."  Mehr dazu unter: "Hartz IV: Ohne Lohn bei amazon?"

Gesamtschulden: 1.985.541.132.101 EUR. Das sind pro Einwohner ca. 24.184 EUR. (Via Schuldenuhr, siehe auch: Reichtumsuhr.de). Daran ändern auch sog. "Rechenfehler" nicht viel.

Beunruhigend: Die Fukushima-Strahlung ist viel höher als behauptet: Die Folgen der Fukushima-Katastrophe sind weit schlimmer als bisher angenommen. Eine neue, detaillierte Studie schätzt, daß doppelt so viel Cäsium 137 in die Atmosphäre gelangt ist, wie die japanische Regierung berechnet hat. Sie entspreche 40 Prozent jener Menge Cäsium 137, die bei der Tschernobyl-Katastrophe freigesetzt worden war — und der zweitgrößten Freisetzung von Cäsium 137 in der Geschichte der Menschheit. [Spiegel Online], Komplett geklaut beim Schockwellenreiter.

Erobern: Dank dem Hinweis hier bei einfach-uebel kann mensch jetzt auch trueten.de occupien...

Kleingedrucktes: Für viele ist ja mit dem sog. "Schuldenschnitt" das Problem erst mal vom Tisch. Jens Berger hat sich das mal genauer aneschaut und dabei festgestellt, das dem bei weitem nicht so ist. "Wenn man in diesen Tagen die Zeitungen aufschlägt, stößt man immer wieder auf die Aussage, die EU-Regierungschefs hätten beim Gipfel einen 50%-Schuldenschnitt für Griechenland beschlossen. Dies ist jedoch gleich in vielfacher Hinsicht falsch. Es wurde vielmehr gar kein Schuldenschnitt – in welcher Höhe auch immer – beschlossen, sondern lediglich angekündigt, dass man die Banken und Versicherungen zu Verhandlungen einlädt, an deren Ende ein Anleihentausch stattfinden soll, bei dem die Institute auf freiwilliger Basis ihre Griechenlandanleihen gegen andere Anleihen eintauschen können. (...)" Weiter auf den Nachdenkseiten, via spiegelfechter.

Aufklärung: Fast sechs Monate ist die Erschießung Christy Schwundecks durch die Polizei in dem Jobcenter Gallus in Frankfurt/Main nun her und noch immer weiß die Familie, die Öffentlichkeit (...) nicht, wie es zu ihrer Erschießung durch die Polizeibeamtin kam. Die Ermittlungen sind bis heute noch nicht abgeschlossen, weil die Polizistin, welche den tödlichen Schuß abfeuerte, sich noch nicht entschieden hat, ob sie eine Aussage über den Tathergang machen möchte. Aufruf der Initiative Christy Schwundeck zu einer Kundgebung am 19.11.2011.

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika.

Jubiläum: Debra Sweet erinnert an den 10. Jahrestag der Verabschiedung des "Patriot Acts" in den USA. 

Kassiert: Das Eisenbahnbundesamt (EBA) hat den Baustopp am sogenannten Grundwassermanagement (GWM) zu Stuttgart 21 aufgehoben. Und das, obwohl ein Gericht in einer "unanfechtbaren" Entscheidung anders geurteilt hatte. Das stößt bei Stuttgart 21 auf herbe Kritik, wohingegen die Bahn schnell Tatsachen schaffen will. Beitrag der "Sueddeutschen". Siehe auch den Pressespeigel auf BeiAbrissAufstand.de

Standardmaßnahme: Der Bundesverfassungsrichter Richter Rudolf, ehemaliger Prüfer von mutmaßlich verfassungswidrigen Hausdurchsuchungen berichtet zur Zahl an rechtlich unzulässigen Durchsuchungen, dass diese hierzulande immer noch bedenklich hoch seien. Allein im Zeitraum 2005 bis 2008 habe es sich bei 20 Prozent aller erfolgreichen Verfassungsbeschwerden um illegale Wohnungsdurchsuchungen gehandelt.. Mehr dazu bei gulli.com.

Fremdschämen: Der Welt ein Knorkator-Konzert zu empfehlen, ist ein völlig sinnloses Unterfangen. Entweder man predigt zu den Konvertierten oder man redet auf Heiden ein, die sich für die frohe Botschaft taub stellen. Die einen lieben und verehren die Anarcho-Kreativität, den Exzess, den Wahn- und Blödsinn, sie kennen und verstehen die Doppelbödigkeit, die Intelligenz, Selbstironie und Weisheit dahinter, die anderen wissen nur was von einer Rüpel- und Fäkalienband voller schräger, lärmender, prolliger Ossis. Letzteres ist aber nur für die Ignoranten ein Verlust – nicht für Knorkator und ihre treuen Fans. Mehr bei Melodie & Rhytmus. Anspieltipp: "Für meine Fans" und "Es kotzt mich an".

Krisenprotest: Nach­dem be­reits im Mai 2011 der G8-Gip­fel im fran­zö­si­schen De­au­vil­le statt­ge­fun­den hat, werden sich die Re­gie­rungs- und Fi­nanz­chefs der 20 mäch­tigs­ten In­dus­trie- und Schwel­len­län­der am 3. und 4. November 2011 im fran­zö­si­schen Can­nes tref­fen. Ge­mein­sam mit Ver­tre­tern des In­ter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds (IWF) und der Welt­bank (WB) set­zen sich die Staats­ober­häup­ter der „Grup­pe der 20″ (G20) zusammen, um welt­wei­te „Kri­sen­be­wäl­ti­gungs­maß­nah­men“ in Form von So­zi­al­ab­bau, Spar­dik­tat und im­pe­ria­lis­ti­schen In­ter­ven­tio­nen zu ko­or­di­nie­ren. Dagegen fin­det am Sams­tag, 5. No­vem­ber 2011 in Freiburg um 14 Uhr ab Platz der Alten Syn­ago­ge eine über­re­gio­na­le an­ti­ka­pi­ta­lis­ti­sche De­mons­tra­ti­on statt unter dem Motto „no g20 – Die Krise heißt Ka­pi­ta­lis­mus“. Zum Aufruf. Das Of­fe­ne Tref­fen gegen Krieg und Mi­li­ta­ri­sie­rung (OTKM) Stutt­gart or­ga­ni­siert eine ge­mein­sa­me Bus­fahrt von Stutt­gart nach Frei­burg am Sams­tag, den 05.11.2011 um 10:00 Uhr. 

Schlagkraft!

Kaum hatte die Regierung und ihre Bataillone das Parlament das erste Mal belogen - von Hebeln sei keine Rede bei den zugesagten bis erpressten Garantien für Anleihen-Ankäufe, tauchte am nächsten Morgen das Wort "Schlagkraft" auf in sämtlichen offiziellen Fernsehsendungen. Hörte sich gut und überzeugend an! "Schlagkraft" - wer denkt sich was Böses dabei? Was nutzt ein schlapper Hammer, der keine Wirkung hat beim Zuschlagen? Und dass wir alle zusammen zuschlagen müssen, haben "wir" doch eben beschlossen im Parlament ohne Opposition.

Das Wort hat Karriere gemacht. Kaum eingebürgert fürs Finanzwesen, hat es sich jetzt der Militärorganisation bemächtigt. Auch die angebliche Sparpolitik unseres derzeitigen Wehrmachtsministers dient vor allem der "Schlagkraft" im Ausland. Hier bekommt das Wort schon seine greifbarste- und für andere schmerzliche- Bedeutung.

Ein deutsches Volk, in allen seinen Stämmen geeint im Willen zur Schlagbewegung - so könnte ein neuverstandenes Grundgesetz anfangen, wenn aus Versehen einmal nach Wahrheit gefragt würde. Wie aber kommt so ein Lockwort überfallartig über die angeblich unabhängigen und freien Nachrichtenorgane unseres Landes? Auf pfingstliche Inspiration ist wohl nicht zu setzen.

Sollte es da doch Direktiven geben? Nicht im Sinne einer einfachen Verschwörung. Mehr in dem einer langsamen Osmose, wie sie inzwischen alle Sendearten durchzieht. Gerade die allertrivialsten.

Nehmen wir nur mal als Beispiel die Redensart vom "Zeit kaufen". Eine der Grundkategorien nicht nur der Lalltüte v. Dohnanyi, sondern der meisten ernsten Kommentatoren. Wer sich langjährig von amerikanischen und deutschen Comedies einschläfern ließ, kennt sie als den Spruch "Schatz, ich bin noch nicht so weit". Zeit kaufen läuft hier hinaus auf allerlei Umtriebe vor dem ersten Sprung in die Kiste - der unweigerlich folgt. Politisch sehr genau: "Am Ende wird es den großen Zusammenbruch geben, aber dann sind wir alle schon raus -wenn wir Glück haben." Das sickert dann so ein ins Allgemeinbewußtsein.

Ähnlich das Ringen um Vertrauen. Verbraucht fast die halbe Sendezeit von "Rote Rosen". "Vertraust Du mir denn nicht mehr?"- "Du musst lernen, mir zu vertrauen". Am Ende muss das ja klappen, sonst hörte die Serie unverhofft doch einmal auf.

In der Politik hat die Einsicht gesiegt, dass das altertümliche Vertrauen hoffnungslos versiegt ist. Dasjenige nämlich, dass ein Ausleiher eines Tages das Ausgeliehene zurückbekommt. Mit Zins, normalerweise.

Stattdessen wird Vertrauen synthetisch gewoben. Auf den beliebten Konferenzen in Brüssel oder sonstwo. Vertrauen schaffen heißt jetzt: "Ich verspreche Dir soundsoviel Dollars - nach Sarkozy - sonst Euros - sofort, wenn Du meinen Versprechungen auf ewig und immerdar glaubst - oder so tust, als ob!" Dann - wie im Vorlagenfilm - Massenknutschen.

Nur eine Standardszene ist noch nicht in den Wortschatz der Politik eingedrungen: "Schatz, ich kann Dir das erklären". Ein Wesen, meist Mann, nestelt sich von seiner Mitlagernden los, springt nackt aus dem Bett und breitet die Arme. Türenschlagen die Folge. Wenn das einmal auf die Politik übertragen werden müsste, könnte es nicht anders heißen als "Genossen, Kollegen - ich bin wirklich pleite". Die Höllenanstrengung unserer Kanzlerin richtet sich allein darauf, dass dieser Augenblick so spät wie möglich ins Fernsehen dringt.

Und was tun wir dazu, dass das wenigstens mal vorstellbar wird?

Nachtrag zu Griechenland: Rasenmäher weg von den Ohren! Begriffe sauber halten!

Wir stehen weiterhin zur Rechtfertigung der Streiks in Griechenland - wie sehr auch auf verlorenem Posten.

Inzwischen hat es Nachrichten gegeben von Auseinandersetzungen zwischen der kommunistischen KKE und angeblich vermummten Anarchisten vor dem Parlament in Athen. Wer dabei Angreifer, wer Verteidiger war, machen alle Berichte nicht deutlich.



Bedenklich sind nicht allein diese Rempeleien zwischen verschiedenen Gruppen. Die gab es immer schon, meistens allerdings in Epochen des Niedergangs der Bewegung. Viel schlimmer die Erklärungs-und Verteidigungsversuche der beiden Gruppen.

Die als Anarchisten auftretende Gruppe sieht sich gegenüber eine Horde von "STALINISTEN ". Die KKE dagegen trumpft auf mit einem neuen Namen für ihre Gegner: "ANARCHOFASCHISTEN". Den Islam-Faschisten unseligster Erfindung mussten unbedingt grässliche Geschwisterchen hinzuerfunden werden.

Beide Begriffsbildungen dienen der Betonierung von Zwistigkeiten. Diese sollen unbedingt als antagonistische Gegensätze wahrgenommen werden. Wäre das nicht nur augenblickliches Angs-und Wutgebrodel und bliebe es dabei, wäre eine Einigung der Aufständischen und damit ein Sieg über die Knechte der gesamteuropäischen Reaktion im Parlament unmöglich.

Stalinisten.

Auch in Deutschland ist es leider üblich geworden, allen, die man nicht lieb hat, Stalins Kappe überzustülpen. Vergl. das haltlose Geifern gegen die "Junge Welt". Analytisch begründet ist an dieser Klassifizierung nichts. Rein historisch gesehen gibt es treue Anhängerschaft an Stalins Führertum seit Chrustschow nicht mehr. Hanna Arendt hat das - im Nachtrag ihres verfehlten Hauptwerks - immerhin selbst zugegeben. Hinzukommt, dass die ehemalige SBZ, später DDR, staatsrechtlich nie nach dem Muster der UDSSR ausgestaltet worden war. Schon die bis zum Schluss unangefochtene Anerkennung anderer Parteien, wie wenig sie auch zu sagen hatten, widerspräche dem. Auch waren selbst Prozesse wie der gegen Harich- so unterdrückerisch sie auch gemeint waren- nie solche, in denen die Angeklagten Erfundenes zum allgemeinen Abscheu hätten bekennen müssen.Was er zugab, stimmte! (Harich als Westler hätte für unerlaubte Kontakte mit Organen der Ost-Presse von unserem Gericht vielleicht nicht gleich acht Jahre aufgebrummt bekommen. Aber für drei hätte es unter den Bedingungen der fünfziger Jahre schon reichen können).

Meint man mit Stalinismus aber die Deformation einer Partei, die sich dem Staat wesentlich als Hilfsorganisation und Stütze unterworfen hat- und keinen eigenen kollektiven Willen mehr entfalten kann- so träfe das auf die DDR zwar zu. Nicht nur auf sie!- Sondern auch auf die meisten sozialdemokratischen Staaten, in denen Parteiaktivität aufs Hurra-Brüllen beschränkt bleibt. Dann sagt der Begriff nichts mehr Unterscheidendes aus. Sondern dient als Anregung zum erschütterten "Huch". Wie er ja auch gewollt wird.

Anarchofaschismus.
Ab 68 litten wir unter der Inflation des Faschismusbegriffs. Ein Vater, der seine minderjährige Tochter schon um 1 Uhr zurückerwartete, war unweigerlich "Faschist". Es war eine Erleichterung, als vor allem Schmierer im "Roten Forum" Heidelberg den Begriff zu analysieren begann. Grob gesagt stellte sich heraus, dass vor allem zum Faschismus eine Massenbewegung gehört, die auf Führerbefehl Gewaltmaßnahmen durchsetzt über jede rechtliche Bindung hinaus.

Das erlaubte sofort eine besondere Betrachtung der damals zahlreichen Militärdiktaturen in Griechenland, den südamerikanischen Staaten oder auch der Türkei. Bei allen stellte sich heraus: Während für die authentisch faschistischen Staaten Deutschland und Italien Krieg den Augenblick ihres Aufschwungs bedeutete, sackten die Bewegungen z.B. in Griechenland bei einem im Grunde nicht lebensbedrohenden bewaffneten Konflikt mit der Türkei sofort zusammen.

Guerin in seinem kleinen Buch "Die Braune Pest" schildert die Begegnung 1932/1933 in Berlin mit einer kleinen Gruppe, die sich für anarchistisch hielt, ziemlich wüst klaute und sich gegenseitig zu Sex-Exzessen auf einem gemeinsamen Sofa anhielt. Welche Verblüffung, als eine Bekannte 1934 von einem martialischen SA-Mann schultergeklopft wurde: er war Ex-Anarcho, jetzt Neo-Faschist. So etwas könnte dem glücklichen Erfinder des "Anarcho-Faschismus" auf den ersten Blick gefallen. Bis er gemerkt hätte, dass diese jungen Draufgänger auch schon vor 1933 nicht einmal bis zur Annäherung an Anarchismus gelangt waren. Sie blieben gerade in ihrem gezwungenen Skandalverhalten genau an die Werte gefesselt, die sie angeblich bekämpften. Nur eben negativ verzerrt. Kein Wunder, dass die frühen Verhältnisse bei der SA noch bessere Chancen zu bieten schienen, alle gesetzlichen und bürgerlichen Anstands-Schranken zu überschreiten. Die faschistischen Spezial-Phantasien von Rassereinheit und Ahnenstolz sagten ihnen 1934 so wenig wie vor 1933 Kropotkin und Bakunin.

Sonst lassen sich die Gedanken totaler Unabhängigkeit des Einzelnen und zugleich Bereitschaft zum Zusammenschluss mit allen Unterdrückten mit der faschistischen Kombination von Sadismus und Masochismus in keiner Weise zusammendenken.

Gut - das alles sind Benennungen entsprungen aus Wut, Unbesonnenheit und einfachem Nicht-Weiter-Denken-Wollen.

Sie dürfen sich nicht durchsetzen! Handfeste Auseinandersetzungen gab es immer schon in jeder sozialistischen Bewegung. Sie müssten und müssen aber zurückstehen vor der Einsicht, dass hier zwei Sorten von Geprügelten und Gepeinigten zum Vergnügen ihrer Peiniger sich gegenseitig aufreiben und ohnmächtig machen.

PS: Schöne Erinnerung! Zeitweise gab es in den siebziger Jahren einmal Absichten der Obrigkeit, alle kommunistischen Organisationen, die keinen Parteicharakter aufweisen konnten, zu verbieten. Vermutlich in Spaltungsabsicht. Nämlich die DKP zunächst- zunächst!- zu verschonen und sich erst einmal an der Niedermachung der sogenannten K-Gruppen zu ersättigen.  Es gelang damals gegen größte Widerstände und Ängste bei den neuen Kommunisten - Angst und Abscheu wegen vielen Scheinbeintritten zwischen DKP und K-Gruppen - zu einer gemeinsamen Demonstration in Bonn zu kommen. Das hat immerhin dazu beigetragen, den Oberen den Appetit auf Zerfleischung aller linken Gruppen für eine Zeit zu versalzen.
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